High-Tech in der Kanalisation Roboter sanieren die Unterwelt VDI-N, Düsseldorf, 10. 5. 91, ew -

Für Instandsetzung und Neubau der Kanalisation dürften in den nächsten zehn Jahren Beträge in Milliardenhöhe ausgegeben werden. Allein in den alten Bundesländern müssen bis zur Jahrhundertwende die Kommunen 165 000 km des insgesamt 600 000 km langen Kanal- und Leitungsnetzes sanieren. Nach Meinung der Bauindustrie kommt der Markt hierfür zwar erst langsam in Gang, doch die westdeutschen Unternehmen, die für diesen Bereich des Spezialtiefbaus in Frage kommen, seien für die anstehenden Aufgaben technisch und wirtschaftlich bestens gerüstet. So gebe es High-Tech-Verfahren, wie die ferngesteuerte Schadensanalyse im Untergrund und einsatzbereite Roboter, die für Menschen nicht zugängliche Ablagerungen im Rohr abspachteln oder abfräsen. (Seiten 21 und 22)

Bundesbahn sieht 30% Leistungsreserve Elektronisches Management läßt mehr Züge fahren VDI-N, Düsseldorf, 10. 5. 91, Wop -

Mit dem Ausbau von Informationstechnologie, Computertechnik und Mikroelektronik will DB-Chef Heinz Dürr 30 % mehr Züge auf den bereits vorhandenen Strecken fahren lassen. "Warum sollte es nicht wie mit Computer Integrated Manufacturing (CIM) in der Industrie ein Computer Integrated Railroading (CIR) bei der Deutschen Bundesbahn geben?" , fragte Dürr kürzlich anläßlich einer Pressekonferenz.

Dürr sucht Wege, die Bahn zu sanieren, die Beförderungskapazitäten im Personen- und Güterverkehr zu erhöhen. Wenn, wie in den ersten Monaten dieses Jahres, die Bundesbahn ein Plus von 6 % im Personen- und von 8 % im Güterverkehr verzeichnen kann, stimmt ihn das froh und nachdenklich zugleich. Denn Deutschlands Bahn quälen Wachstumsschwierigkeiten. Die Beförderungskapazität unter den derzeitigen Bedingungen ist beinahe ausgeschöpft. Deshalb sieht die Bahn- Führungsmannschaft im CIR, also im flächendeckenden Einsatz rechnergestützter Bahntechnik, die Möglichkeit, sowohl die Leistungen des Streckennetzes zu steigern, als auch die Qualität der Beförderung zu verbessern.

Doch auch bei diesen Überlegungen mahnt Dürr erneut an, daß von der Bundesregierung endlich Voraussetzungen geschaffen werden, damit die Deutsche Bundesbahn wie ein normales Wirtschaftsunternehmen arbeiten kann. Es müsse, so der DB-Chef, die seit Jahren diskutierte rechnerische Trennung von Fahrweg und Betrieb erfolgen. Das würde belegen, daß die DB kein "Kostgänger der Nation" und die 14 Mrd. DM Zuschüsse pro Jahr keine Subventionen sind.

Steigende Arbeitslosigkeit in Frankreich und Großbritannien, gespaltene Entwicklung in Deutschland - Von Jürgen Salz EG-Wachstum wird um mehr als die Hälfte sinken VDI-N, Düsseldorf, 10. 5. 91 -

D ie Konjunktur in den Mitgliedsländern der Europäischen Gemeinschaft schwächt sich ab. Das EG- weite Wachstum werde sich in diesem Jahr mit 1,25 % im Vergleich zum Vorjahr mehr als halbieren, schreiben die fünf führenden deutschen Wirtschaftsinstitute in ihrem Frühjahrsgutachten. Die Arbeitslosenquote in der EG ist im Februar mit 8,7 % im Vergleich zum Vorjahresmonat leicht gestiegen. Darauf weist das Statistische Amt der Europäischen Gemeinschaft (Eurostat) hin. Auch hielten die Unternehmen ihre Investitionen zurück: Während im Frühjahr 1990 die Unternehmen noch eine Steigerung der Investitionen um real 11 % planten, betrug die tatsächliche Zuwachsrate im vergangenen Jahr EG-weit gerade 4 %.

Besonders Frankreich leidet unter Konjunkturschwäche. Das renommierte französische Institut INSEE sagt für 1991 lediglich ein Wachstum des Bruttoinlandsproduktes in Höhe von 1,5 % voraus. Noch zum Jahresbeginn ging die französische Regierung von einer Steigerung um 2,8 % aus. Im März waren 2,6 Mio. erwerbsfähige Franzosen ohne Arbeit - die höchste Zahl seit 1988.

Ähnlich verläuft die Entwicklung in Großbritannien. Dort weisen die letzten verfügbaren Angaben einen Rückgang der gewerblichen Produktion um 2 % in den Monaten Dezember bis Februar gegenüber den jeweiligen Vorjahresmonaten aus. Die Arbeitslosenzahl ist im März erneut um 112 000 auf 2,1 Mio. gestiegen, das ist der höchste monatliche Zuwachs seit 20 Jahren. Der Investitionsrate, die bereits 1989 und 1990 stagnierte, droht im laufenden Jahr sogar ein Rückgang, der sich auf 5 % belaufen könnte. In Deutschland ist die Entwicklung gespalten. Der akuten Strukturkrise in den fünf neuen Bundesländern stehen steigende, wenn auch mäßige Wachstumsraten in Westdeutschland gegenüber. Die Wirtschaftsinstitute erwarten in ihrem Gutachten ein Wachstum für das laufende Jahr von knapp 3 %. Sorgen bereiten die derzeit negative Leistungsbilanz und die erwartete Preissteigerung von 2,5 % im März auf 4 % zum Jahresende.

Konjunkturelle Abschwächungen sind auch in Belgien und Italien zu beobachten. Im Verlauf des Jahres wird auch in den Niederlanden mit einer Verlangsamung gerechnet, die Arbeitslosenzahl ist von Januar bis März bereits gestiegen.

Ursächlich für das gebremste Wachstum in den EG-Staaten sind nach Ansicht des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln die Aufwertungen der EWS- Währungen gegenüber dem amerikanischen Dollar und dem japanischen Yen, die weltweite Konjunkturschwäche und das ungünstige Konsum- und Investitionsklima während des Golfkrieges.

Trotz des schwächeren Wachstums sieht das Institut jedoch keine Anzeichen für eine längere Misere. Das rasche Ende des Golfkrieges habe zu einem verbesserten Investitionsklima geführt. Auch die Normalisierung der Ölpreise sorge für Entlastung. Sowohl die Unternehmer als auch die Verbraucher erwarten laut IW lediglich geringere Preissteigerungen innerhalb der EG. Trotz der allgemeinen konjunkturellen Abschwächung verweist das IW darauf, daß die Kapazitätsauslastung der Unternehmen innerhalb der EG noch recht hoch sei: Spitzenreiter ist Deutschland mit 89,5 %.

Deutscher Ingenieurtag 1991 in Berlin Auf die Ingenieure warten neue Aufgaben VDI-N, Düsseldorf, 10. 5. 91, giv -

Da Ingenieure immer mehr führende Positionen in Wirtschaft, Wissenschaft und Verwaltung übernehmen, steigt ihre Verantwortung in Beruf und Gesellschaft. Es liegt in ihren Händen, mit ihrem Wissen und ihren Fähigkeiten die technische Entwicklung ohne schädliche Auswirkungen auf Mensch und Natur zu gestalten. Sie müssen sich bereits bei den ersten Entwürfen am Reißbrett die Frage nach den möglichen Folgen stellen. Der einzelne ist hierbei überfordert. Er ist auf übergeordete Instanzen angewiesen. Sie müssen ihm Entscheidungshilfen in Form von verbindlichen Maßstäben an die Hand geben. Ziel des Deutschen Ingenieurtages in Berlin ist es, Schritte auf dem Wege zu dieser neuen Verantwortung aufzuzeigen und die Grenzen der Entscheidungsspielräume auszuloten . (Seite S1 bis S20)

VDI-Verlag auf dem DIT Experten-Tips zur Berufsplanung VDI-N, Düsseldorf, 10. 5. 91, Fr -

Antworten auf Fragen zur aktuellen Situation auf dem Arbeitsmarkt, zur Einkommensentwicklung oder zu ganz persönlichen beruflichen Chancen bieten die VDI-Nachrichten mit einem besonderen Service auf dem Deutschen Ingenieurtag (DIT) in Berlin. Experten des Fachvermittlungsdienstes der Bundesanstalt für Arbeit stehen am 14. und 15. Mai von 9.30 Uhr bis 17.30 Uhr auf dem VDI-Verlagsstand im Internationalen Congress Centrum (ICC) interessierten Ingenieuren als Gesprächspartner zur Verfügung. Achten Sie also im ICC auf den Verlagsstand, der sich mit dem Motto "Berufsperspektiven für Ingenieure" präsentieren wird. Dabei ist es gleichgültig, ob Sie Besitzer einer Eintrittskarte für den Deutschen Ingenieurtag sind oder sich einfach nur informieren wollen.

Gute Position der deutschen Hersteller im internationalen Vergleich Milliardenmarkt für intelligente High-Tech-Sensoren Konkurrenz kommt aus fernöstlicher Massenproduktion - Von Jens D. Billerbeck VDI-N, Düsseldorf, 10. 5. 91 -

B undesdeutsche Sensorhersteller blicken mit vorsichtigem Optimismus in die Zukunft. Wie der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Meßwertaufnehmer (AMA), Ulrich Führer, im Vorfeld der internationalen Fachmesse Sensor '91 erklärte, sei die Wachstumserwartung zwar nicht mehr so euphorisch wie in den vergangenen Jahren, aber bis zum Jahr 2000 erwarten die Marktforscher in fast allen Bereichen der Sensorik annähernd eine Verdopplung der erzielten Umsätze.

Für Westeuropa errechnet eine Studie der Intechno Consulting in Basel z. B. ein Marktwachstum von 11,8 Mrd. DM in 1990 auf rund 26,8 Mrd. DM im Jahr 2000. Dabei liegt die größte Dynamik im Anwendungsbereich der Automobil- und Verkehrstechnik, der sich im gleichen Zeitraum von 2,1 Mrd. DM auf über 6 Mrd. DM fast verdreifachen wird. Größtes Marktsegment ist und bleibt allerdings bis zum Jahr 2000 die Prozeßtechnik und der Anlagenbau (9,4 Mrd. DM).

Führer, dessen Verband neben 65 Forschungsinstituten vor allem aus 185 meist mittelständischen Sensorherstellern besteht, sieht die hiesigen Unternehmen gemeinsam mit japanischen und amerikanischen Produzenten im internationalen Vergleich an der Weltspitze. Doch diese Position muß verteidigt werden. Die Experten des Marktforschungsunternehmens Frost & Sullivan, die sich speziell mit dem Segment der Positionssensoren beschäftigt haben, kommen z.B. zu dem Schluß: "Um im Vergleich mit High-Tech- Sensoren aus japanischer Massenproduktion bestehen zu können, müssen europäische Hersteller immer einen Schritt voraus sein, sowohl in der Technologie, als auch in den Produktionsverfahren." Dies sehen die Sensoranwender ähnlich: "Die Entwicklung zukunftssicherer Sensorik wird in hohem Maße von der Fähigkeit der Sensorentwickler zur Kombination der unterschiedlichen technologischen Disziplinen abhängen" , sagt Dr. Wolfgang Ziebart, bei BMW in München zuständig für die Elektronik-Entwicklung. Mikromechanik und Mikrosystemtechnik sind zwei Schlagworte, die diesen technologischen Anspruch beleuchten.

Und genau hier liegt auch die Herausforderung für die kleinen und mittleren Unternehmen, die in Deutschland hauptsächlich in diesem Bereich tätig sind. Mit dem Förderprogramm Mikrosystemtechnik sollte ihnen seitens der Bundesregierung der technologische Anschluß in den Mikrotechniken erleichtert werden.

Mehr als 500 Anträge auf indirekt-spezifische Förderung einzelner Projekte wurden in nur 13 Monaten eingereicht. Mit einem Antragsvolumen von 150 Mio. DM war damit nach Ansicht des Bundesforschungsministeriums das förderpolitische Ziel erreicht. Ursprünglich auf vier Jahre angelegt, wurde dieser Teil des Programmes schon im März dieses Jahres beendet. AMA-Chef Führer kritisiert, daß der Rahmen zu niedrig gesteckt war und damit Firmen, die bereit seien, Risiken einzugehen, von geplanten Entwicklungsvorhaben absehen müßten.

W elches hohe Innovationspotential aber gerade in den Sensorikfirmen liegt, wird sich vom 14. bis 16. Mai auf der Nürnberger Sensor '91 zeigen. Innovation, die nicht nur für die Hersteller des Meßfühlers wichtig ist: "So unscheinbar der Sensor sein mag, er entscheidet auch über die Wettbewerbsfähigkeit des Endproduktes, in dem er eingesetzt wird" , ist Führer überzeugt.

Trotz ihrer derzeitigen guten Wettbewerbsposition ist die deutsche Sensorindustrie weit davon entfernt, die Hände in den Schoß legen zu können. Denn das heutige High-Tech-Produkt läßt sich schon morgen in irgendeinem Billiglohnland in großen Serien fertigen. Neben die Entwicklung neuer Produkte muß daher vor allem die Sicherung der Qualität als Wettbewerbsargument treten, damit nicht mittelfristig, wie Führer provozierend formuliert, "die Bundesrepublik zum Zulieferer der japanischen Industrie wird" .

Gewissensfrage Von HELENE CONRADY

"Ingenieure haben eine große Verantwortung, indem sie bei der Durchführung ihrer Aufgaben auch die Grundrechte der Person, das Wohl der Gesellschaft und den Schutz der Umwelt beachten müssen." So der VDI in einer Erklärung im letzten Sommer. Trefflich formuliert, werden viele meinen. Und sie haben recht.

Dennoch gibt es Situationen, in denen diese Erklärung dem einzelnen nicht weiterhilft. Wie das, mögen die Wohlinformierten fragen, wo doch schon 1950 der VDI das "Bekenntnis des Ingenieurs" formulierte, das die Aufgaben klar umreißt. Auch da haben sie recht. Aber worauf soll sich der berufen, der keine Rüstungsgüter herstellen will, worauf die Kollegin, die nicht mit Substanzen arbeiten will, deren Langzeitwirkung nicht erforscht ist?

Sie werden nichts finden, worauf sie im Falle einer Arbeitsverweigerung pochen können, und schon gar nichts, was ihnen gegenüber einem erzürnten Arbeitgeber den Rücken stärkt. Im Falle der anschließenden Kündigung können sie sich nur auf ihr Gewissen berufen. Dessen Freiheit ist zwar im Grundgesetz verankert, doch ob die Richter diesen Fall gegeben sehen, bleibt ihnen überlassen.

Deshalb brauchen auch Ingenieure, ähnlich wie die Ärzte, einen Ethik-Kodex - verbindliche Normen zum Prinzip Verantwortung also, an denen sich ihre Arbeit orientieren, an denen sie sich aber auch messen können. Sie müssen klar und eindeutig die Ziele, den Nutzen, aber eben auch die Grenzen der Technikgestaltung unter dem Aspekt der Verantwortung für Mensch und Umwelt festschreiben.

Amerikanische Kollegen des American Institute of Electrical Engineers sind diesen Weg längst gegangen. Sie wissen: Ihr Kodex bietet nicht nur Schutz, sondern auch Ansporn - in Gestalt einer Auszeichnung. Was spricht dagegen, diesen Weg auch in Deutschland zu gehen?

Kommentar Möllemanns Rasenmäher Von BENEDICTA JUNGHANNS

Wirtschaftsminister Jürgen Möllemann war kaum im Amt, da drohte er bereits mit Rücktritt. Werden die deutschen Subventionen nicht um wenigstens 10 % gekürzt, so seine Forderung, wolle er bis Juli zurücktreten. Dem wackeren Politiker ist bei seiner Suche nach den Milliarden, die den Aufbau in den neuen Bundesländern fördern sollen, jede Kürzung recht: Keinen Wirtschaftsbereich will er von seinem geplanten Streich-Konzert ausgeklammert wissen, weder Werften noch Kohle, weder Stahl noch Landwirtschaft.

Daß die fünf Wirtschaftsinstitute in ihrem Frühjahrsgutachten sein Credo flankieren, wird dem Minister entgegenkommen: Mit Blick auf die gewaltigen wettbewerbsverzerrenden Folgen rügen die Wirtschaftsforscher schon seit Jahren die grassierende Subventionitis der Regierung - zu Recht: So werden etwa die Staatsausgaben für den Airbus trotz Übernahme durch Daimler-Benz dieses Jahr wieder mehrere Hundert Millionen ausmachen. Auch die Förderkosten deutscher Steinkohle zu 260 DM je Tonne sind, verglichen mit einem Weltmarktpreis von 90 DM, selbst mit dem beliebten Argument der Versorgungssicherheit nicht mehr zu rechtfertigen.

Daß der Minister vor dem Tabu-Thema Subventionen nicht zurückschreckt, ist zu begrüßen. Allerdings wird er gegen heftigen Widerstand kämpfen müssen, denn die Empfänger betrachten die Staatshilfen als unantastbaren Besitzstand, den es hartnäckig zu verteidigen gilt, und nicht als das, was sie eigentlich sind: Zeitlich begrenzte Finanzhilfen, die einen notwendigen Strukturwandel erleichtern sollen. Dem drohenden Protest der Lobbyisten versucht Möllemann mit einer salomonischen Lösung beizukommen: Um keine Interessengruppe besonders zu verprellen, will er mit dem Rasenmäherverfahren jeden subventionierten Bereich gleichermaßen stutzen. Wenn Möllemann jetzt scheitert, wird er sich an seine Rücktrittsdrohung erinnern lassen müssen.

Wirtschaftsinstitute warnen vor überzogenen Tarifabschlüssen Droht die Zwei-Klassen-Gesellschaft? Gewerkschaften sträuben sich gegen Lohnverzicht in den neuen Bundesländern - Von David Spang VDI-N, Bonn, 10. 5. 91 -

E in allzu rasches Gleichziehen der Löhne in den neuen Bundesländern auf Westniveau treibe die Zahl der Arbeitslosen und Kurzarbeiter in die Höhe. Diese Einschätzung einer "Hochlohnpolitik" durch das Münchner Ifo-Institut bestätigten die fünf Wirtschaftsinstitute in ihrem letzte Woche in Bonn vorgestellten Frühjahrsgutachten ausdrücklich.

"Die Lohnpolitik in Ostdeutschland kann das Überleben der Betriebe nicht sichern, sondern den Übergangsprozeß nur abmildern" , versuchen die wirtschaftswissenschaftlichen Institute überzogene Vorstellungen zu korrigieren. Den Tarifpartnern allein will Bundeskanzler Helmut Kohl das Feld aber anscheinend nicht überlassen. Er forderte nämlich am Vorabend des 1. Mai eine intensivere Zusammenarbeit zwischen Staat, Unternehmern und Arbeitnehmervertretern.

Die aus den Reihen der Koalititonsregierung vorgebrachte Forderung nach Lohnverzicht im Westen als Solidaritätsopfer für den Osten wiesen führende Vertreter des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) auf ihren Maikundgebungen zurück. So wertete DGB-Chef Meyer einen Lohnverzicht als ungegeignetes Umverteilungsinstrument zwischen Ost und West. Die ÖTV-Vorsitzende Monika Wulf-Mathies bezeichnete es als "Gipfel des Zynismus" , daß Unternehmer und Regierung die Arbeitnehmer jetzt zu Zurückhaltung bei den Löhnen aufforderten.

Mit den ersten tariflichen Vereinbarungen, wonach bis 1994 in den neuen Bundesländern das westdeutsche Lohnniveau erreicht werden soll, kommen auf den Staat neue Probleme zu.

Die Autoren des Frühjahrsgutachtens legen den Finger in die Wunde: "Es scheint, als sei den Beteiligten nicht klar, daß eine Angleichung der Löhne in einem so kurzen Zeitraum fast alle Unternehmen in Ostdeutschland überfordert."

Es sei eine Illusion zu glauben, das westliche Kapital könne in einem so kurzen Zeitraum durch die Installation einer modernen Kapitalausstattung ein solches Lohngefüge finanzieren. Das Institut der Deutschen Wirtschaft (iw) sieht mit den jüngsten Tarifabschlüssen "zusätzliche Produktivitätszwänge" auf die gesamte Volkswirtschaft zukommen. Mittelfristig sei für die ostdeutsche Wirtschaft nichts wichtiger als die rasche Steigerung der Arbeitsproduktivität.

Ebenso räumen die Wirtschaftsforschungsinstitute mit dem Irrglauben auf, eine rasche Lohnangleichung könne die Abwanderung von Arbeitskräften stoppen. "Da eine solche Lohnangleichung zusätzliche Arbeitslosigkeit im Osten zur Folge hat, verstärkt sie zugleich den Druck zur Abwanderung in den Westen." Guter Rat ist also teuer. Werde der gegenwärtige Kurs von Gewerkschaften und Arbeitgebern beibehalten, so dürfte sich der Marsch in die Zwei-Klassen-Gesellschaft noch beschleunigen, befürchtet Ifo.

I m Oktober lagen nach Angaben des Münchner Instituts die effektiven Bruttolöhne und -gehälter je Vollzeitbeschäftigten in der Ost-Industrie mit 1 544 DM um 30 % höher als im Januar 1990. Die Monatslöhne der Bauarbeiter stiegen um mehr als 60 % auf 1 942 DM. Nach den bisherigen Lohnerhöhungen auf 50 % bis 60 % des westlichen Tarifniveaus dürften sich die bisher schon gravierenden Wettbewerbsnachteile der ostdeutschen Wirtschaft durch die enormen Lohnerhöhungen, so Ifo, nochmals vergrößern.

Durch die Entscheidung der Bundesregierung, die extensive Kurzarbeiterregelung bis zum Jahresende beizubehalten, wird nach Meinung der Wirtschaftsexperten der Hans-Böckler-Stiftung die Zahl der Arbeitslosen "statistisch geschönt" . Das Mitbestimmungs- und Forschungswerk des DGB geht von einer Ost-Arbeitslosenzahl zum Jahresende von 1,3 bis 1,7 Mio. aus. Die Zahl der Kurzarbeiter werde darüber hinaus noch auf über 2 Mio. steigen. Wenn zusätzlich der Entlassungsschutz im Tarifvertrag der Metallindustrie verlängert wird, wie es unlängst die IG Metall gefordert hat, wird sich die Zahl der Arbeitslosen zwar verringern, die Kurzarbeit hingegen zunmehmen.

Um den Arbeitsplatzexodus in Grenzen zu halten, drängen sich sozialpolitische Maßnahmen wie berufliche Qualifizierung und Vorruhestandsregelungen auf. Standen die Zeichen für Vorruhestandsregelungen bei Bundesarbeitsminister Norbert Blüm in jüngster Zeit wieder eher auf Verlängerung der Lebensarbeitszeit, zwingt die Misere im Osten erneut zum Umdenken. Der Bundesvorsitzende der Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen (AfA), Rudolf Dreßler (SPD), stellt mit Genugtuung fest, "daß der Bundesarbeitsminister begonnen hat, die Frage des erweiterten Vorruhestands in den neuen Ländern zu prüfen" . FDP-Parteichef Otto Graf Lambsdorff bringt es auf den Punkt. "Die Höhe der noch steigenden Arbeitslosigkeit in den neuen Bundesländern ist bedrückend." Patentrezepte lassen weiter auf sich warten.

Planungs-Beschleunigungsgesetz versus EG-Richtlinie? Im Hauruck-Verfahren durch Wald und Flur Umweltverbände sehen Bürgerbeteiligung im Osten ausgehebelt - Von Thomas A. Friedrich VDI-N, Bonn, 10. 5. 91 -

A ußergewöhnliche Situationen erfordern außergewöhnliche Mittel. Unter diesem Motto sollen Planungen für Autobahnen, Umgehungsstraßen und Schienenstrecken in Ostdeutschland im Schnellverfahren durchgeführt werden. Mit dem Gesetz zur "Beschleunigung der Planungen für Verkehrswege des Bundes in den neuen Ländern sowie im Land Berlin" will der Bundesminister für Verkehr, Günther Krause, dringend notwendige Infrastrukturmaßnahmen in den neuen Bundesländern beschleunigen. Die Naturschutzverbände laufen gegen den Gesetzentwurf Sturm. "Der Ost-Minister Krause hat sich bereits nach wenigen Monaten seiner Amtszeit als Fehlbesetzung erwiesen" , wettert Jochen Flasbarth vom Naturschutzbund Deutschland. Der Gesetzentwurf sei, seiner Meinung nach, "in jeder Hinsicht unverhältnismaßig" , weil er die Rechte von Bürgern und Naturschutzverbänden unzumutbar einschränke.

Der Gesetzentwurf sieht im einzelnen vor, die Planung für Verkehrswege des Bundes und der Linienbestimmung zu beschleunigen und das Raumordnungsverfahren zu verkürzen. Darüber hinaus sollen verwaltungsgerichtliche Verfahren vereinfacht und Enteignungsregelungen präzisiert werden.

Für den Vorsitzenden des Verkehrsclubs der Bundesrepublik (VCD), Rainer Graichen, "hebelt das Gesetz den Grundsatz der Öffentlichkeitsbeteiligung aus" .So soll die erste offizielle Bürgerbeteiligung bei Planungsvorhaben des Staates nicht mehr im Rahmen der Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) im Raumordnungsverfahren, sondern erst im abschließenden Planfeststellungsverfahren stattfinden. "Dann sind alle Würfel schon gefallen" , wendet der VCD-Vorsitzende ein. Um sozial- und umweltverträgliche Planungen erreichen zu können, ist es nach Ansicht des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (Bund) notwendig, möglichst früh den Sachverstand der Umweltverbände und das Wissen potentiell Betroffener abzufragen, zu diskutieren und in die Entscheidung einzubeziehen.

Zusammen mit anderen Umweltverbänden hat der VCD die Vereinbarkeit des Beschleunigungsgesetzes mit der EG- Richtlinie 85/337/EWG vom Institut für Umweltrecht in Bremen untersuchen lassen. Das in Bonn vergangene Woche vorgestellte Gutachten kommt zu dem Ergebnis, daß mit dem Beschleunigungsgesetz für Planungsverfahren in den neuen Bundesländern das Gebot der Frühzeitigkeit der Information und das Prinzip der Öffentlichkeitsbeteiligung verletzt wird.

Bundesverkehrsminister Krause hält dennoch am Planungs-Beschleunigungs- Gesetz fest. Gegenüber den VDI-Nachrichten erklärte er: "Planungszeiten von 10 bis 15 Jahren, wie in Westdeutschland bislang üblich, können wir uns für den Ausbau der Verkehrsinfrastruktur in Ostdeutschland nicht erlauben. Der Zeitdruck sei groß, wenn der Zusammenschluß zwischen West- und Ostdeutschland auch im Verkehrsbereich erreicht werden solle. Innerhalb von fünf Jahren will der Minister mit den Verkehrsprojekten "Deutsche Einheit" - darunter auch der umstrittene Neubau der Straße Lübeck - Stettin entlang der mecklenburgischen Seenplatte - "spürbare Verbesserungen" im Ost-Verkehrsnetz erzielen.

Die Umweltschützer sind zwar nicht grundsätzlich gegen den Straßenbau, sie setzen aber zuerst auf Modernisierung der Infrastuktur. Prioritäten sollten ihrer Meinung nach beim Ausbau des veralteten Schienennetzes der Deutschen Reichsbahn gesetzt werden.

Die Regierung in Bonn hat jedoch längst Vorfahrt für die Straße signalisiert. So werden allein eine Mrd. DM laut Koalitionbeschluß in Straßenbaumittel von West- nach Ostdeutschland umgeschichtet. Insgesamt stehen im Haushalt 1991 rund 3,8 Mrd. DM für Straßenbaumaßnahmen im Osten zur Verfügung. Den gleichen Betrag will der Bund 1991 für die Sanierung der Deutschen Reichsbahn aufwenden. In diesem Betrag sind aber neben Verbesserungen des Schienennetzes und Elektrifizierung auch die Anschaffung von Güter- und Reisewaggons sowie E- Loks eingerechnet.

Alte Zuliefererstruktur hilft neuen Bundesländern VDI-Nachrichten 11/91: "Zulieferer stehen erst am Anfang"

Auf dem Gebiet der ehemaligen DDR hat es bis zur letzten Enteignungswelle in den Jahren von 1970/71 eine recht stark entwickelte Zulieferindustrie gegeben, insbesondere in Thüringen, im Erzgebirge, aber auch im Raum der Großstädte. Bis zur Enteignung dieser Betriebe nutzten die VEB diese recht gern zur Erweiterung ihrer Kapazität, wofür es sogar einen eigenen Planteil "Verringerung von Eigenleistungen" (!) gab. Meines Erachtens führte diese Enteignung, d.h. die Angliederung dieser meist kleineren Betriebe an größere VEB oder direkt an die entsprechenden Kombinate, zur Beschleunigung des Verfalls der DDR-Planwirtschaft, da die VEB auf Grund ihrer Struktur mit riesigen Gemeinkostensätzen arbeiten mußten.

Da je nach Duldung durch die örtlichen Organe die ehemaligen Besitzer dieser kleinen Betriebe als Betriebsleiter weiterarbeiten durften, sollte es aber leichtfallen, die alten Besitzverhältnisse und Betriebsstrukturen wiederherzustellen und diese wieder zu Zulieferern für größere Betriebe zu machen. Damit kann ein nicht unbedeutender Beitrag zur Überwindung der wirtschaftlichen Krise in den neuen Bundesländern geleistet werden.

Dr.-Ing. Gerhard Kranich

Leipzig

Gruppenbild ohne Dame VDI-Nachrichten 15/91: "Ein Mann der leisen Töne"

Man merkt Ihnen Ihre Erleichterung so richtig an. Schön, daß es wieder "ein Gruppenbild ohne Dame" ist, wenn sich die Politiker der führenden Wirtschaftsnationen fotografieren lassen, nicht wahr?

Ihr Artikel ist ein typisch männlicher in einer von Männern gemachten und vorwiegend von Männern gelesenen Zeitung. Ich kann diesem farblosen, durchschnittlichen, langweiligen und konturlosen John Major nichts abgewinnen. Er ist eine führungsschwache Person, Frau Thatcher war und ist eine - wie auch immer geartete - führungsstarke Persönlichkeit. Selbst die britischen Karikaturisten haben sich bereits beklagt, daß dieser Mann nichts hergebe. Warum wohl? Weil er so ein klares Profil hat?!

Sein wahrer - einziger - persönlicher Vorteil ist, daß er ein Mann ist, einer Politikerin hätte man soviel Farblosigkeit schon längst angekreidet, so wie man die männlichen Eigenschaften einer Frau Thatcher bei einem Politiker sicher toll gefunden hätte.

Dieser Artikel zeigt es wieder deutlich: Die von Männern dominierte Ingenieurwelt steht in Sachen Emanzipation und Akzeptanz von Frauen - immer noch - ganz, ganz weit hinten.

Ute Vogt

München

Privat versichert - für Rentner zu teuer VDI-Nachrichten 15/91: "Private Krankenversicherungen - eine Entscheidung fürs Leben"

Der Beitrag ist aufschlußreich, aber gefährlich einseitig. Überhaupt nicht behandelt wird die Frage, was im Alter passiert, wenn die Renten das laufende Einkommen ablösen. Hier wird sich für die Mehrheit der heute noch jungen Menschen herausstellen, daß die private Krankenversicherung (PKV) unbezahlbar ist. Darum kann sie schon jetzt, unter den geltenden Tarifbestimmungen, als Vollversicherung nur als Auslaufmodell eingestuft werden.

Der versicherte Rentner sieht sich heute Tarifanpassungen im Jahresturnus von bis zu 30% und mehr ausgesetzt. Sozialpolitisch untragbare Zustände greifen hier um sich, von denen die jungen Versicherten heute weder etwas ahnen, noch etwas wissen können. Sie werden auch darüber offensichtlich nicht informiert.

Somit enthält auch der Fragenkatalog eine entscheidende Lücke. Es fehlt nämlich die Frage nach der Tarifgestaltung am Ende des aktiven Arbeitslebens. Erst zu diesem Zeitpunkt kommt das böse Erwachen, weil man mangels jeglicher Alternativen der PKV und ihrer Tarifpolitik voll ausgeliefert ist. Ob der privatversicherte Rentner dabei zum Sozialfall wird, das interessiert offensichtlich die regierenden Politiker im hierfür zuständigen Bundesministerium der Finanzen überhaupt nicht. Hier tut Aufklärung not. Es darf nicht um die Einsparung von heute, sondern es muß vielmehr um die Kosten von morgen gehen!

Herbert Simon

Frankfurt/M.

Rufen Sie mal in Bombay an VDI-Nachrichten 16/91: "Das Modem hat die Zukunft noch vor sich"

Die in dem Artikel vertretene These, der ISDN-Betrieb sei grundsätzlich teurer als der Modembetrieb, geht von falschen Grundlagen aus. Die ISDN-Bitrate von 64 kbit/s liegt so hoch, daß die monatliche ISDN-Gebühr von DM 74 schon bei einer Modem-Benutzung von 5 bis 30 Min./Tag durch die gesparte, zeitabhängige Verbindungsgebühr gedeckt ist, selbst wenn man dazu eine ISDN-fähige PC-Steckkarte kaufen muß. Die Rechnung sieht nur dann anders aus, wenn man im persönlichen Dialog mit Mailboxen, Datenbanken, Btx etc. arbeitet, ohne dabei Dateien zu übertragen; in diesem Fall spart man ja durch ISDN keine Verbindungszeit.

Sicher haben Modems ihre Daseinsberechtigung, aber in Zukunft u. a. wegen der ISDN- und der DATEX-P-Konkurrenz nicht mehr im professionellen Bereich mit hohem Datenvolumen bei festen Installationen. Und was das "weltweit" betrifft: rufen Sie mal in Bombay an, wenn das nicht klappt, kann Ihr Modem das auch nicht. Kaum jemand arbeitet mit dem Modem rund um den Erdball! Wenn "Hacker" das tun, so arbeiten sie mit einer Telefonverbindung zum nächstgelegenen DATEX-P-Knoten, Universitätsrechner o. ä., oft sogar im Ortsnetz. Der Hauptteil der Strecke verläuft auf keinen Fall über eine Modemverbindung.

Dipl.-Ing. Rolf Keller

Köln

Zuviel Energie für kalte Oxidation VDI-Nachrichten 15/91: "Radikale gegen Schadstoffe"

Auf dem Sektor Umwelttechnik erreicht nur eine von ca. zehn neuen Verfahrensentwicklungen die erforderliche Marktreife und Wettbewerbsfähigkeit. Das Verfahren der "kalten" Oxidation wird kaum zu den erfolgreichen gehören. Dies ergibt sich allein aus dem Energieverbrauch der Hg-Dampflampe (2 KW für 30 bis 50 m3/h). Das sind bezogen auf die Reinigung von Kraftwerksabgasen ca. 15 bis 20% des dort erzeugten Stroms. Es wäre sicherlich empfehlenswert, wenn man neuen, innovativen Verfahren zum Umweltschutz zwar positiv, aber auch kritischer gegenüberstehen würde. Die einer Empfehlung gleichkommende Veröffentlichung kann auch Schaden oder Verwirrung anrichten, wenn dessen Weiterentwicklung erkennbar wenig Sinn macht.

Wolf Schultess

Karlsruhe

Eine Schlacke macht Furore Die gesundheitlichen Risiken durch dioxinhaltiges Kieselrot sind ungeklärt - Von Wolfgang Mock und Christa Friedl VDI-N, Düsseldorf, 10. 5. 91 -

Eine Altlast des Zweiten Weltkrieges mobilisiert derzeit die Politik: das dioxinhaltige "Kieselrot" aus dem sauerländischen Marsberg. Zu den gesundheitlichen Risiken durch die rote Asche auf Wegen, Sport- und Spielplätzen kommt ein kaum lösbares Entsorgungsproblem.

D urch die gesamte Republik ziehen in diesen Tagen die Mitarbeiter der Städte und Kommunen, um von Spiel- und Sportplätzen, von Friedhöfen, Park- und Siedlungswegen Erdproben zu nehmen. Sie alle suchen nach einer Schlacke, die unter dem Namen Kieselrot ins Gerede gekommen ist - Kieselrot ist in hohem Maße dioxinhaltig.

Mitte April wurde im sauerländischen Marsberg in einer am Ortsrand liegenden Schlackenhalde eine der bisher höchsten Konzentrationen an Dioxinen gemessen: 70 000 ng pro kg (1 ng = 1 Milliardstel Gramm). Erstmals sind Dioxinfunde mehr als nur ein regionales Problem: bis 1963 wurden von einer Marsberger Firma nach Schätzungen des nordrhein-westfälischen Umweltministers Klaus Matthiesen 800 000 t dieser Schlacke als Belag für Sport- und Spielplätze, Wege oder Schulhöfe verkauft. Bisher unbekannte Mengen wurden auch ins benachbarte Ausland geliefert.

Ende April veröffentlichte Matthiesen eine Liste mit 220 betroffenen Städten und bundesweit knapp 300 Verdachtsflächen und betonte, daß "das noch lange nicht das Ende der Fahnenstange" sei. Am 3. Mai nannte Matthiesen in seiner Regierungserklärung allein für Nordrhein-Westfalen 314 Verdachtsflächen. Neben der Untersuchung der Flächen werden jetzt Vermarktungswege verfolgt und ehemalige Mitarbeiter des 1968 aufgelösten Marsberger Schlackehändlers befragt.

Die Dioxinhalde ist eine Altlast des Zweiten Weltkrieges. 1938 bis 1945 wurde im Marsberger Zweigwerk der in Salzgitter beheimateten Hermann-Göring-Werke Kupfer gewonnen. Aber nicht durch damals übliche Verfahren, sondern aus Rohstoffnöten auf "höchst abenteuerliche und umweltschädliche Weise" (Matthiesen). Als Rohmaterial nutzte man bereits abgebranntes Erz. Um auch noch das letzte Kupfer aus dem Abbrand zu gewinnen, wurde es einer chlorierenden Röstung unterzogen. Dabei wird das restliche Kupfer unter Zusatz von Kochsalz (Natriumchlorid) chemisch aus dem Erz gelöst, als Brennstoff dient Kohle.

Die Konsequenzen dieses Verfahrens waren verheerend. Denn Dioxine können sich stets dort bilden, wo thermische Prozesse in Gegenwart von Chlor und Kohlenstoff ablaufen. Die entstehende Schlacke war denn auch hochgradig dioxinhaltig.

Bei den in Marsberg entdeckten Funden handelt es sich um hochchlorierte Dioxine, die - verglichen mit dem Seveso-Dioxin - als weniger gefährlich gelten, in ihrer Konzentration den Politikern jedoch Sorgen bereiten.

Wie begründet diese Sorgen sind, läßt sich nicht mit Sicherheit sagen. "Heute geht man davon aus, daß eine bestimmte Menge an Dioxinen ohne Wirkung für den Menschen aufgenommen werden kann" , urteilt Dr. Heidrun Sterzel von der Gesellschaft für Strahlen- und Umweltforschung in Neuherberg. Den Marsberger Halden und den durch die rote Asche kontaminierten Plätzen und Wegen schreibt sie "keine akute Gesundheitsgefährdung" zu.

Ähnlich urteilt Prof. Hanspaul Hagenmeier von der Universität Tübingen: "Die Dioxinkonzentrationen in der Luft sind in Marsberg nicht höher als in einem beliebigen Ballungsraum." Da die Schadstoffe vor allem über eingeatmeten Staub in den Organismus gelangen oder bei Verletzungen unmittelbar in die Blutbahn geraten, müssen, so Hagenmeier, "zunächst die Blutuntersuchungen der Anwohner abgewartet werden, um die Gefährdung durch das Dioxin abschätzen zu können."

H agenmeier erinnert an ähnliche Untersuchungen bei Einwohnern einer dioxinkontaminierten Siedlung im baden-württembergischen Rastatt. Dort fand man in Gartenerde bis zu 8000 ng pro kg. "Im Blut der Rastatter jedoch" , weiß der Dioxin-Experte, "konnte kein erhöhter Dioxingehalt nachgewiesen werden."

Toxikologische Grenzwerte für Dioxine und Furane existieren nicht - die Wirkungen der Substanzen im menschlichen Organismus sind noch wenig untersucht. Das Berliner Bundesgesundheitsamt gibt auf Empfehlung des "Bund-Länder-Arbeitskreises Dioxine" als Richtwerte für einen Austausch des Bodens 1000 ng pro kg in Wohngebieten und 10 000 ng pro kg außerhalb von bewohnten Gebieten an.

Mehr als ein Orientierungsrahmen ist das nicht. "Als Politiker" , so die SPD-Abgeordnete Marion Caspers-Merk, "müssen wir der Gefahrenabwehr den Vorrang einräumen." Schon Ende April hatte sich deshalb der Bund-Länder-Arbeitskreis dafür ausgesprochen, die Verdachtsflächen der Matthiesen-Liste abzusperren und bundesweit Proben zu ziehen.

Schwierig ist dabei nicht nur die Lokalisierung der Flächen, sondern die Frage, wie man damit umgeht. Viele der Plätze wurden in den letzten Jahren saniert, manche auch überbaut. Ein gewisser Vorteil der Dioxine ist, daß sie nicht wasserlöslich und nur in geringem Maße im Boden mobil sind. Ein Abdecken von kontaminierten Plätzen mit einer Teerdecke kann deshalb das Problem kurzfristig lösen, "ist aber nicht mehr als ein Notbehelf" , betont Caspers-Merk.

Völlig offen ist, wie sich 800 000 t rote Asche aus Marsberg entsorgen lassen. Eine Expertenkommission im Bundesumweltministerum hat bisher zwei Möglichkeiten ins Auge gefaßt: die Endlagerung in einem alten Bergwerksschacht und die Verbrennung bei hohen Temperaturen. Letztere Alternative gilt angesichts beschränkter Kapazitäten für Sondermüllverbrennung aber nur als wenig realistisch. "Wir haben hier" , so die SPD-Abgeordnete, "ein kaum zu handhabendes Mengenproblem."

Auch fehlt es an Erfahrungen mit der Behandlung von dioxinhaltigem Material. In den nächsten Wochen will die Hamburger Firma Dekonta auf einem ehemaligen Standort des ArzneimittelproduzentenBoehringer in der Hansestadt mit der Sanierung von 85 000 m2 dioxinverseuchtem Gelände beginnen. Das Material wird bei 800 OC ausgeheizt, dabei verdampfen die Dioxine. In einem Nachbrenner werden die Schadstoffe dann bei 1200 OC zerstört. "Das Verfahren" , so Dekonta-Mitarbeiter Helge Oehme, "würde sich auch für die Marsberger Schlacke eignen."

"Was uns offensichtlich fehlt" , resümmiert Caspers-Merk, "ist gesichertes Wissen, wie wir mit dem Dioxin-Problem fertig werden." Die SPD will deshalb auf einer für kommenden Mittwoch in Berlin angesetzten Sondersitzung des Umwelt- und Sportausschusses des Bundestages ein Meßprogramm, die Ausweitung der Grundlagenforschung, die Aufstellung von Grenzwerten und eine einheitliche Entsorgung fordern. "Die Länder allein" , so Caspers-Merk, "sind dabei überfordert."

RWTÜV knabbert am Zulassungsmonopol des Zentralamtes der Post An der Costa del Sol öffnet sich die Tür zum europäischen Kommunikationsmarkt Mit spanischer Unterstützung und deutschem Know-how erhalten in Malaga Fernmeldegeräte ihre Prüfbescheinigung - Von Rudolf Schulze VDI-N, Malaga, 10. 5. 91 -

Mit seiner Beteiligung an der neu gegründeten spanischen Aktiengesellschaft Cetecom verschafft sich der RWTÜV eine Möglichkeit, in absehbarer Zeit Fernmeldegeräte für den Anschluß an Postnetze gemäß EG- Richtlinien zuzulassen. Der RWTÜV tritt damit in Konkurrenz zum Zentralamt für Zulassungen im Fernmeldewesen (ZZF), das derzeit noch seine Monopolstellung im Bereich der Netze der Deutschen Bundespost behauptet.

E twa dort hinten wird das Gebäude stehen, in das die Cetecom 1992 einzieht" , erläutert Thomas Perez-Benz von der andalusischen Technologie-Park- Gesellschaft Idea dem aus Essen angereisten Führungsstab des Rheinisch-Westfälischen Technischen Überwachungsvereins den Bebauungsplan. Hartmut Griepentrog, seit knapp drei Jahren Vorstandsvorsitzender des RWTÜV, und seine Begleiter haben das Fahrzeug verlassen und steigen vorbei an frisch gepflanzten und künstlich bewässerten Palmen auf einen der zahlreichen Hügel im künftigen Industriegelände vor den Toren Malagas.

Wenn rund die Hälfte des 168 000 m2 großen Areals in etwa einem Jahrzehnt industriell genutzt sein sollte - die andere Hälfte ist als Parklandschaft vorgesehen -, dann fänden hier bis zu 20 000 Personen Arbeit, erläutert Felipe Romera, Geschäftsführer der Idea das ehrgeizige Projekt.

Szenenwechsel: Zwanzig Minuten später betritt Prof. Dr.-Ing. Hartmut Griepentrog in Malaga den Festsaal des Justizpalastes. An die hundert Vertreter der spanischen Zentral- und der andalusischen Regional- Regierung, Botschafter und EG-Vertreter sowie Repräsentanten großer Industriefirmen haben sich hier versammelt, um der Vertragsunterzeichnung zwischen RWTÜV und der andalusischen Regierung, der offiziellen Gründung der Aktiengesellschaft Cetecom beizuwohnen.

Was in offiziellen Reden nicht zum Ausdruck kam, steht deutlicher in einigen zu diesem Anlaß herausgegebenen Papieren. Etwa, daß dank dieser Gründung das deutsche Monopol des ZZF in Saarbrücken neutralisiert werden könne.

Das dem Bundespostministerium unterstellte Zentralamt für Zulassungen im Fernmeldewesen (ZZF) erfüllt hoheitliche Aufgaben nach nationalem Recht. Das heißt, nur das ZZF vergibt die begehrte ZZF-Nummer und damit die Bescheinigung, daß ein Fernmeldegerät am Netz der Deutschen Bundespost Telekom betrieben werden darf. Das liberalere EG-Recht gilt und existiert nicht in allen Bereichen, was sich aber mit dem gepanten EG-Binnenmarkt ändern kann.

"Derzeit im Lande in Konkurrenz zum ZZF treten zu wollen, ist politisch und wirtschaftlich wenig sinnvoll" , erläutert Axel Stöhr, Leiter des Institutes für Informationstechnik beim RWTÜV (Essen), die Situation.

Auf einen - mit welcher Begründung auch immer - angefangenen Streit, als gleichberechtigte Institution neben dem ZZF anerkannt zu werden, folge frühestens in fünf Jahren eine Entscheidung. Zu spät, um an dem Prüf- und Zertifizierungsmarkt erfolgreich teilzunehmen. Auch sei es wirtschaftlich wenig sinnvoll, in Deutschland ein teures Prüflabor in Konkurrenz zum ZZF aufzubauen. Die teuren Geräte könnten gar nicht so schnell ausgelastet und abgeschrieben werden, wie dies für einen gewinnbringenden Einsatz notwendig sei.

F olglich tritt der RWTÜV nur dort im Fernmeldemarkt in Konkurrenz zum ZZF, wo EG-Recht gilt, etwa beim zukünftigen digitalen Mobilfunk. Andererseits weicht der RWTÜV zum Beispiel nach Spanien aus, um von dort aus einen kompletten Prüf- und Zulassungsservice anbieten zu können.

Die Cetecom will aber mehr. So geht aus den Unterlagen hervor, daß die neu gegründete spanische Aktiengesellschaft Anstrengungen unternehmen will, die einzige nach den EG-Richtlinien anerkannte Stelle in Spanien zu sein, die neutral und wirtschaftlich sowie unabhängig von Fernmeldetechnik-Herstellern und -Anbietern Endgeräte, Betriebseinrichtungen und Netze prüft, Prüfergebnisse zertifiziert, d.h. ihnen europaweite Gültigkeit und damit Zulassung zu allen Netzen bescheinigt.

Die Gründer des Technologieparks Andalusien erkannten, daß die anzusiedelnden Firmen der Elektronik- und Fernmeldeindustrie nicht nur eine neutrale Prüfstelle und Zulassungsbescheinigungen für ihre Fernmeldeprodukte brauchen, sondern Beratung bereits bei der Entwicklung der Geräte notwendig ist. Deswegen soll Cetecom als weitere Aufgabe auch über EG-Angelegenheiten informieren, Know-how über die Anwendung nationaler und internationaler Standards und Normen weitergeben sowie Schulung vor Produktionsaufnahme und vor Vertriebsbeginn durchführen.

Mit der Betriebsaufnahme soll nicht bis zur Fertigstellung des neuen Gebäudes im Jahr 1992 gewartet werden. Der spanische Partner wünscht, das neue Zentrum so schnell wie möglich einzurichten, damit die für 1991 bereits genehmigte Förderung von weiteren 600 Mio. Ptas (ca. 10 Mio. DM) für die Geräteausstattung auch realisiert wird. Nicht so gern hören die stolzen Spanier den Hinweis darauf, daß in dieser Summe zu 2/3 Gelder aus dem Star-Programm der EG enthalten sind. Star-Fördermittel fließen an wirtschaftlich unterentwickelte Regionen. Als solche möchten sich die Andalusier aber trotz einer Arbeitslosenquote von 20 % nicht sehen.

Am 29. April 1991 um 12 Uhr mittags waren dann die Verträge unterzeichnet. Der spanische Staat ist über die andalusische Regierung an der Cetecom mit 51 %, der RWTÜV über seine Tochtergesellschaft Indus mit 49 % beteiligt. Das Stammkapital beträgt 650 Mio. Ptas (ca. 10,5 Mio. DM).

Verständlich in diesem Zusammenhang die Äußerung vom RWTÜV-Vorstandsvorsitzenden Griepentrog anläßlich der Vertragsunterzeichnung: "Dieser Vertrag ist für uns von entscheidender strategischer Bedeutung, da wir jetzt ein komplettes Dienstleistungsangebot im Bereich Telekommunikation anbieten können."

Politik und Stromwirtschaft sind uneins - Von Hans Overberg Kernkraft heizt die Energiediskussion an VDI-N, Bonn, 10. 5. 91 -

D ie Absicht, in Greifswald und in Stendal in Ostdeutschland anstelle der dort stillgelegten Reaktoren russischer Bauart zwei neue Kernkraftwerke mit deutschem Sicherheitsstandard zu bauen, hat die Diskussion über das Für und Wider über die Kernenergie wieder einmal heftig belebt. Doch diesmal sind nicht nur politische Parteien unterschiedlicher Meinung, auch die Stromwirtschaft ist sich nicht einig. Die Forderung der großen Stromkonzerne, nur dann neue Kernkraftwerke bauen zu wollen, wenn darüber zuvor ein parteigreifender Konsens erreicht ist, hat die Chancen für die beiden neuen Kernkraftwerke erheblich vermindert. Der Aufsichtsrat der Vereinigte Energiewerke AG (Veag), Berlin, wird deshalb kaum grünes Licht für, die Genehmigungsanträge geben.

Am Kapital der Veag, der ostdeutschen Verbundgesellschaft, sind nämlich die Essener RWE, die PreußenElektra/Veba und das Münchener Bayernwerk mit jeweils 25 % beteiligt, die restlichen 25 % halten die Hamburger Elektricitätswerke, Dortmunder VEW, Badenwerk, EVS Schwaben, Isar-Amper und die Berliner Bewag gemeinsam. Entscheidend sind die drei Hauptaktionäre. Doch RWE-Chef Friedhelm Gieske und Veba-Chef Klaus Piltz fordern unumwunden den "breiten politischen Konsens aller politischen Parteien, auch der Grünen" , und wollen ohne diesen auch dann kein Kernkraftwerk bauen, wenn sie dafür die Genehmigungen der Landesregierungen erhalten würden. Dagegen würde das Bayernwerk, so Vorstandsmitglied Eberhard Wild, das Risiko eingehen. Doch Wild: "Allein ist das Bayernwerk dazu nicht in der Lage, es würde sich überheben."

Dabei hatten die Vorgespräche vielversprechend begonnen. Am 4. Januar hatte der Ministerpräsident von Mecklenburg- Vorpommern, Alfred Gomolka, die Spitzenmanager von Siemens-KWU zu sich gebeten, um nach einem möglichen Zeitplan zu fragen. KWU-Chef Heinrich von Pierer und sein für den Nuklearbereich zuständiger Vorstandskollege Adolf Hüttl hatten ihm versichert, etwa sechs Monate benötigten sie für das Erstellen aller Genehmigungsunterlagen und etwa 18 Monate brauchten die Behörden für die Prüfung. Nach weiteren 57 Monaten könne der erste Strom aus Greifswald fließen, wenn es keine politisch bedingten Verzögerungen gebe. Dasselbe hatten sie wenige Tage später auch dem Ministerpräsidenten von Sachsen-Anhalt, Gries, erklärt, der in Stendal einen Nachfolger für die stilliegenden russischen Reaktoren haben möchte.

Bei Siemens-KWU und in den neuen Ländern atmete man auf, als die neue Bundesregierung in ihren Koalitionsvereinbarungen die bedeutende und unverzichtbare Rolle der Kernenergie betonte und Bundeswirtschaftsminister Jürgen Möllemann den drei großen Stromkonzernen und Veag-Aktionären seine politische Unterstützung versprach. Doch verwundert rieb man sich die Augen, als Möllemann schon kurz darauf schrieb, für die Stromversorgung seien neue Kernkraftwerke nicht erforderlich.

Bei den Stromkonzernen hat diese Haltung nur die Meinung verfestigt, ohne Energie-Konsens keine Mark für die geplanten beiden 1300 MW großen und insgesamt 11 Mrd. DM teuren Blöcke auszugeben. Die Veba zu den VDI-Nachrichten: "Ein Energie-Frieden, wie ihn das Deutsche Atomforum von der SPD verlangt, genügt uns nicht." Und Friedhelm Gieske beharrt auf seiner Meinung: "Die Erfahrungen mit dem Schnellen Brüter in Kalkar und mit dem Kernkraftwerk Mülheim-Kärlich sind Grund genug, nur dann ein neues Kernkraftwerk zu bauen, wenn alle Genehmigungen politisch abgesichert sind und die Politik das Risiko übernimmt." Dies lehnt die Politik jedoch ab. Für Bundesumweltminister Klaus Töpfer ist dies "ein falsches Verständnis von Demokratie" .

Da die SPD, wie sie bereits beteuert hat, bei ihrem Nein für neue Kernkraftwerke bleiben will, könnte also Resignation angebracht sein. Bayernwerk-Vorstand Eberhard Wild: "Wiederaufarbeitung im Ausland, womöglich Endlagerung im Ausland, Strom kaufen im Ausland, Kraftwerke bauen im Ausland? Kann dies für die Bundesrepublik als hochindustrialisiertes Land der richtige Weg sein?" Veba-Chef Piltz sieht das offenbar etwas anders: "Ab 1993 haben wir den EG-Binnenmarkt. Was spricht dagegen, wie bei der Wiederaufarbeitung in der Entsorgung europäische Lösungen anzustreben. Nach heutigem Recht ist die Entsorgung zwar eine nationale Aufgabe, aber dies könnte sich ändern."

A uf jeden Fall ist derzeit in Deutschland noch kein Silberstreifen für die friedliche Nutzung der Kernenergie in Sicht. Auch der Hinweis, im früheren Ostblock seien noch 108 vergleichbare Tschernobyl-Reaktoren im Einsatz, die jeder für sich gefährlicher seien als alle deutschen Kernkraftwerke zusammen, können die Fronten bei uns (noch) nicht lockern. Dabei ist klar, daß die neuen Kernkraftwerke in Greifswald und Stendal der erste Test dafür sind, ob auch in Westdeutschland neue Kernkraftwerke noch eine Chance haben. Ab etwa Mitte der 90er Jahre, so heißt es, müßten die ersten Entscheidungen über die Nachfolger älterer Reaktoren fallen.

Doch welcher Energieträger würde daraus den Nutzen ziehen, wenn die Kernenergie weiterhin auf der Verliererstraße bleiben müßte? Zweifellos die Kohle. Zum Teil die in West- und in Ostdeutschland beheimatete Braunkohle, aber kaum die heimische Steinkohle, denn die Neigung, für sie auch in Zukunft hohe Subventionen zu zahlen, ist rapide gesunken. Deshalb könnte überwiegend kostengünstigere Importkohle zum Einsatz kommen.

Biotechnologie in der Europäischen Gemeinschaft Die Industrie braucht Vorgaben Chancen durch einheitlichen Markt - Von Harald Hartung VDI-N, Brüssel, 10. 5. 91 -

O b es den mit Biotechnologie arbeitenden Produktionszweigen gelingt, eine Führungsposition in der Forschung und in der Umsetzung der Forschungsergebnisse in Fertigungsprozesse aufzubauen, hängt weitgehend von den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen ab, mit denen sie konfrontiert werden," so die EG-Kommission in ihrem jüngst verabschiedeten Papier über die Förderung der industriellen Anwendung der Biotechnologie.

Ihr wird in diesem Dokument allgemein ein gutes Zeugnis ausgestellt. Um der europäischen Biotechnologie aber in Zukunft eine stärkere Stellung auf dem Weltmarkt zu sichern, müssen einige Schwachstellen ausgeräumt werden. Unzulänglicher Patentschutz, die Zersplitterung des Gemeinschaftsmarktes und nicht zuletzt das schlechte Image insbesondere der Genforschung könnten sich als Achillesferse erweisen. Gemeinsam, so die EG-Kommission, gilt es, diese Schwachstellen zu beseitigen.

Eine klare Aufgabentrennung zwischen Wirtschaft und EG-Kommission sieht dabei der für den Binnenmarkt zuständige Vizepräsident der EG-Kommission, Martin Bangemann. "Für die Wettbewerbsfähigkeit sind die Unternehmen in erster Linie selbst verantwortlich" , hielt er anläßlich der Präsentation des EG-Dokumentes fest. "Die Gemeinschaft wiederum muß für die Industrie klare und berechenbare Rahmenbedingungen schaffen" .-

Schließlich stellt die Biotechnologie einen Schlüsselsektor für die wirtschaftliche Entwicklung der Gemeinschaft dar. Ihre Bedeutung geht weit über den Bereich der Genforschung hinaus. Wesentliche Faktoren des täglichen Lebens werden von ihr beeinflußt. Die Initiative zur Schaffung neuer Organismen zur Käseherstellung geht von ihr ebenso aus wie die Entwicklung dürreresistenter Pflanzen oder neuer Impfstoffe. Das Anwendungsfeld der Biotechnologie reicht von der Agro-, Nahrungsmittel- und Pharmaindustrie bis hin zur Energieerzeugung, Metallgewinnung und Müllentsorgung. Ca. 15 Mio. Arbeitskräfte, das sind knapp 20 % der Erwerbstätigen in der EG, arbeiten in diesen Wirtschaftszweigen. Bis ins Jahr 2000, so vermutet die EG-Kommission, werden weitere 2 Mio. Arbeitsplätze in diesem Bereich geschaffen werden. Ca. 800 Betriebe in der Gemeinschaft, 1 000 in den Vereinigten Staaten und 300 in Japan sind in der biotechnologischen Forschung aktiv. Neben den großen Chemie- und Pharmakonzernen sind in dieser Forschungssparte besonders viele Klein- und Mittelbetriebe tätig.

Die rasante technologische Entwicklung in diesem Bereich zwingt den Gesetzgeber dazu, rasch und flexibel auf Neuentwicklungen zu reagieren. Gesetzespläne müssen daher regelmäßig an die neue Situation angepaßt und so ausgelegt werden, daß zukünftige Entwicklungen - zumindest auf rechtlichem Gebiet - bereits vorweggenommen werden. Eine ähnliche Problematik stellt sich im Bereich der Elektronik- und Informatikindustrie.

P atente werden in den USA und in Japan länger geschützt als in Europa. Gerade in dem mit hohem Risiko und großen Investitionen verbundenen Biotechnologiebereich besteht daher die Gefahr, daß die Forschung in die Länder abwandert, die den besten Schutz von Forschungsergebnissen gewähren. Die Kommission beabsichtigt daher, den gewerblichen Rechtsschutz in der Gemeinschaft an das internationale Niveau anzupassen und zu verlängern. Die Fraktion der Grünen im Europäischen Parlament wiederum wirft der Kommission vor, durch diese Maßnahme zur Verschärfung des Hungers in den Ländern der dritten Welt beizutragen. Sie müßten nämlich noch länger tief in die Tasche greifen, um die teuren patentgeschützten Pflanzensamen von den Industriestaaten kaufen zu können.

Die Vielzahl von verschiedenen Zulassungsprüfungen hat den EG-Markt zersplittert und die Produktkosten, die letztlich der Konsument zu bestreiten hat, erhöht. Einig sind sich auch der europäische Verband der Chemieindustrie CEFIC und das Europäische Umweltbüro EUB darüber, daß diese Verfahren vereinfacht und "doppelte" Prüfungsverfahren vermieden werden müssen. Unterschiedliche Auffassungen bestehen aber über die Kriterien, auf denen die Entscheidung über die Zulassung eines Produktes beruhen sollen. Die Kommission beharrt auf eindeutigen und klaren Bedingungen. Sie beabsichtigt daher nicht, zu den bisherigen Beurteilungskriterien - vor allem Sicherheit, Qualität und Wirksamkeit - weitere hinzuzufügen. Dies könne zu ernsthaften Zweifeln an der Akzeptanz und der Genehmigungsfähigkeit eines Produktes führen. Dies wiederum kann zu Folge haben, so das Kommissionsdokument "daß Kapital abwandert und die Wirtschaft die Lust an Innovationen und an der Entwicklung neuer Verfahren verliert."

Die Grünen im Europäischen Parlament befürchten, daß durch die angestrebte Vereinfachung allgemein bewährte strengere Vorschriften - wie z.B. die Richtlinien über die Freisetzung von gentechnisch manipulierten Lebewesen in die Umwelt und ihre Handhabung in geschlossenen Systemen - umgangen werden können. Sie werfen der EG-Kommission außerdem vor, daß sie der Lobby der chemischen und der pharmazeutischen Industrie erlegen sei und faktisch deren gesamten Forderungskatalog in das Kommissionspapier übernommen habe.

F ür Konfliktstoff dürfte auch weiterhin die Regelung ethischer Fagen sorgen. So kritisierte die Biologin Silke Kleihauer vom Europäischen Umweltbüro, daß soziale und wirtschaftliche Aspekte bei den Zulassungsverfahren für Produkte aus der Biotechnologie nicht berücksichtigt werden. Mögliche Auswirkungen der Forschung am menschlichen Embryo oder die Genom-Analyse, die Untersuchung der Erbeigenschaften, können ihrer Ansicht nach einfach nicht unberücksichtigt bleiben. Die Kommission will die Fragen der Ethik allerdings klar von Fragen des Umweltschutzes oder der Sicherheit trennen. Sie will die Ethikdebatte daher auf zwei wesentliche Punkte beschränken:

- Überlegungen über das Leben und die menschliche Identität und

- Fragen über den Schutz der Tiere und die Grenzen des gewerblichen Rechtsschutzes.

Dafür soll ein beratender Ausschuß von der Kommission geschaffen werden.

EG-NACHRICHTEN

Im Rahmen ihrer Unternehmenspolitk möchte die Kommission der Europäischen Gemeinschaft die Zusammenarbeit zwischen europäischen Unternehmen und Dienstleistungesanbietern stimulieren. Eine neue Pilotaktion mit der Bezeichnung, "Interprise" soll entsprechende lokale, regionale und nationale Maßnahmen unterstützen, um Kontakte zwischen Unternehmen und die Kooperation von kleinen und mittleren Unternehmen zu fördern. Das Interprise-Programm, das mindestens drei Regionen der Gmeinschaft betreffen muß, ist von wenigstens einer Organsisation aus jede der beteiligten Regionen oder Staaten durchzuführen. Es erstreckt sich auf das Gesamtgebiet der Gemeinschaft und bringt grenzübergreifende Regionen, Regionen mit ähnlicher industrieller Infrastruktur oder Regionen mit vergleichbarer oder ergänzender Wirtschaftsstruktur zusammen.

EG-NACHRICHTEN

Für die Abschaffung oder Änderung einiger Regeln im Montanvertrag hat sich der Präsident der Wirtschaftsvereinigung Stahl, Ruprecht Vondran, anläßlich des 40. Jahrestages der Montan-Union ausgesprochen. So sollte das geltende Preisrecht in seiner gegenwärtigen Form nicht mehr angewendet werden, da die veröffentlichten Preise wegen des hohen Importanteils, der nicht den starren Preisregeln unterliege, längst nicht mehr die Marktwirklichkeit widerspiegelten. Zu den Regeln, die laut Vondran geändert werden sollten, gehört auch die Verwendung der Montanumlage. Mittel, die vom Stahl aufgebracht werden, sollten nicht weiterhin überproportional der Kohle zugute kommen. Seinen Vorstellungen nach sollte auch der Artikel 58, der in Krisenzeiten die Regulierung des Erzeugungsflusses durch Produktionsquoten vorsieht, durch eine "geschmeidigere Form" der Anspassungsregelungen ersetzt werden. Auf Vorschlag von EGVizepräsident Martin Bangemann hat sich die EG-Kommission entschieden, grundsätzlich am Montanvertrag bis zum Jahr 2002 festzuhalten. Bis dahin sollen Kohle und Stahl in den EWG-Vertrag aufgenommen werden. Vondran erwartet die Übernahme von bewährten Regeln des Montanvertrags in den EWG-Vertrag.

Südkorea sucht Fabrikautomatisierung nach japanischem Vorbild Wettbewerbsfähigkeit muß erhöht werden: Das junge Industrieland im Fernen Osten hofft auf Kooperation mit deutschen Firmen - Von Barbara Odrich VDI-N, Seoul, 10.5.91 -

Die lange Phase der zweistelligen Wirtschaftswachstumsraten neigt sich auch in Südkorea längst dem Ende zu. Das ehrgeizige junge Industrieland muß sich, vor allem was seine Fähigkeiten und Kapazitäten in moderner Technik betrifft, neu orientieren. Besondere Anstrengungen werden in der Fabrikautomatisierung unternommen, wo das Land einen beträchtlichen Nachholbedarf z.B. gegenüber Japan hat. Deutsch- koreanische Kooperationen bieten hier vielversprechende Chancen.

T echnisches Know-how gehört auch für Korea zu den ausschlaggebenden Einflußgrößen zur Bestimmung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit. Um so mehr benutzen hochindustrialisierte Länder hochwertige Technik als Abwehrinstrument gegen sogenannte Billig-Wettbewerber, um selbst auf ausländischen Märkten zu bestehen. Südkorea weiß davon ein Lied zu singen. Konnte das Land in den vergangenen Jahren bedeutende Erfolge auf wichtigen technischen Gebieten erzielen, hinkt es doch bei vielen Schlüsseltechniken hinterher.

Korea ist längst kein Billiglohnland mehr. Sowohl die massive Aufwertung des Won und die enormen Lohnsteigerungen haben dazu geführt, daß international immer mehr an Wettbewerbsfähigkeit eingebüßt wurde. So besteht in Korea nicht nur der Zwang selbst zu forschen und zu entwickeln, sondern zunächst auch verstärkt zu rationalisieren, um die eigene Wettbewerbsfähigkeit zu sichern. Die "Factory Automation" steht dabei derzeit im Vordergrund der Bemühungen.

Wie aus einer Studie der DEG - Deutsche Investitions- und Entwicklungsgesellschaft in Köln - zur Fabrikautomation (FA) in der koreanischen Industrie hervorgeht, sind die vorrangigen Ziele der Koreaner Kapazitätserweiterungen, Kostenreduzierungen und die Verbesserung der Qualität. Bisher allerdings wurden durch die Investitionen im FA-Bereich nur Kapazitätserweiterungen erreicht, wobei es sich in der Masse der Fälle um "Low-Cost-Automation" handelt.

Die koreanische Industriestruktur ist eigenwillig. Neben einer Anzahl riesiger und moderner Großunternehmen, die durchaus wissen, worauf es in der Technik in Zukunft ankommt, gibt es ein Heer von kleinen Unternehmen, die vielfach chaotisch und frühkapitalistisch organisiert sind. Sie sind auch nicht vom geistigen Potential und vor allem nicht vom Kapital her ausgerüstet, um in größerem Stile zu rationalisieren und modernisieren.

Aus diesem Grunde fehlen ihnen auch bei den Automatisierungsbestrebungen ein "problemorientierter Ansatz" und eine "Problemanalyse" .

Es ist nicht zu leugnen, daß die koreanische Wirtschaftspolitik und die Verbände sich durchaus der eigenen Problematik im Klaren sind. In diesem Sinne arbeiten daher auch seit einiger Zeit das Wirtschaftsministerium - das in seinem Aufbau und seiner Macht durchaus mit dem mächtigen japanischen Miti zu vergleichen ist - und andere Ministerien und Verbände, darunter vor allem das Finanzministerium, eng zusammen. Zahlreiche Industriebranchen sollen dadurch technisch auf die Füße gestellt werden.

Dazu gehört beispielsweise die Textilindustrie Koreas, die man mit attraktiven Investitionsförderungen für die Zukunft stärken will. Dabei geht es speziell um Erleichterungen bei Einfuhrzöllen für rationalisierungsfördernde Fabrikanlagen. Außerdem werden die Abschreibungsfristen deutlich verkürzt und damit die Steuerlast für viele Firmen vermindert.

Zur Zeit noch tun sich die koreanischen Firmen trotz des ausgeprägten Willens zur Automatisierung schwer. Zu den Schwachpunkten gehört, wie aus der DEG-Studie hervorgeht, eine klar erkennbare Unausgewogenheit hinsichtlich des Technologiestandes innerhalb eines Bereiches. So sind High-Tech-Geräte, wie Industrieroboter zwar vorhanden, aber es bleiben weiterhin ein antiquierter Materialfluß und einfache Hilfsmittel an manuellen Arbeitsplätzen zu beobachten. FA-Einrichtungen sind unzureichend in den betrieblichen Ablauf integriert. Häufig ist die alte, starre Organisation beibehalten und führt zu Schwierigkeiten mit der FA-Anlage.

Wie auf der Technogerma, der bisher größten deutschen Industrieausstellung in Seoul in Diskussionen mit Koreanern sehr deutlich wurde, ist die japanische Konkurrenz in allen Bereichen und insbesondere auch in der Fabrikautomation extrem stark. Mehr als 50% der einschlägigen Einfuhr kommt aus dem benachbarten Japan. Die Stärke der Japaner liegt dabei nach Aussagen von Kennern der Szene darin, daß sie - ungeachtet ihrer großen Unbeliebtheit im Lande - Koreaner ausbilden und ihre Ersatzteilversorgung und ihr Kundendienst makellos sind.

Auf staatlicher Seite bestehen in Korea schon seit einiger Zeit starke Bestrebungen, sich aus der japanischen Abhängigkeit zu lösen. In der Praxis ist es allerdings für die Koreaner aufgrund der vielen Vorteile, die die Japaner bieten, nicht so einfach, sich aus dieser Klammer zu lösen. So bieten die Japaner auch vielfältige Informationsquellen und Experten. Die DEG weist in diesem Zusammenhang darauf hin, daß das Angebot von deutscher Seite noch sehr dürftig ist.

B isher noch hinken die Koreaner beim fertigungsvereinfachenden Gestalten von Produkten hinterher, obwohl auf diesem Gebiet ein großes Rationalisierungspotential erkannt wird. Die Schwierigkeit liegt zum einen darin, daß Korea noch zu wenig eigenentwickelte Produkte hat. Aufgrund des über viele Jahre niedrigen Lohnniveaus sah man in Korea auch keine dringende Notwendigkeit, an solchen Verbesserungen zu arbeiten. Nachholbedarf besteht auch für den Bereich Technologieentwicklung/Verfahrensänderung als Mittel der Lösung von Fertigungsproblemen und als Voraussetzung für FA-Maßnahmen.

Für die Qualitätssicherung gilt, daß mehr auf das Vermeiden von Fehlern als auf ihre Prüfung gelegt werden sollte. Prüfdaten werden zwar erfaßt, aber nicht praxisgerecht analysiert und ausgewertet. Die DEG empfiehlt in ihrer Studie auf der Anbieterseite ein "Paketangebot" , das aus Information, Beratung, Projektierung, Realisierung, Ausbildung und Service besteht.

Angesichts des großen Bedarfs auf koreanischer Seite gibt es nicht zuletzt aus technologischen Gesichtspunkten für deutsche Firmen ein breites Kooperationsfeld. Dabei handelt es sich sowohl um Komponenten, Computer-Technologien, FA-Betriebsmittel, Dienstleistungen und vieles mehr. Zu den großen Hindernissen auf dem Weg zu engen Kooperationen zwischen einschlägigen deutschen Firmen und koreanischen Unternehmen auf dem Gebiet der Fabrikautomation gehört bisher aber noch die "berüchtigte und vielzitierte" H- Liste.

Ein Stadtstaat profiliert sich als internationale Schaltstelle zu China Hongkong führt beim Mobilfunk VDI-N, Frankfurt, 10. 5. 91 -

Kaum ein Land in Südostasien verfügt über eine derart gute Telekommunikationsinfrastruktur wie Hongkong. Schon jetzt nutzen die Chinesen die Kabel und Satelliten des Stadtstaats, wie nachfolgend Udo Kessler vom Hong Kong Trade Development Council beschreibt.

D ie Telekommunikation gilt nicht nur in Europa als Zukunftsmarkt. Hohe Investitionen und Wachstum sind nach Angaben des Hong Kong Trade Development Council (HKTDC) in Frankfurt am Main auch in der asiatisch-pazifischen Region zu erwarten. Dort lebt rund die Hälfte der Weltbevölkerung, es sind aber erst 17% der weltweiten Telefonanschlüsse installiert. In den nächsten fünf Jahren sollen daher mehr als 100 Mrd. US-Dollar vor allem für den Ausbau der Telekom-Infrastruktur ausgegeben werden. China plant beispielsweise, die Zahl der Telefonanschlüsse bis 1995 von derzeit sechs auf 15 Mio. zu erhöhen.

"Zur weiteren Entwicklung Chinas sind bessere Telekom-Dienste unerläßlich" , sagte Lore Buscher, Geschäftsführerin des HKTDC in Frankfurt. Hongkong werde dabei vor allem den chinesischen Südprovinzen als Verbindung zur Welt dienen und als internationales Telekommunikationszentrum an Bedeutung gewinnen.

Über Hongkong hat Südchina zum Beispiel Zugang zu den Tiefsee-Glasfaserkabeln, über die die Kommunikation mit den Pazifikanrainern abgewickelt wird. Zudem nutzt das an Hongkong angrenzende Guangdong seit Mitte 1990 Satelliten- und Kabelverbindungen des Stadtstaats für die weltweite Kommunikation. Die Zahl der internationalen Gespräche ist seit dieser Zeit um 85% gestiegen; die Kommunikation Chinas mit Taiwan über Hongkong hat sich verfünffacht.

Das bedeutet laut Buscher zusätzliches Geschäft für die Hong Kong Telecom- Gruppe. Der größte Anbieter von Kommunikationsdienstleistungen im Stadtstaat unterhält nicht nur das Telefonnetz in Hongkong, sondern auch eine Satelliten- Bodenstation mit fünf Antennen und ist an einem Netzwerk von Unterseekabeln beteiligt.

Das Unternehmen werde schon deshalb mit Südchina gute Geschäfte machen, da die wirtschaftliche Verflechtung mit Hongkong weiter zunehme. Aus Kostengründen verlagern immer mehr Firmen ihre Produktion aus dem Stadtstaat in die angrenzenden Sonderwirtschaftszonen Chinas, wo inzwischen rund 2 Mio. Menschen für Auftraggeber aus Hongkong arbeiten.

Was die Zahl der Fernmeldeeinrichtungen angeht, kann das kleine Hongkong bereits mit zahlreichen Superlativen aufwarten: Nirgends sind im Verhältnis zur Bevölkerungszahl mehr mobile Telefone im Einsatz, und nur in Japan gibt es pro 1000 Geschäftsleitungen mehr Faxgeräte. Der Stadtstaat verfügt über mehr als

3 Mio. Telefonanschlüsse und über das weltweit größte lokale Glasfaserkabelnetz. Über 600000 Rufempfänger (Pager) ist inzwischen jeder zehnte Einwohner ständig erreichbar.

"All dies ist nötig, denn nur so kann Hongkong als internationaler Handelsplatz bestehen" , sagt Buscher. Hongkong müsse im Bereich Telekommunikation immer auf dem neuesten Stand sein, um wettbewerbsfähig zu bleiben.

Z u den vielfältigen Dienstleistungen gehören im Faxbereich zum Beispiel das Infofax - ein Abrufdienst für Nachrichten, Wetterkarten, Flughafeninformationen, Börsenkurse etc., das Chekfax zur Überprüfung des Faxgerätes und das Adfax zur Versendung von Werbung per Fax.

Diese und andere Serviceleistungen werden ebenfalls von der Hong Kong Telecom bereitgestellt. Zu dieser Unternehmensgruppe, an der die britische Cable & Wireless mit 58,5% die Mehrheit hält, gehören vier Teilunternehmen:

- Hong Kong Telephone bietet Telefon-, Fax- und Datenübertragungsdienste an.

- Hong Kong Telecom International, die frühere Cable & Wirless (Hongkong) Ltd., ist für das Auslandsgeschäft zuständig. Dieses Teilunternehmen betreibt die bereits erwähnte Satelliten-Bodenstation und kann auf verschiedene Tiefseekabeltrassen zurückgreifen.

- Hong Kong Telecom CSL ist unter anderem für die Mobilkommunikation und andere Zusatzdienste verantwortlich.

- Computasis bietet zum Beispiel Datenverarbeitungssysteme und Computer- Dienstleistungen an.

In der Telekom-Branche des Stadtstaats sind in 137 Unternehmen mehr als 17000 Mitarbeiter beschäftigt. Die Firmen stellen vom schnurlosen Telefon über das Faxgerät bis zum Satelliten-Empfangsgerät alles her, was in den Bereich Telekom fällt.

Die Eigenexporte erreichten im letzten Jahr einen Wert von 1,5 Mrd. US-Dollar (+ 14%). Die wichtigsten Märkte sind die USA (Anteil: 39%), China (30%), Großbritannien (7%) und Japan (6%). Die Bundesrepublik und die meisten anderen Märkte in Europa fallen noch nicht ins Gewicht. Durch die jüngste Liberalisierung dürfte aber gerade in diesem Bereich das Wachstum in den nächsten Jahren besonders groß sein.

Frühjahrsgutachter sagen steigende Arbeitslosigkeit voraus West-Milliarden haben dem Osten bisher nicht geholfen Konzepte zur Umstrukturierung fehlen noch Von Thomas A. Friedrich

Fast eine Million Arbeitslose, nahezu zwei Millionen Kurzarbeiter in Ostdeutschland. Die führenden Wirtschaftsinstitute erwarten den Aufschwung in den fünf neuen Bundesländern erst im nächsten Jahr. Sie kritisieren, daß die Milliardenhilfen noch nicht gewirkt haben: Auf Dauer müssen die neuen Länder ohne staatliche Hilfe auskommen.

VDI-N, Bonn, 10. 5. 91 -

I m Frühjahrsgutachten heißt es ungeschminkt: "Die ostdeutsche Wirtschaft durchläuft gegenwärtig eine Phase schmerzhafter Anpassungen." Im Klartext heißt dies: Nach dem Einbruch im Sommer letzten Jahres und einer kurzen Stagnationsphase ist die Industrieproduktion in den Wintermonaten weiter deutlich zurückgegangen. So stehen den Ausfuhren in die Staaten des früheren Ostblocks im Jahr 1990 in Höhe von 33 Mrd. DM im laufenden Jahr Exporterträge von höchstens 10 Mrd. DM bis 15 Mrd. DM gegenüber. Von der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage Ostdeutschlands wird in diesem Jahr fast die Hälfte durch Importe - auch aus Westdeutschland - gedeckt, prognostizieren die fünf Institute Ifo (München), HWWA (Hamburg), RWI (Essen), DIW (Berlin) und IfW (Kiel).

Die Wirtschaftsexperten kennen auch die Gründe für die gegenwärtige Krise: "Der Übergang zur Marktwirtschaft, die Öffnung der Märkte und der Aufwertungsschock bei der Einführung der DM haben die fundamentalen Mängel des bisherigen Wirtschaftssystems mit einem Schlag offengelegt und die Anpassungsfähigkeit der Betriebe überfordert."

Zudem seien die Unternehmen in den neuen Bundesländern zu rasch mit einer Lohnpolitik konfrontiert worden, die sich einseitig an den Westlöhnen und nicht an der Produktivität der ostdeutschen Wirtschaft orientiere. Die Institute warnen davor, Löhne und Produktivitätsentwicklung noch weiter als bisher zu entkoppeln. Eine lohnpolitische Wende habe bisher nicht stattgefunden. Vielmehr schienen "alle Dämme gebrochen" zu sein. Das ostdeutsche Lohnniveau dürfte nach Schätzung der Wirtschaftswissenschaftler bereits gegen Ende des laufenden Jahres rund 60 % des westdeutschen betragen. Im ersten Halbjahr 1990 machte es eben ein Drittel des Westniveaus aus. Das Drehen an der Lohnschraube ziehe auch milliardenschwere Konsequenzen für den Staat nach sich.

Mit den Löhnen stiegen auch die Arbeitslosen- und Kurzarbeitergelder erheblich. Die Kaufkraft in Ostdeutschland habe zwar kräftig zugenommen und belebe die Binnennachfrage. Die Kehrseite ist jedoch, daß mit jeder Lohnerhöhung die Kostenbelastung der ostdeutschen Betriebe steigt, warnen die Wirtschaftsinstitute.

Hinzu komme, daß diese Kosten im Wettbewerb nicht erwirtschaftet werden können und die Ostunternehmer daher zur Zahlung von Löhnen und Gehältern auf die von der Treuhandanstalt verbürgten Kredite zurückgreifen, anstatt diese Gelder für eine Neustrukturierung zu nutzen.

Der SPD-Wirtschaftspolitiker Wolfgang Roth lastet die ostdeutsche Misere auch der Bundesregierung an. Er spricht von einer "Mitschuld" der Regierung an der "dramatischen Zuspitzung der wirtschaftlichen Lage" . Der Bundesregierung sei es bisher nicht gelungen, den Fadenriß beim Export in die ehemaligen Ostblock- Staaten zu verhindern und den versprochenen Vertrauensschutz gegenüber den früheren Handelspartnern wirklich zu gewährleisten.

Die westdeutschen Milliardenspritzen als Hilfe zur Selbsthilfe haben offensichtlich noch immer nicht gegriffen. Die Institute kritisieren besonders, daß in den neuen Bundesländern ein sich selbst tragender Prozeß angestoßen werden müsse, der letztlich auf Dauer ohne staatliche Hilfe auskommen müsse.

So werfen die Gutachter dem Staat vor, daß ein Großteil der öffentlichen Mittel nicht für wachstumsfördernde Maßnahmen in Ostdeutschland verwandt werde. Der Niedergang der ostdeutschen Industrie war angesichts der geringen Wettbewerbsfähigkeit allgemein erwartet worden. Die Hoffnungen, daß andere Bereiche, insbesondere die Bauwirtschaft und der Dienstleistungssektor, ein Gegengewicht bilden könnten, wurden bisher enttäuscht.

Um die für die Jahreswende 1991/92 erwarteten zarten Konjunkturhoffnungen am Leben zu erhalten, fordern die Wirtschaftswissenschaftler klare Subventionsregeln für die Ostunternehmen. Das Gießkannenprinzip beim Bonner Subventionsregen dürfte den Staat bald überfordern: "Die einzige Möglichkeit einer Subventionsfalle zu entgehen, ist die Setzung klarer zeitlicher Begrenzungen auf höchster politischer Ebene für den Übergangsprozeß."

Konkret schlagen die Wirtschaftsinstitute vor, die Treuhand solle eine Gruppe von Unternehmen auswählen, bei denen sie eine Überlebenschance sieht und diesen für einen begrenzten Zeitraum Überlebenshilfen anbieten. Fazit: "Am Ende dieser Frist muß das Unternehmen entweder privatisiert oder überlebensfähig sein." Eine andere Lösung könne es kaum geben, um nicht weitere Dauersubventionen entstehen zu lassen.

PROGNOSEN UND MEINUNGEN

Die Banken und Kreditinstitute in Deutschland haben nach Ansicht der mittelständischen Unternehmen zu viel wirtschaftlichen Einfluß. 88% der Unternehmen sind nach einer Umfrage des Bundesverbandes mittelständische Wirtschaft (BVMW) dafür, die Beteiligung von Banken an Wirtschaftsunternehmen gesetzlich einzuschränken oder ganz zu verbieten. Durch die Beteiligung würden die Banken zu direkten Konkurrenten ihrer anderen Kunden und gerieten in Interessenskonflikte, erklärte der BVMW-Hauptgeschäftsführer Dieter Härthe in Bonn.

Nach Ansicht von fast 90% des Mittelstandes sollten die Banken "sich auf ihre klassischen Dienstleistungen beschränken und die Finger von Versicherungen, Bausparen, Immobilien und EDV-Dienstleistungen lassen" , sagte Härthe. 78% der befragten Unternehmer wollten auch keine Mitarbeiter bankeigener Beratungsfirmen bei sich sehen, weil sie fürchteten, daß Informationen an Konkurrenten weitergereicht werden.

Die mittelfristige Orientierung der Finanz- und Wirtschaftspolitik in Deutschland wird beibehalten werden. "Wir wollen kein Zurück zum stop and go der 70er Jahre." Das sagte Bundesfinanzminister Theo Waigel in Washington. In der Diskussion um die Zinspolitik seien alle Beteiligten an niedrigeren Zinsen interessiert, aber dabei müsse inflationsfreies Wachstum angestrebt werden. Waigel stellte die Steuererhöhung in Deutschland und deren Beitrag zur Entlastung des Kapitalmarktes heraus. Er verwies zugleich auf die hohe Ersparnisbilanz in Deutschland, mit der die Vereinigung der beiden Teile finanziert wurde.

Einen "sehr ermutigenden Eindruck" von der Existenzgründungsszene in den neuen Ländern hat die Deutsche Ausgleichsbank, Bonn, aus einer Umfrage unter 2200 Gründern gewonnen, die sich 1990 zu beruflicher Selbständigkeit entschlossen haben. Danach haben mit 98,5% nahezu alle Angeschriebenen ausdrücklich bestätigt, daß sie diesen Entschluß auch zum Zeitpunkt der Umfrage, Ende Januar 1991, noch für richtig hielten. Bis zum Abschluß der Untersuchung Ende März habe auch keiner der angeschriebenen Gründer seine selbständige Existenz wegen unüberwindlicher Schwierigkeiten wieder aufgeben müssen.

Patentamtschef Häußer schätzt die Innovationskraft in den neuen Bundesländern hoch ein Viel Kreativität im Osten In der Bio- und Gentechnik wird gute und innovative Arbeit geleistet - Von Egon Schmidt VDI-N, München, 10. 5. 91 -

Erst begeistert begrüßt, jetzt manchmal scheel angesehen: die Mitbürger aus den fünf neuen Bundesländern. Bei der globalen Schelte an der früheren DDR wird kaum ein Bereich ausgelassen. Doch das technisch-wissenschaftliche Potential des neuen Ostens ist in Wahrheit weit größer, als viele West-Bürger je glauben würden.

F ür die ostdeutschen Mitbürger legt Prof. Erich Häußer, der Präsident des Deutschen Patentamts in München (DPA) jederzeit die Hand ins Feuer. Als engagierter Beobachter und Mitgestalter des problemvollen und schwierigen Zusammenwachsens beider deutscher Teilstaaten sieht er einen großen Nachholbedarf in Suhl wie in Erfurt, in Chemnitz wie in Dresden: "Die Menschen dort drüben sind deutlich motivierter als so mancher hier im Westen." Denn, so resümiert Häußer seine Ost-Erkundungen: "Ich schätze das Kreativitätspotential der neuen Bundesländer als sehr hoch ein."

Obwohl aus westlicher Sicht alles veraltet zu sein scheint, was im geplagten Osten heute noch an Industrieanlagen vorzufinden ist, haben die Wissenschaftler und Forscher, die Ingenieure und Techniker zwischen Rügen und dem Erzgebirge gerade auf ausgesprochen modernen High-tech- Feldern eine Menge zu bieten. "In der früheren DDR wurde auf Gebieten wie etwa der Bio- sowie der Gentechnik sehr gute und innovative Arbeit geleistet" , bestätigt Häußer. Das gelte erstaunlicherweise auch für die scheinbare West-Domäne der Informatik.

Gerade weil es im Osten aus vielerlei Gründen an modernen Geräten wie Rechnern, Speichersystemen und Druckern schwer gemangelt hat, "wurden auf dem Gebiet der Programme dort oft ganz ausgefuchste Lösungen erarbeitet" , die das schwere Defizit an Technik "irgendwo ausgleichen mußten" . Weshalb es jetzt auch niemanden wundern sollte, wenn künftig gerade von Computer-Fachleuten aus dem Osten höchst attraktive, innovative und effiziente Programme und Systeme entwickelt würden.

Soweit sich die hohe technische Kreativität der neuen Bundesbürger konkret in Gestalt attraktiver Patentanmeldungen niederschlagen wird, erhofft Häußer sich gerade im Osten vor allem von Einmann-Erfindern sowie von kleinen und mittleren Unternehmen - die ja auch im Westen traditionell eine ausgeprägt große Rolle spielen - besonders viel. Die Gruppe der kleinen Patent-Anmelder dürfte nämlich laut Häußer jenseits der Elbe anteilig noch stärker vertreten sein als im Westen Deutschlands: "Im Osten unseres Landes ist man sogar ausgesprochen patent-minded." Das nämlich habe sein Amt nicht zuletzt an Hand der großen Zahl (19166) jener Anträge gesehen, die jeweils auf die Umwandlung eines der alten Wirtschaftspatente in eines der modernen, westlichen Ausschließungs- Patente mit seinen umfassenderen Rechtsgarantien abgezielt haben.

Patente werden auch im Osten als wertvolle Investitionen betrachtet - doch im Gegensatz zu West-Firmen leider mit dem Unterschied, daß man "zur Zeit dort nicht so unbeschwert anmelden kann wie bei uns" . Die prekäre wirtschaftliche Lage zwinge die Unternehmen in der aktuellen Phase der Umorientierung zu vorsichtigem Kalkulieren - "man rechnet mit spitzem Stift" - und der Mangel an Finanzkraft habe viele Betriebe sogar veranlaßt, "ganze Patent-Abteilungen zu entlassen" . Aus Häußers Sicht zwar "sicher eine kontraindizierte Maßnahme" , was sich in der extrem problematischen Lage von heute aber durchaus auch verstehen lassen sollte.

Häußer, der auch seinen neuen Mitarbeitern aus dem früheren DDR-Patentamt bescheinigt, "auf vielen Gebieten sehr gute Arbeit geleistet" zu haben, ist derzeit intensiv darum bemüht, das einzige deutsche Institut für gewerblichen Rechtsschutz - es gehört zur Berliner Humboldt-Universität - vor der drohenden Abwicklung zu bewahren. Allein diese Universität habe eine spezielle Ausbildung zum Patentingenieur zu bieten und sei höchst wertvoll, dies zeigten jene 177 der knapp 400 vom alten Amt her übernommenen Mitarbeiter, die über Prüfer-Qualifikation verfügten.

I m Bonner Justizministerium wird derzeit ein sogenanntes Erstreckungsgesetz vorbereitet, das wohl erst mit Beginn des kommenden Jahres in Kraft treten wird. Es soll die Rechtseinheit auf dem Gebiet des gewerblichen Rechtsschutzes in Deutschland vollenden und dazu insbesondere jene zahlreichen Rechtsfragen klären, die bei Kollisionsfällen der einzelnen Schutzrechtsarten nach altem DDR- und altem West-Recht auftreten können. Wie also beispielsweise dann, wenn zwei Unternehmen das gleiche Markenzeichen führen möchten.

Die Übernahme der Prüfer des alten DDR-Patentamts, die natürlich durch Schulungskurse auf ihre neuen Aufgaben vorbereitet werden, bietet laut Häußer die Möglichkeit, "die Qualität des Prüfungsverfahrens zu verbessern" . Denn fortan kann Häußers Amt zunächst auf einzelnen technischen Gebieten und später für alle Bereiche der Technik die russische Patentliteratur und Dokumentation für das Prüfungsverfahren nutzbar machen; verfügten viele der neuen Prüfer doch nicht nur über entsprechende Sprachkenntnisse, sondern liege jetzt auch "eine vollständige Dokumentation der osteuropäischen Schriften und Literatur" vor, die das korrekte Ermitteln des wahren Standes der Technik weiter erleichtern werde.

KSB übernimmt Hallesche Pumpenwerke "Halle wird unser Zentrum für Umweltschutzpumpen" Das fränkische Unternehmen plant für dieses Jahr Investitionen von 20 Mio. DM VDI-N, Düsseldorf, 10. 5. 91 -

Seit Mitte Februar stehen die Halleschen Pumpenwerke, ehemals Stammbetrieb des VEB- Kombinats Pumpen und Verdichter, wieder unter privatwirtschaftlicher Regie: Die KSB AG, Frankenthal, ist neuer Hauptgesellschafter des Betriebs in Halle, der 1989 einen Umsatz von 250 Mio. Ostmark auswies. Der symbolische Kaufpreis: 1 DM. Mit Paul Rosemann, Sprecher der Geschäftsleitung der KSB Halle GmbH, sprach Rolf O. Karis.

VDI-Nachrichten: Herr Rosemann, warum engagiert sich KSB in Halle?

Rosemann: Für eine so weitreichende Entscheidung gibt es meist eine ganze Reihe von Argumenten. In diesem Fall hatten wir auf der einen Seite die unternehmerisch-rationalen Gründe: Unsere Fertigungskapazitäten in den alten Bundesländern sind überlastet, zum Teil mußten und müssen wir unseren Kunden zu lange Lieferzeiten zumuten. Insbesondere unser Geschäftsbereich Umwelttechnik - hier fertigen wir Pumpen für die industrielle und kommunale Abwasserentsorgung - ist von diesem auch personellen Kapazitätsproblem betroffen. Das Werk Halle bringt uns die erforderliche Personal- und Produktionskapazität.

Auf der anderen Seite gibt es auch die nicht rein rationale Firmenphilosophie: Wir wollen die Arbeit zu den Menschen bringen und nicht Arbeitskräfte abziehen. Im Fall Halle ergibt das eine für alle Beteiligten zufriedenstellende Lösung. Das Potential an qualifizierten Facharbeitern und Ingenieuren bleibt Halle erhalten, und KSB erweitert die Fertigungskapazität in einem vielversprechenden Markt.

Und drittens wollen wir in Halle mit den Pumpen für die Umwelttechnik gerade die Pumpen bauen, die in den Städten und Gemeinden der neuen Bundesländer und der osteuropäischen Länder dringend gebraucht werden.

VDI-Nachrichten: In den neuen Bundesländern steigt die Zahl der Kurzarbeiter und Arbeitslosen rapide an - werden Sie alle Mitarbeiter übernehmen können?

Rosemann: Wir übernehmen zunächst alle Mitarbeiter. Doch die Bestellungen für das bisherige Hallesche Pumpenprogramm sind schon in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahres spürbar zurückgegangen. Und der geplante Transfer von Teilen der Fertigung aus unserem Standort Pegnitz nach Halle ist nicht in wenigen Monaten möglich. Es gibt da also eine gewisse Durststrecke. Mit der Treuhand haben wir deshalb bereits einen teilweisen Abbau der Belegschaft vereinbart. Der Betriebsrat hat einem Sozialausgleich zugestimmt, der eine Verringerung der Mitarbeiterzahl von derzeit 1 700 auf 1 100 bis 900 vorsieht.

VDI-Nachrichten: Wie bereiten Sie denn Ihre verbleibenden Mitarbeiter in Halle auf ihre Arbeit nach westlichen Maßstäben vor?

Rosemann: Mit entsprechenden Schulungsmaßnahmen haben wir schon im letzten Jahr begonnen. Eine Reihe von Halle-Mitarbeitern aus der Fertigung, aus der Konstruktion und Entwicklung, aus der Datenverarbeitung und aus dem Verkauf werden bereits seit Oktober 1990 in verschiedenen Standorten der KSB-Gruppe für ihre neuen Aufgaben geschult. In unserem Frankenthaler Stammhaus sind nun auch Meisterschulungen, Fremdsprachenkurse, EDV-Schulungen sowie Kurse in Betriebswirtschaftslehre geplant. Auch externe Schulungen sind vorgesehen, insbesondere, was den Verkauf betrifft.

VDI-Nachrichten: Sie sprachen bereits von einem geplanten Transfer von Teilen der bisherigen KSB-Fertigung nach Halle. Was wird KSB nun demnächst in Halle produzieren?

Rosemann: Zunächst weiterhin das bisherige Programm aus Halle wie Kraftwerkspumpen, Pumpen für die Chemie und die Verfahrenstechnik, Bewässerungspumpen sowie Spezialpumpen für den Fernwärmebereich. Neu hinzu kommen werden Abwasserpumpen, die wir bislang noch in unserem Werk in Pegnitz fertigen. Die Überleitungsarbeiten haben wir bereits im Vorgriff auf eine positive Entscheidung der Treuhand im Januar dieses Jahres begonnen. Erste Aufträge werden bereits in Halle bearbeitet. Ich gehe davon aus, daß ab Mitte dieses Jahres eine erste Baureihe von Abwasserpumpen komplett aus Halle geliefert wird.

VDI-Nachrichten: Ohne größere Investitionen werden Sie diese Umstrukturierungsmaßnahmen nicht schaffen. Welches Volumen planen Sie für dieses Jahr?

Rosemann: Noch in diesem Jahr werden wir in Halle ein Investitionsvolumen von rund 20 Mio. DM realisieren. Für die Folgejahre sind weitere erhebliche Investitionen geplant. In erster Linie dienen sie der raschen Rationalisierung bei der bestehenden Fertigung, der Erneuerung von Maschinen wie auch der Umrüstung in der Datenverarbeitung. Wir werden moderne Arbeitsplätze einrichten und die Fertigungslogistik optimieren. Halle wird unser Zentrum für Umweltschutz-Pumpen sein.

VDI-Nachrichten: Aus den Unterlagen ist ersichtlich, daß Halle-Pumpen bisher überwiegend in den sozialistischen Wirtschaftsraum gingen. Kann KSB diese Vertriebswege weiter nutzen?

Rosemann: Zum Teil ja. Beispielsweise bei allen Nachlieferungen und bei Ersatzteilen gibt es ja direkte Beziehungen zwischen dem Hersteller und dem Betreiber. Auch die übrigen direkten Kundenkontakte, wenn sie über Montage- oder Servicearbeiten geknüpft wurden, können wir weiter nutzen. Die früheren staatlichen Beziehungen und Möglichkeiten sind jetzt natürlich verschwunden. Doch die Pumpen aus Halle haben in vielen Anlagen in den osteuropäischen Ländern und in Nahost einen guten Ruf. Deshalb rechnen wir aus diesen Ländern weiterhin mit Aufträgen für das bisherige Pumpenprogramm von Halle. Trotz aller vorhandenen Schwierigkeiten gehe ich in diesem Jahr von einem Umsatz in Höhe von rund 100 Mio. DM aus, worin aber schon etwa 20 % bis 25 % Neuprogramm enthalten sind.

Dollar-Absicherung ratsam Andres Rüfli, Bank Hofmann AG, Zürich

Entgegen den meisten Prognosen hat der Dollar in den letzten drei Monaten gegenüber der Deutschen Mark um fast 20 % zugelegt, nachdem Anfang Februar ein neuer Allzeittiefstkurs registriert worden war.

Nicht die Nachfrage der Anleger, sondern massive konzertierte Interventionen der Zentralbanken lösten damals die Wende des Dollar nach oben aus.

Daß die Signale der Währungshüter eine so nachhaltige Wirkung erzeugten, ist wohl zu einem wesentlichen Teil auch dem raschen und überzeugenden Sieg der Amerikaner im Golfkrieg zu verdanken. Läßt sich die psychologische Stütze, die der Dollar dadurch erhalten hat, aber auch fundamental rechtfertigen?

In aller Regel ist die Kombination von relativ hohem Wachstum mit verhältnismäßig niedriger Inflation eine ideale Voraussetzung für die Stabilität der entsprechenden Währung. Stellt man nun aber die aktuelle Entwicklung des amerikanischen Bruttosozialprodukts der Entwicklung des deutschen gegenüber, so ist festzustellen, daß das Wachstum der Vereinigten Staaten in den letzten zwanzig Jahren noch nie so stark hinter dem der Bundesrepublik zurückgeblieben ist wie heute.

Selbst wenn sich in den Vereinigten Staaten bereits Mitte des Jahres wieder eine Erholung durchsetzen sollte, werden die USA den Wachstumsrückstand wohl nur teilweise wettmachen können. Einerseits dürften die bekannten strukturellen Probleme der USA wie das hohe Budgetdefizit, die enorme Verschuldung der Konsumenten und die Bankenkrise den Aufschwung der amerikanischen Wirtschaft bremsen. Andererseits sollten die binnenwirtschaftlichen Impulse, die die Bundesrepublik aus dem Investitionsbedarf der fünf neuen Bundesländer erhält, einen stärkeren Konjunktureinbruch in Deutschland verhindern.

In der bald zwanzigjährigen Geschichte seit Einführung flexibler Wechselkurse haben relativ hohe Zinsen eines Landes üblicherweise die entsprechende Währung gefestigt: Die Nachfrage der Anleger nach der entsprechenden Währung steigt aufgrund des attraktiven Zinsniveaus und wirkt so währungsstabilisierend.

Die jüngste Dollarhausse fällt nun jedoch ausgerechnet in eine Zeit, in der sich die relativen amerikanischen Zinsen im historischen Vergleich auf einem rekordtiefen Niveau befinden.

DM-Geldmarktanlagen weisen gegenüber Investitionen in Dollar gegenwärtig einen Zinsvorteil von rund 3 % auf. Dieser Fall ist bisher weder in den siebziger noch in den achtziger Jahren je vorgekommen.

Sicher ist der enorme Finanzbedarf Deutschlands für den Aufbau der neuen Bundesländer mitverantwortlich für diese Konstellation, doch erscheint es fraglich, ob die innerdeutsche Problematik ein ausreichendes Fundament für eine längerdauernde Bevorzugung des Dollar durch den Markt abgeben kann.

Der Zinsvorsprung, den die Deutsche Mark am Geldmarkt zur Zeit verbuchen kann, ist vor allem eine Folge der straffen Geldpolitik der Deutschen Bundesbank und kann meines Erachtens nicht als Risikoprämie gegenüber dem Dollar interpretiert werden.

Die während des Golfkriegs geweckte Begeisterung für die USWährung dürfte nun weitgehend abgeklungen sein. Bei weiterhin schlechten Konjunkturnachrichten könnte ein deutlicher Rückschlag eintreten. Wer über Dollarpositionen verfügt, sollte diese deshalb jetzt abbauen oder zumindest absichern.

B. Bitzer, Innovationshemmnisse im Unternehmen. Deutscher Universitätsverlag, Opladen 1990, 283 S., 78 DM.

Eine gute Idee benötigt häufig einen langen und hürdenreichen Weg, bevor sie als erfolgreiche Innovation bezeichnet werden kann. Das Buch behandelt die Schwierigkeiten, mit denen besonders Mitarbeiter aus dem Teilbereich Forschung und Entwicklung täglich zu kämpfen haben und zeigt Lösungsvorschläge.

W. Kastner, Sterben und Steuern. Verlag Wolfgang Kastner, Altenholz 1991, 78 S., 13,80 DM.

Wie alle Steuergesetze ist auch das Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz kompliziert und unübersichtlich. Hilfestellung will der vorliegende Leitfaden geben. Hilfreich sind dabei zahlreiche Gestaltungshinweise sowie Mustertestamente mit jeweiliger Erläuterung der steuerlichen Auswirkung. Das Buch gibt es nur beim Verlag Wolfgang Kastner, Altenholzer Str. 5-7, 2300 Altenholz.

Herbert Jacob (Hg.), Industriebetriebslehre. Verlag Gabler, Wiesbaden 1990, 956 S., 89 DM.

Das bekannte betriebswirtschaftliche Lehrbuch liegt nun in vierter, überarbeiteter und erweiterter Auflage vor. Themenschwerpunkte sind die Struktur und Entwicklung von Industriebetrieben, Standortwahl, Produktionsmethoden sowie die Produktions- und Absatzprogrammplanung. Für die Neuauflage wurden alle Beiträge überarbeitet und aktualisiert. Neue Entwicklungen wie der EG-Binnenmarkt und andere sich abzeichnende Veränderungen wurden dabei berücksichtigt.

G. Stalk jr./T.M. Hout, Zeitwettbewerb. Campus Verlag, Frankfurt/M. 1990, 328 S., 68 DM.

"Zeit ist Geld" - der Spruch ist mittlerweile alt. Daß der Zeitwettbewerb mitentscheidend ist für Erfolg oder Mißerfolg ganzer Branchen, wollen die Autoren in ihrem Buch beweisen. Sie setzen die Schnelligkeit eines Unternehmens bei der Reaktion auf den Markt gleich mit der Bedeutung solcher Faktoren wie Produktivität und Qualität.

Anhand von Fallstudien zeigen die Autoren, wie Kosten und Schnelligkeit voneinander abhängen und wie der Markt den Zeitgewinn honoriert.

G. Kalt, Wirtschaft in den Medien , Institut für Medienentwicklung und Kommunikation in der Verlagsgruppe Frankfurter Allgemeine Zeitung. 352 S., 68 DM.

Das Interesse an Berichterstattung bei Themen aus der Wirtschaft war noch nie so groß wie zur Zeit. Das vorliegende Werk versucht die Zusammenhänge zwischen der Wirtschaft selbst und ihren Berichterstattern aufzuzeigen. Wie die Zusammenarbeit zwischen Managern und Wirtschaftsjournalisten funktioniert, erklären namhafte Journalisten und Redakteure.

J. Meins, Die Vertragsverhandlung. Schäffer Verlag, Stuttgart 1990. 144 S., 45 DM.

Verträge regeln unser aller Leben von der Wiege bis zur Bahre. Wie Verträge im Berufs- und Geschäftsalltag vorbereitet und verhandelt werden, erläutert der Autor im vorliegenden Werk. Meins vermittelt in drei Abschnitten die Kunst der Vertragsverhandlung: Im ersten Teil stellt er die systematischen Vorbereitungsarbeiten vor, die im zweiten Teil in Form einer Checkliste die regelungsbedürftigen Punkte abfragt. Im dritten Abschnitt schließlich geht der Autor auf die Verhandlung selbst ein. Das Werk wendet sich an junge Führungskräfte in juristischen, kaufmännischen und technischen Unternehmensbereichen.

N. Makino/Y. Hoshino, Weltmacht am Wendepunkt, Krise und Perspektive der Hochtechnologie aus japanischer Sicht. Management Presse Verlag, München 1991, 242 S., 78 DM.

Hat das Land der aufgehenden Sonne in Sachen Hochtechnologie seinen Zenit bereits überschritten? Noboru Makino und Yoshiro Hoshino, zwei japanische Technologie-Experten, nehmen in ihrem Buch Japans Wirtschaft und Technik rigoros unter die Lupe. Da wird die rasante Aufholjagd der asiatischen Schwellenländer in der Spitzentechnik ebenso selbstkritisch reflektiert wie die gefährlichen Kreativitätsdefizite Nippons und die drohende Isolation der japanischen Wirtschaft.

Die Thesen der Autoren haben es in sich: Das amerikanische Hochtechnologie- Defizit gegenüber Japan wird immer größer, der Mensch kann mit den Systemen der Großtechnologie nicht mehr Schritt halten, neue Technologien produzieren zunehmend Streß. Makino und Hoshino kritisieren aber nicht nur, sie wagen auch Prognosen. Etwa über die Chancen für den großen Durchbruch bei der Supraleitung oder für die Entwicklung des Neurocomputers. Ihre Analysen sind dabei immer global - das neue Europa haben sie genauso im Blick wie die technischen Probleme Chinas oder die wirtschaftlichen Perspektiven der Perestroika.

AKTUELLES RECHT

Arbeitnehmer nicht immer beim Wort nehmen

Droht ein Arbeitnehmer im Streit, das Arbeitsverhältnis zu beenden, ist das nicht als Kündigung zu verstehen. So das Landesarbeitsgericht Düsseldorf. Mache der Arbeitnehmer im Streit Äußerungen wie "Wenn sich hier nichts ändert, dann ist am Monatsende für mich Feierabend!" , sei das in der Regel als Demonstration von Stärke und Entschlossenheit zu verstehen, nicht als Kündigung. (Urteil vom 25. September 1990, 8 Sa 1175/90).

Kein Computerumtausch

bei Softwarefehler

Wer eine EDV-Anlage samt Programm kauft, kann nicht automatisch das ganze Paket zurückgeben, wenn ein Programm nicht funktioniert.

Nach dem Grundsatz "Alles oder nichts" geht es laut Bundesgerichtshof nur, wenn das klar im Vertrag steht, wenn die Bestandteile technisch nicht zu trennen sind oder sonst wegen besonderer Umstände klar ist, daß das Paket nicht aufgeschnürt werden kann oder soll. (Urteil vom 7. März 1990, VIII ZR 56/89).

Fachmann darf Planung nicht blind vertrauen

Ein technischer Fehler bei der Ausschreibung befreit einen Handwerks-Fachbetrieb nicht von der Verantwortung für Mängel. Als eine Firma wegen unbrauchbarer Anstricharbeiten Schadenersatz zahlen sollte, schob sie die Verantwortung auf Fehler der Ausschreibung. Dazu der Bundesgerichtshof: Es sei die Geltung der VOB/B vereinbart worden, deshalb hätte die Firma die Planung prüfen müssen. Hätte sie das getan, wäre es nicht zu den Mängeln gekommen. Deshalb muß sie für den gesamten Schaden aufkommen. (Urteil vom 11. Oktober 1990, VII ZR 228/89).

Informationssystem für

EG-Finanzämter

Ab 1. Januar 1993 soll nach den Plänen der EG-Wirtschafts- und Finanzminister ein Informationssystem die kommende EG-Umsatzsteuerregelung flankieren, nach der Lieferungen in die EG nur noch im Bestimmungsland umsatzversteuert werden. Dessen Finanzbehörden können dann die Angaben für die Besteuerung über dieses System abrufen.

Grenzen für

Eigenbedarfskündigung

Ein Vermieter kann nicht wegen Eigenbedarfs kündigen, wenn er selbst die Möglichkeit verbaut hat, den Eigenbedarf ohne Kündigung eines Mieters zu befriedigen. Deshalb erklärte das Bundesverfassungsgericht die Kündigung eines Vermieters für unwirksam, der eine Wohnung für seinen Sohn beanspruchte, obwohl im selben Haus demnächst eine vergleichbare Wohnung frei wurde. Die hatte er jedoch schon wieder vermietet. Das Gericht betonte, die Entscheidung bedeute keine Änderung seiner Rechtsprechung zum Eigenbedarf. (Beschluß vom 13. November 1990, 1 BvR 275/90.)

Kein Steuergeheimnis

gegenüber Gewerbeamt

Erfährt die Gewerbeaufsicht vom Finanzamt, daß ein Unternehmen hohe Steuerrückstände hat, kann sie ein Gewerbeverbot wegen Unzuverlässigkeit aussprechen. Der Verwaltungsgerichtshof Mannheim: Das Steuergeheimnis tritt hinter dem öffentlichen Interesse am ordnungsgemäßen Gewerbebetrieb zurück. (Urteil vom 30. August 1990, 14 S 937/88.)

Abschied von der Zeigerwaage Der Präzisionsinstrumente-Hersteller Mettler-Toledo setzt zunehmend auf komplette Problemlösungen - Von Bernd Eusemann VDI-N, Greifensee, 10. 5. 91 -

Strukturwandel auch im Waagengeschäft: Wie allgemein im Maschinenbau, geht der Trend zum Systemgeschäft, zum Servicepaket. Dabei schrumpft der Anteil der Waage selbst an der gesamten Wertschöpfung immer mehr.

D ie Wertschöpfung machen wir heute mit Service" , markiert Dr. Willy Jucker, Mitglied der Unternehmensleitung des Präzisionsinstrumente- Herstellers Mettler-Toledo in Greifensee bei Zürich, den Wandel einer Branche.

Der Übergang von der Zeigerwaage zur digitalen Waage hat mehr als nur optische Veränderungen gebracht. Im Gerät steckt nun Rechnerleistung und Speicherkapazität. Ganze Betriebsabläufe verändern sich dadurch. Nicht anders sieht es im Labor aus, und in fast jedem Labor steht mindestens eine Waage: Periphere und offene Kommunikation werden zu strategischen Begriffen, genau wie im Computerbusiness. Und ebenso ist es im Industriebereich, wo man noch massiv wachsen kann, freut sich Jucker: "Gerade die Elektronik kann da neue Teilmärkte schaffen."

Es ist die gleiche Geschichte wie in vielen anderen Industriezweigen auch: Der Einbruch der Mikrochips krempelte den ganzen Maschinenbau um. Mit wachsender elektronischer Intelligenz im Gerät wachsen freilich auch die Begehrlichkeiten; denn diese können nicht nur mehr, sie lassen sich auch untereinander und mit anderen Apparaten koppeln. Die Verknüpfung ganzer Labors wird damit möglich, und Wägevorgänge lassen sich nun in die automatisierten industriellen Fertigungsprozesse integrieren.

Die Zukunft liegt also im Systemgeschäft, das bislang erst einen geringen Anteil am Gesamtvolumen hat. Runde 90% sind noch dem Standardgeschäft vorbehalten. Freilich zeigt sich bei solchen Überlegungen, wie sehr die Mikroelektronik auch die klassischen Begriffe selbst durcheinandergewirbelt hat: Denn eine Waage mit integriertem PC, sinniert Jochen Wienbeck, Geschäftsführer der Mettler-Toledo GmbH in Gießen, ist das eigentlich noch eine stand-alone-Lösung?

Eine zweite Entwicklung bestimmte die Geschicke der Branche gleichermaßen: Die zunehmende internationale Konzentration. Das Wachstum des Schweizer Unternehmens vom kleinen Waagenbauer zur weltweit operierenden Gruppe spiegelt auch diesen Prozeß wider. "Mettler hat sich profiliert im Labor" , beschreibt Jucker den Werdegang der ursprünglichen schweizerischen Gründung, die den ersten Teil des Gruppennamens bildet, "mit Toledo kommt der eigentliche Industriewaagenbereich hinzu."

Die Übernahme der amerikanischen Toledo Scale Corporation im Jahre 1989 brachte nicht nur eine Erweiterung des Produktsortiments und des Namens. Sie katapultierte das Unternehmen gleichsam über Nacht in eine völlig neue Dimension: Betrug der konsolidierte Gruppenumsatz im Jahre 1988 noch 491 Mio. sfr, so schnellte er durch die Übernahmen auf mehr als 1,18 Mrd. sfr im Folgejahr 1989.

Diese erstaunliche Akquisition wird begreiflich, wenn man eine andere Größenordnung mitbetrachtet: Schon eine ganze Weile früher nämlich war Mettler selbst in den Besitz eines ganz Großen übergegangen: seit 1980 hält der Basler Chemie-Konzert Ciba-Geigy 100% der Aktien.

Im abgelaufenen Geschäftsjahr erwirtschaftete die Gruppe einen Gesamtumsatz von rund 1,2 Mrd. DM mit 6500 Mitarbeiter weltweit. Ungefähr die Hälfte der Verkaufserlöse wurden dabei in Europa erzielt und etwa 40% in den USA. Nach Produktsparten entfielen rund zwei Drittel auf den Bereich Industrie und Handel, gute 20% auf den Laborbereich.

Und schließlich ist auch dies noch bemerkenswert, wenngleich nicht unüblich bei Schweizer Unternehmen: Zirka 95% des Verkaufsumsatzes wird außerhalb der Schweiz erzielt; etwa 3400 Mio. DM hiervon kommen aus dem Geschäft in Deutschland.

D ie Mutter Ciba-Geigy im Hintergrund erklärt zwar, wie man eine gleich große Firma schlucken kann. Daß man sich an dem Brocken nicht verschluckt, das garantiert diese Tatsache noch nicht. Doch da hat Jucker keine Probleme, weil es keine starken Überschneidungen gibt: "Vom Sortiment her praktisch nichts" , erläutert er, "von der Organisation her, ja." Denn in den Industrieländern hatte Toledo eigene Vertretungen, wie Mettler auch. Das aber glaubt man durch Umstrukturierungen in den Griff zu bekommen, die die Situation im jeweiligen Land berücksichtigen. Dort operieren die Gesellschaften als von der Holding relativ unabhängige Einheiten.

Trotz der Konzentrationsbewegung hält der Markt übrigens noch Überraschungen bereit. Wenn man an die großen Zahlen denkt, dann spielt sich die Konkurrenz zwar vor allem mit den Japanern ab, die auch in Europa gut Fuß fassen konnte. Da glaubt man sich durch die Fusion gerüstet und macht sich umgekehrt Gedanken, wie man dort selber noch stärker werden kann. Jucker: "Unser Focus ist sicher der Ferne Osten." Das gilt vor allem für den Ladenbereich.

In einem anderen Segment aber, weiß Jucker, sind die großen Konkurrenten eher eine Vielzahl kleiner Firmen: "Im Industriebereich sind es die lokalen."

E s gibt also eher sehr differenzierte Märkte als den einen großen Weltmarkt. Wie stellt sich das für eine Schweizer Holding dar, angesichts des kommenden Europäischen Binnenmarkts?

Was die Normung anbetrifft - bei Waagen ein zentraler Punkt -, da hofft man auf die EG und weitgehende Vereinheitlichung. Aber darüber hinaus? "Ciba-Geigy ist sehr aufgeschlossen für eine Mitgliedschaft" , zitiert Jucker die Konzernphilosophie und schließt sein Unternehmen ein: "Wenn die Grenzen alle offen sind, könnte man sich vorstellen, daß man mit einem oder zwei Verteilungszentren auskommt in Europa." Denn in der Logistik müssen neue Wege gesucht werden, um die Warenflüsse zu optimieren, so seine Sicht der Dinge, weil da zu viel Kapital gebunden ist.

Die ökonomische Seite macht im Alpenland also kaum Mühe: "Politisch aber glaube ich, daß wir Schweizer uns da etwas schwertun."

Gute Marktchancen für Computer-Peripherie Computer 2000 mit atemberaubendem Wachstum Das Umsatzplus von 130% übertrifft selbst die ehrgeizigsten Pläne - Von Rüdiger Vetter VDI-N, München, 10.5.91 -

A uf dem PC-Markt gehören rasante Wachstumsschritte mittlerweile der Vergangenheit an. Anders bei der Peripherie. Deutschlands Marktführer in der PC-Zubehör-Distribution, Computer 2000, baut Umsatz und Ertrag in atemberaubendem Maße aus.

Jochen Tschunke hat gut lachen. Denn schlechte Nachrichten gibt es aus dem Hause Computer 2000 nicht zu vermelden. Der Vorstandssprecher umschreibt die rasante Expansion des Münchner PC- Zubehör-Distributors eher bescheiden: "Wir konnten unser bisher gezeigtes Wachstum nicht nur beibehalten, sondern unsere ehrgeizigen Planzahlen noch übertreffen." Dahinter verbirgt sich ein Umsatzplus von 130% auf rund 605 Mio. DM (per 30.9.90). Ein Teil des Zuwachses resultiert dabei aus Unternehmenskäufen, wie Tschunke berichtet. Etwa die 60 %-Beteiligung an dem britischen Handelshaus Frontline Distribution Ltd. mit rund 130 Mio. DM.

Zwei deutsche Neugründungen im vergangenen Jahr steuerten Wachstumsimpulse bei. Die Axxam GmbH, die sich mit Produkten aus dem Umfeld der Computermarke Apple befaßt, und die Workstation 2000 sorgen für ein 10 Mio. DM-Umsatzplus.

Über 23 Mio. DM Umsatz kamen von den noch jungen Töchtern Computer S.A. in Spanien und der Computer 2000 N.V., Belgien. Doch auch um die Neuzugänge bereinigt, konnte der Computer-Peripherie-Lieferant ein Wachstum von 80% vorweisen. "Entsprechend dem erfreulichen Geschäftsverlauf" , stellt Tschunke fest, "konnten neue Arbeitsplätze geschaffen werden." Über 340 zusätzliche Mitarbeiter wurden unter Vertrag genommen, zum Ende dieses Jahres werden es voraussichtlich rund 1000 sein. Die Einstellungen dürften dem Computer 2000-Management nicht schwer gefallen sein. Denn wie der Umsatz wuchsen im abgelaufenen Geschäftsjahr auch die Erträge kräftig an.Der Gewinn vor Steuern (23,6 Mio. DM) nahm um 126%, der Jahresüberschuß (13 Mio. DM) sogar um 160% zu.

Mit den guten Ergebnissen verfügt Computer 2000 über eine Basis für die weitere Expansion in Europa. So wurde jetzt eine Mehrheitsbeteiligung an der schwedischen Expander Informatic Group, dem dort führenden Distributor für Softwareproduke, eingegangen. In Italien sei die Tinte zwar noch nicht trocken, sagt Vorstandssprecher Tschunke. Dennoch gibt er die geplante Beteiligung an der Mailänder EIS bekannt, einem Distributor von Hard- und Softwareprodukten rund um den PC. Frankreich ist bislang noch ein weißer Fleck auf der Computer-2000- Landkarte, "steht aber ganz oben auf der Prioritätenliste" , sagt Tschunke.

Innerhalb der nächsten zwölf Monate will man auch dort aktiv werden. Zunächst soll jedoch "eine Konsolidierung" stattfinden, so Tschunke weiter. Er zeigt sich zuversichtlich, das Computer 2000 bis zum Ende des Geschäftsjahres 1992 "ein gesamteuropäisches Unternehmen" sein wird.

D ie expansive Strategie des Münchner Computer-Zubehörhändlers soll auch mit einer Kapitalerhöhung auf insgesamt 16,5 Mio. DM unterstützt werden. Zu den wichtigsten Aktionären gehören bislang die Colonia- und Nordstern-Versicherung sowie die Commerzbank mit je 10%, Management und Belegschaft sowie der Oetker-Sprößling Arend mit je 13%. 5% hält ein Geschäftsmann, der nicht genannt werden möchte, 39% sind gestreut. Meldungen, wonach Oetker eine Mehrheit an Computer 2000 anstrebe, wies Tschunke als "Spekulation" zurück.

Auch in den ersten vier Monaten dieses Jahres kam die positive Entwicklung des Unternehmens nicht zum Stoppen. Tschunke meldet bereits wieder ein Wachstum von rund 150% gegenüber dem vergleichbaren Vorjahreszeitraum.

MÄRKTE, BRANCHEN, UNTERNEHMEN

Der Auftragseingang im Maschinen- und Anlagenbau weist für März 1991 gegenüber dem gleichen Vorjahreszeitraum einen realen Rückgang von 15% auf. Dabei standen nach Angaben des Verbandes Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA), Frankfurt, einem Zuwachs der Inlandsaufträge um real 6% ein Rückgang der Auslandsorders um real 32% gegenüber.

Der deutsche Siemens-Konzern will den Industrieautomations-Bereich des US-Elektronikkonzerns Texas Instruments Inc., Dallas/Texas, kaufen. Eine entsprechende Absichtserklärung wurde zwischen der Siemens-US-Dachgesellschaft Siemens Corp., New York, und TI unterzeichnet, teilten die Unternehmen mit. Bei der geplanten Transaktion handelt es sich um das Geschäft mit speicherprogrammierbaren Steuerungen, die in unterschiedlichen Anwendungen in allen industriellen Bereichen eingesetzt werden.

An der neuen Volkswagen Bratislava Spol.s r.o., einer GmbH nach dem Recht der CSFR, sind die Volkswagen AG , Wolfsburg, zu 80 % und die slowakische Regierung zu 20 % beteiligt. Die Gesellschaft soll zunächst mit einem Kapital von 60 Mio. DM ausgestattet werden, wobei VW dazu eine Bareinlage von 48 Mio. DM leistet. Durch weitere Kapitaleinlagen von VW in Höhe von 140 Mio. DM in den Jahren 1992 und 1993 werde der VW- Anteil auf 94 % ansteigen.

Der verschärfte Wettbewerbsdruck und dadurch bedingte "deutlich niedrigeren Ergebniserwartungen" für die nächsten Jahre haben bei Hoechst Auswirkungen auf die Investitionsplanungen . Dr. H.J. Kablitz von der Zentralen Direktionsabteilung der Hoechst AG erklärte, bei Hoechst verringerten sich wegen des verschärften Wettbewerbs auch die Möglichkeiten für Kapazitätserweiterungen. Während die Sachinvestitionen 1990 bei der Hoechst AG um 13,2 % auf 1,31 Mrd. DM und im Konzern um 6,3 % auf knapp 3,4 Mrd. DM gestiegen sind, beziffert Kablitz den Investitionsetat der AG für 1991 mit knapp über 1 Mrd. DM.

Die Qual der Anlage-Wahl Berater kennen die Wünsche ihrer Kunden genau Der Markt für Finanzdienstleister wird immer größer VDI-N, Stuttgart, 10. 5. 91 -

Der Kapitalanlagemarkt ähnelt dem Softwaremarkt. Hier wie dort gibt es Standard- und Branchenlösungen - und an der Spitze des Angebotes die individuellen, maßgeschneiderten Produkte. Roman Hadjio vom Finanzdienstleister MLP beschreibt im folgenden Beitrag die breite Angebotspalette.

O b man im Rahmen eines Fondsparkonzeptes eine vorgegebene Anlageform mit durchschnittlichem Risiko und ebensolcher Rendite wählt oder aber

sich eine auf die persönliche Risikobereitschaft zugeschnittene Variante entwickeln läßt, bleibt von der Kostenseite her in der Regel gleich.

Warum also sollte man sich bei der Kapitalanlage mit der Standardlösung, mit dem Produkt von der Stange begnügen?

Das Problem der optimalen Kapitalanlage setzt zu seiner Lösung allerdings eines voraus: Markttransparenz. Dieser sind aber Steine in den Weg gelegt: Auf der Produzentenseite wird der Marktführer regelmäßig Interesse an einer solchen Transparenz haben, um seine Stellung herauszuheben. Seine Konkurrenten versuchen hingegen mit allen Mitteln, sie zu verhindern, da sie ansonsten vom Markt verschwinden könnten.

Diese Verschleierungstaktik ist der Transparenz abträglich. Der Verbraucher kann sein Produkt nur dann finden, wenn er tatsächlich alle Anbieter auf dem Markt kennt.

Um diese Hindernisse auszuräumen, bedient man sich in einigen Branchen der Börsen und der Messen, die für die nötige Transparenz am Markt sorgen. Bei der privaten Kapitalanlage übernimmt diese Funktion der Makler. Im Gegensatz zu dem an eine Bank oder ein Versicherungsunternehmen gebundenen Vermittler erfüllt er die Grundvoraussetzung der Markttransparenz. Er ist in seinen Entscheidungen und Empfehlungen unabhängig. Er muß nicht auf die Schwächen eigener Produkte Rücksicht nehmen, denn es gibt für ihn keine eigenen Produkte.

Zielvorgaben und Faktoren wie persönliche Risikobereitschaft sind die Basis für eine fundierte Anlageberatung. Erst bei genauer Zielvorgabe ist die für den jeweiligen Anleger beste Kombination von Sicher-

heit, Rendite und Liquidität möglich. Dabei kann der unabhängige Vermittler wieder seinen Vorteil zum Nutzen des Kunden ausspielen.

W enn dieser sich Ziele gesetzt hat, für die es bei der einen Bank kein exakt passendes Produkt gibt, schaut sich der Makler bei anderen Banken um. Der an ein Bank- oder Versicherungsunternehmen gebundene Vermittler müßte zwangsläufig passen. Sie können sich in der Regel nicht so weit einschränken, daß sie sich ein kleines Segment aus der Bevölkerung heraussuchen, das sie betreuen. Sie sind Generalisten und schließen damit von ihren generellen Erfahrungen auf die speziellen Wünsche des Einzelnen.

Manche unabhängigen Makler haben die Vorteile des strengen Zielgruppengeschäftes erkannt. Daß auch die Kunden damit hervorragend fahren, zeigt der Erfolg solcher Maklerunternehmen. Es liegt auf der Hand, daß ein Berater für Kapitalanlagen, der gute Kenntnisse von einer bestimmten Berufsgruppe hat, sich viel besser in deren Rolle versetzen kann. Er kennt die sich mit der Zeit verändernden Gewichtungen der Ziele dieser Gruppe: so kann er für sie die optimale Anlage herausarbeiten.

Die unabhängige Wahl der am Markt verfügbaren Anlageprodukte ist nur eine der notwendigen Bedingungen, um einem

Kunden die bestmögliche Anlageform zu vermitteln. Sie muß von weiteren Maßnahmen flankiert sein: Der Anlageberater muß zielgruppenspezifisch arbeiten, also ein Experte für die betreffende Berufsgruppe sein, um dem Anleger spezifische Anregungen zu geben und ihm entsprechende Strategien aufzeigen zu können.

Außerdem ist ein perfektes Zusammenspiel und eine gute Kommunikation zwischen dem kundenorientierten Berater und dem Produktexperten notwendig, damit letzterer auf dem Markt die richtige Auswahl treffen oder Neuentwicklungen anregen kann.

Ein solches unabhängiges Team wird umso wichtiger, je undurchsichtiger und vielfältiger der Markt ist. Das Zusammenrücken der europäischen Staaten im Binnenmarkt und die Produktflut, die dadurch ausgelöst wird, wird die Probleme für Kapitalanleger noch verschärfen - ihnen bei richtiger Beratung aber auch neue Möglichkeiten eröffnen.

Der Börsenbeobachter Von Jens Fabian

Kurse und Stimmungen an den deutschen Börsen springen derzeit hin und her. Obwohl die Börse bekanntlich von verschiedenen Meinungen lebt, denn sonst käme ja kein Umsatz zustande, zeigt sie sich in den letzten Wochen und Monaten von ihrer konträrsten Seite: Dollar rauf, Dollar runter, Siemens und Co. rauf, Deutsche & Co. runter.

Mit der zweiten Diskontsatzsenkung von 6 % auf 5,5 % wirbelte das US-Federal Reserve Board in der ersten Mai- Woche einigen Staub auf den europäischen Märkten auf. US-Aktien und Rentenmärkte folgten ihrer freundlichen Tendenz und belohnen die Anleger zur Zeit mit Kursgewinnen. Für viele deutsche Börsianer ist die unentschlossene Deutschland-Tendenz ganz klar. Da wir uns im Schlepptau der internationalen Zinsentscheidungen befinden, ist für viele Marktteilnehmer der Spielraum stark begrenzt.

Nach dem Treffen der Finanzminister (G 7) zeigen die Indikatoren für die Volkswirtschaften der wichtigsten Industrieländer auf Negativ. Die lahmen Wirtschaften brauchen Zinssenkungen, damit der Konjunkturmotor wieder auf Hochtouren kommt. Diese Einschätzung kann für die bundesdeutsche Konjunktur nicht übernommen werden. Die Bundesbank sorgt sich über die Inflationsraten und die Geldmenge. Und sie läßt keinen Zweifel daran, daß sie in dem Augenblick die Zinsen erhöhen wird, wenn sich die Daten bis zur Jahresmitte nicht verbessert haben sollten.

Ein weiteres Argument könnte die Deutsche Bundesbank aus den Inflationsraten in den neuen Bundesländern beziehen. Findige Analysten aus London haben errechnet, daß die Preise dort um bis zu 30 % ansteigen werden. Die Investitionen der internationalen Industrie in den neuen Bundesländern werden voll auf die Preise der Produkte umgewälzt.

All diese Probleme kennen andere Länder - so auch Spanien - nicht. Während sich viele europäische Länder auf dem Weg in die Rezession befinden, hat Spanien die Wirtschaftsverlangsamung hinter sich. Für 1991 wird mit keinem Rückgang des Wachstums mehr gerechnet. Durch drastische Zinssenkungen hat die Zentralbank in Madrid im März die Voraussetzungen für ein starkes Wachstum geschaffen. Bei den meisten Unternehmen hat die Hochzinsphase ohnehin keine negativen Spuren hinterlassen.

Die Bewertung des spanischen Aktienmarktes ist zurückgegangen und liegt bei einem KGV von 11. Deutsche Aktien werden mit 14 bewertet. Das spanische KGV spiegelt die möglichen Gewinnsteigerungen in den nächsten Jahren wieder. Mit Blick auf die Olympischen Spiele und notwendige Investitonen in Spanien sollten Titel aus dem Finanz- und Baubereich bevorzugt geordert werden. Gerade die "Matador-Aktien" Uralita, Dragados (Bauwerte) und Mapfre, Banco Popular (Finanzwerte) haben besonders niedrige Kurs/Gewinn/Verhältnisse mit einem beachtlichen Potential.OCKENDE

Unternehmen zahlen Nahverkehrs-Tickets Firmenausweis ersetzt Monatskarte Immer mehr Personalleiter bieten attraktive Alternativen zum Auto - Von Helga Friedel VDI-N, Düsseldorf, 10. 5. 91 -

Immer mehr Unternehmen zahlen ihren Mitarbeitern das Monats-Ticket der öffentlichen Verkehrsbetriebe. Und stellen damit ihr Umwelt-Bewußtsein unter Beweis.

O b in Hamburg, Düsseldorf, Schwäbisch Hall oder Berlin: Die Personalabteilungen von immer mehr Unternehmen erarbeiten in Zusammenarbeit mit den Personalvertretungen ein "Umsteige-Konzept" für die Arbeiter und Angestellten. "Weg vom Privatwagen bis hin zu Bus und Bahn" , heißt die Devise.

Eines der ersten Unternehmen hierzulande, das eine Vorreiterrolle übernahm, befindet sich in der nordrhein-westfälischen Landeshauptstadt. Mitte vorigen Jahres bot die Flughafen Düsseldorf GmbH (FDG) ihren 2000 Beschäftigten ein kostenloses Monatsticket der Rheinischen Bahngesellschaft an, die zum Verkehrsverbund Rhein Ruhr (VRR) gehört. Ziel ist, wie die beiden Geschäftsführer Dr.-Ing. Bernd Rietdorf und Hans-Joachim Peters betonen, "der Umweltbelastung entgegenzuwirken" , und den Individualverkehr auf öffentliche Verkehrsmittel zu verlagern.

Diese Aktion kam bei der Belegschaft gut an. Vorher waren nur 11,9% aller Beschäftigten ständig mit Bus oder S-Bahn zum Arbeitsplatz gekommen. Heute sind es dreimal so viele. Und sogar über 60 % lassen mindestens einmal pro Monat den Privatwagen in der Garage stehen.

So ganz uneigennützig ist das "grüne Engagement" der FDG natürlich nicht. Zwar zahlt sie pro Mann und Maus zwischen 22 und 44 DM - je nach Entfernung. Doch auf der anderen Seite spart sie damit teuren Parkplatz ein, den sie sonst für ihre Pkw-fahrenden Angestellten vorhalten müßte. Der Bau der A 44 hat außerdem einen Teil der öffentlichen Stellplätze aufgefressen, die auch von der Belegschaft genutzt wurden. Schön für die gut kalkulierende Geschäftsleitung, daß die freigewordenen Mitarbeiterparkplätze sich natürlich zum entsprechenden Preis an Dritte weitervermieten lassen.

Diese Idee, die sich auch in anderen Städten der Bundesrepublik durchsetzt, ist eine runde Sache, von der alle Seiten etwas haben. Die Firmenleitungen wie oben geschildert. Dazu kommt noch, daß jeder Boß froh ist, wenn seine Leute - anstatt vom Individualverkehr gestreßt - pünktlich und gut ausgeruht im Büro erscheinen. Das dürfte auch die Umsteiger motivieren. Schließlich sind die eingesparten Fahrkosten auch nicht zu verachten. Die in vielen Kommunen unterbesetzten öffentlichen Verkehrsmittel erhalten einen Fahrgastschub. Der sollte trotz der in diesem Fall üblichen Sonderrabatte das chronische Defizit vieler Betriebe verringern. Und nicht zuletzt profitiert die Umwelt von dieser Entwicklung.

In Frankfurt, Düsseldorf, Bochum und Dortmund sind die jeweiligen Stadtverwaltungen bzw. Stadtwerke die größten Betriebe, die ihren Bediensteten ein kostenloses bzw. subventioniertes Ticket offerieren. Doch neben den öffentlichen Arbeitgebern begeistern sich auch immer mehr Privatunternehmen für diese Idee.

"Wir sind expandiert, die Parkplätze wurden knapp. Da haben wir mit dem Betriebsrat überlegt, wie wir weiterkommen" , schildert Werner Schütt, Leiter der Personalverwaltung bei der Bausparkasse Schwäbisch Hall, die Anfangsphase. Nur knapp ein Fünftel der gut 3000 Beschäftigten kam damals mit Bus und Bahn. Nach intensiven Verhandlungen mit den Omnibusbetrieben fanden beide Seiten eine sehr elegante Lösung: Jeder Bedienstete kann mit dem Firmen-Lichtbildausweis kostenlos die Busse benutzen, auch an den Wochenenden. Dafür zahlt die Bausparkasse einen Pauschalbetrag von monatlich 80000 DM.

F reilich gibt es auf der anderen Seite auch Einsparungen, die dieses Engagement finanziell für das Unternehmen zumindest annehmbarer machen: Die Fahrkostenzuschüsse an die Autofahrer wurden radikal gestrichen - vielleicht mit ein Grund, warum heute doppelt so viele Leute öffentlich zur Firmenzentrale kommen. Weniger erfreut dürften darüber allerdings jene Mitarbeiter sein, die wegen schlechter Verkehrsanbindung dennoch mit dem Pkw kommen müssen.

In Berlin spendiert das Softwarehaus Condat GmbH seinen 75 Mitarbeitern die 65 DM teure Umweltkarte der Berliner Verkehrsbetriebe. In Hamburg bekommen die über 100 Beschäftigten der Spedition Eberh. Clemens GmbH einen Zuschuß von über 90%, wenn sie mit U-Bahn, Bus oder Straßenbahn kommen. Mit 75% bezuschußt der "Spiegel" seinen über 800 Angestellten das Monatsticket. Und wer den kostenlosen Firmenparkplatz freiwillig aufgibt, erhält in den ersten sechs Monaten sogar 100% zugeschossen.

Mit diesen Aktionen scheint sich ein Trend wiederumzukehren, der in den 50er und 60er Jahren einsetzte. Damals unterhielten viele Unternehmen ganze Busflotten, mit denen sie ihre Leute zum Arbeitsplatz karrten. Im Laufe der Zeit wurden sie durch den zunehmenden Individualverkehr verschrottet.

Und im Grunde hat der Staat nicht nur durch die Vernachlässigung der Bahn, sondern auch durch die Steuergesetzgebung sein Scherflein zur Forcierung der Umweltgefährdung durch den Pkw-Verkehr beigetragen. Bis heute gibt es keine einheitlichen Kilometer-Pauschalen für alle Angestellten, ob sie nun mit dem Auto, dem Bus, dem Fahrrad oder zu Fuß kommen. Die höchsten abziehbaren Werbungskosten entfallen weiterhin auf den Pkw. Ein Unding, das nach Ansicht vieler Umweltschützer, längst hätte geändert werden müssen.

Umdenken sollten auch viele Verkehrsbetriebe. Denn die meisten haben sich an die Defizite gewöhnt und resigniert. Kosten- oder Angebots-Management findet kaum statt. Beispielhaft ist das Engagement der Rheinischen Bahngesellschaft in Düsseldorf. Die hat bereits mehr als 20 Unternehmen für ihre Idee, das wirklich zukunftsweisende "Ticket 2000" , gewinnen können. Neben Stadtwerken und Flughafen GmbH auch einige Banken und Versicherungen.

Nicht untypisch für viele Verkehrsbetriebe und ihre Marketing-Abteilungen ist das Bespiel des Frankfurter Verkehrs- und Tarifverbunds (FVV). Zwar haben der Hessische Rundfunk für seine 2200 Mitarbeiter und die Stadt Frankfurt für ihre immerhin 26000 Bediensteten mit dem FVV einen solchen Deal gemacht. Doch die Verhandlungen mit vielen anderen Privatunternehmen treten auf der Stelle.

Auch im Ruhrgebiet, das schließlich wie Düsseldorf zum großen Verkehrsverbund Rhein Ruhr zählt, geht alles sehr schleppend vor sich. Allein in Dortmund gab es mehr als 80 Anfragen. Doch nur die Stadtwerke schlossen bisher ab. "Die 100-Prozent-Regel wollen die Unternehmen nicht akzeptieren" , heißt es dazu. Der Hintergrund: Den saftigen Preisnachlaß für jedes einzelne "Ticket 2000" von mehr als 50% gibt's halt nur, wenn ein Unternehmen für alle seine Beschäftigten diese Fahrkarte ordert.

Man mag auch konzedieren, daß in einzelnen Städten die Anbindungen des öffentlichen Personennahverkehrs so mies sind, daß selbst ein kostenloses Ticket nicht viele Leute zum Umsteigen bewegt. Denn wer nimmt schon viel längere Anfahrtszeiten wie der SPD-Abgeordnete Michael Müller in Kauf? Fährt er heute von seiner Düsseldorfer Wohnung zum Bundestag mit Straßenbahn und Zug, ist er zweieinhalb Stunden unterwegs, mit dem Wagen sind's 50 Minuten.

E s gibt jedoch auch die umgekehrte Situation: In (leider) viel zu wenigen Kommunen sind Bus und Bahn so attraktiv, daß der Betreiber es gar nicht nötig hat, solche Sonderangebote zu unterbreiten.

Dazu gehört die bayerische Landeshauptstadt, die auch Dank der olympischen Spiele 1972 über ein seit dem ständig weiter ausgebautes dichtes U- und S- Bahn-System verfügt. Die BMW, AG, so war kürzlich zu vernehmen, hat beim Münchner Verkehrs- und Tarifverbund GmbH (MVV) angefragt, ob für ihre Mitarbeiter nicht auch ein verbilligtes Ticket zu haben sei.

Die MVV-Verantwortlichen lehnten höflich dankend ab. Da bereits in Einzelfällen weit mehr als 50% der Belegschaft mit Bus und Bahn kommen, so rechnet das MVV-Management intern, lohnt sich ein kräftiger Preisnachlaß für alle Mitarbeiter a la VRR an Rhein und Ruhr gar nicht. Denn "unterm Strich" , so die Devise, darf bei keiner Aktion eben finanziell weniger herausspringen.

Die wenigen, die kamen, wollen auch wiederkommen Kontaktmesse an der FH Köln war ein Schlag ins Wasser Von Ulrich Schmitz VDI-N, Bonn, 10. 5. 91 -

D ie Idee der von Studentinnen und Studenten initiierten Kontakt-Messen hat sich in der deutschen Hochschullandschaft in den letzten Jahren durchsetzen können - ein Verdienst der Studierenden, die durch Eigeninitiative eine Form von Praxiskontakt etabliert haben, die an anderen europäischen Hochschulen in Form von Career days und Placement centres zum Angebot der Hochschulen selbst gehört.

Mit der FH Köln betrat jetzt ein Neuling die Szene. Doch der Ruf der "Hochschule der Region" verhallte ungehört. An den zwölf Messeständen im Foyer der FH herrschte zwar großes Gedränge, doch das Ergebnis war eher mager.

Von den 180 Unternehmen, die von der Studenteninitiative ConColonia eingeladen wurden, nahmen lediglich 12 an der Messe (Motto: Praxis statt Schock - Cocon 91) teil: das Arbeitsamt Köln, AT&T Network Systems Deutschland, Audi, Bayer und die Deutsche Bundesbahn, die DBP Telekom und INA Wälzlager Schaeffler KG, Porsche, Procter & Gamble, Standard Elektrik Lorenz, der TÜV Rheinland und die Volkswagen AG.

Für die Studenten hat sich ein Messebesuch dennoch gelohnt, resümiert Kassenwart Frank Seidel. Auch die Firmen wollen im nächsten Jahr wiederkommen. Trotz des regen Interesses waren aber einige Studenten unzufrieden: "Für einen Überblick waren das doch etwas zu wenig Firmen. Vor allem mittelständische Betriebe fehlten. Die großen kennt man ja" , kritisierte ein Teilnehmer.

Genau das monieren auch die Organisatoren. Vor allem, so greift Frank Seidel die Kritik des Studenten auf, weil von den 40 Unternehmen aus der Region Köln/Bonn sich keines sehen ließ. Und noch ein Kuriosum fällt ins Auge: Fanden die großen Automobilfirmen wie Audi, Porsche und VW den Weg an den Rhein, so suchte man die Kölner "Hausmarke" Ford vergebens.

S ind Hochschulkontaktmessen, die sich in Deutschland erst in den letzten Jahren als Kontaktforum zwischen Studenten und Unternehmen durchgesetzt haben und vor allem an den Technischen Hochschulen praktiziert werden, kein Thema mehr? Oder machen sich doch Ressentiments gegenüber dem Typus Fachhochschule seitens der Wirtschaft, zumindest der Kölner, bemerkbar?

"Gerade unsere Fachhochschule mit ihren mehr als 10 000 Studenten in den Fachrichtungen der Elektrotechnik und des Maschinenbaus ist ein ideales Feld der Begegnung zwischen angehenden Ingenieuren und Vertretern der Praxis" , beschreibt Rektor Joachim Metzner die Situation. Braucht Ford derzeit keine solchen Absolventen, oder landen ohnehin genügend in den Kölner Fabrikhallen? Viel zu kurzfristig sei der Termin angesetzt gewesen, hat das Unternehmen den Veranstaltern erklärt, außerdem unterhalte Ford bereits beste Kontakte zur Fachhochschule.

Der ursprünglich auf Anfang Dezember 1990 festgesetzte Messetermin mußte dann aufgrund von Terminverschiebungen auf den April 1991 verlegt werden. Der Grund: Überschneidungen mit den rund 100 Firmenkontaktmessen, die im Wintersemester an den deutschen Hochschulen stattgefunden haben.

Wie lange aber braucht ein Unternehmen, um einen Messestand aufzubauen? Für die mittelständischen Unternehmen der Region jedenfalls stellt sich nicht einmal diese Frage. Die Unternehmen können, so eine Analyse der Gründe für ihre Abwesenheit, in zwei Kategorien eingeteilt werden: Die erste Gruppe, so zeigte sich bei einer Nachfrage, ist als eher konservativ einzustufen. Ihr Motto lautet: Wenn ein Absolvent etwas von uns will, soll er zu uns kommen.

Die zweite Gruppe, so Seidel, führte ins Feld, sie habe bereits gute Kontakte etwa zu FH-Professoren. Auch Themen für Diplomarbeiten würden seit längerem an FH-Studenten vergeben, so daß eine enge Verzahnung zwischen Betrieb und Hochschule gegeben sei.

Vorurteile gegenüber den FH spielten keine Rolle

Bei den 140 überregional angeschriebenen Unternehmen war das Interesse, auf die Kölner Messe zu kommen, wohl vorhanden. Doch war auch eine gewisse Skepsis gegenüber neuen Messen nicht zu übersehen. Manche Unternehmen, so die Cocon-Organisatoren weiter, hätten auch schon mit anderen Fachhochschulen schlechte Erfahrungen gesammelt. Andere meinten schlichtweg, sie hätten derzeit ohnehin keinen Personalbedarf.

Waren dann vielleicht nicht auch Ressentiments gegenüber der immer beliebter werdenden Fachhochschule im Spiel? Keine Spur versichert Seidel, daran kann das mangelnde Interesse nicht gelegen haben. So sind denn die ConColonia-Leute sicher, daß nach der unerwartet hohen positiven Resonanz von Seiten der Studenten auch die mittelständischen Unternehmen beim nächsten Mal unter Zugzwang geraten und sich nicht mehr verweigern können.

Zwei von denen, die jetzt schon dabei waren, werden ganz sicher wiederkommen: die Deutsche Bundesbahn und DBP Telekom. Denn ein Blick auf die Anfangsgehälter, die hier bezahlt werden, läßt ein Problem drastisch zu Tage treten, das so manchen Absolventen eher davon abhält, sich mit den beiden Bundesunternehmen näher zu beschäftigen. Wo Procter & Gamble ein Anfangegehalt von 65 000 DM bis 70 000 DM im Jahr zahlt - übrigens ohne Unterscheidung zwischen FH- und Uni-Absolventen -, kann die Bundesbahn den FH-Absolventen am Beginn der Karriere lediglich "Anwärterbezüge" anbieten: rund 1800 DM monatlich.

Bei Porsche dagegen heißt es lapidar "branchenüblich" , wenn die Frage nach dem Anfangsgehalt gestellt wird. Dabei darf jeder frei asoziieren, was die Stuttgarter pro Jahr den an FH-Absolventen ausgeschütteten 65 000 DM bei VW in Wolfsburg noch hinzufügen mögen.

Telekom: Pilotprojekt für Nachwuchsführungskräfte angelaufen Aus dem Höheren Dienst wird das gehobene Management Für die Zukunft ist die Integration in ein Traineeprogramm geplant - Von Stefan Mosblech VDI-N, Köln, 10. 5. 91 -

Start zur 25tägigen Management-Schulung für Telekom-Nachwuchskräfte: An der Koblenzer WHU (Wissenschaftliche Hochschule für Unternehmensführung) begann Mitte April mit knapp 30 Absolventen der Probelauf für ein Ausbildungsprogramm in Betriebswirtschaft. Es dient zunächst der Fortbildung, soll künftig aber hauptsächlich als Baustein in ein Traineeprogramm von 120 Hochschulabsolventen pro Jahr integriert werden.

S ie sind noch nicht lange in Diensten, die "Versuchskaninchen" , die von der Deutschen Bundespost Telekom für die Management-Schulung bei der WHU Koblenz nominiert wurden. Vertreten sind Absolventen der unterschiedlichsten Fachrichtungen vom Elektrotechniker über den Hochbau-Ingenieur, vom Fernsprech-Techniker über Arbeitsorganisatoren bis zum Juristen reicht die Palette der Tätigkeiten.

Sie alle verbindet mehr als nur der gemeinsame Brötchengeber. Denn alle Absolventen der Management-Schulung tragen zumeist als Referatsleiter Verantwortung und verwalten beträchtliche Budgets. Und fast alle sagen selbst, daß sie bestenfalls ein basales Wissen von Betriebswirtschaft mitbringen. "Gerade mal soviel, wie im Wirtschaftsteil der Zeitung steht" , meint einer der Absolventen und fügt sogleich hinzu: "Dabei sind wir es, die das Geld ausgeben."

Keine glücklichen Voraussetzungen für die Telekom, will sie sich als Anbieter auf dem freien Markt gegen harte Konkurrenz behaupten. Das wissen auch die Verantwortlichen. "Wir sind ja erst auf dem Weg, ein Unternehmen zu werden" , übt sich Herbert Müller, bei der Telekom unter anderem verantwortlich für berufliche Bildung, in Geduld. "Bisher waren die Angestellten Beamte, Juristen und Architekten und so weiter" . Aus dem, was früher Höherer Dienst hieß, müsse nun ein gehobenes Management geformt werden. Der Bedarf auf dieser Ebene liegt bei rund 2500 qualifizierten Mitarbeitern.

Das bisherige Modell, Hochschulabsolventen im Referendariat auf die Tätigkeit vorzubereiten, greift nicht mehr. Ein Teilnehmer bestätigt: "In der Referendarzeit bei Telekom stand viel mehr die Technik im Vordergrund. Betriebswirtschaftliche Kenntnisse wurden mir so gut wie gar nicht vermittelt."

Die Telekom ist sich über die künftige Ausbildung allerdings noch nicht vollständig im klaren. Helmut Rötzel, Fachbereichsleiter für Managementausbildung: "Wir denken darüber nach, ob wir weiter im Referendariatsbereich ausbilden, ob wir im Mix aus Referendariat und Trainee oder ob wir nur im Trainee ausbilden." Die Entscheidung darüber werde bald fallen. In jedem Fall aber, betont Rötzel, werde zusammen mit der WHU ein Konzept erstellt. Man habe diese Hochschule, so Herbert Müller, ausgewählt, "weil sie die beste deutsche Hochschule für betriebswirtschaftliche Fragen ist und zudem ein überzeugendes Konzept vorgelegt hat" .

D ie WHU, eine der wenigen privaten Hochschulen in Deutschland, verfügt über acht Lehrstühle und bietet 200 Studenten eine Ausbildung auf anerkannt hohem Niveau. Im übrigen liegen die Kosten nach Berechnungen der Telekom nicht höher, als wenn die Bundespost eine eigene Akademie für Führungskräfte einrichten würde. Beziffert werden die Kosten mit 225 DM pro "Teilnehmertag" .

Das Schulungsprogramm ist in acht Blöcke aufgeteilt. Sie sollen separat voneinander unterrichtet werden. Im ersten, zweitägigen Block steht die Vermittlung der für die Telekom relevanten Inhalte der Betriebs- und Volkswirtschaftslehre auf dem Plan. In den darauffolgenden fünf Programmblöcken sollen die Teilnehmer im Intensivkurs von jeweils drei Tagen geschult werden, und zwar in Unternehmensführung und -planung, Organisation, Personalwesen, Marketing, Produktionsmanagement sowie in Finanzierung und Controlling.

D er siebte Ausbildungsbaustein besteht dann aus einem fünf Tage dauernden "Unternehmensplanspiel" , das an der WHU entwickelt wurde und sich dort in den letzten Jahren bewährt hat. Schließlich sollen im achten Schulungsblock anhand von Zusammenfassungen, Wiederholungen und Fallstudien die Lehrinhalte noch einmal im Gesamtzusammenhang vertieft werden.

Das alles klingt theorielastig und scheint zudem wenig auf die konkreten Bedürfnisse der Telekom zugeschnitten. Aber Professor Dr. Jürgen Weber, Rektor der WHU, garantiert den Praxisbezug: "Wir arbeiten in jedem Ausbildungsteil verstärkt mit Fallstudien, die den Problemen der Telekom unmittelbar entlehnt sind. Die Auswahl der Beispiele erfolgt in enger Absprache mit der Bundespost."

Sollte das Pilotprojekt gelingen, wird die Management-Schulung an der WHU in Zukunft integrativer Bestandteil der Trainees von Hochschulabsolventen, die bei der Telekom ins Berufsleben starten. Rund 120 Teilnehmer sollen jährlich die Ausbildung durchlaufen. Die einzelnen Schulungsblöcke starten dabei zeitversetzt in drei bis vier Zyklen pro Jahr. Damit ist gewährleistet, daß jeder Telekom-Neuling zu verschiedenen Zeitpunkten im Jahresverlauf ins Traineeprogramm und parallel dazu in die WHU-Schulung einsteigen kann.

Noch ist das Konzept ausschließlich auf Teilnehmer aus den alten Bundesländern zugeschnitten. "In den Ost-Ländern" , sagt Helmut Rötzel, "muß die Basis erst noch gelegt werden" . Mit anderen Worten: die Führungskräfte der Ex-DDR sollen erst einmal Erfahrungen mit der Marktwirtschaft sammeln.

Die Absolventen des Pilotprojekts

äußerten selbst große Erwartungen. Einhellig erhoffen sie sich fundiertes betriebswirtschaftliches Rüstzeug, um den ständig wachsenden Anforderungen im Job gerecht werden zu können. Ihr Fett bekamen auch die meisten staatlichen Hochschulen weg: Die dort angebotenen Ergänzungsseminare seien so dürftig, daß man sie getrost vergessen könne.

Und noch eines fiel bei der Eingangsveranstaltung auf: Beim Anblick des Teilnehmerfeldes beschlich den neutralen

Beobachter nämlich der Verdacht, die Fortbildung sei reine Männersache. Lediglich drei Frauen verloren sich im Raum. Doch Herbert Müller wiegelt ab: "Die

Telekom hat 35 % Frauen beschäftigt, im gehobenen Management sind es auch noch mehr als in anderen Unternehmen. In der Verwaltung liegt der Frauenanteil sogar bei über 50 %" . Nur seien die technischen Berufe, insbesondere die elektrotechnchen, bedauerlicherweise eben für Frauen wohl nicht so attraktiv.

Westdeutsche Manager gehen in den Osten Die Personaldecke schrumpft In der Ex-DDR werden Tausende von Führungskräften gebraucht VDI-N, Düsseldorf, 10.5.91, has

V erhaltener Optimismus kennzeichnet die Einschätzung der Arbeitsmarktlage in den fünf neuen Bundesländern: "Im Herbst wird die Talsohle überschritten sein" , prognostiziert Walter Bellwied, Personaldirektor der Berliner Treuhandanstalt. Peter Blonski, Geschäftsführer der Fernmeldetechnik GmbH in Nordhausen, ein Hersteller von Endgeräten für die Telekommunikation, rechnet damit, daß bereits im Sommer der Tiefpunkt beim Personalabbbau erreicht sein wird.

In der Region Nordhausen, einem strukturschwachen Gebiet am Südharz, könnte dann mit dem Auslaufen der Kündigungsfrist im Juli die Erwerbslosenquote, die jetzt schon bei 11% liegt, auf mehr als 30% hochschnellen.

Dennoch verteidigte Blonski auf einem Forum der PA Personalberatung Ende April in Düsseldorf das Konzept der Treuhand, Betriebe nicht um jeden Preis zu sanieren: Eine Abspaltung von überlebensfähigen Unternehmensteilen, bekräftigt der in Polen ausgebildete Ingenieur, sichert Arbeitsplätze, die sonst verloren gingen. In Nordhausen steht Blonski, der bereits vor der Wende zur Unternehmensleitung gehört hat, nun vor der Aufgabe, die Produkte zu erneuern, das Unternehmen zu entflechten und zu privatisieren.

Unterstützt wird Blonski dabei von einem kaufmännischen Geschäftsführer aus dem Westen, mit dem er gute Erfahrungen gemacht hat. Dennoch ist der Ost-Manager skeptisch: Wie viele seiner Kollegen befürchtet auch er, daß jetzt die zweite Garnitur westdeutscher Führungskräfte gen Osten aufbricht, um dort an ihrer Karriere zu basteln. Falsch wäre es nach Auffassung von Blonski auch, Nachwuchskräfte mit finanziellen Versprechnungen in die neuen Bundesländer zu locken. Blonski: "Wir brauchen erfahrene Leute" .

Der wirtschaftliche Aufschwung in der Ex-DDR ist allein mit den Führungskräften des sozialistischen Staates nicht zu bewältigen - darüber waren sich die Experten auf dem PA-Forum einig. Die ehemaligen Kader haben nicht nur Probleme mit dem neuen marktwirtschaftlichen Denken, auch fachliche Defizite, z. B. im Marketing oder im Vertrieb, machen den Einsatz von westlichen Spezialisten notwendig.

Vor allem ältere Führungskräfte, die im Westen am Ende ihrer Karriere stehen, suchen im Osten Deutschlands noch einmal eine Herausforderung. Aber auch "hochkarätige Manager" (Bellwied) und Nachwuchskräfte Anfang 30, die noch mobil sind, wollen mit einem Einsatz in der Ex- DDR ihre Karrierechancen verbessern.

Und die Aussichten, in den kommenden Jahren in einem der ehemaligen Kombinate eine Spitzenposition einzunehmen, stehen für die "Westimporte" nicht schlecht. Walter Bellwied macht eine fiktive Rechnung auf: wenn von den rund 8000 Betrieben, die der Treuhand unterstehen, rund 4000 übrig blieben, und in diesen Unternehmen vier bis fünf Top-Kräfte benötigt werden, ergibt sich für die 90er Jahre ein Bedarf von 16 000 bis 20 000 Managern. Eine Zahl, die bei so manchen westdeutschen Personalverantwortlichen Horrorvisionen auslösen dürfte. Rund 70 Manager hat z. B. die Westdeutsche Landesbank in den Osten ausgeliehen. Und schon jetzt, wird, so Prokurist Winfried Empelmann, "die Luft dünner" , die Personaldecke schrumpft.

Nach mehrjährigem Tauziehen erhält das Hahn-Meitner-Institut in Berlin die Genehmigung zur Inbetriebnahme Umstrittener Forschungsreaktor geht in Betrieb Mit wissenschaftlichen Experimenten sollen die Strukturen komplizierter Moleküle untersucht werden - Von Richard Sietmann VDI-N, Berlin, 10. 5. 91 -

Der Streit zwischen der SPD/AL- geführten Stadtregierung und dem Bundesforschungsminister um den für 170 Mio. DM umgebauten Forschungsreaktor am Hahn-Meitner-Institut (HMI) war ein Politikum und so weit eskaliert, daß das BMFT mit der Kündigung des Gesellschaftsvertrages zum Ende des vergangenen Jahres gedroht hatte. Mit dem neuen Senat wurde diese einzige Großforschungseinrichtung in Berlin jetzt doch gerettet.

D ie Forschung am HMI konzentriert sich gegenwärtig auf zwei Schwerpunkte, die photochemische Umwandlung von Sonnenenergie und die Strukturforschung. Letzterer soll der umgebaute Reaktor BER II dienen. Er ist, wie die meisten Forschungsreaktoren, ein sogenannter Schwimmbadreaktor, das heißt, der Kern des Reaktors hängt wie ein Tauchsieder in einem offenen Wasserbecken. Das Wasser dient dabei als Moderator, als Kühlmittel und als Strahlenabschirmung zugleich - dabei ist die Abschirmwirkung so vollständig, daß für das Bedienungspersonal keine Zeit- und Aufenthaltsbeschränkung notwendig ist.

Die in dem Reaktor erzeugten Neutronen stellen eine Sonde für das Innere der Materie dar. Weil ungeladen, unterliegen sie keinen elektrischen Abstoßungskräften, sondern wechselwirken auf differenziertere Weise mit Materie. Das ermöglicht es, in Streuexperimenten den Aufbau sehr komplizierter Atomgebilde zu bestimmen, wie zum Beispiel der Fadenmoleküle von Kunststoffen, der Makromoleküle biologischer Substanzen, oder der Fehlstellen in Festkörperkristallen. Darüber hinaus ist die Neutronenaktivierung - die energetische Anregung der bestrahlten Atome, die dann charakteristische Strahlung aussenden, anhand derer sie identifiziert werden können - aufgrund der hohen Empfindlichkeit für die Spurenanalytik von Bedeutung.

Die ehemalige Umweltsenatorin Michaele Schreyer hatte die Ablehnung der Betriebsgenehmigung vor allem damit begründet, daß eine gesicherte Entsorgung der Brennstäbe aus dem Reaktor nicht nachgewiesen worden sei. Damit war die Genehmigungsbehörde gegenüber der ersten Teilgenehmigung zurückgefallen und hatte einen anderen Maßstab angelegt als den bis dahin geltenden Konsens, daß Forschungsreaktoren hinsichtlich der Entsorgung analog wie Kernkraftwerke behandelt werden sollten: Danach reicht es - solange es noch kein Endlager gibt - für den Nachweis der gesicherten Entsorgung aus, daß die Kraftwerksbetreiber Zwischenlager ausreichender Kapazität jeweils für die nächsten sechs Betriebsjahre vorweisen können.

Das HMI konnte einen bilateralen Vertrag vorlegen, wonach die abgebrannten Brennelemente im schottischen Dounreay zunächst vier Jahre zwischengelagert werden. Dann muß das HMI entscheiden, ob es sie in die USA transportiert, von wo es sie auch bezieht, oder aber in Schottland wiederaufarbeiten läßt, wobei in diesem Fall die Reststoffe nach weiteren 25 Jahren zurückgenommen und in der Bundesrepublik endgelagert werden müßten.

Zwei Gutachter kamen zu der Überzeugung, daß der ablehnende Bescheid fehlerhaft gewesen sei. Vom HMI sei die ordnungsgemäße Entsorgung nachgewiesen worden, befanden sie übereinstimmend. Denn das Atomgesetz verlange nicht schon heute eine realisierbare Entsorgung durch Wiederaufarbeitung oder Endlagerung, sondern lediglich die Lösbarkeit der Entsorgungsproblematik in der Zukunft.

Gegen die vom neuen Senat - einer Großen Koalition aus CDU und SPD - jetzt erteilte Betriebsgenehmigung ist erneut von einem Anlieger des HMI Klage erhoben worden. Sie wendet sich unter anderem gegen eine spezielle Experimentiereinrichtung, die sogenannte "schnelle Rohrpost" . Dabei handelt es sich um eine Rohrleitung in den Reaktorkern, über die mittels Druckluft biologische Proben innerhalb weniger Sekunden in den Kern hinein und wieder heraus befördert werden, was die Messung äußerst kurzlebiger Nuklide gestattet. Der Kläger bemängelt, daß für diese Anlage kein eigenes Genehmigungsverfahren unter Beteiligung der Öffentlichkeit durchgeführt wurde.

D erselbe Einwand wird gegen den Aufbau der beiden Kernkonfigurationen des BER II vorgebracht. Mit dem Kompakt-Kern, bei dem 16 Reflektorelemente aus Beryllium die Neutronenintensität gegenüber dem Standard-Kern erhöhen, wird eine höhere Bestrahlungsdichte erreicht, allerdings um den Preis eines höheren Uraneinsatzes. Die Umwindung vom Standard- zum Kompaktkern, so der Kläger, dürfe nicht allein von der Genehmigungsbehörde vorgenommen werden, sondern bedürfe der Öffentlichkeitsbeteiligung.

Ein weiterer Punkt bezieht sich auf die Fernüberwachung des Reaktors, mit der die Aufsichtsbehörde unabhängig vom Betreiber direkten Zugriff auf die Betriebsdaten erhält. Bemängelt wird, daß die Betriebsgenehmigung erteilt wurde, ohne daß die Überwachungsanlage bereits fertiggestellt war. Da sie jedoch im Bau ist, wird sich nach Meinung des HMI dieser Klagepunkt wohl durch Zeitablauf erledigen.

E rnster zu nehmen ist dagegen wohl der Einwand, daß die seit der deutschen Einheit erhöhte Belastung des Luftraums über Berlin die Möglichkeit eines Flugzeugabsturzes auf das Gebäude erhöhe. In einem früheren Verfahren war dieses Risiko als äußerst gering und zumutbar bewertet worden; jedoch hatten weder die Richter noch die Aufsichtsbehörde festgelegt, von welcher Eintrittswahrscheinlichkeit ab die Eingriffsschwelle liege, jenseits der ein Containment für den Reaktor gebaut werden müßte - ein Rechtsfehler, wie jetzt beklagt wird.

Die Klage hat zwar keine aufschiebende Wirkung, so daß die Inbetriebnahme jetzt erfolgt und im Herbst mit der eigentlichen wissenschaftlichen Arbeit begonnen werden kann; sie richtet sich jedoch gegen den angeordneten Sofortvollzug. Zu den Erfolgsaussichten des Klägers mochte HMI- Sprecher Thomas Robertson auf Anfrage keine Einschätzung abgeben. "Das ist oft nicht vorherzusehen" , meinte er, "alle Überraschungen mit Entscheidungen, die in Atomprozessen getroffen wurden, waren eher juristische als technische."

WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG

Mysteriöse Asteroiden: Als einen "bizarren Neuzugang im astronomischen Zoo" bezeichnen Wissenschaftler einen jüngst entdeckten Asteroiden. Der Himmelskörper, ein Gesteinsbrocken von 5 km Durchmesser, trägt den Namen 1991 DA. Besonders auffällig an ihm ist seine stark elliptische, eher an die eines Kometen erinnernde Umlaufbahn um die Sonne. Sie führt den Planetoiden von der Nähe des Mars bis über den Uranus hinaus, zweimal weiter als jeden anderen bekannten Asteroiden.

Wie die in London erscheinende Zeitschrift "New Scientist" (No. 1763, S. 13) schreibt, gibt es Anzeichen dafür, daß der mysteriöse Asteroid die jetzige Umlaufbahn erst vor einer astronomisch kurzen Zeit von 10000 bis 100000 Jahren eingenommen hat. Ob die momentan akzeptierten Theorien über die Entstehung des Sonnensystems auch so ein ungewöhnliches Objekt wie 1991 DA beschreiben können, ist noch offen.

Ungewöhnliche Diagnose: An bestimmten Zahnschmelzdefekten könne ein Zahnarzt erkennen, ob sein Patient neben Karies auch an der Zöliakie, einer seltenen Darmerkrankung, leidet. Dies behaupten Wissenschaftler aus Finnland jetzt in der britischen Fachzeitschrift "The Lancet" (vol 337, S. 763-764). Die typischen Zahnschmelzdefekte fanden M. Mäki und Mitarbeiter der Finnischen Akademie in der Stadt Tampere bei 25 Verwandten ersten Grades von 56 Zöliakie-Kranken. Diese hatten zugestimmt, sich einer nicht gerade angenehmen endoskopischen Untersuchung zu unterziehen, bei der eine Gewebeprobe aus dem Dünndarm entnommen wird. Immerhin in sieben Fällen wurden die typischen Veränderungen der Zöliakie gefunden. Die normalerweise zottenreiche Dünndarmschleimhaut war bei ihnen abgeflacht. Die Ursache der Schmelzdefekte ist unklar. Sprue und Schmelzdefekte sind aber gehäuft bei Menschen mit den gleichen Gewebeverträglichkeitsmerkmalen, was auf eine Autoimmunerkrankung hinweisen könnte, vermuten Experten. Das Immunsystem attackiert dabei "aus Versehen" Teile des eigenen Körpers.

Weltweite Bedrohung: Experten schätzen die Zahl der Malaria-Neuerkrankungen weltweit auf 200 bis 500 Mio. pro Jahr. Allein in Afrika sterben jährlich mindestens eine Million Kinder an den Folgen der Infektion. Malaria kommt in ungefähr 100 Staaten vor. Da Reisen in tropische Länder Afrikas, Amerikas und Asiens immer beliebter werden, tritt die Krankheit auch bei uns immer häufiger auf. Immer mehr Malariaerreger werden gegen bisher verwendete vorbeugende Medikamente unempfindlich. Chloroquin, lange Zeit eingesetzt, ist jetzt in fast allen Malariagebieten wirkungslos. Experten setzen ihre Hoffnungen jetzt in die Entwicklung einer Malaria-Vakzine. "Vielleicht können wir noch in diesem Jahr mit der Erprobung eines Impfstoffs an gesunden Personen beginnen" , berichtet Dr. Wolfgang Faust, Referent für Öffentlichkeitsarbeit der Behringwerke AG (Marburg). Im Tierversuch sei bereits ein vollständiger Schutz nachgewiesen worden. Bisher auf der Welt entwickelte erste Impfstoffe waren in Infektionsversuchen allerdings wenig wirksam.

Geschlechtsleben: Der australische Kurzschnabel- oder Ameisenigel ist ein geheimnisvolles Lebewesen. Selbst Einheimische bekommen den Einzelgänger selten zu Gesicht. Über sein Verhalten ist daher wenig, über das Geschlechtsleben gar nichts bekannt. Eine Gruppe australischer Wissenschaftler hat nun auf der Känguruh-Insel vor Adelaide über längere Zeit unter anderem Werbung und Paarung beobachtet. Während der Paarungszeit spüren die Männchen ein Weibchen auf und hängen sich hartnäckig an seine Fersen. Ist das Weibchen nicht empfängnisbereit, rollt es sich zu einem festen Ball zusammen und präsentiert nur seinen stacheligen Rücken. Paarungsbereite Weibchen strecken sich hingegen entspannt, die Stacheln angelegt, flach auf den Boden. Die Freier umkreisen es im Gänsemarsch und scharren immer wieder Erde weg. Es entsteht ein regelrechter Laufgraben mit Wall um das Weibchen. Schließlich versuchen sich die Männchen Kopf an Kopf aus diesem Ring zu drängen. Der Sieger gräbt, stupst weiter und versucht, das Hinterteil des Weibchens mit der Pfote anzuheben. Die Begattung vollzieht sich nach Stunden Seite an Seite oder in antiparalleler Stellung, so daß die Köpfe der Tiere voneinander wegweisen. Stets sind dabei die Schwänze ineinander verhakt, wobei das Männchen so weit auf der Seite liegt, das es ohne die ausgegrabene Vertiefung fast auf den Rücken rollen würde. Nach drei bis vier Wochen legt das Weibchen ein rund 13 Millimeter dickes Ei, das es in der Bruttasche ausbrütet. Nach zehn Tagen schlupft das Junge. Es krallt sich an den Haaren fest und nuckelt seine Milch aus den zitzenlosen Milchfeldern. Nach rund 50 Tagen ist es zu stachelig und zu groß für den Beutel geworden und bleibt nun in einer Art unterirdischer Kinderstube. Im Alter von sieben bis acht Monaten wird es schließlich entwöhnt und muß selbst seine Nahrung suchen: Termiten, Larven und fette Ameisenköniginnen.

Fraunhofer: Die Fraunhofer-Gesellschaft (FhG), München, wird in den neuen Bundesländern 19 neue Fraunhofer-Einrichtungen mit 950 Mitarbeitern betreiben. Diesem Vorschlag des FhG- Vorstandes stimmte der Senat Ende April in München zu.

Vorgesehen sind acht eigenständige Fraunhofer-Einrichtungen und ein Institutsteil des Duisburger Fraunhofer-Instituts für Mikroelektronische Schaltungen und Systeme. Dazu kommen noch zehn Außenstellen von bereits bestehenden Fraunhofer-Instituten mit 250 Mitarbeitern. Die für diese Aktivitäten erforderliche und gemeinsam vom Bund und den neuen Ländern im Verhältnis 90:10 zu tragenden Zuwendungen belaufen sich bis 1994 auf 500 Mio. DM. Ziel der Fraunhofer-Gesellschaft ist es auch, über diese Aktivitäten hinaus, die Zusammenarbeit mit den örtlichen Hochschulen zu intensivieren.

Die Technik soll endlich wieder den Menschen dienen Der Chef des TÜV-Rheinland fordert Umdenken Von Burkhard Böndel

Der Mensch ein Risiko? Das Schlagwort vom "menschlichen Versagen" im Zusammenhang mit den technischen Unfällen identifiziert noch immer die eigentlichen Opfer als vermeintliche Täter. Dabei gilt nach wie vor: Eine Technik kann nur so gut sein, wie sie sich beherrschen läßt. Allmählich setzt sich diese Einsicht auch unter Ingenieuren durch. Sie wollen nun die Erkenntnisse der Psychologen nutzen.

VDI-N, Düsseldorf, 10. 5. 91 -

A ufgeschreckt durch tagtägliche "Schadensereignisse" fahndet Prof. Dr.-Ing. Albert Kuhlmann nach den Ursachen. Für den Vorsitzenden der Geschäftsführung des TÜV Rheinland, Köln, steht fest: "Wir stellen nach wie vor als überragenden ,Schadensursachen-Faktor` menschliches Fehlverhalten fest. Im Prinzip wird das auch immer so bleiben, weil der Mensch auch im Umgang mit der Technik sehr komplex handelt, mit großer Streubreite zum Positiven wie zum Negativen. Zum Handeln aufgerufen sind wir jedoch hinsichtlich des Übergewichts dieser Position mit 70% bis über 90% aller Unfallursachen."

Schuld an dieser Situation ist jedoch auch der Ingenieur, der diese Technik konzipiert hat, ohne Rücksicht auf die menschliche Komponente im Beziehungsgeflecht von Mensch und Maschine zunehmen. Deshalb fordert Kuhlmann, von der "Bediener" -Mentalität im Umgang mit Technik endlich Abschied zu nehmen: "Der Mensch ist in seinen Eigenschaften und Fähigkeiten trotz Training und Schulung nicht stark veränderbar." Deswegen müsse sich die Ausgestaltung der Technik dieser Prämisse unterordnen: "Sie kann sich den menschlichen Fähigkeiten anpassen und ihn zum Beispiel dort unterstützen, wo seine Anlagen nicht besonders überzeugend ausgeprägt sind."

Kuhlmanns Forderung nach einem optimalen Zusammenspiel von Mensch und Technik, wobei nun letztere die Anpassungsleistung vollziehen soll, ist angesichts komplexer Technologien mehr denn je gerechtfertigt. Während diese Haltung in Ingenieurskreisen zum Teil noch auf taube Ohren stößt, rennt Kuhlmann beim Arbeitspsychologen Dr. Ulrich Winterfeld, Vorstandsmitglied der Sektion "Arbeits-, Betriebs- und Organisationspsychologie" des "Berufsverbandes Deutscher Psychologen" (BDP), offene Türen ein.

Die ersten Lektionen in Sachen angepaßter Technikgestaltung oder -organisation, die Arbeitspsychologen Konstrukteuren an die Hand geben können, sind, so Winterfeld, denkbar einfach und werden trotzdem oftmals außer Acht gelassen. In der Auswahl seiner Wege etwa neige der Mensch zu den jeweils kürzesten. Trampelpfade neben ausgebauten Bürgersteigen und die Mißachtung von Ampelanlagen, die einen kleinen Umweg erforderten, belegen diese These. Gleiches gilt auch in Fabriken. So kennt Winterfeld genug Beispiele für die Gefahren einer "unmenschlichen" Aufteilung in den Produktionsstätten, die zwar für Maschinen optimal ist, die Angestellten aber zu langen Wegen nötigt. Oftmals geschähen dadurch, so der Psychologe, verhängnisvolle Unfälle, weil etwa Transportbänder überstiegen werden, um schneller zur Kantine zu kommen.

Doch woher sollen Ingenieure diese einfachen Regeln kennen, wenn in ihrer Ausbildung nicht einmal ein Hinweis auf solche Wissensbestände existiert? Deshalb konstatiert Kuhlmann: "Unser Hauptproblem ist darin zu sehen, daß der gestaltende Ingenieur zwar für den Menschen baut, von ihm, seinem Wesen und seinen Fähigkeiten im Umgang mit der Technik aber nur wenig weiß." Weil das zum Teil nur ein Vermittlungsproblem sei, verlangt der TÜV-Geschäftsführer nach einer Erweiterung der Ausbildung. Die in anderen Fachbereichen bereits jetzt vorliegenden Kenntnisse sollen in ingenieurwissenschaftliche Studiengänge integriert werden - eine Forderung, die Winterfeld nachdrücklich unterstützt.

Doch es bleibt die Frage: Wären damit die Probleme der bislang mißglückten Ehe zwischen Mensch und Technik gelöst, die "Beziehungskiste" aufgeräumt? Keineswegs, so die Psychologen. Winterfeld mahnt gar eine grundlegendere Revision an, eine Neubewertung des menschlichen Fehlverhaltens. Denn: Die Risikofreude ist lebenswichtig.

W interfelds Begründung ist durchaus schlüssig. Wäre der Mensch in der Entwicklung seiner technischen Fähigkeiten nicht bislang Risiken eingegangen und hätte er folgerichtig nicht die Fehler gemacht, die ihm heute zum Verhängnis werden können - er wäre niemals soweit gekommen. Das ist die Ironie der ganzen Geschichte. Was früher als zwingendes "Muß" die Technik vorantrieb, das Freifeld-Experiment mit unsicherem Ausgang, wird heute als "Restrisiko" aus der Wirklichkeit ausgeblendet. Insofern ist etwa der vielzitierte Hinweis der Automobilindustrie, um wieviel sicherer die Fahrzeuge im Gegensatz zu früher geworden sind, gerade weil aus den Millionen von Unfällen gelernt werden konnte, zutreffend. Aber er offenbart zugleich das ganze Dilemma isolierten technischen Fortschritts: Der Mensch ist tot, es lebe das Auto.

Die Risikobereitschaft als irrational zu verkennen, technische Risiken durch die Eliminierung des Störfaktors "Mensch" durch Vollautomatisierung aus dem Prozeß ausschließen zu wollen, ist, das legen die Erkenntnisse der Humanwissenschaften nahe, die falsche Konsequenz. Sie wird sich am Ende immer rächen. Auch deshalb plädiert Winterfeld für eine positive Beurteilung der menschlichen Lust am Risiko. Sie sei die Grundbedingung des Lernens überhaupt: "Dadurch, daß wir Risiken eingehen, tasten wir uns permanent an unsere Grenzen heran" . Unter diesem Blickwinkel befürwortet Winterfeld dann auch, von dem Begriff "menschlichen Versagens" , auf den Kuhlmann nicht verzichten mag, ganz abzusehen. Er lenke von den eigentlichen - nicht immer nur mit einer Risikobereitschaft zusammenhängenden - Ursachen nur ab.

Die Psychologie hat inzwischen eine gewisse Risikokonstanz des Menschen zutage gefördert, ein Bedürfnis, das sich nicht durch Sicherheitsvorkehrungen befriedigen ließe, berichtet Winterfeld. Wird es den Menschen in ihrer Arbeitswelt versagt, auf sinnvolle Art und Weise Risikoerfahrungen zu machen, verlagere sich das Bedürfnis in andere Bereiche. Entweder schaffen sich die Menschen am Arbeitsplatz durch "irrationale" Handlungen das Gefühl, Risiken einzugehen, indem sie z.B. vollautomatisierte Anlagen vorsätzlich manipulieren, um dann eingreifen und sich als "Retter" behaupten zu können. Oder der Erlebniswunsch wird in der Freizeit ausgetobt, bei 250 Sachen auf der Autobahn, auf dem Surfbrett bei Windstärke 8 oder bei einer Urwaldrally in Malboro- Country.

Doch nicht nur bezüglich des Begriffs "menschlichen Versagens" scheint ein Umdenken bisheriger Praxis angebracht. In einer Zeit, in der aufgrund ihrer katastrophalen Konsequenzen technischer Risiken auf diejenigen zurückfallen, die sie in die Welt gesetzt haben, also die Ingenieure, ist die Akzeptanzfrage ganz offensichtlich zu einem Politikum geworden.

S o gesehen dürfte es nur eine Seite der Medaille sein, wenn Kuhlmann die Problematik von Technikakzeptanz mit dem besseren Verständnis zwischen Technikern und Laien, zwischen Ingenieuren und der übrigen "Gesellschaft" zu lösen gedenkt, indem sich die Ingenieure stärker als bisher humanwissenschaftlicher Erkenntnisse aneignen. Diese Hoffnung dürfte auf Sand gebaut sein, wenn nicht die entscheidende Frage nach dem Sinn und der Entwicklungsrichtung moderner Technologien ebenfalls in den Mittelpunkt rückt. Und dazu wiederum ist ein Dialog zwischen Technikgestaltern und der Gesellschaft nötig.

Ethik in der Wissenschaft Die Suche nach klaren Kriterien DGB lud zur Diskussion - Von Helene Conrady VDI-N, Düsseldorf, 10. 5. 91 -

Verantwortung im Beruf ist eine hehre Forderung. Wie sie sich umsetzen läßt, darüber diskutierten Ingenieure und Naturwissenschaftler vergangene Woche.

D ie Diskussion um die Ethik darf nicht den Managern überlassen werden, meint der DGB. Auch die Arbeitnehmer - und zwar vor allem die in den naturwissenschaftlichen und technischen Berufen - müssen sich an ihr beteiligen. Deshalb lud er vergangene Woche zu einer Konferenz nach Düsseldorf. "Verantwortung für Wohlstand, Apokalypse oder?" war das Leitthema, unter dem 500 Frauen und Männer über die Ethik in Technik und Naturwissenschaft diskutierten.

Die Gewerkschaften müssen die Rolle des "moralischen Sachwalters" übernehmen, verlangte Jochen Richert vom DGB-Vorstand. Deshalb fordert er Ethik-Komitees in den Betrieben, eine Verankerung des Prinzips Verantwortung in den Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen und schließlich Ethik-Kodizes für Naturwissenschaftler und Ingenieure - vergleichbar den Berufsordnungen für Ärzte. In ihnen würden die Bedingungen, Ziele und Grenzen der Arbeit unter moralischen Aspekten definiert.

Solche Vereinbarungen können, so Richert, einen "Schutz der Arbeitnehmer bieten" - nämlich dann, wenn sie aus Gewissensgründen ihre Arbeit verweigern. Droht der Arbeitgeber daraufhin mit einer Kündigung, können die Angestellten sich auf den Kodex berufen. Und im Zweifelsfall dadurch vor Gericht Recht behalten.

Noch allerdings liegen konkrete Vorschläge für die Ethik-Vereinbarungen in weiter Ferne. Denn noch steckt die Diskussion um die Verantwortung der Wissenschaftler im Alltag in den Anfängen. Und dort blieb sie auch auf der Düsseldorfer Konferenz. Die Diskussion um die Gentechnik war ein deutliches Beispiel.

Klar und freimütig stellte Beatrix Tappeser vom Freiburger Öko-Institut zunächst ihre grundsätzlichen Bedenken hinsichtlich der Gefahren dieser neuen Technik dar. Sie formulierte erste Kriterien zur Verantwortbarkeit. Die genaue Risikoabwägung muß den Erhalt der Natur sicherstellen. Bei unerwünschten Ergebnissen müsse die Reversibilität des Projektes gewährleistet sein. Und schließlich müßten gesundheitliche Unbedenklichkeit und Sozialverträglichkeit außer Frage stehen.

Wie schwierig derartige Forderungen in die Praxis umsetzbar sind, bewiesen die Reaktionen der anderen Experten auf dem Podium. Während der SPD-Politiker Wolf Michael Catenhusen präzise Richtliniegrundsätzlich in Frage stellte, indem er auf die Ungewißheit der Gentechnik insgesamt hinwies, forderte Sabine Grone-Weber von der IG-Chemie eine weitere Differenzierung der Tappeserschen Vorschläge. Und der Darmstädter Professor Gassen schließlich plädierte grundsätzlich für den Einsatz der Gentechnik in der Medizin. Wie kann da ein Konsens aussehen - ohne zum billigen Kompromiß zu werden?

Spezialtiefbauer wittern Aufträge Profitable Sisyphusarbeit unter der Erde - Von H. Riedel

Für Ersatz und Neubaubedarf der Kanalisation dürften in den nächsten zehn Jahren Beträge in Milliardenhöhe ausgegeben werden müssen. Entsprechend richten sich bereits viele Unternehmen technisch und wirtschaftlich auf diese Aufgaben des Spezialtiefbaus ein.

VDI-N, Düsseldorf, 10.5.91 -

A ls 1988 in Aachen ein mittelschwerer Lkw in eine Straßendecke einbrach, weil unter seiner Last die brüchige Kanalleitung nachgegeben hatte, wurde das glimpflich verlaufende Unglück zum Auftakt für eine bemerkenswerte Öffentlichkeitsarbeit, und zwar für jene Vereinigungen von Bauunternehmen, die sich - zusammen mit einigen wenigen Kommunalpolitikern - für die Sanierung und teilweise Erneuerung des öffentlichen Kanalnetzes einsetzten.

Das spektakuläre Bild fand reißenden Absatz in der Tagespresse und half auf diese Art und Weise, Druck auf die verantwortlichen Politiker zu machen: Nicht nur Wohnungsbau und Althaus-Sanierung, sondern auch die bislang ja so bequem unter der Erdoberfläche verborgenen Schäden am Kanalnetz mußten repariert werden. Und das nicht nur wegen des peniblen preußischen Ordnungsinns, sondern um die weitere Verseuchung des Bodens durch hochschadstoff-haltige Abwässer vorzubeugen und damit gleichzeitig, wenn auch indirekt die Trinkwasserqualität zu erhalten und wieder zu verbessern.

Im Rahmen einer Studie von 1989 (mit Basis-Daten von 1988) über den gesamten Baubedarf in der alten Bundesrepublik ermittelte das Ifo-Institut für die Zeit bis zum Jahr 2000 ein Sanierungsvolumen im Kanal- und Leitungsnetz von rund 165 000 km der insgesamt rund 600 000 km - das entsprach einem Reparaturvolumen von 100 Mrd. DM (zu Preisen von 1980). Heute rechnet man bereits mit einem Sanierungsaufwand von 17 Mrd. DM jährlich bis zum Jahre 2000 für die gut 60 Mio. West-Bürger. Im neuen Osten waren bis 1988 lediglich 58 % der Wohnbevölkerung in die zentrale Kanalisation mit Kläranlagen angeschlossen (im Westen: 89 %).

In den neuen Bundesländern müssen 6 200 Hauptsammler neugebaut, 5 000 km Kanäle saniert werden. In den Einzugsgebieten von Elbe, Oder und Neisse gilt es neben den Kanälen rund 90 kommunale und industrielle Kläranlagen zu sanieren oder neu zu bauen. Ein lokales Beispiel: Im Regierungsbezirk Köln leben 4 Mio. Einwohner, das sind rund 530 Bürger je m2. In einer jetzt vorgelegten Studie des betriebswirtschaftlichen Instituts der westdeutschen Bauindustrie GmbH zum Baubedarf dieser Region (Basis-Daten von 1990) wurde festgestellt, daß rund 15 % des öffentlichen Kanalnetzes von 14 100 km dringend sanierungsbedürftig sind. Für die Sanierung und die Anpassung an die in den letzten Jahren stark gestiegenen Abwassermengen seien 5 Mrd. DM, rund 1 250 DM je Bürger im Regierungsbezirk Köln notwendig.

Dabei ist der Finanzierungsbedarf - je Kopf der Bevölkerungen umgerechnet - im Osten mit 7 500 DM ungleich höher als für die westlichen Bundesländer (3 333 DM). Für die rund 76 Mio. Bürger im wiedervereinigten Deutschland wird die Investitionssumme im Kanal- und Leitungsbau bis zum Jahr 2000 jetzt auf rund 320 Mrd. DM geschätzt - nur um die Netze ökologisch und kapazitativ anzupassen. Das sind zwar nur theoretische Zahlenspielereien - aber sie beschreiben die Größenordnungen und lassen erkennen, warum sich inzwischen viele der Verantwortlichen in Parlament, Verwaltung und Wirtschaft die Frage stellen, wie diese Investitionsaufgaben überhaupt bewältigt werden können. Denn der Finanzierungsspielraum der Kommunen wird immer enger.

Der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie hatte das oben zitierte Ifo-Gutachten in Auftrag gegeben, "weil sich die Politik selbst offenbar keine Klarheit verschaffen wollte" - so Verbandsdirektor Dr. Friedrich Hassbach, Düsseldorf. Die Bauwirtschaft befürchtet, daß die gemeindlichen "Verteilungskämpfe" um die immer knapperen Finanzmittel sich verschärfen und daß das Gebührenaufkommen für die Abwasserbeseitigung nicht zweckgebunden für Sanierung und Weiterungsbauten verwendet, sondern nur zum Stopfen von Finanzierungslücken dienen wird.

High-Tech ebnet dem Leitungsbau den Weg Unterirdisch um die Hindernisse herum Ferngesteuerte Beobachtung im Kanalnetz - Von Helmut Riedel VDI-N, Düsseldorf, 10. 5. 91 -

Neubau und Instandsetzung der Kanalisation gehören zu den wichtigsten Bauaufgaben der nächsten Jahrzehnte. Entsprechend groß sind die Bemühungen um Innovation in diesem Bereich der Bautechnik.

A uch wenn "trotz des vielen Geredes über die notwendige Sanierung unseres Abwasserkanal-Netzes der Markt dafür - also die tatsächliche Auftragsvergabe - erst langsam in Gang kommt, die Kanal- und die Leitungsbauer in der Bundesrepublik sind technisch und organisatorisch längst fit für die Mammut- Aufgaben der Sanierung in West und in Ost!" Das erklärte unlängst Wolfgang Krah, Geschäftsführer der Neußer LTG (Leitung und Tiefbau aus einer Hand). Tatsächlich laufen die für diese Kanalnetze Verantwortlichen in Ländern und Gemeinden ein Rennen gegen die Zeit über hohe Barrieren der schwierigen Finanzierung und der komplizierten Prioritätenlisten (welche Schäden müssen zuerst behoben werden?).

Sie hoffen es mit Hilfe der technisch hochgerüsteten Kanalbauunternehmern zu gewinnen. Deren Tätigkeit hat sich - und wird sich noch weiter - deutlich von der reinen Bauausführung verlagern zur Schadensanalyse und anschließenden Beratung der Kanaleigner beziehungsweise Auftraggeber - noch vor den eigentlichen Bauarbeiten. Das sind nicht nur die Öffentlich- Rechtlichen aus Ländern und Kommunen, sondern auch sehr viele aus der privaten Wirtschaft.

Wolfgang Krah, unter anderem auch ehrenamtlicher Vorsitzender der "Gütegemeinschaft Leitungs-Tiefbau e. V." : "Zu den geschätzten 250 000 km sanierungsbedürftiger öffentlicher Kanäle muß in etwa das gleiche Quantum im privaten Besitz, also auf Industriegeländen, gerechnet werden. Viele der privaten Kanalbetreiber haben kaum Vorstellungen, wie fürchterlich es in ihrem Netz aussieht. Aber einige wenige der Großen - beispielsweise RWE und FEW - haben ihre Kanalnetze vorbildlich gepflegt . . . und damit auch zur beschäftigungssichernden Auslastung der Kanalbauer in der Vergangenheit beigetragen.

Die Kanalbauer und eine kleinere, informierte Öffentlichkeit, drängen jetzt auf eine rasche umfassende Kanalerneuerung in der Bundesrepublik, will man nicht quasi irreparable Schäden im Grundwasserbereich entstehen lassen und gar die Trinkwasserversorgung der Bevölkerung gefährden. Gleichzeitig werden die lokalen Kläranlagen bei Regenfällen regelmäßig überlastet: Das undichte Kanalsystem nimmt verunreinigtes Oberflächenwasser auf. Dadurch wird die Reinigungskapazität der Kläranlagen weit überfordert, mindestens aber werden die Mehrkosten hochgetrieben.

Nur wenige der städtischen Kanäle haben begehbare Querschnitte, wie sie der Laie kilometerlang in Orson Welles "Der dritte Mann" im unterirdischen Wien bewundern konnte. Die wesentlich engeren Kanäle im Untergrund unserer Städte und Dörfer können deshalb auch nicht mit den herkömmlichen Reparaturmethoden saniert werden: Der offene Kanalbau über längere Strecken ist betriebswirtschaftlich und volkswirtschaftlich fast zu teuer oder unmöglich geworden. Beispielsweise ist es kaum noch möglich, den stark gestiegenen dichten Verkehrsfluß auch nur zeitweise einzuengen oder über längere Zeit ganz zu unterbrechen.

Folgerichtig im System unserer freien und sozialen Marktwirtschaft entwickelte die Maschinen-Industrie zusammen mit den Kanalbauern mehrere Systeme zur ferngesteuerten und mechanisierten Kanalkontrolle und die dazugehörigen Kanalsanierungs- und Reparaturverfahren, die in der Regel ohne die Öffnung der gesamten Kanaltrasse auskommen. Von Spezial-Lkw aus, ausgerüstet mit verschiedenen Meß- und Beobachtungssystemen, arbeiten sich Roboter je nach Möglichkeit mit TV-Systemen (zur direkten Beobachtung) oder Videocamcordern (für die nachträgliche Zustandsanalyse) durch die Kanäle. Dabei werden exakt die Schadensarten und die Schadstellen ermittelt: die Grundlage für eine wirksame Reparatur oder Sanierung.

I n ganz modernen Entwässerungsnetzen, beispielsweise bei dem der Baden- Württembergischen Landeshauptstadt Stuttgart, wurden Kontroll-Systeme installiert, mit denen alle auftretenden Störungen in der Zentralstelle sofort erkannt, registriert und auch über Monitore direkt optisch kontrolliert werden können. Ein Bereich wurde testweise über das von der Deutschen Bundespost angebotene System TEMEX geschaltet. Der seit April 1990 laufende Probebetrieb hat gezeigt, daß diese Methode der Schadensvorbeugung sicher und zuverlässig arbeitet. Das wird aber für viele der Verantwortlichen in den anderen Kommunen Zukunftsmusik sein und bleiben.

Eine dieser fern-steuerbaren Kanalbaumethoden wurde von der Tracto Technik entwickelt. Mit "Erdraketen" , wie dem hydraulisch betriebenen Grundobjekt kann in allen verdrängungsfähigen Böden wie Sand und Ton (mit Einschlüssen) gearbeitet und Bohrlängen bis 100 m bewältigt werden. Bei diesen Geräten sind bewegliche Hammerköpfe und stufenförmig zurückspringende Meißel-Ringschneider kombiniert: Dieser Kopf "beißt" sich auch bei einem tangentialen Auftreffen auf massive Hindernisse mit einem der Ringschneiden fest und zerschlägt das Hindernis: Die Richtung wird gehalten, die Zielgenauigkeit ist "außerordentlich hoch" .

Hindernisse, die nicht zerstört werden dürfen, also andere Kanäle und Leitungen können mit einem vergleichsweise engen Kurvenradius von nur 12 m von der Rakete umfahren werden - so lange sie bekannt sind. Das verlangt dann natürlich besonders gründliche Arbeitsplanung. Auch Hausanschlüsse für alle Ver- und Endsorgungsleitungen lassen sich in diesem System mit minimalen Rüstzeiten zügig herstellen.

Ein in den Bohrkopf montierter Sender strahlt ein Signal aus, das oberirdisch empfangen werden kann und die genaue Ortung der Bohrspitze ermöglicht. Ein hinteres Teil der Lafette zusammen mit dem Bohrgestänge rotierender Pfeil zeigt zugleich die Stellung des Bohrkopfes an. Wird dann die Rotation gestoppt, kann mit Hilfe der speziellen Formgebung des Kopfes die geplante Richtungsänderung der Umfahrung des bekannten Hindernisses gesteuert werden.

B ei der Längsverlegung kann man dem Kurvenverlauf der Straße problemlos folgen und große Straßenkreuzungen ohne Verkehrsbehinderungen unterquert werden. Mit dieser Methode lassen sich Fernseh-, Telefon- und Stromkabel, Gas- und Wasserleitungen bis 15 cm Durchmesser neu verlegen.

Ein besonders "umweltfreundliches" Kanal-Verbausystem wurde von Krings Verbau entwickelt. Das Hydrau-Press-Verbau- System (HPV) macht den Grabenverbau "noch wirtschaftlicher und schneller als die bisherigen Systeme, ohne die Sicherheitsvorschriften der Tiefbau-Berufsgenossenschaft zu vernachlässigen" , so Dipl.-Ing. Holger Paul, Abteilungsleiter Tiefbau bei der Essener Altwert AG & Co. KG: "Mit der neuesten Version, die Kanalsohlentiefen von 5 m bis 10 m unter Oberfläche einsetzbar sind, lassen sich bis 130% der bisherigen Kosten einsparen. 60% bis 70% für zu sanierende Kanäle in der Bundesrepublik haben Sohlentiefen zwischen 3,5 m bis 5 m." Die Altwert AG vermietet die Geräte an Kanalbauer.

Beim HPV-Verfahren werden zeitgleich zum Erdaushub die Spezial-Verbauplatten erschütterungsfrei und segmentweise eingepreßt, so daß die Längs- und Quergurtung ständig für maximale Sicherheit sorgt; anders als beim konventionellen Dielenverbau, bei dem die Gurtung nach Erreichen der Grabensohle eingebaut wird. Die großen Geräte für dieses Kanalbauverfahren wiegen je nach Ausrüstung 25 t bis 35 t und kosten bis 600000 DM. Sie werden von der Altwert AG zu Arbeitstagsätzen von 2000 DM bis 2500 DM verliehen. Holger Paul: "Verleihzeiten von 14 Tagen sind normal, dazu kommen Rüstzeiten von jeweils einem Arbeitstag vor und nach den eigentlichen Bauarbeiten." Inzwischen wurde auf Anregung der Altwert AG eine gewichtsreduzierte (maximal 5 t Gesamtgewicht) HPV-Version entwickelt und erprobt.

Undichte Kanäle bedrohen das Grundwasser Jede Schadensart erfordert individuelles Vorgehen Fräs- und Spachtelroboter beseitigen Ablagerungen im Rohr VDI-N, Düsseldorf, 10.5.91, RbR

300 Mio. m3 Abwasser versickern in der Alt-Bundesrepublik jährlich unkontrolliert im Boden und gefährden das Grundwasser. Entsprechend groß die Notwendigkeit der Instandsetzung des Kanalisationsnetzes. Mittlerweile gibt es hierfür viele physikalische und chemische Vorgehensweisen.

V on den rund 900000 km öffentlich- rechtlicher Sammler samt den Hausanschlüssen in der westlichen Bundesrepublik sind nach Experten-Schätzungen 180000 km bis 270000 km defekt. Die Schadensursachen sind vielfältig - der Schadensumfang wurde in vielen Fällen durch mangelhafte Pflege und Wartung vergrößert. Eine ganze Reihe der Kanäle wurde außerdem zu Zeiten gebaut, als die Kanalkonstrukteure noch nicht mit so intensiv chemisch und erosiv aggressiven Flüssigkeiten zu kalkulieren brauchten, wie sie heute durchs Netz fließen.

Beispiel: Bei gemauerten Kanaltunnel sind durch die Langzeitbeanspruchung Fugen und Steine erodiert - bis zu Undichtigkeiten und teilweise Einbrüchen der Tunnelkonstruktion. Oder: Im Rohrinneren haben sich ausgehärtet Ablagerungen gebildet, die die Fließgeschwindigkeit der Abwässer und zugleich den Förderquerschnitt so verringert, daß die Kapazität des Kanals den heutigen Anforderungen nicht mehr entspricht. Bei Steinzeug- oder Betonröhren älterer Bauart kann es durch die gewachsenen Verkehrslasten auf der Straße zu vertikalen Strangverschiebungen kommen.

Zur Beseitigung von Ablagerungen in Rohren, die sonst noch funktionstüchtig sind, werden Fräs- und Spachtelroboter eingesetzt, die vom nächstliegenden Vertikalschacht eingesetzt, über integrierte TV- Kameras im Roboter und Monitore auf dem Lkw zur Sanierungsstelle gefahren werden. Dort wird mit unterirdischer Hilfe der drehbaren Arbeitsköpfe die Ablagerungen und auch Wurzeleinwuchs mit Diamantwerkzeugen abgefräst. Anschließend wird die Oberfläche mit einem Spachtelroboter geglättet. So ein Spachtelroboter wird auch zur Reparatur von Muffenspalten und Rohrrissen verwendet, nachdem mit einem Fingerfräser je nach Rohrwanddicke der Kantenundichtigkeiten einige Zentimeter aufgefräst worden sind: Dann werden die Reparaturstellen mit Hochdruckdampf gereinigt und entfettete sowie schließlich mit einem Zweikomponenten-Epoxyd-Harz verklebt und gedichtet. Zum Schluß kommt das Glätten, und zwar mit dem automatisch arbeitenden, ferngesteuerten Gummispachtel.

Über die Jahre in den Kanal gewachsene Baumwurzeln verengen den Durchschluß- Querschnitt, verursachen Staus und Materialabsetzungen. Zur Beseitigung der Wurzeln wurde ein biologisch-septisches Verfahren entwickelt. Dabei wird ein spezieller Schaum aus Vaporooter, Sanafoam und Wasser in die bewachsenen Bauabschnitte gepreßt. Die Wirkstoffe im Schaumbad bleiben sofort am Wurzelwerk hängen und leiten dort eine natürliche Fäulnis ein - nach vier bis acht Wochen ist das Wurzelwerk so verrottet, daß es entweder weggeschwemmt wird, oder samt den Ablagerungen weggefräst werden kann. Das Ganze soll übrigens den entsprechenden Baum nicht beschädigen.

Zur Instandsetzung teilblockierter Rohre werden auch sogenannte Freifräsen eingesetzt, die im Vollschnittverfahren arbeiten. Diese Maschinen bestehen aus einem mit Wasserhochdruck angetriebenen Hydraulikmotor auf einem Führungsschlitten, der an den jeweiligen Rohrdurchmesser (20 cm bis 60 cm) befestigt ist, und der einen mit mehreren Schneiden besetzten Bohrkopf antreibt. Der Antriebs-Wasserstrahl von 300 l/min. entwickelte Druckkräfte von 60 bis 150 bar und spült das abgestrahlte oder abgebohrte Fremdmaterial (Kalkstein, Beton- und Teersplitt-Ablagerungen oder Wurzeleinwüchse) aus dem Rohr und reinigt gleichzeitig die Rohrwandung zur Verbesserung der Fließgeschwindigkeit.

Da, wo beschädigte Dichtringe bereits zu Undichtigkeiten führen, so daß entweder das Abwasser aus dem Kanal nach draußen dringt oder Oberflächenwasser bei Regenfällen in den Kanal eindringt oder das Material der Dichtringe durch die inzwischen sehr aggressiven Abwässer in ihrer Funktion beeinträchtigt werden, wird mit chemischer Hilfe repariert: Roboter mit Hohlbohrern durchdringen radial das Kanalrohr. Dann wird von innen mit den nach außen durchragenden Hohlbohrer ein Zweikomponentengel in die äußere Umgebung der Schadensstelle gepreßt und bildet dort einen wirkungsvollen Dichtungsmantel.

Auf Umwegen durch den Kommunikations-Engpaß Durch Satellitentelefonate rückt der Osten näher Trotz erster Verbesserungen des Telefonverkehrs mit den neuen Bundesländern wittern private Kommunikations-Vermittler ein gutes Geschäft - Von Martin Andreas Kunz VDI-N, Düsseldorf, 10. 5. 91 -

Um den Engpaß der deutsch- deutschen Kommunikation zu beheben, hat Christian Schwarz-Schilling das Sprachmonopol des Postministeriums gelockert: Erstmals dürfen private Firmen eigene Satelliten-Telefonstrecken betreiben. Auch Vermittlungsdienste, die über das Ausland oder nachts per Mailbox mit dem Osten kommunizieren, lindern oft die höchste Informationsnot.

E ine Notiz auf dem morgendlichen Arbeitstisch genügte, und der Tag war gelaufen: "Projektleitung für das Kraftwerk Rostock bitte dringend zurückrufen." Noch vor wenigen Monaten brachte ein Telefongespräch nach Rostock Peter-Carl Rühlands Wahlwiederholungstaste und damit seine Nerven zur Weißglut. Der Leiter der Öffentlichkeitsarbeit von PreußenElektra weiß, wie zeitaufwendig ein simpler Rückruf an die Ostsee werden kann. "Doch das" , hofft Rühland, "ist jetzt vorbei." Denn im Garten des Hannoveraner Stromversorgers steht jetzt die Antenne für die erste private Satellitenfrequenz, die neben Daten auch Telefongespräche überträgt.

Im letzten Herbst hatte PreußenElektra die Lizenz für eine firmeninterne Satellitenfrequenz beim Bundespostministerium beantragt. "Bevor die Lizenzurkunden erteilt werden, muß die Art der Datenübertragung, wie Bitrate und Geschwindigkeit, definiert werden" , erläutert Udo Hawemann, Sprecher im Postministerium. Während der Bearbeitung der Lizenz, die etwa ein bis drei Monate beträgt, ist also genügend Zeit, um die Sende- und Empfangsanlagen zu installieren. Parallel dazu empfiehlt er mit einem Satelliten-Betreiber - die bekanntesten sind die Telekom, Eutelsat, Intelsat und Inmarsat - die Modalitäten für die Übertragungsdienstleistungen zu regeln.

Die PreußenElektra AG will vom Firmensitz in Niedersachsen via Satellit sieben Leitungen zu ostdeutschen Stromversorgern schalten. Die Frequenz läuft über den Telekom-Satelliten Kopernikus in 36000 km Höhe. Auf der schnellen Verbindung über den Kunstmond sollen zur Hälfte Daten und Sprache übertragen werden. Rühland beziffert die laufenden Kosten für den Hauptanschluß inklusive der 10 Siemens Hicom 3000-Nebenanschlüsse auf 1500 DM pro Monat. An Telefongebühren entstehen zusätzlich nur die regulären Gebühreneinheiten von und zur Satellitenstrecke.

Die gesamte Installation der PreussenElektra AG stammt von Fuba, einem Unternehmen, das einen weiteren Satelliten- Auftrag an der Angel hat: Die Nachrichtentechniker aus Bad Salzdetfurth werden bei 100 Kunden der Telekom VSat-Stationen (Very small apparatus terminal) installieren. Mit VSat können bis zu sechs Telefon- oder Faxleitungen über den Orbit geschaltet werden.

Als reines Dienstleistungsunternehmen bietet Teleport Europe seit wenigen Wochen schlüsselfertige Satellitendienste an; in Kürze, nach der Genehmigung, auch für Sprache. In den 2000 DM bis 3000 DM pro Monat für eine Leitung sind neben der Miete für die Hardware auch alle laufenden Kosten für Wartung und Instandhaltung enthalten.

A uf mehrere Säulen setzt Rank Xerox, um die Kommunikation mit dem Osten voranzutreiben. Neben den geplanten Satelliten-Verbindungen und West-Telefonnummern für die neuen Anschlüsse in Ostberlin nimmt der Kopiermulti auch die Dienste des Telefon Antwort Service TAS in Anspruch. Das Wiener Unternehmen vermittelt innerhalb weniger Minuten Gespräche und Telefaxe aus Deutschland West über das kaum ausgelastete österreichische Leitungsnetz in die neuen Bundesländer.

Fraglich ist, wie lange die gerade erst angelaufenen Geschäfte der Telefonvermittler, Satellitendienste und Mailbox-Spezialisten, die nachts per Computer-Modem kommunizieren, noch florieren. Die Deutsche Bundespost Telekom hat das Ost- West-Telefonleitungsnetz von 1461 Verbindungen (Ende 1989) auf 6582 (Ende 1990) ausgebaut und plant bis Ende 1991 gar 31000 Verbindungen. Und erste Verbesserungen, so ist aus der Rank Xerox Telefonzentrale zu hören, sind schon offensichtlich: denn jeder zweite Wählvorgang in den Osten sei bereits "ein Treffer" .

US-amerikanische Studie bescheinigt anhaltendes Wachstum des Marktes für Lichtwellenleiter - Von Gerd Krause Europäer sind Weltmeister in der Glasfasertechnik VDI-N, Düsseldorf, 10. 5. 91 -

Die Lichtwellenleiter-Industrie Europas ist auf Erfolgskurs. Noch vor Japan und den USA rangiert der europäische Glasfasermarkt weltweit auf Platz 1. Anschlußprojekte bis zum Haus des Teilnehmers und der neue SDH-Standard bestimmen den Trend. W enn Gerd Tenzer, Vorstandsmitglied der DBP Telekom, von den Möglichkeiten der Glasfaser- Technlogie spricht, ist er um Visionen nicht verlegen: "Die optische Nachrichtenübertragung mit Lichtwellenleitern wird zu einem universalen integrierten Kommuniationsnetz führen, in dem alle Kommunikationsarten bis zu den höchsten Bitraten realisiert werden können." Selbstbewußt fügt der Glasfaser-Stratege hinzu: "Wir betreiben die Einführung von Glasfaser-Anschlußsystemen mit Nachdruck."

Tenzer könnte stellvertretend für die europäische Telekommunikations-Branche sprechen. Die Glasfaser, das Übertragungsmedium für die breitbandigen Dienste der Informationsgesellschaft, hat die Europäer nämlich in eine Weltmeisterstellung gebracht. Mit einem Umsatzvolumen von rund 1,1 Mrd. Dollar rangierte 1990 der europäische Markt für Kabel und Komponenten der Lichtwellenleitertechnik vor den USA und Japan an erster Stelle, und die Erfolgsstory geht weiter: Deepak Swamy, Analyst des US-amerikanischen Marktforschungsunternehmens Kessler Marketing Intelligence (KMI) in Newport, Rhode Island, sieht den europäischen Glasfaser-Markt bis 1995 auf 2,3 Mrd. Dollar wachsen. Ein jährliches Durchschnittswachstum von 17%, quer durch ganz Europa, versprach der Experte bei der Präsentation der Studie "European Markets for Fiberoptics" , die von den amerikanischen Marktforschern Mitte März in Newport vorgestellt wurde.

So würden sich in den betrachteten fünf Jahren allein die Märkte Osteuropas von gegenwärtig 7 Mio. Dollar auf mehr als 300 Mio. Dollar vergrößern. Insgesamt verlegten die europäischen Postverwaltungen und andere Netzbetreiber bereits letztes Jahr mehr als 1,9 Mio. km Glasfaserkabel in öffentlichen und privaten Netzen, dreimal mehr als 1987.

"Die Märkte der einzelnen Länder wachsen unterschiedlich, abhängig von den regulativen Rahmenbedingungen, sowie den politischen und wirtschaftlichen Eckdaten" , erläutert Swamy weiter. So habe etwa der französische Markt durch die Strategie von France Tom eines der modernsten faseroptischen Fernmeldenetze der Welt erhalten. Nach hinten abgefallen seien dagegen letztes Jahr die Spanier, Ursache sei die zunehmende Sparneigung der privaten Telefongesellschaft Telefonica gewesen. Eine anhaltend hohe Investitionsneigung in Glasfaserprojekte war hingegen in Italien zu verzeichnen. Durch den gründlichen Ausbau des öffentlichen Fernnetzes einschließlich einiger Unterwasserkabel-Projekte mit denen Städte an der Westküste des Stiefels verbunden wurden, waren die Italiener im vergangenen Jahr mit 48% Umsatzwachstum nach den Briten die eifrigsten Verleger der optischen Kabel.

Zusammen verbuchten die fünf führenden europäischen Nationen Deutschland, Großbritannien, Frankreich, Italien und Spanien 82% des europäischen Marktes in 1990 für sich. "Doch der Marktanteil dieser Länder wird sich verringern" , sagt Swamy voraus. Den Grund dafür sieht der Marktforscher in dem starken Bedarf an Lichtwellenleitertechnologie in den Ländern Skandinaviens und Osteuropas.

Der deutsche Markt für Glasfaser-Technik erreichte im vergangenen Jahr ein Volumen von rund 289 Mio. Dollar. Analyst Swamy: "Den Löwenanteil von 89% der Investitionen in faseroptische Systeme verschlang der Ausbau des Fernmeldenetzes, 10% der Ausgaben flossen in öffentliche und private Datennetze und 1% in andere Projekte." Dabei entfielen 229 Mio. Dollar auf Investitionen in die insgesamt 310000 km Glasfaserkabel, 52 Mio. Dollar auf Übertragungstechnik und Verstärker sowie 8 Mio. Dollar auf die Kabel-Verbindungen. Bis 1995 erwarten die Marktforscher von KMI ein Wachstum des deutschen Glasfaser-Marktes auf insgesamt 575 Mio. Dollar.

Zwei Wachtums-Trends haben die amerikanischen Marktbeobachter für Europa ausgemacht: Fiber to the home, also Anschlußprojekte bis zum Haus des Teilnehmers und steigendes Interesse an dem SDH-Standard (Synchronous Digital Hierarchy), mit dem die unterschiedlichen Netzkonzepte der einzelnen Länder verbunden werden können. Den Anfang machte im vergangenen Jahr Philips mit dem Aufbau einer digitalen Glasfaserstrecke im spanischen Valencia, und auch France Tom ist dabei, sein Fernmeldenetz auf SDH-Standard zu bringen.

Technischer Erfindergeist zeichnet die europäischen Entwickler nach der Marktstudie allemal aus. "Die Europäer" , bescheinigt der Amerikaner Swamy, "sind nicht mehr länger nur die passiven Nachfolger des amerikanischen und japanischen Industrie-Standards." In vielen Bereichen hätten sie sogar die technische Führerschaft übernommen. So wären etwa die Briten anderen weit voraus bei der Entwicklung der sogenannten passiven optischen Netze für den kostenintensiven Teilnehmeranschlußbereich. An Deutschland heben die Fachleute von KMI das Breitband-Glasfaser-Netz der Telekom hervor, als "eines der besten der Welt" .

Voran geht aber es auch mit dem Absatz von verdrillten Kupfer-Doppelleitungen aus isoliertem Telefonkabel, die hauptsächlich bei der Übertragung von Telefon-Gesprächen Verwendung finden. Deren Umsatz in Europa wird von 558 Mio. Dollar im vergangenen Jahr auf 702 Mio. Dollar bis 1995 anwachsen, wie aus dem Bericht "The European Market for Cable & Wiring Products for Networks" des britischen Marktforschungsunternehmens Frost & Sullivan, London, hervorgeht. Ernüchterung werden die erfolgsverwöhnten Europäer dagegen auf ihrem Markt für Koaxial- Kabel - zweiadrige Kabel mit einem isolierten Mittelleiter und einer Ummantelung durch einen äußeren Leiter - antreffen. Die Experten aus London rechnen mit einem Umsatzrückgang von 51 Mio. Dollar 1990 auf 43 Mio. Dollar bis 1995.

Gefahr lauert dem europäischen Glasfaser- und Kupfer-Kabelmarkt mit der Konkurrenz der drahtlosen Nebenstellen auf. "Dieses Nebenprodukt der mobilen Zelltelefone steckt zwar noch in den Kinderschuhen, doch bei sinkenden Preisen" , mahnen die Marktforscher von Frost & Sullivan, "könnte es für viele Kunden von erheblichen Interesse sein."

Licht und Schatten bei der Chipfertigung Röntgenlithografie steht nach wie vor in den Startlöchern Auch der 256-Mbit-Chip wird wahrscheinlich noch optisch belichtet - Von Werner Schulz VDI-N, Santa Barbara, 10.5.91 -

Die vorläufig letzte Stufe der integrierten Massenspeicher sind die 64-Mbit-Drams. Sie sollen 1994 produktionsreif sein. Diese Bausteine werden mehr als 67 Millionen Transistoren und Speicherkondensatoren auf einem etwa 150 mm2 großen Chip vereinen. Das erfordert höchste Präzision bei der Maskenbelichtung mit kurzwelligem Licht. Die Japaner zeigen den Weg mit optischen "Extendern" .

D ie "Mikrometer" gehen uns heute recht alltäglich über die Lippen: Die superfeinen Mikron-Geometrien und die Mega-Daten der gängigen Rechner- und Speicher-Chips sind als Fachsimpelei ebenso populär geworden wie die Von-Null-auf-Hundert-Beschleunigung des letzten Sechs- oder Zwölfzylinder-Jahreswagens.

Dabei lohnt es sich, beim Übergang zur nächst kleineren Größenordnung der weltbeherrschenden Winzlinge in die Submikron-Geometrie, einmal den Humanmaßstab zu bemühen: 1 PI352 m ist etwa ein Hundertstel des Durchmessers eines menschlichen Haars. Eine Linie von 10 PI352 m können die Oldtimer unter den Maschinenbauern noch mit angestrengtem Blinzeln auf dem Nonius ihrer Schieblehre erkennen; 1 PI352 m ist schlicht unsichtbar.

Was darunter liegt: 0,5 PI352 m, 0,35 PI352 m, 0,2 PI352 m - die nächsten Stationen des Halbleiter-Fortschritts mit den 16-, 64- und 256-Mbit-Drams (Dynamic Random Access Memory) - entgleitet nicht nur dem menschlichen Auge und dem schärfsten optischen Mikroskop. Selbst das Licht, im sichtbaren wie im UV-Bereich des Spektrums, kann, weil zu langweilig, diese Submikronstrukturen nicht mehr klar und deutlich erfassen.

Bisher beruht aber die Fertigung der integrierten Schaltungen der Mikroelektronik auf mehreren solcher Belichtungsschritte, der Lithographie. Wie bei einer Serie von photographischen Vergrößerungen (oder hier: Verkleinerungen) entstehen die Schaltungsstrukturen durch wiederholtes Durchleuchten und Aufbelichten von optischen Masken (Negativ) auf den Silizium- Wafer (Positiv), dessen lichtempfindliche Beschichtung dann die gezielte Kristalldiffusion mit ausgewählten Dotierungsmaterialien ermöglicht.

Die optische Maskenbelichtung mit Quecksilberdampflampen stößt jetzt, langsam aber sicher, an ihre naturgegebenen Grenzen. Die Auswege aus diesem Dilemma - die Belichtung mit extrem kurzweiliger Röntgenstrahlung oder das maskenlose Direktschreiben des IC-Layouts per Elektronenstrahl - werden seit zehn Jahren von der Fachwelt diskutiert. Aber vor der Umsetzung in die Praxis schrecken viele im Moment noch zurück.

Das ist besonders deutlich bei den amerikanischen Chipmachern vom Silicon-Valley- Zuschnitt: Die Kostenbarriere türmt sich vor ihnen so hoch auf, daß eigentlich nur große Konglomerate und Kooperativen von japanischem oder europäischem Format die notwendigen Mittel parat haben.

U nd deshalb konzentriert sich der Erfindergeist bei den Herstellern von Fertigungs-Equipment für die IC- Hersteller seit Jahren auf einen Punkt: die optische Lithographie von einer Produktgeneration zur nächsten zu retten und die teure Röntgen-Lithographie immer wieder und immer weiter hinauszuschieben. Der einzige US-Hersteller, der sich hier eine Zukunftsposition aufgebaut hat, ist IBM.

Noch vor kurzem galt als der Weisheit letzter Schluß, daß der 16-Mbit-Dram, mit Chipgeometrien um 0,5 PI352 , für 1992 erwartet, das letzte Hurra der optischen Lithographie ist. Jetzt aber kommen die ersten Anzeichen, daß es noch eine weitere Gnadenfrist gibt: Auch die nächste Generation des Drams, die 64-Mbit-Speicher (mit 0,35 PI352 und frühestens 1994 produktionsreif), können wahrscheinlich noch in der kostensparenden Belichtung gefertigt werden. Optimisten sehen sogar für die Jahrhunderwende die optisch erzeugten 256-Mbit- Speicher (0,15 PI352 ) voraus.

Die Ausweitung der optischen Lithographie geht aber nur mit Licht- und Beleuchtungstricks, "Extender" genannt. Im Moment nutzen die optischen Maskenbelichter die sogenannte G-Linie des Quecksilber-Lichts bei 0,435 PI352 (oder 435 Nanometer). Damit wären die 16-Mbit-Speicher also gerade noch mit ausreichender Schärfe abzubilden. Besser wäre die kurzwelligere I-Linie mit 365 nm. Und noch kurzwelliger, also schärfer, sind die Eximer-Laser, deren Licht in den tiefen UV-Bereich herabreicht - je nach Bauart mit 248 nm, 193 nm und 157 nm.

Aber auch an diese Eximer-Laser will im Moment keiner so richtig ran. Die Zuverlässigkeit im Dauerbetrieb steht in Frage, vor allem die mechanische und optische Strahlführung. Und die photo-empfindlichen Materialien für das tiefe UV sind noch nicht optimal gemixt und konfektioniert.

Bleiben vorerst also nur die "Extender" der optisch sichtbaren I-Line-Lithographie. Einigen japanischen Herstellern scheint dabei ein neuer Technologie-Durchbruch gelungen zu sein: die Erhöhung der Abbildungsschärfe und des Kontrasts durch optische Phasenschieber-Masken, kombiniert mit höherempfindlichen Multilayer-Resists.

Die gegenwärtigen, konventionellen Masken sehen aus wie Photo-Negative: mit schwarzen und transparenten Stellen, die das Chip-Layout definieren. Die neuen Phasenschieber-Masken hingegen sind gleichmäßig transparent, sie enthalten das Layout in Form von feinsten und genauesten Abstufungen in ihrer Dicke. Damit entstehen beim Durchlauf des Lichts der passenden Wellenlänge entsprechende Phasenverzögerungen in der Wellenausbreitung. Unter den Kanten der Phasenschieber-Elemente der Maske löschen sich benachbarte Wellenzüge gegenseitig auf und lassen feinste Bereiche des Photo-Resist auf dem Wafer unbelichtet. Diese dunklen Bereiche, weitaus feiner als die verwendete Lichtwellenlänge, können nun, entsprechend dimensioniert, die Chip-Geometrie darstellen.

N atürlich haben auch die Phasenschieber-Masken ihre Probleme: Die Bildelemente zur Darstellung der Chip-Geometrie müssen recht exotisch geformt sein, damit sich die gewünschten scharfen Konturen einstellen. Das verteuert ihre Herstellung. Die Staubfreiheit beim Belichtungsvorgang muß noch genauer überwacht werden. Und auch die Photo- Resist-Materialien sind noch nicht empfindlich genug für die schwachen auftretenden Kontraste.

Trotzdem sind die Japaner sehr zuversichtlich. Sie sprechen sich recht deutlich gegen die Röntgenlithographie aus und propagieren erst einmal die optischen Extender. "Die Röntgen-Technologie ist sehr interessant zu entwickeln" , sagt Kenji Nakagawa, der Fujitsus 64-Mbit-Design kürzlich in San Francisco präsentierte, "aber sie ist noch nicht nutzbar" . Doch irgendwann kommt einmal die Grenze der optischen Technik.

Wenn dann die Stunde der Röntgen- Lithographie schlägt, dann könnte IBM als erster US-Hersteller daraus Nutzen ziehen. "Wirtschaftlichkeitsbetrachtungen machen es unausweichlich, daß Sie zu kürzeren Wellenlängen übergehen müssen" , sieht Paul Horn vom IBM Watson Research Center den Trend voraus. Die US-Regierung beteiligt sich in diesem Jahr mit einer 60-Millionen-Dollar-Beihilfe für DARPA am Rennen der Lithographien für die zukünftigen Submikron-Chips.

Neue Bewegung im Markt der PC-Mikroprozessoren Intensivierter Wettbewerb hat fallende Preise zur Folge Intel setzt Billig-486er gegen AMDs 386er-Kopie - Von Egon Schmidt VDI-N, München, 10. 5. 91 -

Erst wenige Wochen ist es her, daß AMD gegen Intels heißbegehrte 386er-Mikroprozessoren eine attraktive, eigene Entwicklung setzte - da schlägt der Marktführer im Sektor PC-Prozessoren auch schon zurück. Und präsentiert einen abgespeckten 32-bit-Prozessor der 486er-Serie, der wohl vor allem das Interesse potentieller AMD- 386er-Käufer auf sich ziehen soll.

D er neue 486SX, ist im wesentlichen eine 20-MHz-Maschine mit 32 Bit Wortbreite, die neben einem Prozessorkern noch eine Speicherverwaltungseinheit sowie 8 KByte an Pufferspeicher umfaßt. Sie soll, verspricht Intel-Manager Paul Otellini, gleich den anderen Chips der 486er-Serie "zur 386er-Familie hundertprozentig kompatibel sein" und vor allem leistungshungrige Programme wie etwa Windows und darauf aufbauende Anwendungslösungen rasch abarbeiten. Wobei für Aufgaben, in denen es auf schnelle Gleitkommarechnungen ankommt, zusätzlich ein Koprozessor namens 487SX gekauft werden kann.

Der neue 486er soll zwar billiger sein, als ein 32-bit-386DX mit 33 MHz Taktfrequenz und zusätzlichem Pufferspeicher, dennoch aber soll er, wie Otellini betont, "um bis zu 40% mehr an Leistung bieten," als jene traditionelle Konfiguration. Dazu trage auch bei, daß der Neuling im ausgewogenen Zusammenspiel von optimierter Ganzzahl-Recheneinheit sowie dem zugehörigen Pufferspeicher verschiedene Befehle "in nur noch einem Taktzyklus ausführt" . Was ein wenig an die besondere Arbeitsweise der sogenannten Risc-Prozessoren erinnert, für die das schnelle Ausführen betont einfacher Befehle ja sozusagen die Raison d'Etre darstellt.

Ergänzt man einen 486SX-Rechner um einen 487er-Gleitkommaprozessor, so beschleunigt jener nicht nur "die Bearbeitung rechenintensiver Programme um teilweise das Fünffache" , er schultert überdies gleich noch die gesamte Bürde der Rechenlast. Denn laut Otellini übernimmt dieser Chip, dessen Gleitkommaeinheit übrigens zu allen Intel-Mathematik-Koprozessoren binärkompatibel sein soll, dann neben den Gleitkomma- auch gleich noch alle CPU- Funktionen.

Erst dieses Übertragen sämtlicher CPU- Funktionen auf den Gleitkommaprozessor versetze so ein Gespann nämlich in die Lage, hebt der Intel-Manager weiter hervor, partiell bis zu 70% mehr an Leistung zu erreichen, als das entsprechende 33-MHz- Duo der Prozessoren 386DX und 387.

Mit dem neuen 486SX, dessen Produktion inzwischen bereits angelaufen sein soll und für dessen Zusatz-Chip 487 man noch in diesem Quartal die Fertigung starten möchte, zielt das Intel-Management auf mehr als 50000 Anwendungsprogramme für Rechner der 80x86er-Linie, in denen übrigens weltweit rund 40 Mrd. Dollar an Investitionen stecken sollen. Auch zähle man derzeit, so Otellini, rund 500 Hersteller, die PCs rund um die Intel-Prozessoren herstellen. Und die bislang mehr als 75 Mio. Geräte gefertigt haben, von denen wiederum schon 15 Mio. der 32-bit-Klasse zuzurechnen seien.

Vergleicht man jeweils eine Kombination von 33 MHz-386DX plus Pufferspeicher- Chip einerseits mit dem 486SX andererseits, so ist der 486SX mit knapp 260 Dollar billiger als die Kombination mit 290 Dollar; und statt bisher zwei bis sechs Chips wird künftig nur noch einer - und mithin nur noch gut der halbe Platz auf der teuren Platine - benötigt. Außerdem soll der 486SX mit billigen 100-Nanosekunden-Drams zusammenarbeiten können, während die 386er-Technik teurere 66-ns- Drams benötige.

Der 20 MHz-487er Coprozessor soll laut Otellini rund 74% schneller arbeiten als der 33 MHz-387er, jedoch statt rund 1000 nur knapp 800 Dollar kosten. Und da er "mit rund 2100 Programmpaketen direkt zusammenarbeiten kann" , dürften "wohl die meisten PC-Hersteller Möglichkeiten vorsehen, diesen Gleitkommaprozessor wenigstens nachträglich einzubauen" .

I n einer Skizze der künftigen Preis- und Leistungsgruppen moderner PC meinte Otellini in München, unterhalb der 3000-Dollar-Preisgrenze werde man künftig wohl 386er-Chips der verschiedenen Varianten einsetzen, zwischen 3000 und 5000 Dollar den neuen 486SX und darüber - je nach Leistungsbedarf - die bekannten 486DX-Typen mit 25 bis 50 MHz Taktfrequenz. Was natürlich nicht ausschließt, daß eine Reihe PC-Hersteller sich auch den Einsatz des konkurrierenden AMD-386ers gründlich überlegen und wohl noch gründlicher ausrechnen dürfte.

Laut Otellini, der sich dabei auf Zahlen des Marktforschungsinstituts IDC stützt, dürften dieses Jahr rund 20 Mio. PC im Preisbereich unterhalb 3000 Dollar verkauft werden, 6 und 4 Mio. in den Bereichen von 3000-5000 bzw. 5000-8000 Dollar und jeweils 700000 und 300000 Stück in den Klassen 8000 bis 12000 Dollar beziehungsweise höher als 12000 Dollar.

Speziell für anspruchsvolle Maschinen der Klasse jenseits von etwa 10000 Dollar Kaufpreis stellt Intel inzwischen schon recht konkret einen neuen Prozessor der 80x86er-Serie in Aussicht, der nächstes Jahr offiziell enthüllt werden dürfte. Er soll etwa die vierfache Leistung des klassischen 486ers erreichen, rund 4 bis 5 Mio. Transistoren auf einem Chip integrieren und stärker als die bisherige Technik auf den Bau schneller Mehrprozessor-Systeme hin optimiert sein.

Fernwirkdienst breitet sich aus Temex ist nie besetzt Signale durchlaufen mit hoher Sicherheit das Telefonnetz Von Claus Reuber VDI-N, Berlin, 10. 5. 91 -

Noch ist er nicht flächendeckend aufgebaut, aber rund ein Drittel der Zentren in den alten Bundesländern sind schon mit ihm versorgt: Temex, ein Fernwirkdienst der Bundespost Telekom. Seine Signale laufen durch das vorhandene Fernsprechnetz, ohne das Telefonieren zu beeinträchtigen. So können Taxi und Notdienste gerufen, Schlüsselsysteme kontrolliert und Automaten aus der Ferne überwacht werden.

E in leerer Coca-Cola-Automat ist für die durstigen Kunden ein Ärgernis und für den Unternehmer ein Verlust. Aber das braucht bald nicht mehr zu sein. Michael Ring, bei der Deutschen Bundespost Telekom Produktverantwortlicher für den Temex-Dienst, nennt eine einfache Lösung, vorgesehen erstmal für die Ruhrgebietsmetropole Essen. Das ist eine Temex-Überwachung der Automaten-Füllstände. Was per Temex an Meldungen von den Automaten in der Zentrale eintrifft, wird für die Tourenplanung der Lieferwagen ausgewertet. Per Mobilfunk kann anhand der Informationen eine Route auch noch nachträglich geändert werden.

Temex ist ein Kommunikationsdienst der Telekom für Anwendungen im Bereich des Fernwirkens. Er nutzt die vorhandenen Telefonleitungen, ohne den Fernsprechbetrieb zu beeinträchtigen; denn die Signale werden oberhalb des Sprachfrequenzbandes übertragen. Mit Temex lassen sich aus der Ferne beispielsweise Funktionen und Gebäude überwachen, Meß- und Verbrauchsdaten übermitteln oder Maschinensysteme und -anlagen steuern.

Grundsätzlich gibt es den Dienst bundesweit, allerdings nicht flächendeckend, sondern vorerst in Zentren der alten Bundesländer. Michael Ring meint, rund ein Drittel der Bereiche seien bereits mit Temex versorgt, und im Lauf des Jahres 1992 würden 50% erreicht. In den neuen Bundesländern gibt es vorläufig andere Prioritäten: Vor Temex kommt immer noch das Telefon.

Der Temex-Dienst braucht ein dreistufiges Netz. Für die erste Stufe, in der sehr viele und räumlich weit verteilte Fernwirk-Endeinrichtungen an das Netz angeschlossen sind, werden die Telefonleitungen im Frequenzmultiplex genutzt. Die Vermittlungsstelle des Telefonanschlußbereichs wird mit dem "Temex-Netzrechner" zur Zentrale des Bereichs. In der zweiten Stufe werden diese Zentralen über Hauptzentralen miteinander verbunden. In der dritten und letzten Stufe werden die Leitstellen an die regionalen Temex-Netze angeschlossen. Für die Übertragung sorgen hier die bekannten Datel-Dienste der Telekom. Das ganze System bietet große Übertragungssicherheit bei hoher Verfügbarkeit und dazu die Übertragung kleiner Datenmengen zu adäquaten Kosten.

Um den technischen Aufwand und die Kosten den verschiedenen Bedarfsfällen anzupassen, bietet die Telekom eine ganze Reihe unterschiedlicher Anschlußarten: beispielsweise zeitkritische Anwendungen mit einfachen Ja/Nein-Informationen, sei es für Meldung oder für Befehl, und die zeitunkritischen, mit denen Datentelegramme übertragen werden können. Außerdem kann man unterschiedliche Übertragungshäufigkeit abonnieren. Bei allen Temex-Anschlüssen wird die Funktionstüchtigkeit dauernd überwacht. So können zeitkritische Meldungen innerhalb von sieben Sekunden übermittelt werden.

Die Anwendungsvielfalt ist fast unübersehbar. Die Telekom nennt Sicherheitstechnik, Verbrauchsdatenerfassung, Gebäudesystemtechnik sowie Umwelttechnik und Energiemanagement als Hauptbereiche. Zu jeder Temex-Funktion gehört außer den Endgeräten beim Nutzer die vom privaten Dienste-Anbieter betriebene Leitstelle. Sie wird von der Koblenzer Görlitz Computerbau GmbH als elektronische Kartei veranschaulicht. Bei der Feuerwehr enthält diese Kartei Informationen über die Gebäude und weiteren Objekte sowie Anweisungen, nach denen bei einem Brand zu verfahren ist. Dazu dürften die Namen der zu informierenden Personen ebenso gehören wie Hinweise auf gelagerte Gefahrgüter und deren Behandlung.

Damit das alles elektronisch funktioniert, braucht die Fernwirkleitstelle einen Computer, der die für den Alarmfall relevanten Angaben automatisch auf dem Bildschirm erscheinen läßt. Eine wichtige Funktion der Leitstelle ist also die einer automatischen Datenbank. Damit der über Temex angebotene Dienst auch dauernd funktioniert, müßte so eine Leitstelle rund um die Uhr besetzt sein. Das kann in manchen Fällen - nicht bei der Feuerwehr - zu größeren Aufwendungen führen, als durch Wartungsverträge, beispielsweise bei Heizungs-, Klima- und Lüftungsanlagen erwirtschaftet werden kann.

Deshalb entstand bei der Firma Görlitz eine personalunabhängige Leitstelle, die alle Schritte zur Bearbeitung von Meldungen automatisch erledigt. Sie kann Meldungen ausgeben und auf Anrufe in klar verständlicher Sprache antworten. Sie kann auch einen benötigten Monteur selbständig herbeirufen, indem sie nach der Auswertung der Meldung die Eurosignal- oder Cityruf- Zentrale benachrichtigt, die so den Verantwortlichen informiert. Der wird dann die Leitstelle anrufen, sich bei ihr durch einen codierten Tonrufgeber als berechtigt ausweisen und den Auftrag entgegennehmen. Für die Leitstelle ist der Fall abgeschlossen, wenn der Monteur nach getaner Arbeit seine Abschlußmeldung durchgibt.

T emex dient auch ganz direkt dem Menschen. Da gibt es den Teleruf für Alleinstehende, die sicher sein wollen, daß ihnen in einem Notfall geholfen werden kann. Sie tragen dafür einen Minisender bei sich, beispielsweise beim Teleruf-System 9000 von SEL-Alcatel wie eine Armbanduhr am Handgelenk. Der drahtlose Ruf wird vom Teleruf-Empfänger aufgenommen und über das Temexnetz an die Leitstelle vermittelt.

Anwendungsbeispiele

Sicherheit schafft Temex auch in anderen Fällen: Bei elektronisch codierten Schlüsseln und entsprechenden Schlössern. Diese Möglichkeiten bieten beispielsweise die Berliner Ikon AG und Dr. Neuhaus aus Hamburg. Dafür braucht das elektronische Schlüsselsystem nur mit der Temex-Netzanschlußeinheit verbunden zu sein. Als zeitkritische Meldung werden Signale über versehentlich nicht geschlossene Türen oder Öffnungsversuche mit unberechtigten Schlüsseln innerhalb von 7 s an die Zentrale übertragen. So können Unternehmen ohne zusätzlichen Personalaufwand Zweigwerke oder Niederlassungen von fern sicher überwachen.

Die Taxizentrale Münster nutzt Temex schon seit dessen Pilotprojekt-Phase für die Auftragsannahme. So kann zum Beispiel von einer Hotel-Rezeption die Taxibestellung per Knopfdruck ausgelöst werden. Man spart das Wählen am Telefon und außerdem gibt es dabei kein "Besetzt" . Der Dienst spart auch Geld gegenüber der telefonischen Bestellung: Bei einer Monatsgebühr von nur 6 DM für den einfachsten Temex-Nutzeranschluß sind monatlich schon 400 Taxibestellungen möglich.

In Bielefeld haben die Stadtwerke jüngst an allen 87 Stadtbahn-Haltestellen Fahrkartenautomaten aufgestellt. Diese sind mit Temex-Geberbausteinen von Weidmüller ausgestattet und können so rund um die Uhr von der Zentrale aus überwacht werden. Sie geben Meldungen für unterschiedliche Mängel und Fehler: Papierstau, Fahrscheindrucker gestört, nicht genügend Papier, Papierende, Kasse voll, nicht genügend Restgeld, Papiergeldleser defekt, Ausfall der Versorgungsspannung und natürlich auch für Einbruchversuch. Die Fahrer brauchen gar keine Fahrkarten mehr zu verkaufen, und die Haltestellen-Aufenthalte werden nicht durch das Kassieren verlängert. Temex dient hier also gleichermaßen den Stadtwerken wie den Stadtbahnfahrern und den Fahrgästen.

HARDWARE/SOFTWARE

Mit dem Arbeitsplatzrechner Mikro 3163 kündigt die Unisys Deutschland ein neues Einstiegsmodell in den 386SX-Prozessorbereich an. Das System gehört nach Angaben des Unternehmens zur Mikro-300-Familie, die zuvor nur mit 286er Prozessoren ausgerüstet war. Der neue Rechner arbeitet mit einer Taktfrequenz von 16 MHz.

Die Siemens Nixdorf Informationssysteme AG (SNI), Paderborn, will ein Drittel des Marktes in den fünf neuen Bundesländern erobern. Das Marktvolumen für Computertechnik und Software betrage nach ersten vorsichtigen Schätzungen zwischen 1 und 2 Mrd. DM sagte der für Ostdeutschland zuständige Marketing-Chef Joachim Deutschmann in Erfurt. Gerechnet werde mit einem jährlichen Wachstum für Datenverarbeitungssysteme von 20% bis 30%.

Die japanische NEC Corp. hat mit dem Verkauf eines fehlertoleranten Computersystems begonnen, teilte das Unternehmen mit. Das Modell Super Tolerant FT20 werde auch dann noch funktionieren, wenn Fehler in einigen Betriebsteilen oder in der Software auftreten, heißt es. In den nächsten drei Jahren erwartet NEC einen Absatz von 600 Einheiten . Die Systeme werden von dem amerikanischen Unternehmen Stratus Computer Inc., Marlboro/Massachussets, produziert und von dort nach Japan verschifft.

Mit einem neuen Doppelkopf hat Hitachi die Schreibbreite pro Spur bei Harddisks auf nur noch 1 PI352 m verringern können. Damit errechnet sich für eine 3,5-Zoll-Festplatte eine mögliche Speicherdichte von 3 Mbit/mm2 oder von satten 10 GByte Kapazität für die Platte. Marktfähig werden die Laufwerte jedoch erst zur Jahrhundertwende.

In zwei Jahren will NEC endgültig das Gebiet der Plasma-Bildschirme aufgeben. Begründet wird dies mit den großen Investitionen vieler japanischer Hersteller in den Farb-LCD-Markt. NEC wird im LCD-Geschäft noch in diesem Jahr rund 75 Mio. Dollar investieren. Nach Mitteilung des Unternehmens betrug der NEC-Umsatz in Plasma-Displays pro Jahr nur etwa 7,5 Mio. Dollar.

Datenbrücke vom Bildschirm zur Werkstatt Reibungsloser elektronischer Informationsfluß sichert einem Zulieferer die Konkurrenzfähigkeit VDI-N, Stuttgart, 10.5.91, Kip -

"CAD allein hätte sich auf keinen Fall gelohnt" , urteilt Jürgen Mangold, Konstruktionsleiter beim Werkzeugbauer Gildemeister & Knoll im schwäbischen Laichingen, über die Effizienz des elektronischen Reißbretts. Wettbewerbsvorteile entstanden dem Zulieferer, weil er Geometriedaten von jedem EDV-Fremdsystem übernehmen, dreidimensional aufbereiten und direkt in die NC-Maschinen einspeisen kann.

K onzerne fordern von ihren Zulieferern immer drängender, daß ihre Aufträge in elektronischer Form angenommen, bearbeitet und die Fertigungsunterlagen so auch wieder zurückgeschickt werden. "Die Hälfte unserer Mitbewerber fällt von vornherein raus, weil sie Datensätze nicht übertragen und verarbeiten können," beschreibt Mangold die Wettbewerbslage.

Dennoch rät er von einer überstürzten CAD-Einführung ab. Die Investitionen für Hard- und Software, Schnittstellen-Anpassungen und Schulung, die trotz sinkender Gerätepreise schnell in die Nähe von einer Mio. DM steigen können, zeigen die betriebswirtschaftliche Bedeutung für mittelständische Unternehmen.

Bei Gildemeister & Knoll, spezialisiert auf Preß-, Stanz-, Folgeverbund- und Stufenwerkzeuge für die Automobil-, Elektro- und Haushaltswarenindustrie, hörte man sich 1983 erstmals um, welche Vorteile und welche Nutzen das papierlose Konstruieren bringen kann. Hauptsächlich die Automobil-Firmen forcierten aus Qualitäts- und Rationalisierungsinteressen das computergestützte Konstruieren.

"Ein CAD-Arbeitsplatz allein hätte uns wenig Vorteile gebraucht," beschreibt der Konstruktionsleiter Mangold die damalige Ausgangslage, "unser Ziel hieß: Direkt am CAD-System das Modell konstruieren, danach durchgängig den NC-File generieren und das am Bildschirm entworfene Bauteil ohne Zwischenschritte an der NC-Maschine aus Stahl oder Grauguß fräsen."

Zu diesem Zweck muß der Konstrukteur in der Lage sein, aus den Skizzen und Geometrievorgaben der Auftraggeber das gewünschte Werkstück rechnergestützt zu konstruieren und berechnen. Daraus werden dann für die einzelnen Werkstücke wieder über CAD/CAM Produktionsanweisungen für die numerisch gesteuerte Fräsmaschine entwickelt. Im "Benchmark- Test" mußten die Systeme, die in die engere Auswahl kamen, quasi als Gesellenstück einen Auspufftopf mit zahlreichen Rippen und schwierigen Radienübergängen modellieren und anschließend von der NC-Maschine bearbeiten lassen.

D ie Entscheidung fiel auf Catia (Computer Aided Three Dimensional Interactive Application), das in den 70er Jahren von dem französischen Flugzeughersteller Dassault-Breguet Aviation S.A. entwickelt und seither von IBM vertrieben wird. Neben der NC-Bindung sprach nach den Aussagen des Gildemeister-Managers der "vorprogrammierte" Datenaustausch mit Fremdsystemen sowie das Schulungsangebot für diese Software.

"Die Funktionstüchtigkeit war uns wichtiger als der Preis," erklärt Mangold für das Unternehemen, das mit den spanlosen Umformwerkzeugen im vergangenen Jahr 16 Mio. DM umsetzte und sich die CAD/ CAM-Einführung immerhin knappe 700000 DM kosten ließ. Zusätzlich zur Hard- und Software für zwei Konstruktionsarbeitsplätze mußte das Stuttgarter Softwarehaus Ikoss CSS das System in Richtung Werkstatt ergänzen und die Mitarbeiter forbilden. Nach den Aussagen des Konstruktionschefs hat sich der Mehraufwand gelohnt.

Insgesamt vierzehn Wochen setzten die Stuttgarter EDV-Spezialisten für die Schulung an - ein Drittel davon intensive Grundausbildung, der Rest Training on the Job. Nach einem halben Jahr gingen die Beschäftigten in der Werkstatt dazu über, auf das Modell in Hartschaum zu verzichten und frästen sofort in Stahl.

Aus der Abbildung des Werksstückes im CAD werden im NC-Rechenzentrum die Daten für das Form-Werkzeug generiert und die Werkstücke gefräst. Nach Abschluß des Auftrags gehen die fertigen elektronischen Unterlagen per Diskette, Magnetband oder Datenfernübertragung an den Auftraggeber zurück und können weiterverarbeitet werden. "Beim heutigen Qualitätsstandard kann man auf die Übergabe elektronischer Daten gar nicht mehr verzichten," resumiert Mangold.

MASCHINENWELT

1990 hat für Italiens Verpackungsmaschinenindustrie ein relativ geringes Wachstum gebracht, das in der zweiten Jahreshälfte eine Tendenz zur weiteren Verlangsamung zeigte. Die Zunahme des Produktionswertes belief sich nach Schätzung des Fachverbandes Unione Construttori Italiani Macchine Automatiche per il Confezionamento ed Imballaggio (Ucime) nur auf 6,5 %. Die Verkäufe der Branche werden mit 2,7 Bio. Lire angegeben (1000 Lire = 1,35 DM). Das Marktforschungsinstitut Databank schätzt den Umsatz allerdings nur auf knapp über zwei Bio. Lire.

Seit kurzem steht der ehemalige Ermic-Betriebsteil Rationalisierungsmittelbau Erfurt-Nord auf eigenen Füßen und heißt SME Sondermaschinenbau Erfurt GmbH. Mit einem Stammkapital von 50000 DM wurde nach dem Verkauf des Uhrenzulieferunternehmens Festa- Berlin damit das auf Spezialmaschinen orientierte Unternehmen als eines der ersten aus dem PTC-Bereich (ehemaliges Kombinat Mikroelektronik) privatisiert. Mit 56 der 150 Beschäftigten von 1990, so Geschäftsführer Eduard Fischer, wolle man sich weiter auf die Entwicklung und den Bau von Automatisierungstechnik und Sondermaschinen spezialisieren. In drei Jahren hoffe man, das westliche Niveau erreicht zu haben.

Staatliche Maschinenbauförderung in Fernost: Taiwan will bis zum Jahre 2000 den Produktionswert seiner Maschinenbauindustrie von 7,8 Mrd. Dollar (1988) auf 25 Mrd. Dollar erhöhen. Gleichzeitig sollen die Exporte ein Volumen von 10,5 (4,2) Mrd. Dollar erreichen. Diese Ziele bekräftigte Wirtschaftsminister Vincent Siew auf der Jahrestagung der Taiwan Association of Machinery Industry (Tami). Weitere Punkte des Strategieprogramms für den Maschinenbausektor - er umfaßt nach der taiwanischen Definition Werkzeug-, Schwer- und Industriemaschinen (u.a. Maschinen für die Textil-, Schuh- und Nahrungsmittelbranche), Ausrüstungen für den Umweltschutz und Präzisionsteile (Ventile, Zahnräder etc.) - sind eine Erhöhung der Importe von 5 Mrd. auf 9 Mrd. Dollar und der Ausgaben für Forschung und Entwicklung (FuE) von 1,5% auf 3% des Umsatzes.

Japan findet spielerisch den Weg in Marktnischen Mit Hochtechnologie und gutem Gespür für Show-Business macht die Roboter-Forschung mobil unter Wasser, zu Lande und im Weltraum Von Delano L. Klipstein VDI-N, Tokio, 10. 5. 91 -

Durch ihre Unbefangenheit im Umgang mit Automaten haben die Japaner uns Abendländer schon oft verblüfft. Deshalb auch sind die Forschungen über "Autonome Roboter" in Japan besonders weit fortgeschritten - jedenfalls von der Anwendungsbreite her.

U nter dem Motto "Robotics for the 21st Century" beschäftigen sich Japaner mit der Frage, ob nun nicht endlich das Zeitalter der "Personal Robots" angebrochen sei. Professor Ichiro Kato, Dekan der Maschinenbauabteilung an der renommierten Waseda-Universität, wundert sich, warum man eigentlich Roboter nicht als Dienstleister im persönlichen Bereich einsetze: Als Krankenpfleger beispielsweise, der dem Patienten das Essen bringt oder als elektronischer Blindenhund.

Was die Möglichkeit solcher Geräte angeht, weiß Professor Kato, wovon er spricht: Schließlich ist er der Vater des Wabot-II, der während der Weltausstellung in Japan als orgelspielender Roboter Furore gemacht hatte.

Die Japaner haben aber nicht nur Hochtechnologie zu bieten, sondern meist auch noch ein gutes Gespür für Show-Business: Panasonic hat einen netten kleinen Roboter entwickelt, der mit einer konventionellen Nähmaschine umgeht und auf ihr eine Stoff-Tragetasche samt Tragegurt näht. Zwei künstliche Schultergelenke, zwei siebenachsige Arme, zwei Videokameras und entsprechende Sensoren - fertig war Sesara (Sensing Seven-Axis Robot Arms). Was man hier sehen kann, ist wohl mehr ein Demonstrationsobjekt, das die Leistungsfähigkeit des Unternehmens auf diesem Gebiet anschaulich zeigt - wenn man wirklich eine automatisierte Nähmaschine bauen will, würde man mit Sicherheit das Problem anders lösen.

Wirklich neue Anwendungen finden sich da, wo auch die Japaner eigene Wege gehen. Die greifenden Gummifinger, die sowohl ein rohes Ei halten können als auch ein schweres Werkstück, kann man auch an den einschlägigen Universitäten in den USA oder Europa bewundern. Worauf sich die japanischen Forscher aber jetzt stürzen, das sind Roboter für den Weltraum. Ende der 90er Jahre soll ein erstes "Space Shuttle" von Japan aus in den Weltraum geschickt werden. Es wird unbemannt sein, und schon aus diesem Grund wird man Roboter benötigen.

Die japanische NASDA (National Space Development Agency), das Gegenstück zur amerikanischen NASA, hat für das Jahr 2000 ein unbemanntes Mondvehikel (Luna Mobile Explorer) ins Auge gefaßt. Knapp 1 t soll der Teleroboter wiegen, der Staub und Gestein sammeln wird und dabei untersuchen muß, ob auf der Rückseite des Mondes möglicherweise Wasser (wenn auch tiefgefroren) vorhanden ist.

Die Anforderungen an solche Roboter sind hoch: Sie müssen sich in unterschiedlichem Terrain bewegen können, sich im Ernstfall wieder aufrichten können, zuverlässig sein sowie weitgehend unabhängig von menschlicher Hilfe - also in Fragen der Energieversorgung, der Sensorfähigkeiten und natürlich der eingebauten Computer autark. Für solche Fahrzeuge laufen Entwicklungen, z. B. bei Mitsubishi Electric mit dem MRV III. Dieser Roboter ist wirklich frei in allen Bewegungsrichtungen: Er fährt vorwärts und rückwärts, aber auch seitwärts (aus dem Stand) und kann sich darüber hinaus auf seiner eigenen Standfläche umdrehen.

V on MITI wird in Tsukuba ein eigenes Labor betrieben (Mechanical Engineering Laboratory), in welchem ein Vierrad-Roboter mit Einzelradaufhängung entwickelt wird. Er trägt eine Montageplattform, auf der dann Roboterarme montiert werden können. Die völlig unabhängige Aufhängung der Räder garantiert dem Roboter hohe Stabilität und die Möglichkeit, die Plattform auch in unwegsamem Gelände waagerecht zu halten.

Toshiba hat einen Wartungsroboter für die Kerntechnik entwickelt, der mit einem schlangenförmigen Arm ausgestattet ist. Dieser Arm besteht aus acht Abschnitten, die jeweils zwei Freiheitsgrade haben. Die Sensorik ist so fein ausgebildet, daß der Roboter mit der Spitze dieser "Schlange" Schrauben und Muttern zusammenfügen kann.

Solche "schlangenartigen" Roboter schweben den Japanern offensichtlich auch als Realisierung bei ihren Raumfahrtaktivitäten vor. Für ihre unbemannte Raumstation, irgendwann zwischen 2000 und 2010 eingeplant, will man als "Arbeiter" diese schlangenförmigen Geräte verwenden. Sie werden etwa 25 m Länge haben und zu mehreren an einem stählernen Skelettring befestigt sein. Er hat einen Durchmesser von 40 bis 45 m, so daß sich zwei dieser "Schlangenroboter" bei den Montagearbeiten für die Plattform gegenseitig helfen können.

D aß Roboter auch versuchsweise im medizinischen Bereich eingesetzt werden, ist nicht nur mit der Unbefangenheit der Japaner zu erklären. So gibt es z.B. einen vergleichsweise einfachen Roboter, der einen Stoffteddybären "fütterte" . Und an der Waseda-Universität gibt es einen Roboter, der mit Hilfe von 25 Sensoren eine weibliche Brust auf Tumor abtasten und medizinisch "befunden" kann.

In der nächsten Ausgabe:

"Eiserne Gesellen als Maurer"

WERKSTOFFMARKT

Die Preise der Nebenmetalle haben sich Ende April wenig verändert. Antimon bewegt sich zwischen 1670 und 1700 Dollar/t, Wismut ist nicht über 2,90 Dollar/lb hinausgekommen, und für Cadmium stagniert der Wert bei 2,40 bis 2,60 Dollar/lb (Ware 99,99%iger Reinheit). Wenig verändert tendiert auch Arsen mit 1,10 bis 1,20 Dollar/lb. Kobalt wird bei Normalqualität im Handel mit 13,90 bis 14,50 Dollar/lb beziffert. Der Preis für Nickel beträgt etwa 4,25 bis 4,30 Dollar/ lb für gutes Material.

Bei den Ferrolegierungselementen ist Molybdänoxid Ende April gegenüber der Vorwoche geringfügig auf 2,55 bis 2,60 Dollar/lb gestiegen, Ferromolybdän liegt bei 7,20 bis 7,50 Dollar/kg. Leicht rückläufig war Ferrovanadium mit 13,80 bis 14,20 Dollar/kg, während Ferrotitan auf 4,10 bis 4,50 Dollar/kg zulegen konnte. Stagnation herrschte bei Ferrowolfram (6,60 bis 6,70 Dollar/kg) und bei Ferroniob (14,30 bis 15,35 Dollar/kg).

Die VR China importierte 1990 trotz ihrer Stellung als einer der weltgrößten Stahlanbieter (zusammen mit den USA, Japan und der UdSSR) erneut mehr Stahlerzeugnisse, als sie exportierte. Die Bezüge überstiegen die Lieferungen auf Mengenbasis um das Zwei-, dem Wert nach um das Dreieinhalbfache. Erfolge bei der Reduzierung der Einfuhren sind indessen unübersehbar. Erfolgreich werden mehr denn je nur Stahlqualitäten und -spezifikationen sein, die China noch nicht selbst in der erforderlichen Menge bzw. Güte herstellen kann.

Der Niedergang der jugoslawischen Stahlindustrie hat ein dramatisches Ausmaß angenommen. Die Branche wartet auf Weichenstellungen, beginnend mit einer Verstaatlichung des Industriezweiges, wie es im Rettungsplan von British Steel Consultants empfohlen wird. Indessen sind nun erste Sanierungsansätze auf Republikebene erkennbar. Nachdem die Branchenerzeugung 1990 um 15,4% niedriger als 1989 lag, brachte der Januar 1991 (gegenüber entsprechendem Vorjahresmonat) einen Fall um 24,2%. Die Kapazitätsauslastung der Branche insgesamt veranschlagen Experten auf derzeit nur 50%.

Fliehkraft bringt Glas leichter in Form Erstmals wurden 8-m-Spiegel in Schleudergußtechnik hergestellt Von Rainer Hofmann VDI-N, Mainz, 10. 5. 91 -

Wenn es um Innovationen für astronomische Teleskope geht, ist bundesdeutsche Glastechnik führend. So wurden jetzt beim Mainzer Glaskeramik-Spezialisten Schott erstmals 8,2-m-Spiegel in Schleudergußtechnik hergestellt, die nach einer noch Monate dauernden Weiterbearbeitungsprozedur einmal Kernstück des "Very Large Telescopes" (VLT) der Europäischen Südsternwarte in Chile sein werden. Fliehkraft verteilte dabei das flüssige Glas so präzise, daß die bislang größten monolithischen Teleskop-Spiegelträger der Welt in nur 30 cm Dicke gegossen werden konnten.

L angsam rollt die große Form unter der Glaswanne hervor auf den Drehteller. Der Deckel hebt sich etwas ab und erlaubt einen Blick auf 40 t glühende Glasschmelze mit einer Temperatur von rund 1400 PI59 C. Der Drehteller setzt sich in Bewegung und schleudert die Schmelze bei Umdrehungen von 6 min-1. Die Fliehkraft verteilt das flüssige Glas in der gekrümmten Form, es entsteht eine Linse.

Nach diesem Verfahren, Schleuderguß genannt, entstehen zur Zeit bei den Schott Glaswerken in Mainz insgesamt 14 dieser bislang größten monolithischen Teleskop- Spiegelträger der Welt. Vier dieser Linsen sind fest von der Europäischen Südsternwarte ESO bestellt, sie sollen am Ende des Jahrhunderts das Herzstück des VLT (Very Large Telescope) bilden, mit dem die Astronomen Lichtsignale aus einer Entfernung von 10 Mrd. Lichtjahren auffangen wollen.

Ziel dieses aus vier Einzelteleskopen bestehenden Konzeptes ist es, die bewegten Massen möglichst gering zu halten, ein Problem mit dem sich die Glasspezialisten in Mainz schon seit 1984 beschäftigen. "Herkömmliche Spiegelträger hätten bei einem Durchmesser von 8 m eine Dicke von mehr als 1,4 m besessen, was zu einem Gewicht von etwa 150 t geführt hätte" , erklärt Dr. Helmut Tietze, Technischer Leiter des Geschäftsbereiches Optik bei Schott.

Doch solche Abmessungen ergeben sich zwangsläufig aus den geforderten mechanischen Eigenschaften an einen Teleskop- Spiegel: Er sollte sich weder durch Schwerkrafteinflüsse noch durch Temperaturschwankungen verformen und so zu unscharfen Bildern führen. Aber ein Teleskop mit einem 150-t-Spiegel läßt sich nicht mehr mit der notwendigen Präzision auf die Sterne und Galaxien am Himmelszelt ausrichten.

Die Lösung heißt aktive Optik und verlangt genau das Gegenteil der herkömmlichen Spiegelträger, nämlich eine möglichst dünne und damit elastische Glaslinse. Sie liegt dann auf einer Vielzahl von kleinen hydraulischen Stempeln.

U nter Aufsicht eines Rechners drücken sie den Spiegel unabhängig davon, ob ein Punkt am Horizont oder am Zenit anvisiert wird, immer in die optimale optische Form.

1987 produzierten die Mainzer Glasspezialisten den ersten dünnen 4-m-Spiegel im Schleuderguß und stellten damit die Machbarkeit unter Beweis. "1988 vergab die ESO dann den Auftrag für die 8-m-Spiegel" , erklärte Tietze. In der neu errichteten Fabrikhalle können jeweils drei Spiegel in einer Schmelzperiode gegossen werden, Mitte 1993 sollen alle 14 Güsse fertig sein. Die große Anzahl erklären die Manager mit dem hohen Fertigungsrisiko und mit möglichen Zusatzaufträgen.

Die Gefahr, daß während irgendeines Fertigungsschrittes, ein Spiegel zu Bruch geht, ist relativ groß. Obwohl spektakulärster Teil, nimmt das Gießen und Schleudern mit einer Dauer von nur einen halben Tag den kleinsten Teil in der gesamten 21monatigen Produktion eines Spiegels ein. Denn zunächst einmal kommt der Rohling nach dem Guß unter die Haube. Dort kühlt er in 41/2 Monaten auf Raumtemperatur ab. "Erst dann können wir überhaupt feststellen, ob der Guß erfolgreich war, ob nicht Schlieren, Blasen oder gar Risse die Schiebe unbrauchbar machen" , sagte Tietze.

Doch auch danach gibt es genügend Gelegenheit, den Spiegel durch falsche Behandlung in teure Scherben zu verwandeln. Auf der einen Seite muß der Spiegel elastisch sein, um die Verformungen während des Betriebes zu ermöglichen. Auf der anderen Seite darf er während der Bearbeitung und während des Transportes um höchstens 0,5 mm verbogen werden, so jedenfalls die Berechnungen der Ingenieure.

Nach dem Abkühlen folgt dann ein weiterer wichtiger thermischer Prozeß, in dem der Rohling erst zu einem richtigen Spiegelträger wird. Während einer 81/2monatigen Temperung entsteht eine Glaskeramik, unter dem Handelsnamen "Zerodur" bekannt von den Kochfeldern moderner Küchenherde. Wichtigstes Merkmal dieses Werkstoffes: Die thermische Ausdehnung wird vernachlässigbar klein.

Tietze erklärt die Hintergründe so: "Amorphes Glas besitzt einen positiven Ausdehnungskoeffizienten, die kristalline Phase, die wir durch die Keramisierung erzeugen, einen negativen." Durch Einstellung eines bestimmten Mischungsverhältnisse (30% Glas, 70% kristalline Phase mit Hochquarzstruktur) entsteht so eine "Null-Ausdehnung" , mit einem Wert von 0 PI131 0,05 PI158 10-6 K-1.

Doch noch immer ist für Schott die Bruchgefahr nicht gebannt. "Wir gießen ein Bruttomaß von 8,3 m Durchmesser und einer Dicke von 30 cm und bearbeiten auf ein Endmaß von 8,2 m und 17,7 cm." Dabei werden rund 50% der Glasmasse zerspant, aber Produktionsvorstand Schuster erklärt weiter: "Ein herkömmlicher Massivguß hätte zu einem Glasverlust von über 120 t geführt."

N ach Bohren des Mittelloches und Schleifen der Außenkontur auf eine Genauigkeit von wenigen 100stel mm, abschließender Qualitätskontrolle und Verpackung, tritt der erste Spiegel wahrscheinlich im Frühjahr 1993 den ersten Teil seiner Odyssee rund um den Erdball an.

Zuerst geht er dann den Rhein hinab, über die Nordsee zur Seine und die hinauf bis hinter Paris. Dort, bei der Firma Reosc in Evry, erhält der Spiegel sein Oberflächenfinish. Nochmal 23 Monate wird es dann voraussichtlich dauern, bis in mehreren Arbeitsschritten die Oberfläche auf eine Rauhigkeit von 500 nm poliert ist. Danach geht die erste Linse 1995 auf große Fahrt. Das VLT wird nämlich auf dem 2664 m hohen Cerro Paranal in den chilenischen Anden stehen.

CHEMIE/VERFAHREN

Technische Gase und Sondergase für den Umweltschutz als ausgesprochenen Wachstumsmarkt in Osteuropa , sieht Messer Griesheim Austria (MGA), Grieskirchen. Das österreichische Unternehmen verhandelt deshalb derzeit mit Ausnahme von Polen und der UdSSR - hier ist die deutsche Konzern-Mutter in Frankfurt/M. zuständig - in allen Staaten dieser Region über Joint Ventures und Beteiligungen. Ein 51 %-Joint-Venture wurde bereits in Ungarn etabliert. Noch in diesem Jahr soll dort eine Produktionsanlage für Gase mit einem Investitionsaufwand von 300 Mio. S fertiggestellt werden. Der Probebetrieb soll im 3. Quartal 1991 aufgenommen werden.

Feststoffarme Flußmittel gewinnen bei Lötvorgängen wegen ökologischer Vorteile zunehmende Bedeutung . Grasmann WLS, Faulbach, bietet deshalb ein neues Fluxersystem für Wellenlötanlagen an, das eigens für diese Flußmittel entwickelt wurde. Ein Ultraschallkopf zerstäubt dabei das flüssige Löthilfsmittel. Der Nebel wird in einen regelbaren Luftstrom eingesprüht und benetzt so Substrat und Durchkontaktierung vollkommen gleichmäßig. Die Menge des Auftrags regelt eine Dosierpumpe mit einer stufenlos einstellbaren Durchflußmenge zwischen 0 ml/min. und 90 ml/min., die Sprühintervalle sind zwischen 0 s und 60 s vorgebbar.

Kunststoffgehäuse von elektrischen Meßgeräten werden vermehrt mit Ultraschall-Verfahren geschweißt . Ultraschalltechnik-Lieferant Herrmann, Karlsbad-Ittersbach, begründet dies mit kürzeren Taktzeiten und Materialeinsparungen im Vergleich zur aufwendigen Schraubverbindung. Der Fügeprozeß dauere nur Bruchteile von Sekunden, und die Mikrocomputerüberwachung sorge für einen feinfühligen programmierten Schweißvorgang in reproduzierbarer Qualität, ohne daß die empfindliche Elektronik zu gefährden.

Eine Einweg-Atemschutzmaske zum Schutz gegen Partikel aus giftigen und sehr giftigen Stoffen gemäß Atemschutzmerkblatt ZH 1/134 hat Koch und Schröder, Neuss, jetzt erstmals auf den Markt gebracht. Die Maske ist für die Kategorie FFP 3 fest/flüssig zugelassen.

Baugenehmigung zwei Wochen nach Kauf des Grundstücks Ostbetrieb stand in sechs Monaten VDI-N, Schwerin, 10. 5. 91, A. E. -

E in Lichtpunkt am Ende des Tunnels. So die Worte des Ministerpräsidenten von Mecklenburg-Vorpommern Alfred Gomolka anläßlich der im April eröffneten Landmaschinen- und Nutzfahrzeug-Niederlassung der Firma Ludwig Warncke in Lübesse, Kreis Schwerin. Damit kam zum Ausdruck, wie hilfreich auch kleine Investitionen zum Aufschwung in den neuen Bundesländern beitragen.

Dies sei bereits die fünfte Niederlassung der Firma Warncke in dieser Region und mit nur einem Aufwand von einer dreiviertel Million DM eine solide und moderne Anlage, bemerkt der Ministerpräsident. Die Bedingungen dazu erwiesen sich als außerordentlich günstig: Der Grunderwerb des 7000m2 großen Areals erfolgte problemlos, da Eigentumsvorbehalte wie Reprivatisierungsansprüche nicht vorhanden waren. Gekauft wurde direkt vom Eigentümer. Ganz schnell reagierte auch die Baubehörde, die schon zwei Wochen danach die Baugenehmigung erteilte. Vereinfachend wirkte sich dabei die Wahl einer typisierten Hallenkonstruktion aus, die die üblichen individuellen bautechnischen Nachweise und Genehmigungen von vornherein aus dem Verfahren ausklammerte.

Nach weiteren zwei Wochen begannen bereits die Bauarbeiten. Innerhalb von knapp einem halben Jahr war das 810m2 große Gelände mit Werkstatt, Ersatzteillager, Büros und Sozialräumen fertig gestellt. Die Ausrüstung erfolgte natürlich nach modernsten Gesichtspunkten. Die Standardisierung der Bauelemente erleichterte diese Aufgabe erheblich und konnte daher im Wesentlichen von einheimischen Bauunternehmungen ausgeführt werden. Die Schnelligkeit beim Aufbau dieser Niederlassung sei beispielhaft und - bei Antreffen so günstiger Vorbedingungen - nachahmenswert, resümiert Gomolka im Hinblick auf die Notwendigkeit des wirtschaftlichen Aufschwungs in den neuen Bundesländern

Motor dieser Maßnahme ist der Familienbetrieb Warncke, der die Erfahrung einer bald 120jährigen unternehmerischen Praxis in das Geschäft einbringt. Im Jahre 1872 gegründet, entstand schon zwei Jahre danach eine feste Geschäftsbeziehung zur John Deere-Landmaschinenfabrikation. Der Vertreter dieser Geschäftsleitung zog eine muntere Bilanz dieser so lange andauernden Verbindung, die jetzt in der erfreulichen Expansion auf dem neuesten Absatzmarkt weiterhin Bestand haben wird.

Das zweite Standbein von Warncke ist der Handel und die Wartung von Nutzfahrzeugen der niederländischen Firma DAF. Auch hier hob der Vertreter der DAF-Geschäftsleitung die erfreulichen Beziehungen hervor, die jetzt mit einigen Standorten in diesem Bezirk das Transportwesen ausreichend versorgen kann.

Die sinnvolle Auswahl der einzelnen Stützpunkte des Unternehmens Warncke deckt somit den Bedarf der künftigen Kundschaft ab und schlägt sich schon in ersten geschäftlichen Erfolgen nieder. Zwanzig Fahrzeuge fanden ihren Käufer.

A uch hier zeigt sich, daß die alten Organisationsformen Ostdeutschlands nicht überleben konnten und hinsichtlich Qualität und Risikobereitschaft durch marktwirtschaftlich orientiertes Management abgelöst wurden. Und ohne die in den alten Bundesländern erhältlichen qualitativ besseren Materialien und dem know-how der vielseitig verwendbaren Fertigteilbauweise wäre der Aufbau nicht so schnell und problemlos durchzuführen gewesen.

Dies gute Beispiel zeigt auf der anderen Seite das Wettbewerbsdefizit, das ein schnelles "Anschieben" der Konjunktur in den Neuen Bundesländern verzögert: Fehlendes Management mit marktwirtschaftlicher Erfahrung, da die alten Topleute als Partei- und Gewerkschaftsgrößen eliminiert sind und auch die mittlere Ebene (meist parteilos) noch zu unerfahren ist. Damit hat die Produktivität nach der Wende nicht Schritt halten können. Die Verbesserung der gegenwärtigen strukturellen Krise ist also auf solche Unternehmungen angewiesen, wie in Lübesse geschehen.

Viel Ästhetik und High-Tech unter der Erde Mailand erhielt dritte U-Bahn-Linie - Stationen mit Marmor vertäfelt - Von Harald Jung VDI-N, Mailand, 10. 5. 91 -

Ähnlich, wie in zahlreichen anderen italienischen Großstädten wird die Verkehrsmobilität in Mailand von einer immer zähflüssiger werdenden Blechlawine gelähmt. Mit dem Bau einer dritten U-Bahn-Linie, einer der fortschrittlichsten und ästhetisch gelungensten in Europa, soll das Nahverkehrsproblem weiter entschärft werden.

D as beinahe acht Jahre lang von Bauzäunen, Umleitungsschildern und Fahrbahnverengungen verunzierte Mailänder Stadtbild hat sich an der Schwelle der neunziger Jahre merklich gebessert. Wo vor kurzem noch Hinweisschilder "Die Linie 3 schreitet fort" , die weit offen klaffenden Baugruben zu entschuldigen versuchten, und häßliche Absperrungen die Aussicht auf Sehenswürdigkeiten wie den berühmten Mailänder Dom versperrten, sind die Wundflächen langwieriger Ausschachtungs- und Betonierarbeiten (der Vortrieb der Tunnelfräswerke wurde immer wieder durch historische Funde gebremst) weitgehend schon durch Pflastersteine und Grünbewuchs vernarbt.

Mit Beginn der Fußball-WM indessen, konnte der erste Teilabschnitt der neuen U- Bahn-Linie vom Hauptbahnhof bis zum Domplatz in Betrieb genommen werden. Gegen Ende 1990 folgte der zweite Abschnitt mit weiteren fünf Stationen und vor kurzem auch die Reststrecke bis San Donato Milanese.

Die M3 ist die neue unterirdische "gelbe" Trasse (ein Drittel wurde in offener Baugrube errichtet), die sich den beiden in den sechziger und siebziger Jahren gebauten M1 (rot) und M2 (grün) hinzugesellt hat. In 11 km Länge schlängelt sie sich quer zur M1 und M2 angeordnet als Nord-Süd-Achse verlaufend über 15 Haltestellen bis zum Süd-Ost-Zipfel der lombardischen Metropole. Das Jahresaufkommen der beiden Schwesternlinien von 270 Mio. Fahrgästen erhöht sich damit um 72 Mio. Passagiere und bedeutet gleichzeitig eine zusätzliche Entlastung des oberirdischen Nahverkehrs, da die darüberliegenden Straßenbahnlinien weitgehend abgeschafft werden konnten.

Äußerst wichtig für das gesamte Mailänder Verkehrsgeschehen ist die von der Metropolitana Milanese gebaute M3 auch wegen der in den Vorort San Donato reichenden Endstation, die mit ihren 2000 Parkplätzen den Automobilzustrom von der Ost- Tangente und der von Cremona kommenden, stark von Pendlern frequentierten "Paullese" abfängt. Das gleiche gilt für ihre geplante Verlängerung zum Parco Nord (1000 Parkplätze) und der mit der Eisenbahnlinie FNM (sie soll nach ihrer Verdopplung bis zum Flughafen "Malpensa" führen) in Verbindung stehenden Haltestelle "Affori" (2000 Parkplätze).

Für die notwendigen Wechsel von der Straße auf die Schine wird auch der vorgesehene Ausbau der M1 bis Bisceglie (1900 Parkplätze) und der M2 bis Famagosta (2000 Parkplätze) sorgen. Der bisher als einer der wenigen für den aus dem Nord-Westen anreisenden Berufsverkehr zur Verfügung stehende Parkplatz an der M1-Station "Lampugnano" ist anläßlich der Fußball-WM (und seiner Nähe zum Meazza- Stadion) bereits erheblich erweitert worden.

Die neue, nach modernsten Sicherheitskriterien konzipierte M3 weist eine Reihe von bautechnischen und architektonischen Besonderheiten auf. Dazu gehört insbesondere die Marmoraustäfelung der Haltestationen mit dem seit der Römerzeit bekannten "Granitello del Carso" . Das Naturgestein stammt aus dem bekannten Aurisina-Vorkommen in der Nähe von Triest, dessen Ausschöpfungspotential auf mindestens 5 Mio. m3 geschätzt wird. Auf den Gehsteigen der Bahnstationen und den Wänden entlang der insgesamt 82 Rolltreppen, die Höhenunterschiede von 3,9 m bis 11,5 m überwinden, ist er als glänzend geschliffenes Plattenmaterial verschiedener Fom zu finden, das sich auch nach großer Verschmutzung oder Beschriftung leicht mit Hilfe eines Wasserstrahls reinigen läßt.

A lle Haltestellen, Zugänge und Hygienevorrichtungen sind auch für die Benutzung durch Gehbehinderte augelegt. Ein Fahrstuhl besorgt die Verbindung zwischen Haltestelle und Zwischengeschoß. Die Benutzung der Toiletten erfolgt durch Münzautomaten, die von Wasser, Seife und Handtüchern durch Fotozellen. Ebenfalls durch Lichtschranken geregelt sind die im 20-Stunden-Betrieb laufenden Rolltreppen, deren Fahrgeschwindigkeit bei Höhenunterschieden über 7 m durch einen Inverter (allmähliche Steigerung von 0,25 m/s bei Leerfahrt auf 0,5 m/s (bei Vollast) geregelt wird.

Zur Fernhaltung unerwünschter Dauergäste ist vor allem auf die Vermeidung von Schattenzonen (alle Eckräume in 135-Grad-Winkel) und größeren Sitzflächen geachtet worden. Digitale Leuchttafeln künden die kommenden Züge an und markieren zusätzlich die gelben Sicherheitsstreifen am Bahnsteig bei ihrer Ankunft. Für weitmöglichste Sicherheit sorgen auch die bewußt offen gehaltenen Fernsprechzellen, Video-Kameras, Brandschutzvorrichtungen und eine durchgehende, teilweise durch Zusatzscheinwerfer verstärkte Deckenbeleuchtung. Störungen des Fahrbetriebs und Zwischenfälle auf den Bahnstationen werden in Realzeit (dazu gehört die "automatic train protection" ) von der Überwachungszentrale erfaßt und infolgedessen ohne größeren Zeitverlust behoben.

Trotz der vorgenommenen Erweiterung des U-Bahn-Netzes denken die Stadtväter bereits an den Bau einer weiteren Schnellbahn (M4) in Richtung Assago (Kongreßzentrum) oder Linate (Flughafen), möglicherweise auch in Form einer Magnetbahn. Eine weitere Entlastung des Stadtverkehrs soll die vor einigen Jahren begonnene, in durchschnittlich 20 m Tiefe führende Eisenbahnlinie (Passante Ferroviario) bringen, die sämtliche Bahnhöfe der Stadt miteinander verbinden wird.

Die 13 km lange Schienenstrecke, die bis 1994 fertiggestellt sein soll, wird gleichzeitig die wichtigsten Knotenpunkte mit der M1 (Porta Venezia), M2 (Porta Garibaldi) und M3 (Piazza Repubblica) knüpfen und damit auch den Pendlerverkehr aus den entfernteren Provinzorten flüssiger machen.

BAU AKTUELL

Wer als Hausbesitzer noch eine veraltete Heizungsanlage betreibt, wird demnächst zur Kasse gebeten, wenn der Kaminfeger bei der vorgeschriebenen jährlichen Routineuntersuchung feststellt, daß die Abgas-Grenzwerte überschritten werden und sich mit der vorhandenen Anlage auch nicht einhalten lassen. Die BHW-Bausparkasse weist in diesem Zusammenhang darauf hin, daß den Eigentümern dann eine Frist von fünf bis sieben Jahren für die Umstellung auf schadstoffarme Heiztechnologien bleibt. Nach #P 82a der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung können die Investitionskosten für neue Heizungen mit jährlich 10 % steuermindernd abgeschrieben werden. Der Einbau muß aber bis Ende dieses Jahres abgeschlossen sein. Auch allen Bürgern in der ehemaligen DDR bietet sich so eine Chance, ihre veralteten Heizungssysteme auf Vordermann zu bringen.

Einen intensiven Gedankenaustausch zwischen Theoretikern und Praktikern auf dem Gebiet des Leitungsbaus versprechen sich die Veranstalter der No-DIG Konferenz und des Internationalen Leitungsbaukongresses vom 27. bis 31. Oktober im Hamburger Congress-Centrum. Erstmals wird hierbei der Industrie die Möglichkeit gegeben, sich zusätzlich zur kongreßbegleitenden Ausstellung im Rahmen spezieller Industrieseminare zu präsentieren. Mögliche Inhalte dieser Seminare sind die Vorstellung neuer Techniken und Verfahren, Entwicklungsstand und zukünftige Trends bei Maschinen, Baustoffen und Geräten sowie Bedarfs- und Einsatzanalysen. Im Veranstaltungsgebäude seien hierfür insgesamt neun Säle reserviert worden, teilt die Kongreßgesellschaft in Hamburg mit.

Zum problemlosen Errichten von Laternenmasten hat das französische Unternehmen Olesa, Senlis, ein neues Verankerungssystem entwickelt. Hiernach wird ein Verankerungspfahl an einem Joch aufgehängt und durch die Zündung eines pyrotechnischen Elementes mit Druck ohne Abweichung in den Boden gerammt. Eine Arretierungsplatte hält den Pfahl auf Bodenniveau. Danach kann der Mast auf der Platte befestigt werden. Die französische Erfindung vermindere, so der Hersteller, Arbeitszeiten und Personalaufwand und reduziere die Kosten der Ausführung um 10% bis 60%.

Drehstrom im Kopf - Asynchronmotoren unterm Bauch Modernste Antriebstechnik macht den ICE schnell, wirtschaftlich und konkurrenzfähig - Von Jürgen Heinrich VDI-N, Düsseldorf, 10. 5. 91 -

Durch die ausgefeilte Drehstrom-Asynchrontechnik erzielt der Intercity Express (ICE) eine optimale Traktion. Mit GTO-Abschaltthyristoren, Bremsenergierückgewinnung sowie digitaler Steuer- und Regeltechnik über ein Glasfasernetz stellt der ICE die internationale Konkurrenz auf der Schiene in den Schatten.

A ls der erste Triebkopf für den ICE am 26.September 1989 die Werkhalle verließ, hatte für Günther Kaes die Zukunft schon begonnen: "Das Spitzenprodukt des deutschen Lokomotivbaus" , so der Krupp-Manager, läutete nun auch für die Bundesbahn das Hochgeschwindigkeitszeitalter ein. Mit dem neuen Triebkopf hatten die Kruppianer federführend zu einem weiten Technologiesprung angesetzt: Das Triebkopfzugkonzept stützt sich auf die leichte Integralbauweise, die Drehstrom-Asynchrontechnik mit Netzbremse, GTO-Abschaltthyristoren sowie die digitale Steuerungstechnik. Dabei werden beispielsweise die Steuerimpulse für Traktion und Bremse mit Glasfasertechnik auf ein Diagnosesystem übertragen. Die von ABB-Henschel serienreif entwickelte Drehstromantriebstechnik gilt als das Beste, was es heute auf den Weltmärkten gibt.

Bei dieser Antriebsart kommen kleine, leichte und schnellaufende elektrische Kurzschlußläufermotore zum Einsatz, die weitgehend verschleißfrei arbeiten. Halbleitertechnik speist sie mit variabler Spannung und Frequenz. Die in den Triebköpfen des ICE installierte digitale Regeltechnik gestattet so das Fahren knapp unterhalb der "Schleudergrenze" , dem Durchdrehen der Radsätze. Dadurch steht stets optimale Zugkraft zur Verfügung.

Für dieses Optimum an Leistungsausbeute sorgt auch ein spezieller Umrichter innerhalb des ICE-Antriebssystems. Er erlaubt Strom und Spannung so einzustellen, daß das System dem speisenden Fahrleitungsnetz nur Wirkleistung entnimmt. Während die ersten 40 von 120, vom Elektrokonsortium ABB, AEG und Siemens ausgerüsteten Triebköpfe konventionelle ölgekühlte Traktionsstromrichter erhielten, fahren die nachfolgenden bereits mit Stromrichtern in sogenannter GTO-Technik (Gate-Turn-Off) und Siedebadkühlung.

Die im Rahmen des Rad/Schiene-Forschungsprogramms der Bundesregierung als technisch wie wirtschaftlich beste Lösung ermittelte Drehstrom-Asynchrontechnik für Schienenfahrzeuge besticht ferner durch ihre einfache Art der Energierückgewinnung: Beim Bremsen fungieren die Fahrmotore als Generatoren und speisen die elektrische Energie über Stromabnehmer und Fahrleitung ins Bahnstromnetz zurück, dies wird als Netzbremse bezeichnet.

Mikroprozessoren übernehmen in den Triebköpfen des ICE weitgehend die Kopfarbeit des Steuerns und Regelns der Traktions- und Bremssysteme. Dabei verfügt jedes Drehgestell über eine separate Steuereinheit. Auf der Grundlage eines aktuellen Soll-Ist-Wertvergleichs der Prozeßdaten ermittelt die redundant geschaltete Antriebssteuerung die Stellgrößen für die einzelnen Untersysteme. Spezielle Rechner überwachen auch alle weiteren wichtigen Funktionen sowie die Kommunikation mit den Einrichtungen der DB-Streckensicherung.

Unabhängig voneinander erfolgt die Stromversorgung der Triebköpfe. Eine 110-V-Batterieschiene wurde für den Fall installiert, daß beide Antriebssteuergeräte des Zuges ausfallen. Dies Konzeption gewährleistet stets die 75%ige Verfügbarkeit der Gesamttraktionsleistung.

Auf ihrer Suche nach geeigneten Triebdrehgestellen für den deutschen Superzug griffen seine Konstrukteure auf die Erfahrungen mit der "Um-An" -Versuchsdiesellok V 202003 zurück. "Das Triebdrehgestell ist technisch eines der besonders wichtigen Bauteile des ICE" , erläutert Arnold Brandenstein, ABB-Henschels Verbindungsmann zur DB.

In den niedrigen Triebdrehgestellen brachten die Ingenieure u.a. die Radsatzführung sowie Primär- und Sekundärfederung mit Schraubenfedern und parallel angeordneten hydraulischen Dämpfern unter. Vertikalpendel übernehmen die Abstützung am Kopfträger, querliegende hydraulische Dämpfer vermitteln die Ankopplung am Fahrzeugkasten.

Durch diese konstruktive Maßnahmen erzielten die Lokbauer eine Reduzierung der ungefederten Masse des Triebradsatzes von ca. 2,6 t auf ca. 2 t. Die gefederte Drehgestellmasse verringerte sich um 50% auf 5 t je Drehgestell. Durch den weitgehend querentkoppelten Lauf des Radsatzes entstanden zudem jene niedrigen Führungskräfte, aus denen die geringen dynamischen Radlasten mit Spitzenwerten von nur 130 kN bis 140 kN bei einem zulässigen Grenzwert von 170 kN resultieren.

D ies ermöglichte zugleich ein höheres Reibungsgewicht sowie die vorteilhafte statische Radsatzlast von 20t. Beim französischen TGV sind es hingegen nur 17 t, da seine dynamischen Radlasten wesentlich höher sind.

Die Grenzwerte für die horizontalen Führungskräfte nutzen die ICE-Fahrwerke nur zu maximal 60%. Ihre Konstruktion birgt somit große Reserven für die Sicherheit und künftige Geschwindigkeitssteigerungen.

Die Fahrgast- und Servicewagen des Serien-Intercity-Express laufen auf bewährten Hochgeschwindigkeitsdrehgestellen des Typs MD 530. Diese Fahrwerke besitzen Räder mit Verschleißprofil, die zwar einen höheren technischen Aufwand für den stabilen Geradeauslauf erfordern, dafür aber große Laufleistungen erbringen. Zugleich verfolgen Bundesbahn und Industrie zwei weitere Entwicklungslinien bei den Fahrwerken: das Einzelrad-Doppelfahrwerk (EDF) und das Drehgestell aus Faserverbundswerkstoffen (HLD 300). Komponenten dieser mit Luftfederung ausgestatteten Neuentwicklungen müssen sich derzeit umfänglichen Tests auf den Prüfständen des Bundesbahnzentralamts in Minden unterziehen. Von deren und den Ergebnissen der sich anschließenden lauftechnischen Versuche im harten Eisenbahnalltag hängt ab, ob die "neuen Beine" halten, was sie versprechen - noch leichter, noch laufstabiler, noch wirtschaftlicher zu rollen.

Bei Giftmüll zur Kasse Abgabenhöhe richtet sich nach Vermeidungspotential - Von Andreas Wolf

Wer in Baden-Württemberg Sonderabfall produziert, wird seit April zur Kasse gebeten. Voraussichtlich ab 1992 gilt für alle anderen Bundesländer eine ähnliche Regelung.

VDI-N, Düsseldorf, 10. 5. 91 -

D as Musterländle will auch in Sachen Abfallpolitik mustergültig sein: Mit gutem Beispiel ist Baden- Württemberg vorangegangen und hat eine Abfallabgabe für Erzeuger von Sonderabfällen eingeführt. Bundesumweltminister Klaus Töpfer plant eine ähnliche Regelung. Nach einem Arbeitsentwuf, den er jetzt dem Umweltausschuß des Bundestags vorgestellt hat, soll die Abgabe in fünf Kategorien erhoben werden: Sondermüll wird mit 150 DM je angefangener Tonne belegt, gewerbliche Massenabfälle mit 40 DM/t, Bauschutt und Erdaushub mit 35 DM/t und Hausmüll mit 20 DM/t. Je nach Art der Lagerung kann zusätzlich eine Pauschale von bis zu 150 DM/t erhoben werden. Von 1994 an sollen sich die Gebühren verdoppeln. Von der Abgabe betroffen sein werden neben den Abfallimporteuren und -exporteuren sowie öffentliche Einrichtungen in erster Linie die Unternehmen.

Die Industrie steht den neuen Abfallgesetzen mit großer Skepsis gegenüber, insbesondere die baden-württembergische, die jetzt für Sonderabfälle Abgaben bezahlen muß. Wolfgang Wolf, Geschäftsführer des Landesverbands der Deutschen Industrie (LDI) in Stuttgart: "Nach der bundesweiten Einführung einer Abfallabgabe werden sich zwar Wettbewerbsnachteile zwischen den einzelnen Ländern wieder ausgleichen, doch die meisten Unternehmen haben ja nicht nur in Deutschland Wettbewerber. Wenn eine Abfallabgabe, dann sollte sie auch europaweit eingeführt werden."

Hingegen fordern Umweltschutzorganisationen, Grüne und SPD sogar Abgaben in bis zu zehnfacher Höhe. Tatsächlich wird sich die Müllbeseitigung für die Industrie durch die geplanten Gebühren nur unwesentlich verteuern, da sie nur einen Bruchteil dessen ausmachen, was eh schon für die Entsorgung von Sondermüll aufgewendet werden muß. Die Beseitigung einer Tonne FCKW-haltigem Reinigungsmittel beispielsweise kostet zwischen 1200 DM und 2000 DM. Eine zusätzliche Gebühr von 150 DM dürfte ein Unternehmen aber immer noch wesentlich billiger kommen als die kostenintensive Suche nach umweltschonenden Alternativen oder die Umstellung der Produktion.

Nach Ansicht von Wolfgang Wolf steht der Druck zu mehr Abfallvermeidung jedoch weder bei der baden-württembergischen Initiative noch bei der geplanten bundesweiten Abfallabgabe im Vordergrund. "Es wird zwar immer so argumentiert, als wenn diese Gesetze wegen des zu hohen Abfallaufkommens eingeführt werden," so Wolf, "der Hintergrund ist aber, daß über dieses Instrument die Industrie an der Altlastensanierung beteiligt werden soll."

Durch die geplante Müllabgabe erwartet das Bundesumweltministerium Einnahmen von 5 Mrd. DM im Jahr. Davon sollen 2 Mrd. DM für die Altlastensanierung in Ostdeutschland eingesetzt werden. Den Rest erhalten die Länder für die Sanierung der eigenen Altlasten und zur Entwicklung von Pilotvorhaben auf dem Gebiet der Abfallvermeidung und -verwertung.

K ritik an den Abfallabgaben übt auch Helmut Krause, Sprecher der Firma Bosch in Stuttgart. Das Argument der Regierung, die Unternehmen hätten es selbst in der Hand, durch Umstellung auf abfallärmere Produktionsverfahren ihre Abgaben zu reduzieren, treffe insbesondere bei einigen Sonderabfällen nicht zu: "Es ist technisch heute noch nicht möglich, alle Problemstoffe zu ersetzen."

Das baden-württembergische Sonderabfallgesetz trägt diesem Umstand allerdings Rechnung. Sonderabfälle sind dort nicht mit einer pauschalen Abgabe belegt, wie es der Entwurf über eine bundesweite Abfallabgabe vorsieht, die Gebühren werden vielmehr in drei Kategorien erhoben. "Die Höhe der Abgaben richtet sich nach dem Vermeidungspotential und dem Aufwand für eine umweltverträgliche Entsorgung" , so die Stellungnahme aus dem Stuttgarter Umweltministerium. Für Sonderabfälle der Kategorie 3 müssen je angefangener Tonne 150 DM bezahlt werden, in der Kategorie 2 100 DM und in der Kategorie 1 50 DM. Ab 1993 verdoppeln sich die Gebühren. Der baden-württembergische Umweltminister Dr. Erwin Vetter hält die Abgabenhöhe für angemessen: "Sie sind hoch genug, um Impulse in Richtung Vermeidung und Verwertung auszulösen. Gleichzeitig sind sie aber nicht so hoch, daß dadurch die Industrie in Baden- Württemberg stranguliert wird."

Die Regelung gilt für fast 400 umweltbelastende Stoffe, wie sie seit Oktober in der bundesweit geltenden TA-Sonderabfall aufgelistet sind. Ölgetränktes Sägemehl, verunreinigte Papierfilter oder Prozeßabwässer beispielsweise fallen in die Kategorie 1. Bleiaschen, Tenside, Düngemittel, Accusäuren oder aluminiumhaltiger Staub werden der Kategorie 2 zugeordnet. Zur Kategorie 3 gehören unter anderem Peroxide, Laborchemikalienreste und Polychlorierte Biphenyle (PCB).

Dampf in Sachen Abfallvermeidung und Abfallverwertung machen inzwischen auch andere Landesregierungen. Nordrhein-Westfalen will ein Gesetz erlassen, wonach die Kommunen ihre Müllgebühren staffeln und die Bürger zur getrennten Müllsammlung verpflichten können. Zudem sollen Betriebe, in denen jährlich mehr als eine Tonne Sondermüll entsteht, Vermeidungs- und Verwertungskonzepte erarbeiten.

Größte Quelle krebserregender PAK ist der Verkehr Bessere Verbrennung senkt Belastung Erste Erfolge mit biologischer Sanierung verunreinigter Flächen - Von Ursula Schiele-Trauth VDI-N, Düsseldorf, 10.5.91 -

Noch vor rund 20 Jahren gelangten vor allem durch Industrieabgase große Mengen an polycyclischen aromatischen Kohlenwasserstoffen (PAK) in die Atmosphäre. Die Belastungen haben sich zwar in den vergangenen Jahren deutlich vermindert, dennoch bergen PAK- Altlasten in Böden und Luft oft Gesundheitsrisiken.

D ie toxischen PAK entstehen vor allem bei unvollständiger Verbrennung fossiler Brennstoffe und organischen Materials. Die wichtigsten Emissionsquellen sind jedoch Kokereien, Prozesse der Teer- und Erdölverarbeitung, industrielle und private Verbrennungsöfen sowie Autoabgase.

PAK sind eine große Gruppe von Verbindungen mit zwei oder mehr Benzolringen, die zum Teil krebserregend sind oder die die kanzerogene Wirkung anderer Stoffe verstärken. Ihr bekanntester Vertreter, das aus Teer isolierte Benzo(a)pyren (BaP), war einer der ersten Stoffe, dessen krebserzeugende Wirkung offiziell anerkannt wurde.

Eine Rußbildung ist immer das Signal, daß zu wenig Luftsauerstoff da ist, um den Brennstoff vollständig zu Kohlendioxid und Wasser zu verbrennen. "Bei diesen Prozessen entstehen dann mehrere hundert verschiedene PAK" , erläutert Dr. Uwe Heinrich vom Fraunhofer-Institut für Toxikologie in Hannover. "Die PAK lagern sich beim Abkühlen der Gase fest an die Rußkerne an, die mit ihrer porösen Struktur eine ideale Oberfläche bieten." Mit dem Regen erreichen die an den Partikeln klebenden PAK die Erdoberfläche und gelangen auch in Grund- und Oberflächenwasser und damit in die Nahrungskette. Der zulässige Trinkwassergrenzwert ist auf 0,25 mg pro l beschränkt.

V or etwa 20 Jahren lagen die Belastungen der Luft bei etwa 80 ng/m3 (Milliardstel Gramm). "Inzwischen haben sich ihre Konzentrationen auf weniger als ein Zehntel verringert" , so Dr. Manfred Buck von der Landesanstalt für Immissionsschutz in Essen. "Noch 1981 kam mehr als die Hälfte der Emissionen aus den Schornsteinen der Haushalte." Das hat sich deutlich verbessert, seit Gas und Öl die Kohle als Brennstoff abgelöst haben. Besonders viele PAK haben die Kokereien in die Luft geblasen. Die meisten Anlagen wurden inzwischen stillgelegt, bei den verbliebenen und auch den übrigen Öfen im gewerblichen und industriellen Bereich sorgt eine bessere Technik heute für vollständigere Verbrennung. Mit einem weiteren Rückgang der Luftbelastung auf etwa 2 ng/m3 rechnet Buck, "sobald alle Otto-Motoren mit Katalysatoren ausgerüstet sind." Inzwischen stammen die meisten PAK noch aus dem Verkehr.

"Der Mensch ist immer einem Gemisch verschiedener PAK ausgesetzt" , sagt Heinrich. Mit den winzigen Rußkernen werden sie in die Lunge transportiert und abgelagert. Nur langsam lösen sie sich von der Ruß-Oberfläche und können damit über einen längeren Zeitraum auf die Lunge einwirken.

Hohe Kontaminationen mit PAK haben die stillgelegten Kokereien und Gaswerke im Boden ihrer alten Standorte zurückgelassen. Sammelgruben für Rohteer und Kondensate aus den verschiedensten Arbeitsstufen haben hier ihre Spuren hinterlassen. Für die Sanierung von PAK-kontaminierten Böden werden verschiedene Verfahren getestet. Erste Erfolge gibt es mit der biologischen Reinigung, wobei die PAK-Konzentrationen nach einigen Monaten auf über 90% reduziert werden konnten.

UMWELTFORUM

Die Vermeidung von Abfällen soll Vorrang vor Verwertung und Entsorgung haben. Der Bundesrat will unter diesem Programmsatz eine Novelle zum Abfallgesetz beim Deutschen Bundestag einbringen. Nach Ansicht des Bundesrats sollte die Bundesregierung eine Sonderabgabe auf Einwegverpackungen für Getränke einführen. Die Abgabe, die durch die Länder erhoben werden soll, richtet sich nach der Umweltschädlichkeit der Verpackung. Ferner wird die Bundesregierung aufgefordert, einen Gesetzentwurf zum ausnahmslosen Verbot der Abfallbeseitigung auf hoher See durch Einleiten oder Verbrennen vorzulegen.

Mit Popcorn gegen Verpackungsmüll: Zum Schutz empfindlicher Ware wie Elektronik oder Glas empfehlen Werner Wendl und Dieter Langenberg aus Hahnbach, Oberpfalz, Trocken-Popcorn. Durch ein besonderes Verfahren werden speziell gezüchtete Maiskörner biologisch vorbehandelt und anschließend durch ein patentiertes Heißluftverfahren ausgepufft. Die Bio-Chips landen nach dem Gebrauch nicht auf dem Müll, sondern können nach Angaben der Erfinder an Tiere verfüttert oder im Garten und in der Bio- Tonne kompostiert werden.

Bis 1994 wollen die Leuna-Werke AG, Leuna, 159 Mio. DM zur Senkung der Abwasserlasten einsetzen. Geplant ist der Um- und Ausbau der zentralen biologischen Reinigungsanlage, in die 74 Mio. DM investiert werden sollen. Gleichzeitig soll eine Raffinerieabwasser-Behandlungsanlage zur Aufbereitung der Abwässer aus der Erdölverarbeitung mit einem Aufwand von 85 Mio. DM gebaut werden.

Die Stadt Mannheim, der VDI Nord- Baden/Pfalz und die Technische Akademie Mannheim veranstalten am 18./19. Juni im Mannheimer Kongreßzentrum einen Umweltkongreß zum Thema "Flächensanierung als kommunale Zukunftssicherung" . Am ersten Tag werden Fragen des Altlastenrechts, des kommunalen Altlastenmanagements behandelt und Informationen über den Forschungsbereich Altlasten gegeben. Für die Industrie als Anbieter von Leistungen oder als Nutzer von Flächen soll der Vortrag von Staatssekretär Dieter Angst vom sächsischen Staatsministerium für Umwelt und Landesentwicklung neue Erkenntnisse über den derzeitigen Stand der Altlastendiskussion in den neuen Bundesländern liefern.

Finanzierungsmodell entlastet den Geldbeutel Investmentfonds beflügeln die Windenergie Landwirte leasen Kraftwerke - Von Jörn Freyenhagen

Der Bau von Windmühlen zur Stromerzeugung soll nicht mehr am kleinen Geldbeutel scheitern. Die gemeinnützige Nordwind-Gesellschaft, an der sich Kommanditisten beteiligen, finanziert und baut Windkraftanlagen, während der Bürger als Betreiber fungiert und Leasing- Gebühren bezahlt.

VDI-N, Düsseldorf, 10. 5. 91 -

E in Landwirt möchte seinen Hof durch umweltfreundliche Energie versorgen und zu diesem Zweck eine Windkraftanlage errichten. Doch ihm fehlt das nötige Geld. Ein Ingenieur aus dem gleichen Dorf hätte die nötigen Mittel, aber er hat kein großes Grundstück. Beiden kann die kürzlich in Fredenbeck (Kreis Stade) gegründete Nordwind GmbH helfen. Diese gemeinnützige Gesellschaft, an der neben der GLS Gemeinschaftsbank in Bochum zehn Ökobauern aus Norddeutschland beteiligt sind, praktiziert ein neuartiges Finanzierungsmodell, mit dem sie die Kosten beim Ausbau der Windenergie auf möglichst viele Schultern verteilen will.

Nordwind fördert, finanziert und baut neue Anlagen mit Hilfe sogenannter Windkraftfonds. An diesem bundesweit bisher einmaligen Projekt kann sich jeder beteiligen - als Kommanditist, wenn er einen Gesellschaftsanteil erwirbt, oder als Anteilseigner, wenn er einen Investmentfond zeichnet. Zur Zeit kann man sich mit einem Mindestanteil von 10000 DM beteiligen, wobei sich auch mehrere Interessenten zusammenschließen können, erklärt der Fredenbecker Landwirt Klaus Presting, einer der Kommanditisten von Nordwind, den VDI-Nachrichten. Alle Einlagen werden mit einem Zinssatz von mindestens 5% vergütet.

Damit niemand sein Geld in den Wind schreiben muß, sondern tatsächlich nutzbringend investiert, wählt Nordwind die Standorte ihrer Projekte vorher sorgfältig aus. Da der Trend zu größeren Anlagen geht, werden derzeit bauwillige Landwirte, die meistens große Grundstücke besitzen, bevorzugt gefördert. "Der einzelne Bauer hat mit der Finanzierung nichts zu tun" , betont Presting. Gebaut und finanziert werde die Anlage von Nordwind, während der Landwirt als Betreiber fungiere und ein Nutzungsentgelt - je nach Größe und Leistung - zahle. Nordwind bleibe Eigentümerin der Anlage. Presting: "Man kann diese Regelung mit dem Leasing beim Autokauf vergleichen."

Auf seinem eigenen Hof in Fredenbeck- Dinghorn ist Presting inzwischen mit gutem Beispiel vorangegangen. Er errichtete dort eine 80-kW-Windenergieanlage, die pro Jahr 100000 kWh erzeugt - fünfmal soviel wie Presting selbst abnehmen kann. In windstillen Zeiten ist er allerdings weiterhin auf die auswärtige Energiezufuhr durch die Überlandwerke Nord-Hannover (ÜNH) angewiesen.

"In den ersten Monaten der Betriebsdauer waren die Windverhältnisse so, daß wir 50% des Strombedarfs durch unsere Mühle decken konnten, während die andere Hälfte aus dem öffentlichen Netz kam" , berichtet Presting. "Der Überschuß, den das Windrad an den besonders windreichen Tagen produziert, wurde in das Stromnetz eingespeist." Dafür vergütete das Energieversorgungsunternehmen bis Ende 1990 neun Pf/kWh; seit 1. Januar werden sogar 16,6 Pf/kWh gezahlt. Daneben gibt es öffentliche Gelder für die Investoren.

Presting, dessen Anlage 250000 DM kostete, erhielt aus Bonn einen Zuschuß von 40%. "Bei der Antragstellung konnte man wählen zwischen dem Investitionszuschuß, den ich genommen habe, und einer Vergütung pro erzeugter Kilowattstunde über zehn Jahre" , erläuterte Presting. Nach seinen Informationen ist der Zuschuß auf 90000 DM begrenzt und die Stromvergütung aus Bonn von 8 auf 6 Pf. reduziert worden.

A ngesichts verringerter Förderung aus öffentlichen Kassen findet die Fond-Finanzierung durch die Nordwind GmbH immer mehr Interessenten. Bisher sind schon 200 Anteilscheine mit einem Gesamtvolumen von 2,1 Mio. DM durch Windenergie-Anhänger erworben worden. Damit ist der erste Windkraft-Fonds komplett; der zweite wurde gerade eröffnet.

"Unser Ziel ist es, den Anteil der Windenergie an der Stromerzeugung immer weiter zu erhöhen und im gleichen Zuge die Kernenergie zurückzudrängen" , so Presting. Als Fernziel schwebt den Initiatoren ein Stromverbund aus Windenergie vor, ähnlich wie es ihn bei der konventionellen Stromerzeugung und -verteilung für den gesamten europäischen Kontinent von Bergen/Norwegen bis Gibraltar gibt. Presting: "Je mehr Leute bei uns mitmachen, ob als Anteilseigner oder Betreiber, desto weniger wird die Umwelt belastet."

Zu Nordwind gehören neben der anthroposophisch ausgerichteten Bochumer Bank, die für die Abwicklung der Windkraftfonds die Gemeinnützige Kredit-Garantiegenossenschaft (GKG) in Bochum eingeschaltet hat, zehn biologisch-dynamisch wirtschaftende Landwirte aus Schleswig-Holstein und Niedersachsen. Drei Windkraftwerke der Nordwind- GmbH sind schon in Betrieb, zwei in Planung, allesamt in Norddeutschland. Drei weitere Anlagen sind zwar von Nordwind erstellt, aber unabhängig von der Gesellschaft finanziert worden.

Als Novum bei dem Modellprojekt Windkraftfonds wertet Presting die Tatsache, daß erstmals Bürger diese Art der Stromerzeugung unterstützen können, ohne selbst eine Mühle im Garten zu errichten, "und eine nutzbringende Form der Geldanlage ist es obendrein" , meint er.

ÕEine wesentliche Produktionssteigerung könnte den Strom aus Sonnenenergie wirtschaftlich werden lassen - Von Hans Dieter Sauer Photovoltaik rechnet sich nur in der Masse VDI-N, Düsseldorf, 10. 5. 91 -

D ie Photovoltaik ist unbestritten die umweltverträglichste Art der Elektrizitätserzeugung. Aber solange Solarstrom noch 1 bis 2,50 DM/kWh kostet, kann dieser Vorzug kaum ausgenutzt werden. Dreh- und Angelpunkt aller Überlegungen zum Stellenwert der Photovoltaik ist demnach die Frage: Kann die Preisdifferenz zu konventionell erzeugtem Strom in absehbarer Zeit deutlich verringert werden? Darüber wurde kürzlich wieder intensiv auf zwei Konferenzen diskutiert, dem Sechsten Nationalen Symposium Photovoltaische Energie in Staffelstein (Oberfranken) und der VDI-Tagung "Regenerative Energien" in Kassel. Fritz Pfisterer vom Institut für Physikalische Elektronik der Universität Stuttgart warnte in Kassel vor übertriebenen Erwartungen: "In der Vergangenheit hatten alle Prognosen zur Kostenreduktion eines gemeinsam, sie waren zu optimistisch."

Die Ausgangslage sieht folgendermaßen aus: es gibt über 100 Materialien, die den photovoltaischen Effekt zeigen, aber praktische Bedeutung hat bis jetzt nur Silicium erlangt, das zu kristallinen und amorphen Zellen verarbeitet wird. Der wesentliche Unterschied in der Herstellung besteht darin, daß die kristallinen Zellen als 0,2 bis 0,4 mm dicke Scheiben aus Blöcken gesägt werden, während das amorphe Silicium als hauchdünne 1/1000 mm dicke Schicht aus einer gasförmigen Verbindung abgeschieden wird.

Kristalline Zellen aus industrieller Fertigung kommen heute auf Wirkungsgrade zwischen 10% und 15%, die amorphen dagegen erreichen nur 5% bis 7%. Zudem nimmt ihre Leistungsfähigkeit im Laufe der Zeit weiter ab. Amorphe Zellen werden deshalb vorwiegend im "Konsumbereich" eingesetzt, zur Stromversorgung kleiner Geräte, wo sich wegen des minimalen Bedarfs das Absinken der Leistung nicht nachteilig auswirkt.

Kostenreduktionen sind einmal über weitere Erhöhungen der Wirkungsgrade zu erreichen. In der Vergangenheit ging es dabei eher schleppend voran. Es dauerte zehn Jahre, ehe Forschungsergebnisse Eingang in die industrielle Praxis fanden. Doch das scheint sich nun zu ändern. Die Telefunken Systemtechnik (TST) und Nukem bauen gerade Pilotfertigungen für hocheffiziente Zellen aus Universitätslabors auf.

Neben technologischen Fortschritten sind höhere Stückzahlen erforderlich, damit sich Rationalisierungseffekte einstellen. Die Ludwig-Bölkow-Systemtechnik ermittelte 1988 für das Bundesforschungsministerium, wurde ermittelt, daß die Fertigungskosten für Module je nach Auslastung der Produktion zwischen 13,50 und 22 DM/W Spitzenleistung liegen. Bei Ausnutzung aller Rationalisierungsmöglichkeiten könnten sie auf der Basis heute bekannter Technologien auf 4,60 DM/W gesenkt werden. Dazu müßten allerdings Produktionslinien mit einer Kapazität von 30 MW pro Jahr aufgebaut werden. Würden in ähnlicher Größenordnung Solarkraftwerke errichtet, ließen sich Stromgestehungskosten von 70 bis 80 Pf/kWh erreichen.

Von solchen Dimensionen ist die Photovoltaikindustrie noch weit entfernt. Sie verzeichnete zwar in den letzten Jahren mit 20 % pro Jahr ein starkes Wachstum, aber 1990 hatte die gesamte Weltproduktion von Modulen gerade 45 MW erreicht, aufgeteilt im Verhältnis 2:1 zwischen kristallinem und amorphem Material.

Die Ertragslage ist alles andere als rosig. "Bei der Produktion von Solarmodulen wird im Mittel draufgezahlt" , kennzeichnet Jürgen W. Duch von Siemens Solar die Situation. Trotzdem will Siemens, durch den Ankauf von Arco Solar (USA), nach eigenen Angaben, seit 1989 mit einem Anteil von 25 % die Nummer eins am Weltmarkt, jetzt den Schritt in Größenordnungen wagen, wie sie in der Bölkow- Studie angesprochen werden.

In den amerikanischen Produktionsstätten soll der Ausstoß von kristallinen Zellen in den nächsten Jahren verdreifacht werden. "Wir hoffen, daß wir bei 18 MW zu vernünftigen Kosten produzieren können" , erläutert Duch das Kalkül hinter den Ausbauplänen.

In Deutschland plant Siemens zusammen mit den Bayernwerken, auf dem Gelände der ehemaligen atomaren Wiederaufarbeitungsanlage in Wackersdorf mit einer Kapazität von 20 MW die größte Fabrik der Welt für amorphe Dünnschichtzellen zu errichten. Doch die Unternehmen stehen dort vor der schwierigen Entscheidung, für welche Technologie sie sich entscheiden sollen. Denn das amorphe Silicium hat einen Konkurrenten bekommen: eine Verbindung von Kupfer, Indium und Selen (CIS) bringt gute Wirkungsgrade (bis zu 14% im Labor) und bleibt in der Leistung stabil. Es ist jedoch schwierig, ausreichend große Flächen in gleichbleibender Qualität herzustellen.

V ermutlich wird die Industrie allein kaum den Durchbruch zu einer breiten Anwendung der Photovoltaik schaffen. Dazu sind politische Entscheidungen notwendig. "Die Photovoltaik muß als eine der möglichen Energiequellen der Zukunft gewollt und demonstriert werden" , betonte Rolf Buhs von TST.

In der Schweiz soll nun durch ein "Nationales Photovoltaik Umsetzungsprogramm" vom Staat stimuliert, der Markt auf breiter Front erschlossen werden. Thomas Nordmann, Vorstandsmitglied des Schweizerischen Fachverbandes Solarenergie SOFAS, faßt die Schweizer Überlegungen zusammen: "Aus energiepolitischen Motiven müssen zusätzliche Hilfestellungen gegeben werden, um die Fessel von fehlender Wirtschaftlichkeit und geringem Marktvolumen aufbrechen zu können." Bis zum Jahr 2000 soll eine Photovoltaikkapazität im zwei- wenn nicht gar dreistelligen Megawattbereich aufgebaut werden. Die Schweiz würde damit einen beträchtlichen Teil der Weltproduktion aufnehmen. Das gerade angelaufene sogenannte 1000-Dächer-Programm in Deutschland nimmt sich demgegenüber bescheiden aus. Es wird insgesamt eine installierte Kapazität von 5 bis 10 MW ergeben.

Folgten andere Länder dem Beispiel der Schweiz, dann wäre ein Weltmarkt im Gigawattbereich nicht mehr fern. Bei einer derartigen Massenproduktion werden Modulkosten von 1 bis 2 DM/W für möglich gehalten; Solarstrom würde dann weniger als 30 Pf/kWh kosten.

Für Siemens sind die Schweizer Entwicklungen "hochgradig" interessant und bewirken ein entsprechend intensives Engagement. Hatten sie bei der bislang größten Anlage an einer Autobahn gegenüber der Konkurrenz aus Japan noch den Kürzeren gezogen, konnte Siemens Solar International aus den USA sich jetzt den Auftrag für die Module eines 500-kW- Kraftwerks sichern, das im Schweizer Jura errichtet wird - auf dem Mont Soleil.

ENERGIESPIEGEL

Der Primärenergieverbauch im 1. Quartal 1991 ist gegenüber dem gleichen Zeitraum des Vorjahres im ehemaligen Bundesgebiet um 8,2 Mio t SKE (8%) deutlich gestiegen, in den neuen Bundesländern hingegen um 8,4 Mio t SKE (26%) drastisch gesunken.

Nach einer Mitteilung des Gesamtverbandes des deutschen Steinkohlenbergbaus, Essen, hat sich in Westdeutschland der Mineralöl-, Erdgas-, Kernenergie- und Braunkohleverbrauch erhöht, während der Steinkohlenverbrauch sank.

In den neuen Bundesländern war der Verbrauch bei allen Energieträgern rückläufig. Besonders betroffen war die Braunkohle, die jedoch immer noch 70% des gesamten Primärenergieverbrauchs deckt.

Der Grundstein zu einer Gleichstromnetzkupplung mit einer 380-kV-Leitung wurde letzte Woche in Etzenricht/Oberpfalz gelegt, um die Höchstspannungsnetze der CSFR und Bayern zu verbinden. Damit wird die dritte Strombrücke zwischen den Netzen West- und Osteuropas geschlagen. Über diese Stromkupplung können bis zu 600 MW elektrische Leistung ausgetauscht werden. Die beteiligten Unternehmen, die Bayernwerke, München, und die Ceske Energeticke Zarody, Prag, bauen und finanzieren jeweils die auf ihrem Gebiet liegenden Anlagen. Die Gesamtkosten liegen bei 300 Mio. DM, wovon die Bayernwerke 200 Mio. DM tragen.

Der Aufwand für Energieimporte nach Westdeutschland stieg 1990 auf 46,2 Mrd. DM. Nach Abzug der Energieausfuhrwerte ergeben sich netto 37,6 Mrd. DM, teilte der Gesamtverband des deutschen Steinkohlenbergbaus, Essen, mit. Die wieder höheren Energieimportaufwendungen seien ein Warnsignal. Die Nutzung im Lande geförderter Energieträger wie etwa der Kohle bleibe deshalb ein Gebot der Vorsorge. Hauptfaktor sind die Aufwendungen für Mineralöl mit 35,4 Mrd. DM. Diese Beträge könnten nach Ansicht des Verbands unkalkulierbar steigen, sofern die Abhängigkeit vom nahen Osten zunehme. Auch die Aufwendungen für Erdgas (7,2 Mrd. DM) und Importkohle würden steigen, da dadurch in Ostdeutschland ein Teil der Braunkohle ersetzt werden soll.

Eine Pipeline für Mineralölprodukte von Hamburg nach Sachsen planen zur Zeit mehrere Mineralölgesellschaften unter Federführung der Deutschen Shell AG, Hamburg. Die Ölleitung soll den künftigen Mehrbedarf an Mineralölprodukten in den neuen Bundesländern, der sich nach Schätzungen von Experten von 12 Mio. t (1989) bis zum Jahr 2000 verdoppeln werde, und Chemierohstoffen sicherstellen, heißt es in einer Mitteilung der Shell. Von den bestehenden Raffinerien allein, die mit Rohöl aus dem Osten über die sogenannte Freundschaftspipeline versorgt würden, könne der Mehrbedarf nicht gedeckt werden. Die Kosten der rund 450 km langen Pipeline werden auf 600 bis 700 Mio. DM geschätzt. 1994/95 könnte die Ölleitung in Betrieb gehen.

H. Scheer (Hrsg.): Das Solarzeitalter. Verlag C. F. Müller, Karlsruhe 1989, 172 S., 29,80 DM.

Die Sonnenenergie ist als neuer unbegrenzt verfügbarer Energieträger nicht nur umweltschonend, sondern kann auch einen neuen Lebensstil und die Völkerverständigung fördern, wie acht namhafte Autoren um den Eurosolar-Vorsitzenden Hermann Scheer in ihren Beiträgen zeigen. Sie stellen dar, wie sich eine Nutzung der Solarenergie auf unsere Lebensformen, etwa in den Bereichen Wohnen und Verkehr, auswirken könnte. Eine bedeutende Rolle spiele die Photovoltaik auch für die Entwicklung der Länder der dritten Welt.

J. Leuchtner u. C. Boekstiegel: Photovoltaik - Marktübersicht. Informationen zur Stromerzeugung mit Solarzellen. Öko-Institut, Freiburg 1991, 61 S.,

16 DM.

Ausführlich wird die Funktionsweise von Solarzellen und deren zukünftige Entwicklung beschrieben. Die Autoren nennen Anwendungsbeispiele und geben Tips für die Planung einer eigenen Photovoltaikanlage. Eine Liste mit aktuellen Produktpreisen, Adressen von Händlern und Vertriebsfirmen runden die Broschüre ab.

A. Räuber/F. Jäger (Hrsg.): Photovoltaik - Strom aus der Sonne. Technologie, Wirtschaftlichkeit, Marktentwicklung. Verlag C.F. Müller, Karlsruhe 1990, 199 S., 48 DM.

Durch diese Sammlung von Aufsätzen 17 namhafter Autoren kann sich der Leser einen Gesamteindruck über den aktuellen Stand und die Fortentwicklung der Zukunftstechnologie Photovoltaik verschaffen. Die Vorzüge der Solarenergie, wie Geräusch- und Emissionsfreiheit, Zuverlässigkeit und Wartungsarmut könnten, so die Autoren, in vielen Fällen von größerer Bedeutung sein als rein wirtschaftliche Überlegungen.

Spanien setzt auf regenerative Energien VDI-Freundeskreis organisierte Seminar in Madrid - Von Erich Sauer VDI-N, Madrid, 10. 5. 91 -

Unter dem Titel "Energie für heute und morgen" hatte das Deutsche Kulturinstitut in Madrid zu einem Seminar über erneuerbare Energien eingeladen. Den Anstoß zu diesem spanisch- deutschen Seminar gab der VDI-Freundeskreis Spanien. Die deutschen Referenten wurden durch die Vermittlung der VDI- Gesellschaft Energietechnik eingeladen.

V on 1989 bis 1995 will Spanien mit der Unterstützung der EG etwa 50 Mrd. Peseten in erneuerbare Energie investieren, erläuterte Maria Luise Huidobro y Arreba, Direktorin für Energietechnik des spanischen Energieministeriums, in ihrem Grußwort an die Teilnehmer, 1995 sollen die Solar- und Windenergienutzung, Geothermie, Kleinwasserkraftwerke, die Energienutzung von landwirtschaftlichen Rückständen und die Müllverbrennung zusammen etwa 3% zu der Gesamtprimärenergiebereitstellung in Spanien beitragen.

Ein Plädoyer für eine sanfte Technik war das Referat von dem Zukunftsforscher Robert Jungk aus Salzburg. Er zeigte warnend in seinem Vortrag die heutigen Möglichkeiten auf, unseren Planeten zu zerstören und entwickelte Vorstellungen über mögliche Veränderungen. Ein Nein zu den heute etablierten Großtechniken genügt seiner Meinung nach nicht, sondern er forderte konstruktive Vorschläge für die Veränderungen. Seine Vorstellungen tendierten zu einer "anderen, humaneren, menschenfreundlicheren und umweltfreundlicheren Zivilisation. Er plädierte für einen Menschen, der nicht mehr als Herr über die Natur, sondern als Teil der Natur dasteht. Lösungen sieht Jungk dafür in sanften Techniken, die seiner Meinung nach nicht mehr gegen die Natur arbeiten, sondern mit der Natur zusammenarbeiten.

In den anschließenden Vorträgen wurden Nutzungsmöglichkeiten regenerativer Energien detailliert vorgestellt. Oskar Kappelmeyer von der Geothermik Consult GmbH, Passau, berichtete über den derzeitigen Stand der Erdwärmenutzung. Für einige Regionen Spaniens, z.B. auf den Kanarischen Inseln, erachtet Kappelmeyer aufgrund des durch Vulkanismus ausgeprägten Untergrundes gute Chancen, daß man in relativ geringer Tiefe geothermische Vorkommen zur Erzeugung elektrischer Energie als auch zur Produktion von Trinkwasser nutzen kann.

Beispiele für die bilaterale Kooperation zwischen der Bundesrepublik und Spanien auf dem Gebiet der erneuerbaren Energien führte Juan Esteban Delas, Wirtschaftsreferent der Deutschen Botschaft in Madrid, an mit den Projekten Plataforma Solar in Almeria und das Projekt "Asterix" , bei dem mittels Sonnenenergie Gas angereichert werden soll. Zu dieser positiven Bilanz gehört auch die am 21. März 1990 in Cabo Villano (Galizien) eingeweihte Windkraftanlage AWEC 60.

Die Umwandlung von Biomasse in Brennstoffe stellte Enrique Medina, Abteilungsdirektor der Elektrizitätsvereinigung Fenosa, vor.

E r berichtete von einem Projekt in Galizien, bei dem auf einer Fläche von etwa 1,9 Mill. ha insgesamt 4,1 Mill. t Biomasse pro Jahr zur Verfügung stehen, die evtl. in der Pyrolyse in Kohle und Gas für die Energiebereitstellung genutzt werden könnten. Es ist dazu eine Pilotanlage mit einem Finanzierungsvolumen von 360 Mio.Peseten vorgesehen, wobei als Partner Spanien, die Europäische Gemeinschaft und RWE/Essen genannt wurden.

Jose Polimon verdeutlichte die große Bedeutung der Wasserkraft in Spanien für die Wasser- und Elektrizitätsversorgung. Alleine 1990 sind in Spanien rund 15 GW an Wasserkraft installiert worden, wobei die kleinen Wasserkraftwerke mit 440 MW etwa 3% der Gesamtleistung stellen. Das gesamte Potential für Spanien schätzt man auf 34 GW, und man hofft, bis zum Jahre 2000 bei den Kleinwasserkraftwerken eine Leistung von 6000 MW realisiert zu haben. Mit Rechenprogramme werden die Potentiale und die Umweltbeeinflussungen abgeschätzt, und es erfolgt eine Koordination zwischen der Wasserverwaltung und der Energiebereitstellung in Spanien.

Wilfried Grasse von der DLR in Köln referierte über "Solarkraftwerke zur Erzeugung von Elektrizität und Wasserstoff" . Er stellte solarthermische Techniken wie Solarfarmkraftwerke, Solarturmkraftwerke, Paraboloidanlagen und die Photovoltaik-Systeme zur Erzeugung von Wasserstoff vor.

Jose Maria Fluxa, Direktor der ASINEL, berichtete über die Nutzung der Windenergie in Spanien. Im Jahre 1990 waren etwa 7 MW installierte Windkraftleistung realisiert, wobei besonders erwähnenswert die Großanlage in Cabo Villano im windreichen Nordwest-Spanien, Galizien, mit einer Nennleistung von 1,2 MW ist. In Südspanien, an der Straße von Gibraltar und auf den Kanarischen Inseln werden in den nächsten Jahren Windfarmen mit einer Gesamtleistung bis zu 50 MW in Zusammenarbeit mit der Bundesrepublik Deutschland und der EG entstehen.

In seinem Schlußbeitrag wies Hermann Rosenau von der KWU, Offenbach, darauf hin, daß heute alleine die gesellschaftliche Akzeptanz bestimmt, ob eine Technik entwickelt, gebaut und betrieben werden kann oder nicht. In diesem Umfeld reiche heute das Fachwissen des Ingenieurs oder Naturwissenschaftlers nicht mehr alleine aus.

Rosenau hält es in Anbetracht der begrenzten Situation im Raumschiff Erde für besonders wichtig, daß einzelne Techniken nicht verteufelt werden. Alle verfügbaren Optionen sollten so miteinander verbunden werden, daß die Summe der zu erwartenden negativen Folgen ein Minimum wird. Lösungen für die Zukunft können nur gemeinsam mit allen demokratischen Gruppen erarbeitet werden.

vom 13. Mai bis zum 19. Mai 1991

Aachener Bezirksverein

"Qualität im Unternehmen" - Motivation und Strategie, VDI-AK Produktionstechnik, Dr. rer. nat. W. Weiske. 13. 5., 11.15 Uhr: Aachen, RWTH, Hörsaal des IPT, Steinbachstr. 17. - "Sicherheitsaspekte bei der Durchführung von Prüfungen" , VDI-AK Arbeitssicherheit und Umweltschutz, Ing. H. Jakobs. 13. 5., 18.00 Uhr: Aachen-Laurensberg, Restaurant Sandhäuschen, Laurentiusstr. 60.

Bergischer Bezirksverein

"Gestaltungsmöglichkeiten von Dispositionssystemen" , VDI-AK Produktionstechnik Remscheid, Dipl.- Kfm. Orban. 14. 5., 18.00 Uhr: Remscheid, IHK Elberfelder Str. 49, großer Sitzungssaal. - "Einführung in die Gebäudeautomation" , VDI-AK Technische Gebäudeausrüstung, Dipl.-Ing. M. Schneidersmann. 16. 5., 17.30 Uhr: Wuppertal, Bergische Universität, Pauluskirchstr. - FIB Treff, AK - Frauen im Ingenieurberuf. 16. 5., 19.00 Uhr, Ort und Thema unter Tel. 02191/60790 (Frau Lasch).

Berliner Bezirksverein

"Herstellung und Einsatz organischer Düngestoffe unter Einbeziehung ausgewählter organischer Abfallstoffe aus kommunalen, gewerblichen und industriellen Bereichen" , VDI-AK Umwelttechnik, H. Retzlaff. 15. 5., 18.00 Uhr: Berlin, Falkenberg, Gut Falkenberg (ACZ Berlin), Dorfstr. 36.

Bodensee-Bezirksverein

"Morphologe Kreativität" = Gerichtete Intuition, Erfolgspotenial der Kreativ-Morphologie, VDI-AK Entwicklung, Konstruktion, Vertrieb, Dipl.-Ing. Bisang. 16. 5., 18.00 Uhr: Singen, Allemannenstr. 42, Hotel Lamm.

Bezirksverein Frankfurt-Darmstadt

"Qualitätssicherung am Bau" , VDI-AK Qualität, Frau Dipl.-Ing. U. Kronemann-Flur. 16. 5., 18.00 Uhr: Offenbach, Kaiserlaistr. 45, Skandic Crown Hotel.

Hamburger Bezirksverein

"Gefahrstoff-Messungen am Arbeitsplatz" , VDI-AK Umwelschutztechnik, Dipl.-Chem. R. Bohne-Matusall. 16. 5., 18.00 Uhr: Hamburg, CEWU - Centrum für Energie, Wasser- und Umwelttechnik, Buxtehudestr. 76.

Hannoverscher Bezirksverein

"Auf den Spuren des Mayas in Guatemala" , Obering, W. Ernst. 16. 5., 18.00 Uhr: Hannover, Fachhochschule, Ricklingerstadtweg 120, Auditorium maximum.

Karlsruher Bezirksverein

"Monatliches Treffen, VDI-AK Umwelttechnik" . 13. 5., 19.00 Uhr: Karlsruhe, Hotel "Residence" Bahnhofsplatz 6. - "Konfliktbewältigung im Alltag am Beispiel des Studiums" , Dipl.-Soz. M. Mayer. 13. 5., 19.30 Uhr: Karlsruhe, Fachhochschule, Gebäude F, Raum 206.

Kölner Bezirksverein

"Künstliche Raumbeleuchtung" , VDI-AK Technikgeschichte, Prof. Dipl.-Ing. H. Borsum. 14. 5., 17.40 Uhr: Köln, Fachhochschule, Betzdorfer Str. 2, Hörsaal 4.

Lenne Bezirksverein

"Kosten und Leistungsrechnung als betriebliches Führungselement" , VDI-Bezirksgruppe Iserlohn, Dipl.-Witsch.-Ing. (grad.) M. Küpler. 14. 5., 19.30 Uhr: Iserlohn, Hotel Haus Stüttgen, Westfalenstr. 47A.

Bezirksverein München Ober- und Niederbayern

"Reflexion auf unser Thema: Ist unsere Umwelt noch zu retten?" , VDI-AK Mensch und Technik, Treffpunkt. 14. 5., 19.00 Uhr: München, Hansa-Haus Rahmstüberl, Briennerstr. 39. - "Wassergüte- und Abfallwirtschaft - ein Arbeitsgebiet im Wandel" , VDI-AK Bautechnik, Prof. P. Wilderer. 16. 5., 17.00 Uhr: München, TU, Raum N 1179, Eingang Theresienstr., Nordbau, 1. Stock. - Fliegerstammtisch, VDI-AK Luft- und Raumfahrttechnik. 17. 5, 17.00 Uhr: München, Ratskeller am Marienplatz, Weinstuben.

Niederrheinischer Bezirksverein

"Der Eisenbahntunnel unter dem großen Belt" , VDI- AK Bautechnik, Dipl.-Ing. S. Zell. 14. 5., 18.00 Uhr: Düsseldorf, VDI-Haus, Graf-Recke-Str. 84. - "Automatisierte Anpaß- und Variantenkonstruktion auf der Basis eines Produktmodell-Ansatzes" , VDI-AK Entwicklung, Konstruktion, Vertrieb, Prof. Dr.-Ing. E. G. Welp. 14. 5., 18.00 Uhr: Düsseldorf, VDI-Haus, Graf-Recke-Str. 84. - Jungingenieur und Studententreff, VDI-AK Studenten und Jungingenieure. 16. 5., 19.00 Uhr: Düsseldorf, Dürckheimer Weg. - "Verhaltensalternativen im Spannungsfeld zwischen Reststoffvermeidung und Nützlichkeit" , VDI-AK Verfahrenstechnik, Dr.-Ing. U. D. Matzke. 16. 5., 18.00 Uhr: Düsseldorf, Fritz-Henkel-Haus, Henkelstr. 67.

Nordbadisch-Pfälzischer Bezirksverein

"Untersuchung zum besseren Verständnis der Härtbarkeitssteigerung von Stählen durch Bor, VDI-AK Werkstofftechnik, G. Doppler, Dr. H. Finkler. 14. 5., 18.00 Uhr: Mannheim, Landesmuseum für Technik und Arbeit, Hörsaal.

Nordhessischer Bezirksverein

"Stand und Entwicklungstrends im Expertensystem für Entwicklung und Konstruktion, VDI-AK Konstruktionstechnik, Dr.-Ing. Schneider. 14. 5., 18.00 Uhr: Kassel, Gesamthochschule, Mönchebergstr. 7.

Osnabrücker Bezirksverein

"Die Digitalisierung aperiodischer Meßsignale unter besonderer Berücksichtigung hoher Bandbreite" , VDI-AK Meß- und Automatisierungstechnik, Dr. F. Oehme. 13. 5., 18.00 Uhr: Osnabrück, Fachhochschule, Albrechtstr. 30, Wilhelm-Müller-Hörsaal. - Bundesumweltstiftung, Aufgaben und Ziele, VDI-AK Arbeitssicherheit und Umweltschutz. 15. 5., 18.00 Uhr: Osnabrück, Fachhochschule, Albrechtstr. 30, Raum F 125. - "Zusammenkunft am Runden Tisch, Seniorenkreis. 16. 5., 17.00 Uhr: Osnabrück, Grüner Jäger. - "Technologischer Wandel und Berufliche Qualifikation" , VDI-AK Fahrzeugtechnik" , Prof. Dr. P. Meyer-Dohm. 16. 5., 18.00 Uhr: Osnabrück, Fachhochschule, Albrechtstr. 30, Wilhelm-Müller-Hörsaal.

Ruhrbezirksverein

"Brandschutz in der Industrie" , VDI-AK Technische Gebäudeausrüstung, Prof. Dr. F. Raimuth. 14. 5., 17.30 Uhr: Essen, Saalbau, Orangerie Hyssenallee 53.

Bezirksverein Schwarzwald

"Halogenfreie Kabel und Leitungen mit verbessertem Verhalten im Brandfall für den vorbeugenden Brandschutz" , Dipl.-Ing. K. Wallesch. 14. 5., 17.30 Uhr: Freiburg, Walter-Rathenau-Gewerbeschule, Friedrichstr. 51.

Teutoburger Bezirksverein

"Die Balalaika ruft Moskau-Leningrad" , VDI-Senioren-Kreis Bielefeld Obering, H. Fechtner. 15. 5., 15.00 Uhr: Bielefeld, Haus des Handwerks, Papenmarkt 11. - Bericht über das bundesweite Obleutetreffen, VDI-AK, Jungingenieure und Studenten. 16. 5., 19.00 Uhr: Bielefeld, Oldentruperhof, Scheune, Hillegossestr. 260.

Unterweser Bezirksverein

"Technik in der Medizin" , Dr. med. U. Sander, 16. 5., 18.00 Uhr: Bremerhaven, Hochschule, Karlsburg, Eingang Fährstr. 8, Hörsaal KO 2.

Württembergischer Ingenieurverein

"Geotechnische Erfahrungen bei Planungen und Bau von Staudämmen in der Region" , VDI-AK Bautechnik, Dr. Ing. D. Salden. 13. 5., 16.00 Uhr: Stuttgart, Fachhochschule für Technik, Raum U 28, Willi-Becker-Str. 29. - "Diskussionbegleiteter Bericht über die Technikgeschichtliche Jahrestagung 1991 über: Die Entwicklung des Deutschen Werkzeugmaschinenbaues 19.-20. Jahrhundert" , VDI-AK Technikgeschichte, Obering. E. Geiger. 13. 5., 18.00 Uhr: Stuttgart-Vaihingen, Hamletstr. 11, VDI-Haus. - "Erweiterte Aufgaben für Ing.-Büros bei der Vorbereitung von Bauprojekten in den neuen Bundesländern" , VDI-AK Bautechnik, Baudir. Dipl.-Ing. Man. 14. 5., 17.30 Uhr: Stuttgart, Greinerstuben, Arnulf Klett Platz. - "Der Treibhauseffekt - eine Herausforderung für die Automobilindustrie" , VDI-AK Fahrzeugtechnik, Prof. Dr.-Ing. H. Albrecht. 14. 5., 18.00 Uhr: Stuttgart, Fachhochschule für Technik, Willi- Bleicher-Str. 29, Aula. - "Das Eichwesen als Partner der Wirtschaft und der Verbraucher" , VDI-Senioren- Kreis, Baudir. W. Dr. Müller. 14. 5., 14.00 Uhr: Stuttgart-Wangen, Ulmenstr. 227B, Eichdirektion.

VDI-GFT fördert Jungmitglieder Fisita finanziert Ingenieuren Rundreise durch Großbritannien VDI-N, Düsseldorf, 10. 5. 91, RuS -

Insgesamt zehn Ingenieurinnen und Ingenieuren finanziert der Weltverband der Automobilingenieure (Fisita) sowie die ihm angeschlossenen Organisationen im Juni nächsten Jahres einen vierzehntägigen Aufenthalt in Großbritannien.

Vom 31. Mai bis 6. Juni 1992 steht zunächst die Besichtigung von britischen Kfz-Unternehmen, von Forschungseinrichtungen und Hochschulinstituten auf dem Programm, danach folgt die Teilnahme am Fisita-Krogreß in London (7. bis 11. Juni 1992).

Die Auswahl der "Travelling Fellows" treffen die jeweils nationalen Gesellschaften der Fisita, in Deutschland ist dies die VDI-Gesellschaft Fahrzeugtechnik. "Die endgültige Auswahl unter den deutschen Bewerbern erfolgt aufgrund eines persönlichen Gespräches" , erläutert Dr. A. Simbürger, Geschäftsführer der VDI-GFT (Tel.: 0211/6214-264), die Rahmenbedingungen. Der deutsche Teilnehmer dürfe zum Zeitpunkt der Reise nicht älter als 30 Jahre sein, eine hohe Qualifikation als Automobilingenieur besitzen und als Mitglied der VDI-GFT in der Lage sein, die Fachgesellschaft angemessen zu repräsentieren. Interessenten sollten ihre Bewerbung bis zum 31. Mai 1991 an die VDI-Gesellschaft Fahrzeugtechnik zu senden.

GEBURTSTAGE

Dipl.-Ing. Rudolf Liebergeld vollendete im April 1991 sein 70. Lebensjahr. Nach seinem Maschinenbau-Studium und Assistententätigkeit am Lehrstuhl für Werkzeugmaschinen an der TU München, übernahm er, das von seinem Vater Max Liebergeld 1944 gegründete Entwicklungsbüro. Dieses basierte zunächst auf den im Kriege gesammelten Erfahrungen und Patenten für das Kaltfließpressen von Stahl. Rudolf Liebergeld erweiterte erfolgreich die Entwicklungen, besonders auf dem Gebiet der Massivumformung. Befaßte Liebergeld sich anfangs nur mit Verfahrens- und Werkzeugentwicklungen sowie Automatisierungseinrichtungen, so wurde 1958 sein Vertriebsprogramm erweitert durch hydraulische Kaltfließpressen und 1970 durch mechanische Kaltfließpressen. Seit 1950 ist Liebergeld aktives Mitglied des VDI-Ausschusses Kaltmassivumformen.

Aus Werkzeugmaschinen wuchs die Industriekultur Der Herstellerverband VDW feiert sein 100jähriges Jubiläum Von Siegfried Kämpfer VDI-N, Frankfurt, 10. 5. 91 -

G ar nicht so recht nach Jubeln zumute ist's dem Verein Deutscher Werkzeugmaschinenfabriken (VDW) im 100. Jubeljahr seines Bestehens. Denn es ist abzusehen, daß der 1990er Produktionswert von 16,2 Mrd. DM in diesem Jahr nicht gehalten werden kann. Doch die Branche, die zum harten Kern des Maschinenbau gehört, ist konjunkturelle Wechselbäder gewohnt. Und technologisch geht es immer weiter voran, so die einmütige Meinung unter den 1 200 Teilnehmern der Festveranstaltung am 3. Mai in der Alten Oper Frankfurt.

Die dazu passenden Glückwünsche überbrachte Berthold Leibinger, selber erfolgreicher Ingenieur und Werkzeugmaschinenfabrikant, derzeit Präsident des Maschinenbauer-Dachverbandes VDMA, Frankfurt: Unter dessen 44 Branchen hätten die Werkzeugmaschinen als Königin der Maschinen einen besonderen Adel. Doch "Königinnen haben ihre Launen" , auch das hat Leibinger erfahren. Sie verlangten von ihren Untertanen - den Werkzeugmaschinen-Bauern - konstante Hingabe, absolute Loyalität und vielfältige Huldigungen in Form von Forschungsausgaben, weltweite Präsenz und Teilnahme an zahlreichen Ausstellungen, die sich mit der Königin der Maschinen befassen. Leibingers hohes Lied der Werkzeugmaschinenbranche konnte auch den Bundesforschungsminister in der Alten Oper nicht ungerührt lassen. Heinz Riesenhuber machte eine Kompetenz aus, "die unsere Wirtschaft voranbringt" . Und das wiederum mußte VDW-Präsident Berhard Kapp ganz besonders gefallen, wittert er doch einen geistigen Hochmut bei solchen Verantwortlichen im Staat, die sich - wie er meint - mit "sogenannten Geisteswissenschaften gebildet haben und alles, was mit Wirtschaft und Technik zusammenhängt, als Krämer- und Schlosserzeug betrachten und unter ihrer Würde finden" .

Ein Herzensbedürfnis ist es für Bernhard Kapp schon seit vielen Jahren die Bedeutung der Werkzeugmaschine als einem Grundpfeiler der Industriegesellschaft in das Bewußtsein eben dieser Gesellschaft zu tragen: Ein wesentlicher Bestandteil der Menschheitsgeschichte sei die Evolution der Fertigungstechnik "vom Faustkeil bis zu einer Maschine, die Werkzeuge für die Bearbeitung von Metall präzise führt - also zur heutigen Werkzeugmaschine" , so definiert es der Schleifmaschinenhersteller und VDW-Präsident.

Kapp spricht für eine zwar kleine Branche, die aber strategische volkswirtschaftliche Bedeutung hat. Sogar im hochentwickelten Westdeutschland trägt sie nur 0,5 % zum Bruttosozialprodukt bei. Doch ohne Werkzeugmaschinen gäbe es weder Autos, noch Flugzeuge, keinen Geschirrspüler und keine Waschmaschine, keinen Röntgenapparat und keinen Zahnarztbohrer. Auch für Gegenstände des täglichen Bedarfs sind Werkzeugmaschinen unersetzlich, denn sie werden benötigt, um zuerst einmal die Spezialmaschinen herzustellen, die Konsumgüter produzieren: Textilien und Schuhe, Zeitungen, Radios oder Fernseher.

Kapp sieht eine der wesentlichen segensreichen Wirkungen der Werkzeugmaschinen im sozialen Fortschritt. Der drücke sich auch darin aus, daß aus Luxusgegenständen, die zunächst nur für wenige erschwinglich waren, nun Allgemeingut wird, das jedem zur Verfügung steht.

Als die damalige "Vereinigung deutscher Werkzeugmaschinenfabrikanten" 1891 gegründet wurde, da erlebte Deutschland gerade erst den Umbruch zur Industrienation. Technik bestimmte seit daher immer mehr den gesellschaftlichen Wandel. Noch vor dem Ersten Weltkrieg schaffte der einheimische Werkzeugmaschinenbau den Aufstieg zum international beachteten Industriezweig. Er konnte sich auch im Export mit der britischen und amerikanischen Konkurrenz messen. Die Anfänge des modernen Werkzeugmaschinenbaus hatten im England des ausgehenden 18. Jahrhunderts gelegen.

"Fabriken waren Grundlage des wirtschaftlichen Fortschritts" geworden, so formulierte es Prof. Günter Spur, einer der Festredner auf der Jubiläumsveranstaltung in Frankfurt. Dieser Entwicklungsprozeß wirke bis in unsere heutige Zeit, denn mit der Entwicklung von Handwerkzeugen zu Maschinenwerkzeugen und zur Werkzeugmaschine veränderte sich die Arbeitswelt. Spur: "Mit Erhöhung der Arbeitsproduktivität wandelte sich auch das Bild vom arbeitenden Menschen. Denn menschliche Inititative sei der Motor, der alle Entwicklungen antreibe und lenke - aber auch der Engpaß für die Fortschrittsgeschwindigkeit. In seinem rechtzeitig zum VDW-Jubiläum erschienen 600seitigen Werk "Vom Wandel der industriellen Welt durch Werkzeugmaschinen - Eine kulturgeschichtliche Betrachtung der Fertigungstechnik" will Spur den bisher allzuoft empfundenen Gegensatz zwischen Technik und Kultur abbauen. Fabrikautomatisierung und rechnertechnische Integration der Unternehmensfunktionen kennzeichneten die industrielle Produktion von heute. Ihre Zukunft habe überall dort schon begonnen, wo Produkte "humaner, wirtschaftlicher, ökologisch verträglich und qualitativ hochwertig hergestellt werden" .

Spur sieht die Werkzeugmaschine als ein Werkzeug für den Wohlstand. Er macht Perspektiven für eine sich weltweit angleichende Industriekultur aus, "ein Trend, der auf Harmonisierung gesellschaftlicher Spannungen gerichtet ist" . Damit habe der VDW nicht nur für seine eigene Branche in den letzen 100 Jahren erfolgreich gewirkt, sondern für die ganze Industriegesellschaft.

D abei ist manches deutsche Großunternehmen allein umsatzstärker als alle mittelständischen VDW-Mitglieder zusammen genommen. Seit 1898 steht das Kürzel für Verein Deutscher Werkzeugmaschinenfabriken. Damit war der Verein keine bloße Versammlung einander persönlich bekannter Unternehmer mehr, sondern hatte sich zu einem Verband von Unternehmen entwickelt. Statt 20 Firmen vor 100 Jahren hat der VDW heute 114 Mitglieder und stellt immerhin rund 60 % der Produktion und Beschäftigten der westdeutschen Werkzeugmaschinenindustrie. Insgesamt gibt es hierzulande ca. 380 Werkzeugmaschinenfabriken oder Firmenabteilungen, die entsprechendes Gerät herstellen. Rund 300 davon sind organisiert in der Fachgemeinschaft Werkzeugmaschinen und Fertigungssysteme im Verband deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA), Frankfurt. Der kleine Verein VDW ganz fein?

Jedenfalls fühlt sich schon die ganze Werkzeugmaschinenbranche von besonderem Adel; so empfindet es selbst VDMA-Chef Leibinger. Die Werkzeugmaschine sei die Königin der Maschinen. "Königinnen sind komplex" , weiß Leibinger: "Die Maschine als Kristallisationspunkt aller technischen Möglichkeiten" , das ist es, was er als "Faszination" der Werkzeugmaschinen ausmacht. Übrigens: Der VDMA feiert am 15. und 16. Oktober 1992 sein hundertjähriges Jubiläum.

Mit dem Ende der Unschuld kommen neue Aufgaben auf die Ingenieure zuÌ Verantwortung heißt Abwägen der Folgen Technikgestaltung ist auf die Erkenntnisse anderer Disziplinen angewiesen - Von Helene Conrady VDI-N, Düsseldorf, 10. 5. 91 -

Haben die Wissenschaften ihre Unschuld verloren? Spätestens seit dem Abwurf der Atombombe werden Naturwissenschaftler immer öfter gefragt, zu wessen Nutzen und damit auch, zu wessen Schaden sie arbeiten. Kann und darf die Suche nach neuen Erkenntnissen, der Wunsch nach neuem Wissen allein Motor ihrer Arbeit sein? Zunehmend reift die Erkenntnis, daß das Prinzip Verantwortung fester Bestandteil der Wissenschaft sein muß.

Diese Forderung gilt auch für Ingenieure. Noch vor 30 Jahren konnten sie sich darauf berufen, daß sie Dinge schufen, die das Leben der Menschen erleichtern und von alltäglicher Mühsal befreien. Eine bessere, eine ausgefeiltere Technik war ein Zeichen des Fortschritts. Sie galt gleichzeitig immer auch als Verbesserung der Lebensqualität der Menschen in der industrialisierten Gesellschaft. Doch in dem Maße, wie die Technik das Leben der Menschen immer mehr bestimmte - und das reicht von der automatisierten Fertigung in der Fabrik bis zum Einsatz von Mikroelektronik in der Medizin - zeigte sich auch ihre Janusköpfigkeit.

Die Technik - Garant für Wohlstand, für Freizeit und ein längeres Leben - ist auch Ursache für Umweltzerstörung, für Arbeitslosigkeit, für soziale Mißstände. Sie birgt Folgen, die keiner vorherzusehen vermochte. Und sie birgt Risiken, die schwer beherrschbar geworden sind.

Diese Entwicklungen haben deutliche Spuren in der Gesellschaft hinterlassen. Skepsis, in vielen Fällen sogar eine grundsätzliche Ablehnung technischer Erneuerungen war und ist die Antwort der Öffentlichkeit auf die Risiken der Technik.

Dies ist genau das Moment, an dem die Verantwortung der Ingenieure einsetzt. Unter der Voraussetzung, daß wir die Industriegesellschaft bejahen, haben sie es in den Händen, die technische Entwicklung so zu gestalten, daß sie nicht zum Schaden von Mensch und Natur wird. Voraussetzung dafür ist, daß die Ingenieure zu einem Umdenken bereit sind. Sie müssen sich in ihrer Arbeit ihrer Verantwortung als Gestalter der Industriegesellschaft bewußt sein.

Doch was heißt in diesem Fall Verantwortung? Ist sie vergleichbar mit der der Eltern für ihre Kinder oder der des Vorgesetzten für seine Mitarbeiter? Sie ist es insoweit, als sie ein langfristiges Denken, ein Abwägen der Vor- und Nachteile, der möglichen positiven und negativen Folgen beinhaltet. Die Entwicklung der Technik kann nicht mehr nur unter dem Aspekt des technisch Machbaren und der wirtschaftlichen Effizienz erfolgen. Die Entwickler, die Technikgestalter müssen sich vom ersten Moment an, also bereits bei den ersten Entwürfen am Reißbrett, die Frage nach den möglichen Folgen stellen.

Ist die jeweilige Technik ökologisch verträglich? Welche Abfälle entstehen? Welche Materialien können wiederverwendet werden? Welche Auswirkungen hat die Technik auf die Arbeitswelt, auf das Leben der Menschen überhaupt? Gibt es Alternativen zu dem Entwurf auf dem Reißbrett? Kann die Technik mißbraucht werden? Läßt sich das verhindern?

Verbindliche Richtlinien erleichtern das Handeln

Diese Fragen gehen über das Wissen und die Fähigkeiten der meisten Ingenieure hinaus, mögen Skeptiker einwenden. Und damit legen sie den Finger auf die Wunde. Technikgestalter sind heute, in unserer äußerst komplexen Gesellschaft, in der keine Wissenschaft mehr allein Lösungen entwickeln kann, mehr denn je auf das Wissen anderer Diszplinen angewiesen. Sie müssen ihren Blick öffnen für die Erkenntnisse der Sozialwissenschaften, der Psychologie, der Geistes- und Naturwissenschaften.

Sie müssen auf deren Erkenntnisse in der Technikgestaltung zurückgreifen, wenn sie verantwortlich handeln wollen. Nur so können sie eine menschen- und umweltgerechte Technik entwickeln. Und damit langfristig deren Akzeptanz erhöhen.

Stellen sich die Ingenieure ihrer Verantwortung, dann gilt es auch, ihre Rolle in der Gesellschaft neu zu bestimmen. Deshalb trifft die Forderung nach dem verantwortlichen Handeln das Selbstverständnis einer ganzen Disziplin. Das heißt: Ingenieure müssen auch über die möglichen Grenzen bestimmter Technologien nachdenken, sie unter Umständen schon in den ersten Entwicklungsstadien einkalkulieren. Gibt es einen Punkt, an dem weitere Entwicklungen eingeschränkt werden müssen oder sich gar verbieten? Läßt sich der technische Fortschritt steuern? Nach welchen Gesichtspunkten?

Mit Antworten auf diese Gewissensfragen ist der einzelne Ingenieur als Individuum allein überfordert - und das nicht nur, weil in diesen Fällen oft Entscheidungen über das Leben der nächsten Generationen gefällt werden. Das Individuum ist überfordert, weil in diesen Fragen die ethischen Prinzipien einer ganzen Gesellschaft zur Debatte stehen. Deshalb ist der Einzelne an diesem Punkt auf übergeordnete Instanzen angewiesen. Sie müssen ihm Entscheidungshilfen an die Hand geben - in Form von verbindlichen, gültigen Maßstäben.

Das Feld dieser Ethik abzustecken, die vielen Schritte auf dem Weg zur Verantwortung aufzuzeigen und die Grenzen der Entscheidungsspielräume auszuloten - all das ist das Ziel des Ingenieurtages in Berlin. Willkommen zu einer fruchtbaren Diskussion!

.Ì Wettbewerbsvorsprung durch sichere Technik Gesellschaftliche und technische Entwicklungen beeinflussen Sicherheitskonzepte - Von Karl Eugen Becker VDI-N, München, 10. 5. 91 -

Das Bewußtsein der Öffentlichkeit ist heute durch eine kritische Einstellung gegenüber der Technik und dem technischem Fortschritt geprägt. Das ist angesichts der von der Technik zumindest bei unsachgemäßer Handhabung ausgehenden Gefahren verständlich. Diese Haltung ist dann zu begrüßen, wenn dadurch ein umsichtigerer Umgang mit den Möglichkeiten der Technik bewirkt werden kann.

Nur die intelligente Weiterentwicklung der Technik kann uns helfen, die Herausforderungen unserer Zeit zu bestehen. Die verheerende Umweltzerstörung u.a. in Osteuropa und jetzt wieder als Folge des Golf-Krieges hat diesen Zusammenhang auch für die breitere Öffentlichkeit deutlich gemacht.

Sicherheitskonzepte werden immer von der technischen Entwicklung, meist auch von gesellschaftlichen Entwicklungen beeinflußt. Sie sind Produkte ihrer Zeit. In unterschiedlichen Gesellschaftsordnungen gibt es leider unterschiedliche Sicherheitskonzepte. Die Ursachen für Katastrophen wie Bophal und Tschernobyl liegen auch im unzureichenden Sicherheitskonzept. In vielen Ländern Osteuropas und der Dritten Welt betrachtet man Probleme der Sicherheitstechnik mit einer gewissen Unbekümmertheit, im Gegensatz zu den industriell und wirtschaftlich hochentwickelten westlichen Industriestaaten. Hier führen politische Prozesse zu einer laufenden Steigerung der Sicherheitsanforderungen.

Deshalb muß sich in unserer Öffentlichkeit weltweit ein Bewußtsein für die Strategien und Instrumente der Technik entwickeln. Denn nur wenn die Technik eine ausreichend hohe Akzeptanz findet, kann sie sich dynamisch weiterentwickeln und damit weltweit zum Fortschritt beitragen. Chance und Risiko sind zwei Seiten einer Medaille.

Industrielle Risiken, wie wir sie heute kennen, gibt es seit der Einführung moderner Techniken. Die Dampfkessel-Explosionen führten Mitte des letzten Jahrhunderts zur Gründung der Technischen Überwachungs-Vereine. Sicherheitstechnik ist heute ein integrierter Bestandteil der Anlagen und Produkte - von der Automobiltechnik bis zur Raumfahrt - auch darin spiegelt sich die erfolgreiche Arbeit der Technischen Überwachungs-Vereine wider.

Das erforderliche sicherheitstechnische Know-how entwickelt sich an der Arbeit mit "gefährlichen" Techniken. Der Verzicht oder Ausstieg aus bestimmten Technologien, wie z.B. der Kerntechnik, ist solange nicht zu verantworten wie risikoarme Gesamtsysteme zur Verfügung stehen. Unsere größte Herausforderung, die Versorgung der wachsenden Weltbevölkerung, kann nur mit der Technik gelöst werden.

Es gibt daher nur einen Weg: Die Technik weiterentwickeln, bei einem möglichst hohen Sicherheitsstandard. Dies bedeutet die Realisierung von Sicherheitskonzepten, die einem ganzen Bündel von Anforderungen und Kriterien genügen. Gemeinsame Bestandteile aller modernen Sicherheitskonzepte, die in unseren Gesetzen und Verordnungen verankert wurden, sind:

Das Prinzip des unabdingbaren Schutzes von Leben und Gesundheit der Menschen.

Das Prinzip des eingeschränkten Schutzes von Sachen.

Das Prinzip des bedingten Abwägens von Aufwand und Ertrag in technisch- ökonomischer Hinsicht.

Ein Sicherheitskonzept umfaßt meist mehrere Stufen, die aufbauend zu einer immer feineren Erfassung der Gefahren führt.

Prof. Dr.-Ing. Karl Eugen Becker, VDI, ist Vorsitzender der Geschäftsführung des TÜV Bayern. Von 1983 bis 1988 war er Präsident des VDI.

In der 1. Stufe wird das Konzept der unmittelbaren physischen Sicherheit verfolgt. Vor allem Menschen sollen geschützt werden.

In der 2. Stufe bildet sich Systemsicherheit. Damit soll die Verläßlichkeit und Ausfallsicherheit der technischen Systeme gekennzeichnet werden. Das darin zum Tragen kommende Prinzip der Verdoppelung oder Vervielfachung der Systemkomponenten ist aus vielen Anwendungen in der Technik bekannt.

Die 3. Stufe enthält das Konzept der globalen Sicherheit. Auf dieser Stufe wird versucht, alle negativen Einwirkungen von einer gewissen Größenordnung zu verhindern.

Die Ziele der physischen Sicherheit und der Systemsicherheit sind zumeist eindeutig definierbar bzw. durch Regeln und Vorschriften heute bereits vorgegeben. Das Konzept der Sicherheit umfaßt besonders den Umweltschutz. Technik, die die Umwelt belastet, schadet. Eine sichere Technik sollte dies berücksichtigen.

Wir können den Kreis der Interdependenzen aller Faktoren, die unsere Sicherheit ausmachen, nicht durchbrechen, wenn wir nicht globale Sicherheitskonzeptionen anstreben. Dabei setzt sich Zug um Zug die Erkenntnis durch, daß der verantwortliche Umgang mit Technik als fester Bestandteil gemeinsam getragener Wertvorstellungen etabliert werden muß, bis in die Unternehmenskultur hinein, die auch das verantwortliche Handeln des Ingenieurs honoriert.

Die Sicherheit als Teil der Gesamtqualität ist ein wichtiges Wettbewerbsargument, damit ein Element der Wirtschaft, das weltweit und besonders europäisch und auf den gleichen Standard gebracht werden muß.

Die Ausbildung der Ingenieure auf dem Gebiet "Sicherheitstechnik" dient ebenfalls der Verstärkung der Sicherheitskonzeptionen. Eine Verzahnung der Ingenieurausbildung mit anderen Disziplinen und ein Pflichtfach "Sicherheitswissenschaft" , in dem die Ehtik der Technik integriert ist, wären zu begrüßen.

Technik ist ein Teil unserer Kultur. Der freie Dialog in der Gesellschaft erweist sich dabei als Voraussetzung für den gesellschaftlichen und damit auch sicherheitstechnischen Fortschritt. Die Vertrauenskrise der Technik läßt sich nur überwinden, wenn es gelingt, Sicherheitskonzepte so zu optimieren, daß sie die Sicherheitsbedürfnisse unserer Zeit widerspiegeln und plausibel machen, daß sie der Technikfolgenabschätzung umfassend genügen.

Öffentlichkeit und Politik müssen die Eigenständigkeit der Technik als Element unserer Gesellschaft anerkennen. Wir können es uns nicht leisten, die Technik und ihre Institutionen, insbesondere die Sicherheitskonzepte, infrage zu stellen. Die Verbreitung des Grundgedankens der globalen Sicherheit wird eine entscheidende Rolle für unsere Zukunft spielen.

.Ì Produktgestaltung im Spannungsfeld der verschiedenen Interessen Ingenieure müssen lernen, auch komplizierte Sachverhalte zu erklären - Von Ulrich Seiffert VDI-N, Wolfsburg, 10. 5. 91 -

Bereits heute wird in vielen Berufen versucht, einem hohen moralischen Anspruch gerecht zu werden. Auch von Ingenieuren wird dies mittlerweile verlangt. Nicht das Einzelergebnis darf dabei im Vordergrund stehen, sondern die ingenieurmäßige Gesamtlösung. Hinzu kommen zusätzliche Anforderungen wie Ressourcenschonung, Umwelt, Sicherheit, Innovationsdruck und Technikfolgenabschätzung.

Noch vor weniger als 2 Jahrhunderten galt der Ingenieur im Vergleich zu einem Geisteswissenschaftler, Physiker oder Arzt als nicht gesellschaftsfähig. Unter dem Begriff Ingenieur wurde jemand verstanden, der mit der Ölkanne ein Zahnradpaar schmiert. Der Ingenieur hat aber die Aufgabe, durch Erfindungen oder auch systematische Bearbeitung technischer Zusammenhänge, mit dazu beizutragen, daß unsere Welt lebensfähig bleibt.

Im Laufe der letzten 25 Jahre haben sich die Aufgaben auch für den Automobilingenieur entscheidend verändert. Äußere Einflüsse waren u.a. die Forderungen nach zunehmender Fahrzeugsicherheit, stärkerer Produkthaftung, verbessertem Umweltschutz sowie geänderte Anforderungen an das Verkehrs- und Transportwesen.

Auch die Frage der Produkthaftpflicht und damit der Produkthaftung gewinnt einen wesentlichen Einfluß auf die Arbeitsweise des Automobilentwicklers. Sie erstreckt sich nicht nur auf das Gebiet der Fahrzeuge, sondern greift in viele andere Gebiete mit ein.

Prof. Dr. Ulrich Seiffert, VDI, ist Mitglied des Vorstandes der Volkswagen AG, Wolfsburg

Spätestens seit Mitte der sechziger Jahre ist das Thema Umweltschutz für die Industrie von zentraler Bedeutung.

Ähnlich wie bei den Umweltschutzmaßnahmen am Produkt müssen auch die auftretenden Umweltfragen bei der Herstellung und Entsorgung betrachtet werden. Die ständigen Verschärfungen der Anforderungen zur Bewahrung des Lebensraumes zwingen zu einem besonders intensiven Dialog zwischen den politisch Verantwortlichen und denen, die die Anforderungen umsetzen müssen. Häufig zeigt sich, daß Kontinuität, d.h. der Weg der vielen kleinen Schritte, mehr Erfolg bringt als die Meßlatte zu hoch zu legen, zumal dann die Diskussion um die Frage des Sinngehaltes der Anforderungen geführt wird, anstatt die Energien zielgerichtet zur Lösung der bekannten Probleme einzusetzen.

Eine weitere Aufgabe, die auf den Automobilhersteller zukommt, ist die zunehmende Integration seiner Produkte in ein Gesamtverkehrskonzept. Speziell der ruhende Verkehr in den Innenstädten muß marktwirtschaftlich gehandhabt werden. Neue Park & Ride-Strukturen und veränderte Berufsverkehrskonzepte müssen unter Einschluß des öffentlichen Nahverkehrs wesentlich attraktiver werden.

In der Vergangenheit hat es häufig Probleme mit Ingenieuraussagen gegeben. Die Gründe dafür sind zahlreich. Dabei sind physikalische Grundgesetze nicht zu verändern. Sie müssen nur richtig kommuniziert werden. In diesem Zusammenhang ist die existierende Fragestellung möglicher negativer Auswirkungen der Technik auf den Menschen und die Natur von größter Bedeutung. Wir Ingenieure müssen lernen, komplizierte Vorgänge deutlich zu machen und den Mut zu einer unpopulären Aussage zu haben.

Manchmal gehen Jahre und Jahrzehnte verloren, weil wir unsere Meinung nicht deutlich artikuliert und die öffentliche Auseinandersetzung gescheut haben. So kann es vorkommen, daß der Gesetzgeber Wege geht, die sich hinterher als nicht optimal herausstellen.

Für die Überlebenschance eines Unternehmens ist es von wesentlicher Bedeutung, daß die richtigen Produkte, Produktionsverfahren und genügend Marketinginnovationen vorhanden sind. Es gilt mit Augenmaß und unter Berücksichtigung aller Einflüsse, von den Kundenwünschen bis hin zu den begrenzten Möglichkeiten eines Unternehmens, an einem Optimierungsprozeß mitzuarbeiten.

Ziel der Ingenieurtätigkeit muß es sein, die Durchgängigkeit im Produktentwicklungsprozeß zu ermöglichen und damit die Wünsche des externen aber auch des internen Kunden mit in den Prozeß einzubeziehen. Gesamtheitliches Denken ist also mehr denn je gefragt.

Technik darf kein Selbstzweck sein. Die Verantwortungsübernahme für den Ingenieur ist eine wichtige und ständige Herausforderung. Die technischen Lösungen müssen in ihren Auswirkungen besser analysiert und kommuniziert werden. Ohne den Einsatz der Technik sind die vielen existierenden und ständig wachsenden Probleme nicht lösbar. Technik kann ohne Berücksichtigung der möglichen Auswirkungen zu großen Katastrophen führen. Wir müssen daher zukünftig für das was wir tun noch mehr als heute auch die ethisch-moralische Verantwortung beachten. Neben den rein technischen Disziplinen sollte dieser Aspekt verstärkt in der Ausbildung der Ingenieure seinen Niederschlag finden und letztlich die Verhaltensweise aller in die richtigen Bahnen lenken.

Unternehmerische Verantwortung gewinnt an KonturÌ Zum Engagement verpflichtet Arbeit und Persönlichkeitsentfaltung dürfen sich nicht ausschließen Von Eugenie Burgholte-Kellermann VDI-N, Braunschweig, 10.5.91 -

In unserer komplex gewordenen Welt setzt sich mehr denn je die Überzeugung durch, daß sich auch die Ökonomie nicht ziellos im ethischen Niemandsland und losgelöst von Normen und Werten des Handelns vollziehen darf. In eben diesen Werten liegt eine der wesentlichen Grundbedingungen für das Funktionieren einer freiheitlichen Marktordnung, die ja von einem gewissen Grundkonsens der an ihr beteiligten Kräfte ausgeht.

In unserer sozialen Marktwirtschaft in der Bundesrepublik Deutschland steht daher die soziale Komponente im Mittelpunkt, die dem Menschen in seinem Bedürfnis nach Freiheit, Entfaltung, Gerechtigkeit und Wohlfahrt dient. Diese Feststellung wird - so allgemein, abstrakt, gewissermaßen "am grünen Tisch" getroffen - sicherlich allgemeine Zustimmung finden.

Doch stehen dahinter viele offene Fragen. Welche konkreten Schlußfolgerungen, welche Verhaltensmaßstäbe ergeben sich aus einem solchen Satz, für den in der Verantwortung stehenden Unternehmer oder die Unternehmerin, insbesondere in Entscheidungssituationen ihres praktisch- alltäglichen Handelns?

Weltweit, in Europa, aber auch gerade im vereinten Deutschland stehen wir gegenwärtig vor gewaltigen Aufgaben, denen wir ohne Orientierung im Grundsätzlichen nicht gewachsen sein werden. Die politischen, wirtschaftlichen und ökologischen Folgen des Golfkrieges sind zu bewältigen, und die allenthalben bedrückenden Erblasten des Sozialismus in der ehemaligen DDR erfordern zu ihrer Beseitigung auf allen Seiten große Anstrengungen. Schließlich soll der langgehegte Traum von einem vereinten Europa Wirklichkeit werden, von dem wesentliche Impulse für die Weltwirtschaft ausgehen soll. Alles dies sind Prüfsteine für unsere Fähigkeit, die Zukunft zu gestalten.

Auch für die Unternehmungen und die sie leitenden Menschen ergeben sich daraus große Aufgaben und Anforderungen, die sowohl das einzelbetriebliche Fortkommen als auch die Wirtschaftsordnung insgesamt betreffen. Es stellt sich daher die Aufgabe, Umrisse einer spezifischen unternehmerischen Verantwortungsethik zu beschreiben und daraus Orientierungs- und Handlungsleitlinien zu entwickeln, die uns im täglichen Gestrüpp oft äußerst komplexer Entscheidungssituationen helfend die Richtung weisen können.

Dipl.-Sozialwirtin Eugenie Burgholte-Kellermann ist Vorsitzende des Beirates der Kamax-Werke, Osterode, und Vorsitzende des Verbandes deutscher Unternehmerinnen e. V.

Auch einer praktizierenden Unternehmerin sei der Hinweis gestattet, daß vor allem seit dem 18. Jahrhundert und der Zeit der Aufklärung der Gedanke der individuellen Freiheit den Menschen tief ins Bewußtsein gedrungen ist. Damit verbunden ist aber die Vorstellung, daß jede Freiheit mit Verantwortung einhergehen muß. Denn nur Verantwortung garantiert wirklich Freiheit, und nur verantwortete Freiheit kann letztlich dauerhaft Bestand haben. Produktaufklärerisches Denken ist - mit ursprünglich antifeudaler Stoßrichtung - die Überzeugung, Freiheit müsse mit der Möglichkeit freien Eigentums einhergehen, dessen vernunftgeleitete Nutzung das Handeln der Menschen bestimmen solle. Die sittliche Begründung gesellschaftlicher Verantwortung des freien Individuums brachte Immanuel Kant 1788 auf die Formel: "Handle so, daß die Maxime deines Willens zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne!" Als Ergebnis eines nicht selten schmerzhaften und tragischen Erfahrungsprozesses in der neueren deutschen Geschichte ist diese Verantwortungsethik ins Bonner Grundgesetz eingegangen, das neben der Garantie des freien Eigentums auch dessen Sozialbindung verankert. Im Konzept der sozialen Marktwirtschaft ist dieses Denken bei uns bewährte ökonomische Praxis.

Auch die unternehmerische Verantwortung hat sich stets darauf zu beziehen. Gegenwärtig wird viel von der Sinnstiftung der Arbeit gesprochen. Im Mittelpunkt steht der Gedanke, daß der Arbeitsplatz im Unternehmen - auf welcher Stufe auch immer - nicht nur Arbeit um des Broterwerbs willen sein soll. Arbeit und Persönlichkeitsentfaltung dürfen sich heute nicht mehr gegenseitig ausschließen. Wir alle wollen in unserer Arbeit einen über den vielzitierten "Verkauf der Ware Arbeitskraft" (Karl Marx) hinausgehenden Sinn sehen und aktivieren daher ein hohes Maß an innerer Identifikation und Hingabe, die als kollektives Identitätsgefühl in die Unternehmenskultur eingeht. Aus meiner eigenen Erfahrung bin ich überzeugt davon, daß der persönliche Kontakt zwischen Menschen ganz allgemein und zwischen Leitung und Belegschaft insbesondere, wie er etwa im mittelständischen Familienunternehmen alltäglich gelebt und erfahren wird, hier positiv, ja vorbildlich wirkt. Kapital und Arbeit, Inhaber und Beschäftigte, treten einander nicht anonym als abstrakte Größen gegenüber, sondern als Menschen, nahbar und begreifbar in ihrem Handeln und Verhalten, die beide - in ihrer Unterschiedlichkeit - doch gemeinsam Teile eines Ganzen sind. Es gibt viele innerbetriebliche Problemfelder, in denen alle am Unternehmen beteiligten Kräfte aufeinander angewiesen sind, und nur durch einen verständnis- und verantwortungsvollen Umgang miteinander und ohne bürokratisch- verkrustete Konfrontationsstrategien marktwirtschaftliche Potentiale nutzen können.

Die gegenwärtige Lage in den neuen Bundesländern zeigt dabei, daß auch die soziale Marktwirtschaft ein Prozeß ist, der nicht über Nacht administrativ gesteuert oder verordnet werden kann. Die an ihm beteiligten Kräfte müssen lernen, seine Dynamik zu nutzen, ihre Rolle zu finden und ihn damit in Gang zu halten. Verantwortungsbewußtes Handeln zwingt dabei dazu, im Interesse des Ganzen, des Aufbaues marktwirtschaftlicher Strukturen und des darauffolgenden Aufschwungs, gegebenenfalls Härten in Kauf zu nehmen und nicht durch vorschnelle Verteilungskämpfe das Gesamtwerk zu gefährden. Das "Ausschwitzen" des Sozialismus braucht seine Zeit, die schwere Krise der Umstellung muß mit Geduld durchgestanden werden und darf nicht durch eine künstliche Subventionsblüte zum chronischen Leiden verlängert werden. Unternehmer tragen hier eine besondere Verantwortung, die Verpflichtung und Chance zugleich ist, die Chance nämlich zu zeigen, zu welchen Aufbauleistungen Privatinitiative in einer freiheitlichen Marktordnung fähig ist. Angesichts der Lage, angesichts unübersehbarer Investitionshemmnisse gehört viel Mut zum Risiko und ein erheblicher guter Wille dazu, sich zu engagieren. Doch gebietet die gesellschaftspolitische Verantwortung der Unternehmer nun einmal, nicht etwas zu unterlassen, sondern etwas zu unternehmen. Gefordert ist Unternehmergeist, der die zugegeben desolate Gegenwart nicht übersieht, sondern ihre Bewältigung anpackt. Endzeitstimmung, Depression, Mutlosigkeit, Unselbständigkeit, das Schielen nach der obrigkeitlichen Instanz, die wie bisher die Richtung angibt - all dies sind Ausdrucksformen einer resignativen Mentalität, für die man zwar ein gewisses Verständnis haben muß, die aber für eine sich herausbildende Marktwirtschaft kontraproduktiv und schädlich wirkt. Wirkliche Einheit wird es in Deutschland erst geben, wenn nicht nur Marktformen, Lebensniveaus und Infrastruktur alter und neuer Bundesländer angeglichen sind, sondern auch das tiefenpsychologisch verwurzelte Inferioritätsgefühl in den Köpfen vieler Ost-Deutscher neuem Mut und Selbstbehauptungswillen gewichen ist. Hier zu helfen, aufzuklären, praktisch zu arbeiten und zu investieren, ist unsere Aufgabe und Gebot unserer Verantwortung als Unternehmer. Hilfe zur Selbsthilfe, eine aktive Mittelstandspolitik und die Erleichterung von Unternehmensneugründungen werden das Licht am Ende des Tunnels sichtbar werden lassen.

Ökologische Gestaltung der Marktwirtschaft

Schon warten neue, noch größere Aufgaben auf uns, Herausforderungen, denen wir uns stellen müssen. Dazu gehört das zukünftige europäische Haus, in das wir die Tugenden der Marktwirtschaft, unseren Erfahrungsschatz und unsere ordnungspolitischen Zielsetzungen mit einbringen wollen. Noch größere Dimensionen hat - weltweit und für die Zukunft - die Frage der ökologischen Ausgestaltung der Marktwirtschaft. Wichtig scheint mir dabei vor allem, den Faktor Umwelt nicht isoliert zu sehen, sondern ihn als integralen Bestandteil ökonomischer Zusammenhänge zu behandeln. Ökologische Unternehmerverantwortung kann sich nicht losgelöst vom ökonomischen Prozeß entfalten, im Gegenteil: Zur gesellschaftspolitischen Verantwortung der Unternehmer gehört es, im staatlicherseits gesetzten Rahmen zu wirken, Wachstum zu gewährleisten und die Marktkräfte unter Nutzung aller technischen Potentiale zu stärken, gerade um auch aktive Umweltpolitik finanzierbar und langfristig wirksam zu machen.

In der modernen Gesellschaft wächst das Bedürfnis nach Sicherheit Das Risiko - unser ständiger Begleiter Der Preis für High-Tech ist die Ohnmacht des Individuums Von Hermann Lübbe VDI-N, Zürich, 10.5.91 -

Die Themen "Risiko" und "Sicherheit" beschäftigen gegenwärtig die zuständigen Wissenschaften mit rasch wachsender Intensität. Die Menge der Titel fachlicher wie außerfachlicher Literatur schwillt an und belegt die Aktualität der genannten Themen. Hochschulen widmen ihnen interdisziplinäre Vorlesungsreihen. Großforschungseinrichtungen und ihre Arbeitsgemeinschaften beschäftigen sich mit einschlägigen Fragen schon aus Betroffenheitsgründen. Für Industrien und ihre Verbände einschließlich zugeordneter Berufsgenossenschaften gilt das ohnehin.

In dieser Aktualität spiegelt sich das wachsende Sicherheitsverlangen der Bevölkerung. So reagiert sie auf Erfahrungen objektiv zunehmender Risiken, denen sie in unserer Industriegesellschaft ausgesetzt ist.

Schon das Stichwort "Tschernobyl" genügt, um die These von der objektiv wachsenden Risikobelastung unseres industriegesellschaftlichen Daseins zu erhärten. Dabei repräsentiert Tschernobyl nur den Prototyp jener technischen Katastrophen, von denen heute jeder aufgeschlossene Medienkonsument spontan mehrere aufzuzählen vermöchte - von Bhopal über Seveso bis nach Basel. Man weiß ja auch, daß die Trinkwasserversorgung von Hunderttausenden von Rheinanwohnern nicht zuletzt über Uferfiltrate sichergestellt wird. Wie sollte da ein Chemieunfall am Oberrhein nicht massenhaft verunsichernd wirken, insbesondere im fernsehvermittelten Anblick der Fischkadaver noch Dutzende von Kilometern flußabwärts?

Im wachsenden Sicherheitsverlangen spiegeln sich die objektiv wachsenden Lebensrisiken der Bevölkerung in der modernen Industriegesellschaft. Andererseits: Ein guter Indikator tatsächlich gegebener Lebenssicherheit wäre doch unsere durchschnittliche Lebenserwartung. Legte man diesen Maßstab zugrunde, so lebte die Bevölkerung moderner Industriegesellschaften sicherer als jemals zuvor Menschen gelebt haben. Ärztliche Kunst, pharmazeutische Produkte der chemischen Industrie, vor allem aber Hygiene, die ihrerseits wohlfahrtsabhängig ist, haben zumindest in gesundheitlicher Hinsicht unser Leben insgesamt sicherer gemacht. In Abhängigkeit von Leistungen moderner Technik und Organisation sind wir heute auch vor Naturkatastrophen sicherer als in früheren Zeiten. In welcher Hinsicht existieren wir also heute riskanter?

Ganz unabhängig von der Frage, ob wir heute objektiv sicherer oder riskanter als in früheren Zivilisationsepochen existieren, schwindet in hochentwickelten Industriegesellschaften die Risikoakzeptanz. Das hat Gründe, die in elementarer Weise mit den Gegebenheiten des modernen Lebens zusammenhängen. Ihre Wirkungen darf man als irreversibel einschätzen. Sie dürften durch Gutzureden nach dem Motto "Mut zum Risiko" überhaupt nicht beeinflußbar sein. Man wird sich auf sie einzustellen haben.

Um welche Gründe handelt es sich? Ich möchte mich hier darauf beschränken, sechs dieser Gründe in ihren Wirkungen auf Sicherheitsverlangen und Risikoakzeptanz plausibel zu machen.

Erstens: Mit der Zunahme des Anteils derjenigen Lebensvoraussetzungen, die zugleich unsere eigenen Hervorbringungen sind, sinkt die Bereitschaft zur klaglosen Hinnahme von Lebensrisiken. - Man kann sich das exemplarisch an den Befindlichkeitsfolgen der Fortschritte der Medizin vergegenwärtigen. Dazu gehören bekanntlich auch die Fortschritte in der pränatalen Diagnostik. Der Anteil der werdenden Mütter wächst kontinuierlich, die die Möglichkeiten dieses Fortschritts nutzen - zumeist in der bedingten Absicht, einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen zu lassen, wenn eine nichttherapiefähige Schädigung des im Mutterleibe heranwachsenden Kindes festgestellt wird. Aber auch hier bleibt selbstverständlich die ärztliche diagnostische Kunst grundsätzlich fehlbar, so daß es, wenn auch selten, vorkommt, daß schwer geschädigte Kinder zur Welt gebracht werden.

Die in Abhängigkeit von den Fortschritten der Reproduktionsmedizin ständig wachsende Familienplanung ist ein besonders eindrückliches Exempel für die zivilisationsspezifische Verwandlung von Lebensvoraussetzungen und Lebenstatbeständen in Handlungsresultate, und es ist evident, wie in Abhängigkeit von diesem Vorgang sich die Bereitschaft zur Akzeptanz von Lebensriskien mindern muß.

Zweitens: In modernen Gesellschaften machen wir Erfahrungen wachsender Abhängigkeit vom Handeln entfernter anderer. Auch das wirkt sich irreversibel auf unsere Befindlichkeiten aus. Nicht nur gilt, daß schlimme Folgen aus Handlungen uns ungleich stärker berühren als schlimme Folgen aus Prozessen bloßer Natur. Es gilt auch, daß Risiken, denen wir in der Konsequenz der Handlungen anderer ausgesetzt sind, uns ungleich stärker berühren als Risiken, deren Verursachung wir uns selbst zuzuschreiben hätten. Entsprechend expandiert in der modernen Gesellschaft mit der Reichweite unserer realen Abhängigkeit von Handlungen anderer unser Anspruch auf Sicherheit.

Professor Dr. Hermann Lübbe lehrt am Philosophischen Seminar der Universität Zürich

Drittens: Unsicherheitserfahrungen nehmen zu mit der Größenordnung zivilisationsspezifischer Erfahrungsverluste. Wenn wir uns fragen, was wir denn heute noch, und zwar jeder einzelne von uns, von den realen Bedingungen unserer physischen und sozialen Existenz lebenserfahrungs-durchherrscht wissen, so wird evident, daß noch nie eine Zivilisationsgenossenschaft ihre Lebensbedingungen weniger verstanden hat als unsere eigene. Wir sind wie nie zuvor auf Vertrauen in die Solidarität der Leistungen des uns jeweils benachbarten Fachmanns angewiesen.

Das wird deutlich indem man über die Dauer eines einzigen Tages hin sich einmal die Fülle der Vertrauensakte vergegenwärtigt, ohne die wir nicht lebensfähig wären - vom Vertrauen in die wissenschaftlich basierte Kunst des Zahnarztes, den wir morgens, vor Arbeitsbeginn, aufsuchen bis zum Vertrauen in die Funktionstüchtigkeit jenes Taschenrechners, auf dessen Rechenergebnisse sich der Brückenbauingenieur bei seinen statischen Konstruktionsmaßgaben verläßt.

Kurz: In komplexen Gesellschaften kompensieren wir die schwindende Reichweite unserer gemeinen Urteilskraft durch Expertenwissen. Im politischen System ist es längst institutionalisiert, und die Sozialwissenschaftler haben es ihrerseits längst vermessen. Expertenwissen ist also das Kompensat schwindender Urteilsreichweite des common sense - wie die Brille die schwindende Sichtweite des Kurzsichtigen kompensiert.

Expertenwissen ersetzt den common sense

Viertens: Unsicherheitserfahrungen intensivieren sich in demselben Maße, in welchem der Informationsraum, der uns medial zugänglich ist, sich über den Handlungsraum, innerhalb dessen uns Dispositionsmöglichkeiten gegeben sind, hinaus erstreckt. Daß die Ausweitung des Bereichs, über den wir informiert werden, Unsicherheitserfahrungen verstärken könne, ist nur auf den ersten Blick paradox. Auf den zweiten Blick erkennt man die Potenz von Information als Medium von zivilisationsspezifischen Ohnmachtserfahrungen. Man kennt inzwischen den Terminus "Weltgesellschaft" . Es wäre eine Übertreibung zu sagen, daß wir uns bereits jetzt in einer Weltgesellschaft befinden. Aber zumindest in einer Hinsicht existiert, in Abhängigkeit von technischen Entwicklungen, das, was man "Weltgesellschaft" nennen mag, bereits real: als Informationsgesellschaft. Das bedeutet zunächst lediglich: Der Globus ist inzwischen zu einem nachrichtentechnisch nahezu integrierten System geworden. Über Ereignisse und Vorgänge von einiger Wichtigkeit wird heute die Weltöffentlichkeit in kürzester Frist informiert. Es ist wahr, daß der weitaus größere Anteil sogenannter Weltnachrichten für uns ohne jede praktische Relevanz ist, unsere Kompetenzen nicht steigert und keinerlei Reaktionen nötig macht.

Für einen kleinen, sehr speziellen Anteil von Informationen gilt aber just das nicht. In seiner räumlichen Ausdehnung bedeutet der Industrialisierungsprozeß die Zunahme großräumiger realer Abhängigkeiten - von den Handelsströmen, über die unsere Versorgung mit Rohstoffen und Lebensmitteln und mit Energieträgern erfolgt, über die Nachrichtenverbindungen, an deren Funktionstüchtigkeit im Zeitalter absoluter Waffen der wechselseitig abschreckungsgesicherte Weltfrieden hängt, bis hin zur Kooperationsfähigkeit jener multinationalen Beratungs- und Entscheidungsgremien, ohne deren Arbeitsergebnisse weder die Sicherheiten des weltweiten Flugverkehrs gewährleistet werden konnten noch grenzüberschreitende Öko-Katastrophen abgewendet.

Man erkennt: Die synchrone mediale Präsenz von Information über alle Weltereignisse von weltweiter Bedeutung ist in Kombination mit realer Abhängigkeit von diesen zugleich kaum beinflußbaren Ereignissen ohnmachtserfahrungsträchtig.

Fünftens: Unsicherheitserfahrungen intensivieren sich mit nachlassender sozialer Kontrolle. Die Wirkungen nachlassender Kontrolle sind inzwischen ein Teil unserer Alltagspraxis. Bedrohtheitsgefühle stellen sich ein, wenn man, rund um die lt, in Erstklassehotels auf seinem Zimmer strenge Anweisungen zur Kenntnis zu nehmen hat, daß man ohne vorherigen Blick durch den Spion auf ein Klopfen hin Türen nicht öffnen solle. In vielen Großstadtquartieren versteht sich analoge Vorsit bei Hausbesitzern längst von selbst. Weltstädte gibt es, in denen man allein einen Abendspaziergang nicht unternehmen sollte. Die Polizei rät, in U-Bahnen weder viel Geld noch gar kein Geld, vielmehr ein bißchen Geld mit sich zu führen, dam bei Raubüberfällen einerseits der Schaden begrenzt bleibt, andererseits aber die Räuber nicht zu Frustrationsaggressivitäten provoziert werden.

Man könnte in der Schilderung solcher Veränderungen in moderner Lebensverbringung lange fortfahren. Was ist der Grund dieser Veränderungen? In der Entwicklung moderner Gesellschaften nimmt die relative Bedeutung unserer direkten sozialen Abhängigkeiten voneinander ab, während komplementär dazu unsere indirekten sozialen Abhängigkeitsverhältnisse expandieren. Die Reichweite unserer sozialen Beziehungen nimmt zu. Unsere Subjektivität wird dabei zugleich aus diesen Beziehungen abgezogen. Sie zieht sich mit einem Zuwachs an Privatheit und Intimität in kleine und kleinste Gruppen zurück. Anders ausgedrückt: Mit der Expansion der Öffentlichkeiten, in denen wir uns sozial bewegen, wachsen uns Chancen zu, im Schutze der Anonymität zu handeln.

Sechstens. Das Sicherheitsverlangen wächst mit der Höhe des erreichten technischen und sozialen Sicherheitsniveaus. Die Gesundheitsdefinition der Weltgesundheitsorganisation, derzufolge Gesundheit ein Zustand uneingeschränkten physischen, psychischen und sozialen Wohlbefindens sein soll, hätte noch im tiefen 19. Jahrhundert als vermessen, ja als gottversucherisch gelten müssen. Es sind die historisch beispiellosen Leistungen der modernen Medizin, in Kombination mit der historisch beispiellosen wirtschaftlichen Leistungskraft der modernen Industriegesellschaft, die unseren Anspruch auf seinen heutigen Stand gehoben haben. In Annäherung ans denkbare Optimum gewinnen die verbleibenden Abstände rasch an Unerträglichkeit. Dieser Vorgang mag näherer psychologischer Aufklärung zugänglich sein. Alltagspraktisch kennen wir das aus dem Befindlichkeitsablauf jeder Heimfahrt: Mit der Nähe zum Ziel wächst die Ungeduld.

Dabei wäre es ein zivilisationskritisches Mißverständnis anzunehmen, daß sich in wachsenden Sicherheitsansprüchen eine wachsende Dekadenz unserer Selbstbestimmungsfähigkeit spiegele. Insoweit verhält sich die Sache genau umgekehrt. Im sogenannten Wertewandel spiegelt sich das, und "Selbstverwirklichung" als Lebensorientierungsgröße repräsentiert nicht dekadente Selbstbezogenheit, vielmehr eine objektive Notwendigkeit angesichts beispiellos expandierender Dispositionsfreiräume, in denen nichts geschähe, wenn es nicht selbstbestimmt geschähe. Eben deswegen wachsen die Ansprüche ans System unserer sozialen Sicherheiten nicht trotz der Freiheitsansprüche moderner Bürger, vielmehr ihretwegen.

.Ì Garant für Sicherheit und Qualität Materialprüfung: Auf Objektivität und Unabhängigkeit kommt es an Von Gerhard W. Becker VDI-N, Berlin, 10. 5. 91 -

Vom Materialprüfer wird erwartet, daß seine Tätigkeit den sicheren Einsatz der Werkstoffe und Materialien gewährleistet, Schäden vermeidet und Unfälle verhütet. Mit seiner Erfahrung soll er für die jeweilige Anwendung die optimale Werkstoffwahl mit der damit verbundenen Konstruktion und Herstellung treffen. Sollten doch einmal unvorhergesehene Schadensfälle eintreten, muß er deren Ursachen aufklären und Vorschläge für ihre künftige Vermeidung machen.

Werkstoffe haben seit jeher den Menschen in seiner Entwicklung begleitet. Der Vorzeitmensch konnte sich nur dadurch behaupten, daß er seine natürlichen Fähigkeiten mit Hilfe von Werkzeugen und Materialien, die aus geeigneten Werkstoffen gefertigt waren, verbesserte.

Die moderne Industriegesellschaft verfügt über eine unübersehbare Vielfalt von Materialien. Alles, was uns umgibt, besteht - soweit es nicht im Urzustand vorliegt - aus Werkstoffen. Die Gesamtheit der Stoffe, der Halbzeuge und Fertigerzeugnisse, aber auch der Rohstoffe, wird unter dem Begriff "Material" zusammengefaßt. Ob Maschinen, Geräte, Fahrzeuge, Bauteile, Konstruktionen oder Konsumgüter: in allen Fällen sind es von Menschenhand geschaffene Materialien.

Allen Materialeigenschaften sowie der Problematik, Werkstoffe aus Rohstoffen zu gewinnen und Halbzeuge und Fertigerzeugnisse aus Werkstoffen herzustellen, widmet sich die Materialprüfung. Dabei geht es ihr vorrangig um Sicherheit und Qualität, aber auch um Fragen der Rohstoff- und Energiesicherung sowie des Schutzes unserer Umwelt.

Während die Werkstoff- und Materialprüfung im Laufe der Menscheitsgeschichte zunächst allein auf der unmittelbaren Erfahrung beruhte, hat sich die moderne Materialprüfung als noch sehr junge Wissenschaft erst seit etwas mehr als 100 Jahren mit Hilfe der Erkenntnisse der Natur- und Ingenieurwissenschaften entwickelt. Dieser Prozeß, der durch eine enge Wechselwirkung mit der industriellen Fertigung und der praktischen Anwendung von Produkten gekennzeichnet war und sich in der jüngeren Vergangenheit immer schneller vollzogen hat, dürfte sich künftig unvermindert fortsetzen.

Zum einen sind die Prüfungsmethoden ständig zu verfeinern und neuen Anforderungen anzupassen, zum anderen sind das stoffliche Verhalten und die Zusammenhänge zwischen Werkstoffkenngrößen und den Ergebnissen praxisnaher Versuche aufzuklären. In den vergangenen Jahren hat es dabei erhebliche Verbesserungen durch steigende Genauigkeiten bei der Ermittlung der Werkstoffeigenschaften sowie durch die Simulation komplexer Beanspruchungen mit Hilfe moderner Methoden der angewandten Mathematik und unter Nutzung schneller Großrechner gegeben.

Obwohl zumindest in größeren Instituten durch die gemeinsame Tätigkeit von Fachleuten unterschiedlicher Disziplinen ein erheblicher Sachverstand bereitgehalten wird, würde er sicher nicht ausreichen, um die Vielfalt der Möglichkeiten zur Diagnose und Therapie von Schäden und ihren Folgen stets optimal zu nutzen. Darüber hinaus bestünde bei fehlendem Gedankenaustausch zwischen Fachleuten verschiedener Institute die Gefahr, daß sich deren Methoden und die ermittelten Ergebnisse auseinander entwickeln würden.

Prof. Dr. Gerhard W. Becker, VDI, ist Präsident der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung. In den Jahren 1978 bis 1982 war er Präsident des VDI.

Dem wirkt das nationale und internationale Werk technischer Normen entgegen. In der Bundesrepublik Deutschland gibt es eine große Zahl überbetrieblicher technischer Richtlinien, Regeln und Merkblätter, die sowohl von technisch-wissenschaftlichen Vereinen als auch von Zusammenschlüssen wie den Berufsgenossenschaften mit ihren Unfallverhütungsvorschriften erarbeitet und herausgegeben werden.

Technische Normen bieten aber auch die Grundlage für die einschlägige Sicherheitsgesetzgebung des Staates, die mit dem Ziel behördlicher Gefahrenabwehr alle Rechtsvorschriften umfaßt, durch die die Planung, Errichtung oder Herstellung und der Betrieb technischer Erzeugnisse geregelt und behördlicher Kontrolle unterworfen werden. Dazu gehören Gesetze, die unmittelbar oder mittelbar den Umgang mit der Technik sicherer machen sollen, Strafvorschriften, die gefährliche Formen des Umgangs mit der Technik verbieten, Haftungsregelungen, die Schadensersatzansprüche festlegen, sowie allgemeine Rechtsverordnungen, behördliche Richtlinien und Erlasse.

Eine spezielle Ausbildung zum Materialprüfer gibt es nicht. Vielmehr setzt die Materialprüfung die interdisziplinäre Zusammenarbeit von Naturwissenschaftlern und Ingenieuren unterschiedlichster Fachrichtungen voraus. In einer großen Institution wie der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM) sind u. a. Chemiker, Physiker, Biologen, Zoologen, Geologen, Mathematiker, Informatiker, Bauingenieure, Maschinenbauer, Elektrotechniker, Elektroniker, Verfahrenstechniker, Konstrukteure tätig.

Neben dem im Studium erworbenen Grundwissen sind zusätzliche Kenntnisse des jeweiligen Gebietes der Materialforschung und -prüfung im Laufe der Zeit zu erwerben. Erst wenn entsprechende mehrjährige Erfahrungen in Zusammenarbeit mit ausgewiesenen Fachleuten gesammelt werden konnten, ist es mit ausreichender Kompetenz möglich, selbständig Gutachten zur Beurteilung des Materialverhaltens abzugeben, Lebensdauerabschätzungen vorzunehmen, Schäden zu diagnostizieren und Vorschläge zu deren Vermeidung zu unterbreiten. Dabei ist selbstverständlich davon auszugehen, daß der Materialprüfer auch ausreichende Kenntnisse über die einschlägige Normung und die Sicherheitsgesetzgebung besitzt.

Alle diese fachlichen Kenntnisse und Fähigkeiten stellen aber nur eine, wenn auch wesentliche Voraussetzung für eine erfolgreiche Arbeit des Materialforschers und -prüfers dar. Ebenso wichtig ist die Einstellung zu seiner Arbeit. Absolute Objektivität, persönliche innere und äußere Unabhängigkeit, ein hohes Maß an Verantwortungsbereitschaft und eine schnelle Entschlußkraft - wenn Gefahr im Verzuge ist - sind wesentliche Merkmale für den in der Materialprüfung tätigen Naturwissenschaftler oder Ingenieur.

Seine Verantwortung ist dabei sehr vielschichtig. Natürlich verantwortet der Materialprüfer - wie jeder Wissenschaftler - die Richtigkeit seiner Aussage im Hinblick auf das untersuchte Materialverhalten, auf die Genauigkeit seiner Messungen. Wichtiger ist aber häufig die Aussage über das zu erwartende künftige Verhalten, über Lebensdauer eines Produktes, gegebenenfalls mit eingeschränkter Beanspruchung. Außerdem muß der Materialprüfer häufig zwischen verschiedenen Gütern abwägen: Fragen der Wirtschaftlichkeit, des Umweltschutzes wie der Sicherheit und Qualität sind zu bewerten und bei der entscheidenden Aussage zu verantworten. Dabei vertraut der Verbraucher ebenso wie der zuverlässige Erzeuger auf die Aussage des Materialprüfers.

Ingenieure und Wissenschaftler unterschiedlicher Fachrichtungen arbeiten eng zusammen

Anhand nur einiger augenfälliger Beispiele aus der Arbeit der BAM soll die besondere Verantwortung des Materialprüfers demonstriert werden.

Ein besonders gefahrenträchtiger und jeden betreffender Bereich ist die Standfestigkeit von Bauwerken jeder Art. Die in der Bundesrepublik vorhandenen Wohn-, Industrie- und Verkehrsbauwerke wurden zu einem nicht geringen Teil in den Nachkriegsjahren erstellt. Viele dieser Bauwerke zeigen inzwischen Schäden, die auf nicht ausreichende Erfahrungen mit den verwendeten Materialien, den gewählten Konstruktionen und den Fertigungsmethoden zurückzuführen sind. Hinzu kommen Schädigungen durch Umnwelteinflüsse verschiedenster Art. Diese betreffen in gleicher Weise ältere Bauten aus dem vorigen Jahrhundert, bei denen Sanierungsmaßnahmen zum Erhalt von Baudenkmälern zu beurteilen sind.

Ein eklatanter Schaden war der Einsturz des Kongreßhallendaches in Berlin, bei dem im Mai 1980, 23 Jahre nach der Errichtung des Gebäudes, der südliche, überragende äußere Teil des Daches einstürzte. Unglücksursache war das Zusammenwirken einer Reihe von Planungs- und Ausführungsmängeln. Dabei wären äußere Anzeichen dafür durchaus als solche erkannt worden, wenn ein sachkundiger Beobachter bewußt nach ihnen gesucht hätte.

Materialprüfer muß Gefahren für Mensch und Umwelt erkennen

Wesentlich älter als die Kongreßhalle ist eine Vielzahl von genieteten Stahlbrücken aus der Zeit des stürmischen Ausbaus der Verkehrssysteme in den Jahrzehnten vor dem ersten Weltkrieg. Hier können neben den unmittelbar sichtbaren Korrisionsschäden Ermüdungserscheinungen des Materials vorliegen. Die historisch-architektonische Bedeutung derartiger Verkehrsbauwerke einerseits und die begrenzte finanzielle Kapazität andererseits führten zur Frage nach der Restnutzungsdauer der Brücken bei noch vertretbarem Sicherheitsrisiko.

Eine Aussage hierüber kann selbstverständlich nur für das jeweilige Bauwerk unter Berücksichtigung seines individuellen Zustandes, der bisherigen und künftigen Beanspruchungsintensität und der tatsächlichen Eigenschaften des verwendeten Materials getroffen werden. Hierzu sind neben Grundsatzuntersuchungen u. a. Methoden der Systemdynamik, wie zum Beispiel die Modale Analyse sowie sogenannte Systemidentifikationsverfahren einzusetzen. Zu große Abweichungen zwischen dem so vorausgesagten und dem tatsächlichen Wert der - noch ohne akute Gefahr für Leib und Leben möglichen - Nutzungsdauer können entweder großen wirtschaftlichen und kulturellen Schaden zur Folge haben, da mit einem zu frühen Ersatz unnötige Kosten und die Vernichtung historischer Bauwerke einhergehen würden, oder Menschenleben kosten und Umweltschäden verursachen, die mit einem Brückeneinsturz verbunden sein könnten.

Weitere Probleme im Baubereich betreffen zum Beispiel die Beurteilung der kritischen Stahltemperatur als Kennwert für die Feuerwiderstandsdauer von Bauwerkssystemen aus Stahl oder die Beurteilung der Einflüsse von Erschütterungen auf Bauwerke beim Bau von Brücken und U-Bahnstrecken, zum Beispiel durch Abbrucharbeiten, Rammen, Verdichten und Fahrbetrieb schweren Gerätes.

Ein wichtiger, die Sicherheit, aber auch den Umweltschutz betreffender Bereich der Materialprüfung befaßt sich mit der Lagerung und dem mit Transport von Gefahrgut, vor allem auch explosiver Stoffe. So spiegelt der sichere Umgang mit Flüssiggas in vielen Bereichen des täglichen Lebens eine erhebliche Rolle.

Der Materialprüfer hat sich hier mit Fragen des Materials, der Konstruktion, der Fertigungsart und der Verwendung derartiger Behälter entsprechend ihrer Vielfalt zu befassen. Eine wichtige Vorgehensweise schließt dabei die Auswertung von Unfallberichten und Anlagenbegehungen ein.

Bei der Beurteilung der Sicherheit von Kugelgasbehältern vor einer Zulassung durch den zuständigen Technischen Überwachungs-Verein ist es erforderlich, das Spannungs-Dehnungsverhalten unter ca. 110 % des späteren maximalen Betriebsdruckes von etwa 10 bar zu untersuchen. Beim Aufbau derartiger für Spaltgas vorgesehener Behälter mit Druckmessern bis zu 40 m und Wanddicken bis zu 34 mm werden vorgeformte Segmente vor Ort zusammengeschweißt. Die Schweißnähte werden zerstörungsfrei geprüft. Problematisch sind die Bereiche, in denen die Stützen mit der Kugel verschweißt sind, sowie die Gebiete um eingeschweißte Anschlußstutzen. Schon relativ geringfügige Abweichungen vom Idealfall, zum Beispiel bei der Geometrie oder der Materialdicke sowie Montageunzulänglichkeiten führen zu nicht mehr tolerierbaren Spannungen im Gasbehälter.

Andere Beispiele in diesem Zusammenhang betreffen die Beurteilung der Sicherheit von Transport- und Zwischenlagerbehältern für abgebrannte Brennelemente und radioaktive Abfälle, wobei die entsprechenden Bestimmungen nach Atomrecht und nach Verkehrsrecht zu beachten sind, sowie Tanks unterschiedlichster Bauart zur Lagerung von Heizöl, Dieselkraftstoff und anderen brennbaren Flüssigkeiten. Auch hierbei hat der begutachtende Materialprüfer die Gefahren für Mensch und Umwelt zu erkennen und durch seine Anforderungen u.a. an die Festigkeit des Behälters und an die Beständigkeit des Materials gegen das Lagergut zu vermeiden.

Zur Gewährleistung der Sicherheit von technischen Anlagen mit hohem Risiko, wie zum Beispiel Flugzeugtriebwerken, Seilbahnen, Chemieanlagen, Dampfdruckkesseln, Kraftwerken, insbesondere Kernkraftwerken, kommt es auf die Vermeidung jedweden Material- und Fertigungsfehlers an. Bei den Komponenten des Primärkreislaufs von Druckwasser- und Siedewasserreaktoren in deutschen Kernkraftwerken wird bei der Fertigung, bei der Montage und bei den wiederkehrenden Prüfungen während der Revisionspausen in umfassendem Maße von den Methoden der zerstörungsfreien Werkstoffprüfung Gebrauch gemacht.

Wegen der ständig steigenden Anforderungen sind die Methoden laufend zu verbessern und zu verfeinern. So sind bei den in Revisionspausen stattfindenden wiederkehrenden Prüfungen an Schweißverbindungen des druckführenden Primärkreislaufs weitgehend automatisierte ferngesteuerte Ultraschallprüfungen durchzuführen und dies bei zum Teil sehr komplizierten Geometrien. Die Methoden hierfür und die speziellen Prüfköpfe sind in der BAM entwickelt worden und werden inzwischen weltweit angewendet.

Alle diese Beispiele sollen zeigen, daß der in der modernen Materialprüfung tätige Ingenieur ein hohes Maß von Verantwortung trägt, wenn er unter Berücksichtigung der notwendigen Wirtschaftlichkeit und des Umweltschutzes Aussagen über das tragbare Risiko einer technischen Anlage macht. Dabei wird er auch weiterhin danach streben, die Erkenntnisse und Erfahrungen aus allen technischen Disziplinen zu nutzen und für die jeweils gestellten Probleme anzuwenden. Nur so ist gesichert, daß die technischen Entwicklungen jetzt und in Zukunft von der Gesellschaft angenommen werden und zu ihrem Wohlstand beitragen können, ohne nachfolgenden Generationen bleibende Nachteile zu hinterlassen.

.Ì Zivilcourage - Voraussetzung für verantwortliches Handeln Mit dem Fortschritt der Technik wird zunehmend nach ihrem Sinn gefragt - Von Günter Spur VDI-N, Berlin, 10. 5. 91 -

Verantwortungsbewußtsein setzt ein, wenn Ingenieure sich fragen, ob herkömmliche Optimierungskriterien in Technik und Wirtschaft noch ausreichen. Wenn die Ethik lehrt, daß es falsch sei, Menschen Schaden zuzufügen, müssen auch Ingenieure sich Kenntnisse über die Folgen ihres Handelns verschaffen.

Mit dem Fortschritt der Technik wird zunehmend nach dem Sinn und Wert, nach dem Wohin und Wozu gefragt. Vielen Menschen erscheint die hohe Entwicklungsgeschwindigkeit einer komplexen Technik unheimlich, einer Technik, deren Produkte gewissermaßen unabdingbar in die Gesellschaft eingebracht und, einer Gewohnheit folgend, zwar nicht immer kritiklos, aber schließlich doch von der Gesellschaft angenommen und dann gern genutzt werden. Kritische Fragen entstehen, wenn die Technik unfaßbar und unverständlich wird. Dies gilt auch für den technologisch bedingten Wandel unserer Arbeitswelt.

Die Ingenieurwissenschaften, die diesen Wandel durch ihre Forschung einleiten, sind der Gesellschaft gegenüber auch verpflichtet, ihn zu deuten und zu erklären. Diese Aufgabe stellt sich ebenso den Sozialwissenschaften. In die Zukunft weisende Fragestellungen machen gleichzeitig die Aufgabe deutlich, die technische Entwicklung historisch aufzuarbeiten. Technik muß sich auch geschichtlich verstehen, insbesondere, wenn wir wissen wollen, warum bestimmte technologische Fortschritte nicht voraussehbar waren oder möglicherweise falsch gedeutet wurden.

Heute stehen Erwägungen der ethischen Dimension des Gebrauchs von Technik zunehmend im Vordergrund, die auch durch die von intellektueller Seite eingenommene ambivalente Haltung gegenüber der Technik verstärkt werden. Technik als ein ethisches Problem zu betrachten, ist allerdings nicht neu. Eine solche Diskussion findet sich schon im vorigen Jahrhundert. Ein verstärktes Fortführen dieser Kritik und die Frage nach den Folgen der Arbeit eines Ingenieurs fand mit besonderer Intensität nach dem Zweiten Weltkrieg, zu Beginn der fünfziger Jahre, statt. Anstelle der bisher favorisierten Spezialisierung des Ingenieurberufes wurde die Forderung nach überfachlichem Konnex laut. Es entstand die Konzeption, Technikwissenschaft in Unversitätsstrukturen einzubetten, so geschehen 1946 durch die Gründung der Technischen Universität Berlin.

Im Jahre 1950 veröffentlichte der VDI das "Bekenntnis des Ingenieurs" , wodurch der Ingenieur sich zur "Achtung und Würde des menschlichen Lebens" verpflichtet fühlen sollte. Unter der Leitung des Braunschweiger Professor Paul Kößler richtete der VDI 1956 eine Hauptgruppe "Mensch und Technik" ein: der gesellschaftliche Bezug technischen Tuns und Handelns war erneut zum aktuellen Diskussionsthema von Ingenieuren geworden.

Nach der Überwindung großer Katastrophen wiederholt es sich, daß der Zeitgeist von einer kritischen Erneuerungsdiskussion geprägt wird, die allerdings mit zunehmender Stabilisierung abklingt und schließlich wirkungslos wird. Dennoch hat sich das allgemeine Bewußtsein über Grundfragen unserer Industriegesellschaft gegenwärtig verändert. Die Bedeutung der Massengesellschaft ist in den Hintergrund getreten. Von Selbstverwirklichung ist die Rede.

Prof. Dr.-Ing. Drs. h.c. Günter Spur, VDI, leitet das Fraunhofer- Institut für Produktionsanlagen und Konstruktionstechnik in Berlin. Er ist Beiratsmitglied der VDI-Gesellschaft Produktionstechnik.

Ingenieure befassen sich mit einer fortschreitenden Entwicklung der industriell angewandten Technik. Sie sichern den gewonnenen Lebensstandard und befinden sich dabei in einer permanenten Entwicklungsdynamik durch die Wettbewerbssituation des Marktes. Das heißt, die industrielle Produktion wird laufend optimiert. Angesichts der Mächtigkeit dieses Prozesses ist es für die zukünftige Entwicklung der Gesellschaft von großer Bedeutung zu fragen, ob die bisher gültigen Optimierungskriterien noch ausreichen. Hier setzt das Bewußtsein von Verantwortung ein.

"Kein Aspekt der Technik ist moralisch neutral"

Ein solches Bewußtsein des Zusammenhangs von Technik und Ethik hat es in den Entwicklungsphasen der Industrialisierung vermutlich immer gegeben. Es ist aber in unterschiedlichen Erscheinungsformen aufgetreten. Wenn davon ausgegangen wird, daß als Grundsatz aller ethischen Theorien gilt, es sei moralisch falsch, Menschen Schaden zuzufügen oder sie zu beeinträchtgen, dann ist der Berufsstand der Ingenieure prinzipiell dazu angehalten, sich die Kenntnisse von möglichen Beeinträchtigungen und Schadensursachen zu erwerben und Vorsichtsmaßregeln zu treffen.

In einer Deklaration, die von einer Anzahl internationaler Wissenschaftler 1974 im Technion in Haifa unter der Bezeichnung "Karmel-Deklaration" veröffentlicht wurde, heißt es unter anderem: "Kein Aspekt der Technik ist moralisch gesehen neutral. Die Formulierung neuer Orientierungsmaßstäbe für ein Zeitalter der allbeherrschenden Technik ist eine dringliche Aufgabe." Empfohlen werden Richtlinien zu prinzipieller Zurückhaltung der entwickelten Nationen, für die sich entwickelnden Nationen war vor allem in Bezug auf den Bevölkerungszuwachs. Es wird hierbei von wissenschaftlichen "Wächterdisziplinen" gesprochen, mit deren Hilfe technische Neuerungen vor allem in Hinblick auf ihre möglichen moralischen Auswirkungen beobachtet und bewertet werden sollen. Dies assoziiert zu Friedrich Dürrenmatt, der in seinen "Physikern" formuliert hat: "Der Inhalt der Physik geht die Physiker an, die Auswirkungen alle Menschen."

Jedes Handeln findet in einer Spannung seinen Ausgangspunkt. Auch die Bewußtwerdung der Folgen technischen Handelns eröffnet ein Spannungsfeld. Wo der Ingenieur sich auch findet, er könnte in einen Gewissenskonflikt gelangen. Damit ist auch die Frage nach Alternativen zur bestehenden Wirtschaftsethik verbunden, die sich mit den Veränderungen der gesellschaftlichen Wertvorstellungen auseinandersetzt.

Zweifel an der Qualität des Bildungssystems

Es fehlt an geeigneten Instanzen, die als Mittler dienen könnten. Möglicherweise wird es zu einer Aufgabe des Managements werden, sich auch für diese Fragestellungen zuständig zu erklären. Derartige Maßnahmen müssen nicht unbedingt im Gegensatz zu der ökonomisch erforderlichen Optimierung der Unternehmensleitung stehen.

Als verbindendes Element zwischen der eingangs beschriebenen Kreativität und einer verantwortlichen Haltung ingenieurtechnischen Handelns steht der Mut. Ein gewisses Maß an Zivilcourage gehört dazu. Überzeugungen gegen Gewohnheiten deutlich zu machen und zu vertreten. Ein sozial und politisch verantwortlich Handelnder sollte über ein Bewußtsein verfügen, das ihn in seinem kulturellen Umfeld mit Überzeugungskraft wirksam werden läßt.

Der Handlungsspielraum des Ingenieurs spiegelt sich letztlich an den Möglichkeiten wider, die von der Gesellschaft angeboten werden. Wir sprechen dabei besonders unser Bildungssystem an, das die Grundlage zum Selbstverständnis unserer Industriegesellschaft liefert. Schon häufiger ist im Zusammenhang mit der Umwelt- und Technologiediskussion die Frage gestellt worden, ob unser derzeitiges Bildungssystem in der Lage ist, den hohen Anspruch zu erfüllen, ob es also zum Verstehen unserer technischen Welt wirkungsvoll beitragen kann.

Gemeint ist die wissenschaftliche Entwicklung menschlicher Bildung in einem Gesellschaftssystem, das durch die Harmonisierung von Technik und Humanismus gekennzeichnet und ohne Bewältigung, Beherrschung und Entwicklung von Wissen auch der anderen Wissenschaftsgruppen nicht existieren kann. In diesem Zusammenhang spielt die Fähigkeit, Bereitschaft und Möglichkeit zu fortgesetztem Lernen und zur flexiblen Anpassung an veränderte Bedingungen eine besondere Rolle. Es entsteht ein wachsender Bedarf an Weiterbildung und Umschulung.

Die Veränderung, die sich innerhalb eines Lebensalters vollzieht, ist komplex und tiefgreifend zugleich. Es ist zumindest fraglich, ob unser Bildungssystem heute die in einer Industriegesellschaft erforderliche technische Bildung vermitteln kann. Ein anhaltendes Versäumnis, unser Bildungssystem entsprechend anzupassen, wird zukünftig die politisch Verantwortlichen und die Gesellschaft vor ernsthafte Probleme stellen, die bei Aufschub nicht mehr durch kurzfristige Maßnahmen gelöst werden können.

Das individuelle Bekenntnis allein macht noch nicht das Prinzip Verantwortung aus Ein hippokratischer Eid für die Ingenieure Der VDI braucht einen verbindlichen Ethik-Kodex - Von Hans Lenk VDI-N, Karlsruhe, 10.5.91 -

Ehren- und Ethikkodizes von Ingenieurgesellschaften gibt es schon seit Ende des letzten Jahrhunderts; diese enthalten standesethische und ethische Prinzipien und Regeln. Eine Analyse dieser Kodizes kann auch uns in Deutschland weiterhelfen.

Bei der Analyse dieser - vor allem der US-amerikanischen - Ethikkodizes lassen sich, was den Inhalt betrifft, fünf Regeln unterscheiden:

1. Ethisch-moralische Verpflichtungen und Gebote im engeren Sinne, d. h. Regelungen, die sich auf das Verhalten des einzelnen Ingenieurs in bezug auf andere (potentiell) Betroffene beziehen. Man könnte hier von externer moralischer Verantwortung sprechen, die zu berücksichtigten eigentlich den Kern solcher Ethikodizes ausmacht bzw. ausmachen sollte. Als höherstufige moralische Verantwortung könnte man die Erfüllung beruflicher Aufgaben, Pflichten und Werte bezeichnen; solche Verpflichtungen werden vielfach in gültigen Regelungen angesprochen und sind allgemein relevant für solche Kodizes.

2. Zunftinterne Normen: Verhaltensregeln gegenüber Angehörigen des eigenen Berufsstandes oder anderer Berufsstände, d. h. Verhaltensregeln professioneller, standesgebundener Art. Diese haben ja normalerweise nicht viel mit Ethik im Sinne der auf universelle Gültigkeit Anspruch erhebenden moralischen Normen zu tun, sie werden aber oft in den Ethikkodizes aufgeführt. Dies führt gelegentlich zu durchaus typischen entsprechenden Verständnis- und Interpretationsschwierigkeiten, auch im Hinblick auf die Deutung solcher Regelungen und Kodizes.

3. Rollenpflichten gegenüber Arbeitgebern und Vertragspartnern, die (großenteils) aus berufsspezifischen Aufgaben usw. resultieren.

4. Prioritäts- und Präferenzregeln: Wie soll sich der einzelne in verschiedenen Situationen verhalten, wie sollen Konflikte zwischen verschiedenen Pflichten bzw. Verantwortlichkeiten gelöst werden? Gerade in Konfliktfällen (z. B. moralische vs. berufliche im engeren Sinne oder durch Weisungsbindung erzeugte Pflichten, Sicherheitserfordernisse vs. Gewinnoptimierung) reichen die Kodizes oft nicht aus. Konflikte werden bislang in den Berufskodizes äußerst selten, wenn überhaupt berücksichtigt. Hier muß mit dem wachsenden Pluralismus von Ansprüchen im Zuge der schnell zunehmenden Rollenvernetzungen und der Wirkungsausweitungen dringlich Neuland kultiviert werden.

Prof. Dr. Dr. hc. Hans Lenk lehrt am Institut für Philosophie der Universität Karlsruhe. Er ist Mitglied des Bereiches Mensch und Technik der VDI-Hauptgruppe.

5. Die auch (moralische) Verantwortung der Profession, des Standes insgesamt bzw. stellvertretend der Berufsvereinigung, für das Gemeinwohl oder für Sicherheit, Gesundheit und Wohlfahrt der Öffentlichkeit oder der Gesellschaft. (Die Verantworung der Profession ist im übrigen mehr als die Verantwortung der einzelnen Mitglieder; letztere kann an Schwellenwerte gekoppelt sein. Beispielsweise ist die Sicherstellung der technischen oder medizinischen Versorgung der Allgemeinheit kaum ine einklagbare Pflicht des einzelnen Vereinigungsmitgliedes).

Insgesamt läßt sich sagen, daß aufgrund der gemischten Zusammenstellung vieler Ethikkodizes diese - auch heute noch - eher die Funktion einer Normensammlung für das Standesethos haben. Sie enthalten Regeln für das Verhalten der Berufsvereinigung als ganzer und besonders für die Mitglieder der Berufsvereinigung bzw. für die Mitglieder des gesamten Standes; es handelt sich also zumeist weniger um einen Ethikkodex im Sinne der Universalmoral.

So werden Angaben über das Verbot der übermäßigen Eigenwerbung gemacht oder Regeln über den Umgang mit Arbeitgebern und mit Kunden formuliert, wie z.B., daß Ingenieure "loyale Sachverhalter und Vertreter" zu sein haben; diese sind aber keine ethischen Forderungen im eigentlichen Sinn, obwohl die Loyalität mit manchen ethischen Normen und Werten zusammenhängt, nämlich mit Ehrlichkeit und Vertrauen. Vielfach bleiben Regelungen, die wirklich Ethisches i.e.S. betreffen, sehr vage, generell, pauschal und allzu global - ohne nähere Ausführungsbestimmungen.

Solche praxisnäheren Anwendungsregelungen aufzustellen, wurde insbesondere in den ersten Jahrzehnten nahezu gänzlich vermieden. Es werden in vielen Kodizes im wesentlichen nur Pflichtentreue, Ehrlichkeit und Fairneß gefordert. Typischerweise fehlen genauere Angaben darüber, wie diese Werte nun im einzelnen zu befolgen sind. Konkrete Normen sind für das Ethische von kaum einer Berufsvereinigung formuliert worden - außer den Bestimmungen über Rollenpflichten gegenüber dem Arbeit- oder Auftraggeber.

Das Verantwortungsproblem kann nicht mit einem Kodex allein erledigt werden, da dieser in der Regel allzu allgemein ist und nur übergreifend, schlagwortartig eine gewisse Orientierungsregel darstellt. Es wäre notwendig, genauer zu differenzieren hinsichtlich der Tätigkeiten, Tätigkeitsarten, Tätigkeitstypen und entsprechend natürlich auch hinsichtlich der Verantwortungstypen. Das könnte durch bereichs-, funktions- und tätigkeitsspezifische Sonder- oder Ausführungsbestimmungen geschehen.

Auch wäre es besonders wichtig - und zunehmend dringlich -, Prioritätsregeln hinsichtlich der Erfassung und Lösung der möglichen Konflikte, die entstehen können, zu entwickeln, damit ein solcher Kodex überhaupt handhabbar wird. Dies wäre eine wichtige und notwendige Ergänzung.

Wesentlich, ja vorrangig, ist es auch daraufhin zu wirken, daß man es nicht mit dem Kodex und dem Beschwören des Kodex' allein bewenden läßt, sondern daß dieser in ein institutionelles Verfahren eingebettet wird. Natürlich können solche Kodizes nicht die letzte moralische Autorität sein und an sich schon die auftauchenden Konflikte lösen. Man kann eigentlich nur verlangen, daß erst in bestimmten verfahrensmäßigen Zuordnungen zu solchen Kodizes - etwa von Verhandlungs- oder Sanktionsmaßnahmen - dann eigentlich das geleistet oder operational greifbar wird, was idealerweise in dem Kodex steht. Das ist durch die Arbeit von Komitees in manchen der Ingenieurvereinigungen auch schon geschehen.

Besondere Pionierarbeit ist hier von dem "American Institute of Electrical and Electronic Engineers" geleistet worden. Diese Vereinigung hatte nicht nur Ethikkomitees eingeführt, sondern auch Preise für besonders "ethische" Ingenieure. Auf der anderen Seite stellte das IEEE aber auch Listen von "unethischen" Unternehme(r)n zur abschreckenden Kontrollrückwirkung ( "Prangerwirkung" ) auf. Schließlich wurden Fälle aufbereitet und mit Gutachten zur anonymen Veröffentlichung gebracht, die u. a. zur Bewußtseinsbildung der Praktiker, aber insbesondere auch zur Schulung in den Universitäten, also zur Nachwuchsinformation und -ausbildung dienen sollten und sich z. T. durchaus bewährten. Letzteres scheint ganz besonders wichtig zu sein. Ein solches Ethikkomitee wird nicht nur ethische Fragen diskutieren, sondern es hat sich in der Tat herausgestellt (z. B. bei der "National Society for Professional Engineers" ), daß bei vielen der Fälle, die dem Ethikkomitee vorgelegt wurden, Fragen der Werbung und des unlauteren Wettbewerbs bzw. der unfairen Vorteilserschleichung den Streitgegenstand bildeten.

Es wurden also wiederum eher Fragen des Standesethos als Fragen der moralischen Auswirkung von Ingenieurprojekten auf die Umwelt oder die Gesellschaft insgesamt behandelt, wenn auch eine gewisse Entwicklung weg von reinen standesethischen Aussagen in den Kodizes zu erkennen ist.

Wie stellt sich die allgemeine Situation in Deutschland dar? Der Verein Deutscher Ingenieure verabschiedete 1950 auf einer VDI-Tagung ein sogenanntes "Bekenntnis des Ingenieurs" , das sich auf die ethische Thematik bezog, allerdings ohne die Verantwortungsfrage explizit zu erwähnen. Dieses "Bekenntnis des Ingenieurs" wurde damals aber nur als Empfehlung angenommen; und es ist auch heute noch eine Grundlage der Ingenieurarbeit.

Ethik muß auch Teil der Ausbildung sein

1980 hat der Verein Deutscher Ingenieure in einer Broschüre "Zukünftige Aufgaben" gefordert, daß das Zusammenwirken aller geistigen Kräfte der Technik im Bewußtsein ethischer Verantwortung zu fördern sei, unter dem Leitmotiv der Verbesserung der Lebensmöglichkeit der gesamten Menschheit durch Entwicklung und sinnvolle Anwendung technischer Mittel. Dementsprechend hat der VDI auch in seiner Konzeption für künftige Aufgaben die Förderung nach Verantwortungsfähigkeit und Verantwortungsbereitschaft sowie "die Absicherung des individuellen Verantwortungsbewußtseins" aufgeführt, betont aber zu stark, ja, ausschließlich die lediglich individuelle Verantwortung.

Die institutionelle Verantwortlichkeit der Ingenieurvereinigungen wurde nicht ausdrücklich thematisiert, sondern eher als etwas Selbstverständliches vorausgesetzt. Sie aber wäre in einer Zeit, die immer mehr von institutionalen, korporatin und kollektiven Entscheidungen und Handlungen geprägt wird, dringlich differenzierter zu untersuchungen und in Statuten zu thematisieren und durch Kontrollgremien zu überprüfen und zu beurteilen.

Die technischen Richtlinien des VDI leisten nun zwar im Hinblick auf das Fehlen eines Berufs- und Ethikkodex einen gewissen Ausgleich; sie beziehen sich aber nur in Ausnahmefällen auf ethische Verpflichtungen: I. a. berücksichtigen sie ebenfalls eher den jeweiligen Stand der Technik, ohne damit allerdings einen Berufskodex ersetzen zu können. Gegenüber der Situation in den Vereinigten Staaten ist also in Sachen Ethikkodizes in der Bundesrepublik noch ein Rückstand festzustellen.

Es finden sich allerdings einige wenige Richtlinien, die sich bereits eingehender auch mit universalmoralisch relevanten Sicherheitsfragen (DIN 31000 Sicherheit geht vor "wirtschaftlichen Überlegungen" ) befassen, und es gibt neuerdings auch eine Richtlinie des VDI (3780 "Technikbewertung: Begriffe und Grundlagen" ), in der Wertgrundlagen der Technikbewertung und des technischen Handelns formuliert werden.

In dieser Richtlinie werden allerdings keine unmittelbar ethischen Fragen behandelt, sondern im wesentlichen die Bedeutung von Wertsystemen für die Technik, die Rolle von wertendem technischen Handeln und die nicht-technischen Komponenten der Technikbewertung und Technikfolgenabschätzung herausgestellt. Doch auch diese Punkte sind inzwischen sehr aktuell geworden.

Im Konflikt der Ingenieure, die sich einerseits am Gemeinwohl orientieren sollen, andererseits im eigenen Geschäfts- oder Karriereinteresse auch gebunden sind an Aufgabenstellungen im Unternehmen und ebenfalls als Angestellte und als mündige Bürger verantwortlich sind, zeigt sich ein typischer Konflikt zwischen verschiedenen Rollen. Ein solcher ist jedoch nicht nur charakteristisch für Ingenieure, sondern auch für angestellte Wissenschaftler, insbesondere für anwendungsorientierte Naturwissenschaftler.

Die Frage, ob man die Problematik durch die Einführung bestimmter weiterer Verfahren, etwa die Einführung eines hippokratischen Eides für Naturwissenschaftler, Ingenieure und Techniker oder durch parlamentarische Hearings oder, wie sogar vorgeschlagen wurde, durch Technik- oder Wissenschaftsgerichte (Science courts) lösen kann, muß weiter diskutiert werden.

Die Standesregeln, die beruflichen Verhaltensregeln und Ethikkodizes sollten also nicht nur - so läßt sich resumierend sagen - das jeweilige Berufsethos zum Ausdruck bringen, sondern auch ethische Überlegungen, übergreifende soziale Werte und Ziele als verbindliche Leitlinien anerkennen, stärker die Orientierung am Allgemeinwohl, unterschiedliche institutionelle Kontrollen und Disziplinierungsmöglichkeiten einbeziehen; besondere Beachtung sollten neben den moralischen Idealen auch die Fragen der strukturellen Zusammenhänge am Markt und beim Arbeiten (im Unternehmen) sowie die der institutionellen, korporativen Verantwortung finden. Sollten die Kodizes dann noch verstärkt und vermehrt Eingang in das positive Recht finden, so würden die Chancen der Einhaltung und Verwirklichung der Kodizes steigen, denn Appelle allein und die Sensibilisierung der einzelnen - insbesondere der abhängig Beschäftigten - scheinen nicht zu genügen, so nötig sie freilich sind.

Wichtig bleibt es auch, ethische und moralische Inhalte in Ausbildung und Studium einzubeziehen und begleitende Maßnahmen, d. h. Diskussion und Veröffentlichung von Fällen, Ethikkomitees, Eide usw. und (arbeits-)rechtliche Stützung zu planen und zu treffen.

Richtlinien dürfen Innovationen nicht behindernÌ Technische Normen sind nur Empfehlungen Der Binnenmarkt braucht eine europaweite Harmonisierung aller Regelwerke - Von Helmut Reihlen VDI-N, Berlin, 10.5.91 -

Normen dokumentieren den Stand der Technik. Sie beschreiben das technisch Mögliche, das wirtschaftlich Sinnvolle und das praktisch Erprobte. Die hohe Innovationsgeschwindigkeit der westlichen Industriegesellschaften verlangt von Normen aber auch, daß sie Maßstäbe für die Technikentwicklung selbst setzen und nicht bei der Beschreibung des status quo stehen bleiben.

Technische Normen sind Niederschriften des Standes der Technik. Sie werden respektiert als anerkannte Regeln der Technik. Der im Hause des Vereins Deutscher Ingenieure angesiedelten Gemeinschaftsausschusses der Technik definiert die Begriffe "Stand der Technik" und "anerkannte Regel der Technik" folgendermaßen: "Stand der Technik ist der zu einem bestimmten Zeitpunkt erreichte Stand technischer Einrichtungen, Erzeugnisse, Methoden und Verfahren, der sich nach Meinung der Mehrheit der Fachleute in der Praxis bewährt hat oder dessen Eignung für die Praxis von ihnen als nachgewiesen angesehen wird."

"Eine anerkannte Regel der Technik ist eine technische Festlegung, deren Inhalt von der Mehrheit der Fachleute als zutreffende Beschreibung des Standes der Technik zum Zeitpunkt der Veröffentlichung erkannt wird. Dies ist bei technischen Festlegungen zu vermuten, die nach einem Verfahren zustande gekommen sind, das allen betroffenen Fachkreisen die Möglichkeit zur Mitwirkung bietet."

Prof. Dr.-Ing. Sc. D. Helmut Reihlen ist Direktor des DIN Deutsches Institut für Normung e.V. in Berlin und Vorsitzender des Berliner VDI-Bezirksvereins.

Maßgebliche Kennzeichen einer technischen Norm ist demnach also das Verfahren, das zu ihrem Zustandekommen führt, insbesondere die Mitwirkung aller Betroffenen. Deshalb hat das Deutsche Institut für Normung - kurz DIN - für die Erarbeitung einer DIN-Norm folgendes festgelegt:

- Jedermann kann die Erarbeitung einer Norm beantragen, tunlichst unter Hinzufügen einer Normvorlage.

- DIN-Normen werden in Arbeitsausschüssen von Fachleuten aus den interessierten Kreisen erarbeitet. Die Zusammensetzung der Arbeitsausschüsse muß die unterschiedlichen Interessen angemessen berücksichtigen.

- Die vorgesehene Fassung jeder DIN- Norm muß vor ihrer endgültigen Festlegung der Öffentlichkeit zur Stellungnahme vorgelegt werden.

- Jeder zu einem Norm-Entwurf eingegangene Einspruch muß mit dem Einsprecher verhandelt werden. Der Einsprecher hat die Möglichkeit, die Durchführung eines Schlichtungs- und Schiedsverfahrens zu beantragen, wenn sein Einspruch verworfen wird.

- Die Normenprüfstelle prüft die Norm- Entwürfe vor ihrer Aufnahme ins Deutsche Normenwerk daraufhin, ob die Regeln und Grundsätze für die Normungsarbeit eingehalten wurden, insbesondere, daß die neue Norm nicht im Widerspruch zu bereits bestehenden Normen steht.

- Die bestehenden DIN-Normen müssen spätestens alle 5 Jahre daraufhin überprüft werden, ob sie noch dem Stand der Technik entsprechen und, falls dies nicht der Fall ist, überarbeitet oder zurückgezogen werden.

- DIN-Normen haben den jeweiligen Stand der Technik unter Einschluß wissenschaftlicher Erkenntnisse und die wirtschaftlichen Gegebenheiten zu berücksichtigen.

- Die in Bearbeitung befindlichen Normungsvorhaben und die Herausgabe der Norm-Entwürfe und der DIN-Normen werden öffentlich bekannt gemacht.

Eine Pflicht zur Anwendung von DIN- Normen kann nicht durch das DIN selbst gesetzt werden. DIN-Normen werden angewandt, wenn und weil und solange sie vernünftig sind. Eine Pflicht zur Anwendung von DIN-Normen kann sich ergeben aufgrund von Verträgen sowie aufgrund von Rechts- oder Verwaltungsvorschriften.

Die im Rechtsleben am häufigsten zu beobachtende rechtliche Bedeutung gewinnen DIN-Normen bei der Vertragsgestaltung. Dadurch, daß in einem Vertrag auf eine DIN-Norm verwiesen wird, ist der Inhalt dieser Norm Vertragsinhalt geworden. Meistens geschieht dies, um eine eindeutige Bestimmung der Leistung in möglichst kurzer und präziser Form vorzunehmen.

Für die Art, in der technische Normen mit der Rechtsordnung verknüpft werden können, gibt es drei Grundformen: Die engste, der Dynamik der technischen Entwicklung am wenigsten angepaßte Form der Verknüpfung, ist die sogenannte Inkorporation. Sie besteht darin, daß der Inhalt einer technischen Norm in die Rechtsvorschrift aufgenommen wird. Beispiel hierfür ist die Benzinqualitätsangabeverordnung. Sie inkorporiert die Norm über Mindestanforderungen für Ottokraftstoffe DIN 51600.

Mit der Inkorporation einer DIN-Norm in eine Rechtsvorschrift entlastet sich der Staat davon, die technische Regelung selbst auszuarbeiten. Er unterwirft die Änderung der technischen Regelung zum Beispiel wegen eines neuen Standes der Technik jedoch allen Formalien des Rechtssetzungsverfahrens. Diesem Nachteil steht der Vorteil gegenüber, daß der Bürger oder Gewerbetreibende mit der Rechtsvorschrift vollständig informiert wird.

Die zweite Form der Verknüpfung technischer Normen mit Rechtsnormen stellt die sogenannte Verweisungsmethode dar. Wird auf eine bestimmte technische Norm unter Angabe des Ausgabedatums verwiesen, so handelt es sich um die sogenannte starre Verweisung. Die Verweisung auf die jeweilig gültige Fassung der Normen ist die sogenannte gleitende Verweisung. Sie wurde angewandt beispielsweise im Rahmen des Energiewirtschaftsgesetzes für die jeweils gültige DIN-Norm des Regelwerkes Gas oder die DIN-VDE Normen für elektrische Sicherheit. Der Vorteil der Verweisung ist die vereinfachte Anpassung an den jüngsten Stand der Technik, wie er sich im Konsens der Interessierten in der DIN-Norm darbietet.

Die dynamischste Verknüpfung von Normen des Rechts und Normen der Technik läßt sich mittels einer sogenannten Generalklausel erreichen. Dabei bedient sich der Gesetzgeber eines zunächst unbestimmten Rechtsbegriffes. Die Generalklausel, die der Gesetzgeber z. B. in #P 3 des Gesetzes über technische Arbeitsmittel verwendet, besagt, daß technische Arbeitsmittel nach den allgemein anerkannten Regeln der Technik so beschaffen sein müssen, daß die Benutzer oder Dritte soweit geschützt sind, wie es die bestimmungsgemäße Verwendung zuläßt. Von den allgemein anerkannten Regeln der Technik darf abgewichen werden, soweit die gleiche Sicherheit auf andere Weise gewährleistet ist.

Generalklauseln garantieren dynamische Anpassung

Solche Generalklauseln, z. B. daß die allgemein anerkannten Regeln der Baukunst, der Stand der Technik oder der Stand der Wissenschaft und Technik zu beachten sind, finden sich beispielsweise in #P#P 323 und 330 Strafgesetzbuch, in den Bauordnungen der Länder, in #P 5 des Immissionsschutzgesetzes und in einer Reihe von Vorschriften des Atomgesetzes. Da diese Normen spätestens nach fünf Jahren überarbeitet werden, ist eine dynamische Anpassung an den Stand der Technik und an die internationale und europäische Harmonisierung technischer Regeln gewährleistet.

Der Vorteil der Generalklauselmethode liegt somit in der damit verbundenen dynamischen Anpassungsfähigkeit des Rechts an die Fortentwicklung der Technik. Ihr Nachteil ist die mangelnde Eindeutigkeit, die sich aus der Ausfüllungsbedürftigkeit dieses unbestimmten Rechtsbegriffes ergibt. Die Frage, was im Einzelfall als anerkannte Regel der Technik anzusehen ist, hat im Streitfall letzten Endes das Gericht zu entscheiden.

Im Streitfall finden die einschlägigen DIN-Normen selbst dann Anwendung, wenn in dem Vertrag auf sie gar nicht Bezug genommen wurde.

Technische Normen sind von sich aus nur Empfehlungen. Wer aus wohlerwogenen, selbst zu verantwortenden Gründen davon abweichen will, ist frei dies zu tun. Er muß sich dafür in einer besonderen Weise verantworten. Technische Normen schaffen eine Bindung, sogleich bieten sie die Freiheit zur Weiterentwicklung der Technik. Diese Situation wird vor allem durch den europäischen Binnenmarkt herausgefordert, der einheitliche Normen verlangt.

Unterschiedliche technische Normen in den einzelnen Mitgliedsländern der Europäischen Gemeinschaft können sich als Hindernisse für den freien Waren- und Dienstleistungsverkehr erweisen. Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat sich deshalb der Harmonisierung von technischen Anforderungen zugewandt.

Diese europäische Herausforderung wird die technische Regelsetzung unseres Landes in Zukunft stark prägen. 1984 entfielen 5% der im DIN-betreuten Normungsvorhaben auf die internationale Normung, 15% auf die europäische Normung und 80% hatten rein nationalen Charakter. 1992 werden je 20% auf die internationale und die rein deutsche Normung entfallen, 60% auf die europäische Normung.

Die Europäische Gemeinschaft hatte bis etwa 1985 die Politik verfolgt, diese unterschiedlichen Regelungen dadurch zu harmonisieren, daß einheitliche, alle Details regelnde EG-Bestimmungen erlassen wurden. Das Konzept der Totalharmonisierung durch den Gesetzgeber erwies sich als wenig praktikabel.

Der EG-Rat hat deshalb 1985 die "Neue Konzeption zur Normung und Harmonisierung" beschlossen. Demzufolge beschränkt sich die europäische Harmonisierung der Rechtsvorschriften mit technischem Inhalt auf die Erstellung von "grundlegenden Anforderungen" im Rahmen von Richtlinien nach Artikel 100a des EWG-Vertrages. Die in einem Mitgliedsland in den Verkehr gebrachten Erzeugnisse müssen diesen grundlegenden Anforderungen genügen. Für diese Erzeugnisse ist der freie Warenverkehr in der Gemeinschaft gewährleistet.

Elektrizitätserzeugung: Schulbeispiel fortschreitender Effizienzverbesserung Strom - Synonym für die moderne Technik überhaupt Industrie nimmt Kritik an Industriegesellschaft ernst - Von Hans Günter Danielmeyer VDI-N, München, 10. 5. 91 -

Die Menschheit lebt in zunehmendem Maß mit und von Technik. Der dadurch bedingte Energiebedarf wird geprägt von der Bevölkerungsentwicklung, der technischen Aktivität dieser Menschen und der Energieintensität der Technik. Steigende Bevölkerungszahlen erfordern im nächsten Jahrhundert neue Energiequellen, die wegen des Kohlendioxyd-Problems vorwiegend nichtfossil sein müssen. Diese Energiebeschaffung ist mit modernen Techniken möglich. Der adäquate Endenergieträger dafür ist elektrische Energie. Sie ist Synonym für kontinuierliche Effizienzverbesserung bei der Erzeugung sowie durch ihre Nutzung und Auslöser zahlloser Innovationen.

Die menschliche Entwicklung ist hin zu fortschreitender Technisierung verlaufen, und eine Stagnation oder gar Abkehr davon ist nicht zu erkennen.

Nicht nur mit der Menge, auch mit der Qualität bleiben wir nicht stehen, wir umgeben uns mit immer besserer Technik: bessere Wirkungsgrade, schnellere Prozesse, geringerer Materialbedarf, höhere Automatisierung. In Anbetracht begrenzter Ressourcen und wachsender Weltbevölkerung ist das notwendig. Technik ist nicht statisch.

In den Entwicklungsländern, die den größten Beitrag zur Zunahme der Weltbevölkerung liefern, wollen immer mehr Menschen mit technischen Produkten leben. Diese aufstrebenden Bevölkerungen können und wollen nicht etwa nur mit importierter Technik leben, sie wollen selbst produzieren, ihren Lebensunterhalt in technischen Berufen bestreiten.

Immer mehr Menschen leben von Technik. Dies ist ein stetiger Prozeß der keine Schlagzeilen macht. Nur wenn es lokal oder temporär in begrenztem Umfang einmal anders verläuft, wenn eine Produktion in ein Entwicklungsland verlegt wird oder durch eine neue Technik "Arbeitsplätze wegrationalisiert" werden, wie es genannt wird, nimmt es die Öffentlichkeit wahr.

Wir müssen auch zur Kenntnis nehmen, daß immer mehr Menschen durch Technik leben, daß nicht nur der Fortschritt der Medizin, sondern auch die Technisierung generell, erheblich zur erhöhten Lebenserwartung und zum Bevölkerungswachstum beiträgt. Übervölkerung durch Technik? Ist der Ingenieur hier in der Verantwortung? Er ist es ebenso wie der Mediziner und ist dem Individuum verpflichtet. Wohlstand ist das beste Mittel gegen Übervölkerung.

Immer mehr Menschen leben durch Technik, und ohne Technik könnten viele Menschen nicht mehr leben. Die Menschheit braucht Technik. Der Ingenieur ist in der Verantwortung, genügend Technik - nach Menge und nach Qualität - bereitzustellen. Dies ist nicht losgelöst von der Umgebung möglich, sondern nur eingebettet in eine funktionierende Gesellschaft, einge gesunde Wirtschaft, mit leistungsfähigen Unternehmen. Der Ingenieur ist in der Verantwortung, führt Fortbestand und Weiterentwicklung der Technik, auch durch Forschung und Ausbildung von technischen Nachwuchs.

Für viele technische Bereiche sind Daten für den Energiebedarf verfügbar. Schwieriger ist es, wenn der zukünftige Energiebedarf einer heterogenen Struktur gefragt ist, wie z. B. eines Landes oder der Welt. Hier hilft man sich mit einer Faktorisierung des Problems, weil für die Faktoren bisweilen detailliertere Informationen oder Schätzungen vorliegen.

Unter sonst gleichen Bedingungen ist der Energiebedarf der Bevölkerungszahl proportional. Deren Analyse und Prognose ist eine Wissenschaft für sich, und ihre Ergebnisse fließen in Energiestudien als exogene Parameter ein. Der zweite Faktor ist die wirtschaftliche Aktivität dieser Menschen. Eine grobe, dafür handhabbare Meßlatte ist die Produktion, die "Nettoproduktion" oder das "Bruttosozialprodukt" welche die vielfältige Aktivität einer Gesellschaft auf eine einzige skalare Größe projizieren. Das "Bruttosozialprodukt" pro Einwohner ist also nur unter Vorbehalten mit Wohlstand gleichzusetzen, aber an der Parallelität beider Werteskalen besteht kein Zweifel. Der hier am meisten interessierende dritte Faktor, der Energiebedarf pro Einheit des Produktes, ist eigentlich eine vielschichtige, mehrdimensionale und zeitabhängige Größe. Überlegungen, wie in Zukunft der Energiebedarf gesenkt, oder die Zunahme zumindest verlangsamt werden kann, operieren vorwiegend mit diesem Faktor.

Die Verbesserung von Wirkungs- und Nutzungsgraden bei der Gewinnung, der Umwandlung und schließlich bei der Nutzung von Energie ist ein weites Feld und gehört zur ständigen Aufgabe vieler Ingenieure. Daran werden große Erwartungen geknüpft, auch in der Öffentlichkeit, und dort sogar gerade von Nicht-Technikern und solchen, die der Technik eher skeptisch gegenüberstehen.

Der Energiebedaf wird geprägt sein von der Bevölkerungsentwicklung, dem erzielbaren Wohlstand und dem Grad der Effizienz. In plausiblen Szenarien für die künftige Entwicklung werden sich die beiden letzten, gegenläufigen Faktoren im globale Mittel etwa in gleichem Maß ändern, so daß mit etwa konstantem Energiebedarf pro Einwohner zu rechnen sei, wohlgemerkt im globalen Mittel. Dabei wird für die Entwicklungsländer mit einer Zunahme des Energiebedarf pro Einwohner, und für die ndustrieländer mit einer Abnahme des Energiebedarfs pro Einwohner gerechnet, derzeit die Industrieländer etwa 1/4 der Weltbevölkerung und 3/4 des globalen Energieverbrauchs. Die Entwicklungsländer mit 3/4 der Bevölkerung begnügen sich mit 1/4 ds Energieverbrauchs.

Die Industrieländer sind zu verstärkter Effizienzverbesserung, zu verbesserten Techniken gefordert, nicht nur für sich selbst, sondern gerade auch für die Entwicklungsländer, damit deren dringend nötige Steigerung der Wirtschaftskraft durch Technisierung eben mit relativ geringem Zuwachs an Energieverbrauch ermöglicht wird.

Für die Steigerung des Energiebedarfs durch Bevölkerungswachstum müssen in erster Linie die nichtfossilen Energien herangezogen werden. Die beiden etablierten nichtfossilen Energien, Wasserkraft und Uran (235)-Spaltung tragen jetzt 14% zur Weltenergieversorgung bei. Dieser Beitrag könnte schon mit heutiger Technik wesentlich erweitert werden. Allein die Wasserkraft könnte noch auf das Drei- bis Fünffache ihres jetzigen Beitrages ausgedehnt werden, und zwar durchaus nicht nur mit Großanlagen, die heute zum Teil politisch umstritten sind, sondern gerade auch in den bedürftigen Ländern mit einer Vielzahl kleinerer Anlagen.

Uranvorkommen sind unerschöpflich

Das Potential der Kernenergie, das mit der gegenwärtigen Technik, nämlich der vorwiegenden Nutzung des Isotops U 235 technisch und wirtschaftlich nutzbar ist, hat eine ähnliche Größenordnung wie das der Erdöl- und Erdgasreserven.

Zweifellos benötigt aber die Menschheit im nächsten Jahrhundert darüber hinaus neue Quellen, deren technische Nutzbarkeit zum Teil schon demonstriert ist, wie bei der Photovoltaik und den Windgeneratoren oder bei der Nutzung von Uran 238 und Thorium 232 in Brutreaktoren und Hochtemperaturreaktoren. Die Sonnenstrahlung und daraus abgeleitete regenerative Energien und die schon mit der Erdentstehung angelegten nuklearen Ressourcen übertreffen die der nur 50 bis 100 Millionen Jahre alten fossilen Brennstoffe um ein Vielfaches. Das Uran in den Ozeanen liegt noch um Zehnerpotenzen oberhalb dieser Darstellung. Diese Quellen sind nach menschlichen Maßstäben ausreichend und unerschöpflich. Der verantwortliche Umgang damit ist nötig und möglich. Welche dieser Quellen dann tatsächlich nennenswerte Beiträge leisten werden, hängt außer von der noch zu erreichenden Wirtschaftlichkeit - man kann nicht wesentliche Beiträge zur Energieversorgung der gesamten Erde auf die Dauer subventionieren - natürlich entscheidend davon ab, welche Beiträge auch politisch mehrheitsfähig werden.

Für die Fusion ist die technische Realisierbarkeit noch nicht demonstriert, wenn sie gelänge, würde sie eine weitere unerschöpfliche Energiequelle erschließen. Wir sollten bei der Energieversorgung keine Monokulturen anstreben und auf keine Quelle grundsätzlich verzichten. Die Ingenieure sind in der Verantwortung, die Technik für genügende und sichere Energieversorgung zu schaffen, nicht nur materiell zu schaffen, sondern beispielsweise auch an der politischen Meinungsbildung über Techniken mitzuwirken.

Prof. Dr. Hans Günter Daniel-meyer ist Mitglied des Vorstandes der Siemens AG, München, und Mitglied des Präsidiums des VDI

Technik benötigt nicht nur Energie, Technik beschafft auch Energie. Dies beginnt schon vor der eigentlichen Gewinnung mit der Prospektion. Moderne Technik hat hier mit hochsensiblen Meß- und Analyseverfahren dafür gesorgt, daß gegenwärtig immer noch mehr Energievorräte neu festgestellt werden als abgebaut werden, daß also der Gesamtumfang der bekannten Vorräte noch steigt.

Energie kann heute zu praktisch jedem Ort der Erde transportiert werden, die Umwandlungstechniken sorgen dafür, daß Energie transportierbar, speicherbar und in einer dem Bedarf gerechten Form bereit steht. Während die Wasser- und Windräder, sozusagen als mechanische Getriebe, zwar eine enorme Produktivitätssteigerung, aber noch nichts grundsätzlich Neues lieferten, wurde es durch die Dampfmaschine möglich, aus Brennstoffen mechanische Kraft und Arbeit zu erzeugen, die Umwandlung verschiedener Energiequalitäten ineinander. Dies wurde weitergeführt in der Technik der Dynamomaschine, aus mechanischer Energie elektrische Energie, oder heute der Solarzelle, Strom direkt aus Licht.

Mit der technischen Erzeugung von elektronischer Energie hat eine geradezu unglaubliche und unvorhersehbare Entwicklung eingesetzt. Eine Energieform, die in der Natur überhaupt nicht in beherrschbarer und nutzbarer Form vorkommt, eine künstliche, technisch erzeugte Energie ist heute eine unserer Lebensadern, stellt die Energieform höchster Qualität und Flexibilität dar.

Die Historie der Elektrizitätserzeugung ist ein Schulbeispiel stets fortschreitender Effizienzverbesserung. Allein seit Ende des letzten Weltkriegs wurde in der Bundesrepublik Deutschland der Kohlebedarf für die Erzeugung einer Kilowattstunde halbiert, und diese Entwicklung ist noch nicht am Ende. Vor allem durch Fortschritte der Materialtechnik konnten und können noch heute Kesseltemperaturen und Drücke, auch Turbinentemperaturen erhöht werden, und damit mit thermodynamischen Wirkungsgrade. Neue Ideen und Konzepte, wie jetzt die Kombination von Gasturbinen- und Dampfturbinen- Prozeß, lösen sogar sprunghafte Verbesserungen aus. Supraleiter, vor allem die neuen Hochtemperatur-Supraleiter werden auf lange Sicht die gesamte Kette vom Generator, der Übertragung und Verteilung elektrischer Energie bis hin zu ihrer Nutzung verbessern. Die Energieversorgung, die erst durch Technik in großem Umfang nötig wurde, wird selbst hochtechnisiert.

Es werden aber auch Zweifel laut, ob wir denn australische Kohle bis nach Europa bringen müssen, ob die gewaltigen Materialmengen, in einem Staudamm oder in einer Solarzelle - gemessen an ihrer Energielieferung - denn zu rechtfertigen sind, ob nicht gar für die Herstellung dieser Energietechniken mehr Energie aufzuwenden sei, als sie dann während ihrer Betriebszeit liefern. "Energie-Amortisation" heißt das Schlagwort. Solche Untersuchungen sind nützlich, um bei der Entwicklung neuer Systeme Schwachstellen zu erkennen. Für bestehende, wirtschaftliche Techniken sind sie kaum relevant, denn eine wirtschaftliche Anlage erwirtschaftet natürlich auch die gesamten Investitionskosten, die auch die Kosten für die enthaltene Energie umfassen, daher kann eine solche Diskrepanz für eine wirtschaftliche Anlage grundsätzlich nicht bestehen. Und Wirtschaftlichkeit wiederum ist unerläßlich für jede Technik, wenn sie dauerhaft sein soll. Hier wirken gegenläufige Anforderungen:

Wirtschaftlichkeit erfordert begrenzte Kosten, hohe Effizienz erfordert aufwendige Technik. Nur Innovationen können hier Grenzen sprengen, nur innovative Energietechnik wird den heute mit Nachdruck erhobenen Anforderungen gerecht. Und die weitergehende These lautet: Energie, innovative Energietechnik löst andere Innovationen aus, bewirkt und schafft neue Technik.

Diese These erscheint für die elektrische Energie besonders zutreffend. Die frühen Dynamomaschinen waren ursprünglich für Beleuchtungszwecke installiert worden. Die weitere technische Verfolgung dieser physikalischen Erscheinungen, der elektrischen Entladungen, führten über Elektronenstrahlen, Röntgenstrahlen bis hin zu modernen Gasentladungslampen und Lasern, einer Kette von neuen Techniken mit großem Einfluß auf unseren Alltag, die ihren Ausgang in der technischen Verfügbarkeit elektrischer Energie genommen haben. Es kamen elektrische Motoren, zunächst als Antriebe gängiger Maschinen, heute wird mit diesem einen Grundprinzip eine Spannweite der Leistung von Milliwatt bis zu vielen Megawatt abgedeckt, also rund zehn Zehnerpotenzen, und entsprechend weit gefächert sind die neuen Anwendungsbereiche und die Auswirkungen dieser Technik.

Aus dem Telegraphen, dem Telefon, den Funkensendern gingen Telekommunikation, Elektronik, Datenverarbeitung hervor bis hin zur künstlichen Intelligenz, völlig neue Bereiche wurden eröffnet. Elektrifizierung steht nicht zu Unrecht als Synonym für Technisierung.

Wir haben von der Effizienzverbesserung bei der Stromerzeugung gesprochen. Es ist nachzutragen die Effizienzverbesserung, das Energiesparen durch Strom. Das klassische Beispiel ist die Elektrifizierung der Eisenbahn: rund 10 Mio t Kohle hat die Bundesbahn in den fünfziger Jahren pro Jahr eingesetzt. Sie sind heute ersetzt durch Strom aus nur rund 2 Mio t Kohle, und aus Kernenergie und Wasserkraft im Äquivalent von etwa 1,5 Mio t Steinkohleeinheiten (SKE), trotz Vergrößerung der Transportleistung, also Energiesparen und Substitution fossiler Energie durch Strom.

Mit Widerständen oder Lichtbögen, induktiv oder dielektrisch, mit Elektronenstrahlen oder Lasern kann aus Strom Wärme hocheffizient erzeugt und räumlich und zeitlich so genau dosiert werden, daß auch unter Berücksichtigung des Kraftwerks-Wirkungsgrades der Energiebedarf merklich geringer ausfällt als mit Flammentechniken. Auch hier kommt zum Energiesparen durch Strom die Diversifizierung hinzu, denn Strom wird eben nur zum Teil aus fossilen Brennstoffen hergestellt, zu einem nennenswerten und steigenden Anteil aus nicht fossiler Energie: Wasserkraft und Kernenergie, ohne Emissionen.

In Schleswig-Holstein und Bayern sind 80% bis 86% der öffentlichen Stromerzeugung nicht fossil, in Niedersachsen, Hessen, Baden-Württemberg sind es zwischen 65% und über 70%. Für die gesamte Bundesrepublik sind es jetzt noch über 30%. Länder wie Frankreich sowie die nordischen und alpinen Wasserkraft- und Kernenergieländer sind da bedeutend weiter.

Regelung und Steuerung, Automatisierung und Leittechnik mit Elektronik und Datenverarbeitung dienen auch der energetischen Verbesserung, sparen Energie in vielen Bereichen. Elektrische Energie ist die Schlüsselenergie für moderne Technik schlechthin.

Für die Zukunft wird auch Wasserstoff als Endenergieträger in Betracht gezogen, er ermöglicht die Speicherung und den Transport von Energie über große Entfernungen. Zur Nutzung flukturierender Primärenergien wie Wind und Sonne wird die Energiespeicherung allerdings erst dann in großem Stil erforderlich sein, wenn diese Energiequellen einen erheblichen Beitrag leisten - mehr als Wasserkraft und Kernenergie heute zusammen.

Bis dahin sind vermutlich große elektrochemische und supraleitende Speicher - deren Entwicklung intensiv betrieben werden sollte - verfügbar, die möglicherweise effektiver sind als die Energiespeicherung mit Wasserstoff. Auch der Ferntransport von Energie ist in Form der Elektrizität zum Beispiel durch Hochspannung-Gleichstrom-Übertragung effizienter und wirtschaftlicher als in Form von Wasserstoff. Wasserstoff sollte daher auf die Bereiche beschränkt bleiben, wo er unentbehrlich oder die bessere Lösung ist wie bei der Chemie, Petrochemie, bei Raketen und Flugzeugen. Vor allem im Wärmemarkt ist der ursprüngliche Strom um den Faktor drei bis fünf effektiver als daraus gewonnener Wasserstoff. Für den Autoverkehr ist Wasserstoff die einzige CO- freie Alternative zu batteriebetriebenen Fahrzeugen. Aber nur der Weg über Brennstoffzellen und Elektroantrieb ist hinreichend effizient. Mit Wasserstoff-Verbrennungsmotoren würde der Primärenergiebedarf steigen.

Moderne Technik, besonders auch moderne Energietechnik sieht sich auch Vorbehalten und Kritik ausgesetzt. Technik wird immer größer, gefährlicher, verselbständigt sich, ist nicht verträglich mit Umwelt, sozialer Ordnung und manchen Wertvorstellungen; die Folgen sind nicht abzusehen. Wir nehem solche Bedenken ernst, bei aller gebotenen Vorsicht und Vorausschau darf aber nicht der Mut zu Neuem genommen werden. Hemmung wirklichen Fortschritts sollten wir uns nicht leisten.

Eine nachindustrielle Gesellschaft ist nicht denkbar

Wenn vor der Einführung der Eisenbahn, der Elektrifizierung oder der Telefonnetze Untersuchungen angestellt worden sind über die Verträglichkeit dieser Innovationen mit der gesellschaftlichen Ordnung, den sozialen Strukturen zu jener Zeit, so sind sie meist negativ ausgefallen, sicher zu Recht. Diese Innovationen waren damit nicht vereinbar. Sie sind gekommen, zum Glück, und haben eben diese Strukturen verändert, zum Wohle der Mehrheit, langfristig zum Wohle aller. Innovationen verändern unser Leben. Die Ingenieure sind in der Verantwortung, den technischen Fortschritt zu bewirken und zu gestalten, die Menschheit wird immer mehr denn je mit Technik leben. Zukunftsvisionen von einem "nachindustriellen" Zeitalter sollten wir nicht als "nichttechnisch" verstehen, sondern müssen dies als "hochtechnisch" erwarten.

Technik - der intelligente Copilot Nicht alle menschlichen Unzulänglichkeiten können durch technische Lösungen angeglichen werden Von Wolfgang Reitzle VDI-N, München, 10. 5. 91 -

Der Wunsch nach größtmöglicher Sicherheit ist dem Menschen angeboren. Allerdings wird dabei oft übersehen, daß es die absolute Sicherheit, d.h. das Risiko Null, nicht geben kann. Sowohl die Physik als auch menschliche Eigenschaften setzen auch und gerade der Verkehrssicherheit gewisse Grenzen.

Eine große Zahl von Verkehrsunfällen wäre vermeidbar, wenn beispielsweise die Griffigkeit zwischen Reifen und Fahrbahn wesentlich höher wäre oder wenn Hindernisse und Gefahren vom Fahrer früher erkannt werden könnten. Der Mensch zeigt aber auch Grenzen, die im Straßenverkehr geltenden Spielregeln einzuhalten.

Die Zahl der Verkehrstoten konnte in der Bundesrepublik Deutschland seit 1970 um ca. 60% verringert werden und das bei wesentlich gesteigerten Fahrleistungen.

Beigetragen haben hierzu Verbesserungen auf vielen Gebieten, wie die aktive und passive Sicherheit der Fahrzeuge, das Rettungswesen, der Straßenbau, insbesondere mit der Beiseitigung von Unfallschwerpunkten, oder die Fahrerausbildung.

Besondere Beispiele der aktiven Sicherheit sind Systeme, welche die Seitenführung des Fahrzeugs beim Bremsen und Antreiben auch unter ungünstigen Verhältnissen aufrechterhalten.

Ein Beispiel für ein weitergehendes Sicherheitssystem ist die sogenannte Aktive-Hinterachs-Kinematik, die sich bezüglich anspruchsvoller Funktionen noch in der Entwicklung befindet. Fahrerassistenzsysteme werden im Rahmen von Prometheus erforscht. Diese sollen z.B. den konfliktfreien Fahrraum oder die Fahrbahngriffigkeit erkennen und dem Fahrer entsprechende Hinweise geben.

Auch auf dem Gebiet der passiven Sicherheit wird intensiv an weiteren Verbesserungen gearbeitet. Eine besondere herausfordernde Aufgabe ist hier aufgrund der physikalisch-technischen Randbedingungen der Seitenaufprall, und zwar sowohl für die Fahrzeugstruktur als auch für die Innenraumgestaltung und die Funktion des Rückhaltesystems.

Zusätzlich ist zu erwarten, daß neue Verkehrsmanagementkonzepte mit jeweils ganz aktuellen Informationen für die Fahrer sowie mit konfliktärmeren Verkehrsabläufen ebenfalls die Verkehrssicherheit verbessern helfen.

Dr.-Ing. Wolfgang Reitzle (VDI), ist Vorstand der BMW AG, München.

Die quantitativ und qualitativ starke Zunahme der Anforderungen an moderne Automobile hat zu einer drastischen Verschärfung der Zielkonflikte geführt. So gibt es schon innerhalb einer Disziplin, wie z.B. der aktiven Sicherheit, gegenläufige Ziele.

Noch stärker zeigen sich die Herausforderungen beim Gesamtkonzept, das gleichzeitig hohe Fahrsicherheit, hohen Insassen- und Partnerschutz, niedrigen Kraftstoffverbrauch, geringe Schadstoff- und Geräuschemissionen und hohen Komfort bieten, optimal recyclingfähig und letztlich für den Kunden auch erschwinglich sein soll.

Für den einzelnen Autofahrer ist ein Unfall zum Glück ein statistisch seltenes Ereignis. Deshalb hat er eigentlich zu wenig Gelegenheit, unfallrelevante Situationen beherrschen und aus Fehlern lernen zu können. Da aber der größte Teil der Unfallursachen dem Fahrer zugeschrieben wird, hat die Technik die Aufgabe, dem Fahrer im komplexen Verkehrsgeschehen möglichst weitgehend zu helfen, ohne seine Verantwortung als Fahrzeuglenker zu beschränken oder sogar auszuschalten.

Prometheus verfolgt hierzu das Konzept des intelligenten Copiloten, der den Fahrer dort ergänzen soll, wo seine Eigenschaften begrenzt sind.

Ein solches System darf den Fahrer aber auf keinen Fall verunsichern. So verständlich die Einzelanforderungen auch formuliert werden können, so schwierig sind sie in ihrer technischen Realisierung.

Für einige dieser Forderungen fehlen noch tragfähige Lösungsansätze. So ist beispielsweise der Übergang von normaler Fahrerfähigkeit zum Entzug der Verantwortung durch intelligente Technik noch unklar. Ungelöst ist auch das Problem des Zusammenwirkens mehrerer Fahrzeuge mit automatischen Kollisionsvermeidungssystemen.

Die Grenzen der Fahrzeugtechnik zeigen sich ganz besonders beim Kraftschluß Reifen/Fahrbahn auf Eis und Schnee. Liegt es für den Ingenieur da nicht nahe, zusätzliche Kräfte am Fahrzeug zu erzeugen, die dieses Kraftschlusses nicht bedürfen?

Eine andere Zielrichtung betrifft durch rechtzeitige automatische Unfall-Erkennung speziell an die Eigenschaften des Unfallpartners angepaßte Knautschzonen-Nachgiebigkeiten.

Es gibt neben diesen und weiteren technischen Aufgaben auch Fragen, die sich dem Einfluß des Ingenieurs weitgehend entziehen. Wie kann beispielsweise noch unerfahrenen Fahrern beigebracht werden, zu erkennen, wie sich kritische Situationen im Straßenverkehr entwickeln und wie man diese möglichst vermeiden kann?

Verkehrssicherheit, ist ein überaus komplexes und sensibles Thema. So manche plausibel erscheinende Verbesserungsmaßnahme führt nämlich nicht zum Erfolg, weil anfangs kaum bekannte Sekundär- oder gar Tertiäreffekte die gewünschte Primärwirkung zunichte machen.

Dennoch können einige Thesen formuliert werden, die eine Orientierung ermöglichen:

- Es müssen alle verfügbaren Mittel eingesetzt werden, um dem Fahrer die notwendigen Informationen zuverlässig und aktuell - nicht nur während der Fahrt, sondern möglichst schon vorher - zur Verfügung zu stellen.

- Systeme, die in den Regelkreis Fahrer/ Fahrzeug/Umfeld eingreifen, sind mit großer Umsicht zu entwickeln. Sie dürfen erst eingesetzt werden, wenn sie auch komplexen Verkehrssituationen gerecht werden und eine hohe Zuverlässigkeit aufweisen.

- Zur Verbesserung der passiven Sicherheit ist es nicht nur erforderlich, konventionelle Systeme weiterzuentwickeln, sondern auch neue aktive Systeme für eine weitgehende Anpassung des Fahrzeugs an die jeweiligen Unfallparameter zu erforschen.

- Psychologie und Pädagogik sind gefordert, gerade bei jungen Fahrern die Sensibilität für kritische Situationen und angepaßtes Verhalten zu erhöhen.

- Straßennetz und Straßenraumgestaltung müssen sich mit der Verkehrssicherheitsphilosophie weiterentwickeln. Die Straßenauslegung soll konfliktfreies und risikobewußtes Fahren unterstützen. Dazu gehört eine intelligente Infrastruktur mit einer Software, die eine dynamische Datenermittlung und Datenverarbeitung ermöglicht.

- Die Gesetzgebung muß mit ausreichender Flexibilität die Weiterentwicklung der Fahrzeugtechnik ermöglichen. Da mit Sicherheit nicht alle Verhaltensprobleme durch technische Lösungen beseitigt werden können, ist die polizeiliche Überwachung des Fahrverhaltens zur Einhaltung der wichtigsten Verkehrsregeln eine notwendige Maßnahme. Diese Regeln müssen jedoch so einsichtig wie möglich sein.

Umweltverträgliche Technikgestaltung Staat und Wirtschaft sind gefordert Erforschung der Zusammenhänge sollte international geleistet werden - Von Kurt A. Detzer VDI-N, München, 10. 5. 91 -

Das Konzept der Technikbewertung ist eng verflochten mit ethischen Überlegungen zur Wirtschaftsordnung und zur Unternehmensorganisation. Daneben gilt es, die Verantwortungsspielräume von Managern und Ingenieuren in der Wirtschaft zu diskutieren.

Bei zahlreichen Veranstaltungen über die Umweltproblematik wird in "glanzvoller Verallgemeinerung" meist einem Verursacher die Schuld zugeschrieben, z.B. dem Technischen Fortschritt, der Industrie oder dem Gewinnmaximierungsprinzip in der Marktwirtschaft. Eine Analyse der erkennbaren Umweltschäden deutet auf mehrere Ursachen wie - die Unbegrenztheit menschlicher Bedürfnisse, - die Nutzung des Lebensraums bis an die Grenze der Tragfähigkeit, - die Neben- und Nachwirkungen des Technischen Fortschritts, - die Neben- und Nachwirkungen individueller und institutioneller Aktivitäten, u.a. auch der Wertschöpfungsprozesse in der Wirtschaft und - die Überlagerung und Rückkoppelung dieser Neben- und Nachwirkungen.

Bei der Diskussion dieser oder auch anderer Einflußfaktoren spielt häufig eine weitere Wahrnehmungsunschärfe des Menschen eine gefährliche Rolle: Wir stellen uns Einflüsse als weitgehend unabhängig voneinander und als additiv wirkend vor, z.B. die Umweltschädigung zu je 10 % durch die Haushalte und die Landwirtschaft, zu 30 % durch den Verkehr und zu 50 % durch die Industrie verursacht. Diese angenommenen Werte sind in diesem Beispiel fiktiv. Die Einflußfaktoren verstärken sich aber - wie festgestellt - gegenseitig. Die einfachste Art, eine solche Verstärkungswirkung mathematisch zu fassen, ist die Multiplikation; zur Überwindung des monokausalen oder additiven Denkens kann vielleicht folgende - mit Hilfe von Schlagworten zusammengefügte - Formel helfen: Umweltschädigung bzw. -Zerstörung ist das Produkt aus Anspruchsinflation, technischem Fortschritt, Bevölkerungsexplosion, Wohlstandsexplosion und Rückkoppelung der Neben- und Nachwirkungen.

Diese leider immer noch grob - ja beinahe unzulässig - vereinfachende Vorgehensweise gestattet immerhin eine Zurückverfolgung der tatsächlichen und auch potentiellen Umweltschädigungen auf tieferliegende Bestimmungsgrößen, etwa bei der Anspruchsinflation auf das Freizeit-, Mobilitäts- und Konsumverhalten, bei der Wohlstandssteigerung auf den Einsatz von Rohstoffen und die Anwendung von Energie-, Informations- und Kommunikationstechnologien und bei der Bevölkerungsexplosion auf die Medizin. Ein Versuch, diese identifizierten "Ursachen" in eine Systembeziehung miteinander zu bringen, zeigt die Graphik. Daraus geht auch die Bedeutung der "Technikbewertung" erneut hervor. Leider fehlt es in der öffentlichen Diskussion auch dieses Konzeptes häufig an den nötigen Differenzierungen. Zu unterscheiden sind mindestens: - das Erforschen der Wirkungszusammenhänge, z.B. bei der Klimaproblematik - das Abschätzen der Folgen bestimmter Handlungen und Unterlassungen von Personen und Institutionen - das Bewerten dieser Folgen, aber auch der möglichen Handlungsalternativen von Individuen, Gruppen und Institutionen.

Dr.-Ing. Kurt A. Detzer ist Leiter der Stabsabteilung Technik MAN AG, München und Vorsitzender des Bereiches "Technikbewertung" der VDI-Hauptgruppe

Machen wir uns die Zusammenhänge am Beispiel der Klimaproblematik nochmals deutlich: Auf die Gefährdung des Klimas durch anthropogene (Spuren-) Gase haben Wissenschaftler schon vor vielen Jahren aufmerksam gemacht. Praktische Konsequenzen für Individuen und Unternehmen konnten sich aber erst ergeben, als die Wirkungszusammenhänge deutlicher wurden. Heute unterscheiden wir bei der Klimaproblematik die (auch nicht ganz voneinander unabhängigen) Teilprobleme "Ozonloch" und "Treibhauseffekt" .

Beim Treibhauseffekt diagnostizierten die Wissenschaftler sechs Hauptverursacher: Kohlendioxid, Methan, Fluorkohlenwasserstoffe, troposphährisches Ozon, Distickstoffoxid und stratosphärisches Wasser. Verfolgen wir den Weg z. B. der Fluorkohlenwasserstoffe weiter zurück, so kommen wir nach nochmals drei bis vier Verzweigungen auf konkrete Produktfelder; diese gilt es nunmehr entsprechend den Erkenntnissen der Wirkungsforschung zu gestalten; das heißt: klimarelevante Gase sollen möglichst nicht mehr in die Atmosphäre gelangen.

Forschung auf sozialer Ebene

Das bedeutet aber, daß wir es bei der Lösung oder zumindest Milderung der Klimaproblematik mit mehreren tausend Produktfeldern zu tun haben. Beim Klimaproblem und bei ähnlich gelagerten Problemkomplexen ist es daher illusorisch, von den Entwicklern, den Herstellern und deren Zulieferern, den Händlern oder den Anwendern einzelner Produkte nach dem Prinzip der voraussschauenden Technikbewertung die Erforschung der Wirkungszusammenhänge zu fordern; diese Forschung ist auf sozialer Ebene - d. h. von staatlichen Institutionen - und am besten international zu leisten.

Man mißverstehe dies nicht als Plädoyer gegen vorausschauende Technikbewertung oder gegen Technikbewertung in der Industrie. Vorausschauende Technikbewertung ist z. B. bei dem Bestreben, negative Folgen der Gentechnik zu vermeiden, ohne ganz auf deren potentielle Nutzen verzichten zu müssen, unsere Haupthoffnung. Und die Industrie ist beim Technology Assessment (hier als Oberbegriff für Wirkungsforschung, Folgenabschätzung und Bewertung verstanden) immer dann gefordert, wenn es um monokausale Wirkungen (etwa bei Pharmaka) oder um zurechenbare Kausalzusammenhänge (wie nach den heutigen Erkenntnissen bei den Waldschäden) geht. Seit beispielsweise bekannt ist, daß die Stickoxide eine maßgebliche Rolle im Ursachengefüge für Waldschäden spielen, gehört deren Minimierung zu den erstrangigen Aufgaben der Motorenentwickler; hinzu kommt als übergeordnete Aufgabe die Minimierung des Energieverbrauchs oder gar des Transportaufkommens, eine Aufgabe, die nicht nur Ingenieure und mehr als eine Institution betrifft.

Bei den für die Umweltzerstörung im Vordergrund stehenden Problemkomplexen Klima und "Biospezies Holocaust" (so nennt Markl die beschleunigte Vernichtung von Tier- und Pflanzenarten) war und ist zuerst die Wirkungsforschung auf gesellschaftlicher Ebene zu leisten. Erst deren Ergebnisse haben Rückwirkungen auf die Akteure in der Wirtschaft, aber natürlich auch auf die Technikanwender; das sind vielfach die Konsumenten.

Auch beim Verfolgen von Lösungs- oder Milderungsstrategien steht häufig nicht das einzelne Unternehmen im Vordergrund, sondern der Staat (z.B. Anreizsystem für die rationelle Energienutzung), die Wissenschaft (z.B. Entwicklung klimaschonender Kältemittel) oder ganze Wirtschaftsbranchen (z.B. Forschungsvereinigungen zur gemeinsamen Entwicklung umweltschonender Prozesse und Konzepte).

Die möglichen Beiträge der Industrie und der in ihr beschäftigten Ingenieure lassen sich wie folgt definieren:

- das Erarbeiten von Energie-, Rohstoff-, Abfall-, Abwasser- und Schadstoffbilanzen für Produkte und Prozesse;

- die Technikfolgenabschätzung und -bewertung bei zurechenbaren Wirkungszusammenhängen; bei monokausalen Zusammenhängen auch die gesamte Wirkungsforschung;

- die Entwicklung ressourcen- und umweltschonender Produkte;

- die Entwicklung ressourcen- und umweltschonender Prozesse (manchmal als produktionsintegrierter Umweltschutz bezeichnet: Wirkungsgradverbesserungen, Substitution etc., Beispiele aus der chemischen Industrie siehe Schrift der DECHEMA, GVC und SATW, 1990);

- das recyclinggerechte Konstruieren (Kennzeichnen der Werkstoffe, Demontage, Rohstoffkaskaden etc.);

- die Weiterentwicklung der Sicherheitstechnik (Fail-Safe-Technologien, Redundanz- und Diversitätsprinzip.

Nach über 20 Jahren "Technology Assessment" läßt sich zumindest auf Teilgebieten eine positive Bilanz ziehen: Wir haben wesentliche neue Erkenntnisse über die Technikwirkungen erhalten und daraus wieder Anhaltspunkte und auch Konzepte für eine umweltverträglichere Technikgestaltung, wie

- rationelle Energienutzung,

- Rohstoffrecycling,

- umweltschonende Produkte und Prozesse,

- Steuerung durch staatliche Rahmenbedingungen.

Unsere Aufgabe als Ingenieure ist es,

- unsere analytischen Fähigkeiten und unser naturwissenschaftlich-technisches Wissen auch weiterhin für die Wirkungsforschung und für die Entwicklung tragfähiger Lösungs- und Milderungskonzepte zur Verfügung zu stellen und

- diesen Konzepten - wo immer wir in der Gesellschaft tätig sind - zum Durchbruch zu verhelfen.

Das Rezept gegen Technikfeindlichkeit heißt AufklärungÌ Angst ist ein schlechter Ratgeber Dialog zwischen Wissenschaft, Technik und Politik muß intensiviert werden - Von Manfred Erhardt VDI-N, Berlin, 10.5.91 -

Es gehört zum Beruf des Ingenieurs, daß er technische Probleme löst. Es gehört zu seinem Ethos, daß er entscheident ob das technische Modell im sozialen und im gesellschaftlichen Bereich funktioniert. Und es gehört zu seiner Verantwortung, daß er mithilft, eine Gesellschaft mit menschlichem Antlitz zu gestalten.

Daß Gedanken, Worte und Werke des Menschen dem Guten wie dem Bösen dienen können, ist eine uralte Menschheitserfahrung. Schuld lädt auf sich, wer in böser Absicht handelt. Aber auch wer das Gute will, kann - wie Goethes Zauberlehrling - schädliche Wirkungen hervorrufen. Das Schwanken zwischen Fortschrittshoffnung und Zukunftsangst ist die moderne Ausprägung dieser menschlichen Ambivalenzerfahrung. Nicht selten stehen sich dabei Apologeten einer Machbarkeitsideologie und technikfeindliche Gesinnungsethiker gegenüber.

Am deutlichsten wird dies am Beispiel der Kernenergie. Der Reaktorunfall in Tschernobyl hat sichtbar gemacht, welche Risiken und Gefahren der leichtfertige Umgang mit dieser Energietechnik in sich birgt.

Aber auch in der Diskussion um die Gentechnik oder die Entwicklung und Anwendung der Computertechnik treten gegensätzliche Auffassungen zutage. Es unterliegt keinem Zweifel, daß die moderne Industriegesellschaft mit ihrer atemberaubenden Beschleunigung wissenschaftlicher Erkenntnisse und technischer Innovationen mit einer Fülle latenter, oder schon schmerzlich erfahrener Risiken konfrontiert ist. Der Begriff des "Risikos" ist in den letzten Jahren geradezu zum Schlüsselwort des Verhältnisses der Gesellschaft zu Wissenschaft und Technik geworden.

Gelegentlich geht es dabei weniger um Aufhellung als Verdunkelung, weniger um Erkenntnis und Verantwortung, als um Irrationalität und Schüren von Ängsten. Als ob wir uns von den technikbestimmten Lebensgrundlagen unserer Industriegesellschaft so einfach distanzieren oder gar verabschieden könnten. Was Not tut, sind weder romantisierende Distanzierung von der Technik, noch blinde Technikakzeptanz, sondern geschärftes Risikobewußtsein und verantwortungsvoll abgewogene Risikobereitschaft. Gefragt sind weder der "terrible simplificateur" , noch der moralisierende Gesinnungsapostel, sondern der Verantwortungsethiker, dem die Wirkungen seiner Erfindung und ihrer Einsatzmöglichkeiten und die Folgen seines Tuns um der Menschen willen wichtig sind.

Ohne Risikobereitschaft stagnieren Wissenschaft und Technik; und ohne die stetige Fortentwicklung von Wissenschaft und Technik geht letztlich und im Hinblick auf das bereits erreichte, unumkehrbare Niveau der Technisierung unserer Lebensumwelt die menschliche Zivilisation zugrunde. Für jedes Zurück in eine Art Serengeti für den Homo sapiens hat unser Planet heute schon einige Milliarden Menschen zuviel "an Deck" .

Aber das ist nur die eine Seite des Problems. Die andere besteht in der Notwendigkeit, die zeitgemäßen und praktisch greifenden, d. h. auch politischen Instrumentarien zu schaffen, die uns einen der Schöpfung Mensch angemessenen humanen, also ökologisch veantworteten und sozialen Umgang mit der Technik gestatten. Diese Aufgabe stellt sich als eine gewaltige, historisch nie dagewesene Herausforderung an die Gesellschaft dar; eine Herausforderung, der sich um den Fortbestand der menschlichen Zivilisation willen keiner entziehen kann.

Das zu erkennen, anzuerkenenn und zum Credo seines Handelns zu machen, ist zunächst die Verantwortung jedes einzelnen. Darüber hinaus aber ist es die besondere und die gemeinsame Verantwortung von Wissenschaft, Technik und Politik. Ich betone die gemeinsame Verantwortung auch deshalb, weil ich davon überzeugt bin, daß sich z. B. die gesellschaftspolitische Verantwortung des Ingenieurs als Handlungsgrundlage immer nur im Kontext mit der Verantwortung der Akteure anderer gesellschaftlicher Bereiche definieren und verstehen läßt.

Prof. Dr. Manfred Erhardt ist Senator für Wissenschaft und Forschung in Berlin

Wenn es richtig ist, daß Verantwortung aus Vertrauen, Vertrauen aber aus Kenntnis und Verständnis erwächst, so macht dieser Zusammenhang mit Nachdruck ein akutes Erfordernis deutlich: Unsere Gesellschaft braucht eine spürbare Ausweitung und Intensivierung des Dialogs zwischen Wissenschaft, Technik und Politik. Dabei muß es uns gelingen, diesen Dialog in einer solchen Weise zu kultivieren, daß auch der Nichtexperte, der "Bürger auf der Straße" angesprochen wird. Es sollte ihm die Chance eingeräumt werden, sich mit seinen Erfahrungen, Ängsten und Vorstellungen in die Auseinandersetzung einzubringen.

Ich halte das aus zweierlei Gründen für wichtig. Zum einen impliziert die fortschreitende Arbeitsteilung und das Wachsen des Spezialistentums mit seinen partikulären Gruppeninteressen eine dramatische Verzerrung der Wissensbasis zwischen den "Machern" und den im weitesten Sinne "Betroffenen" . In der sich herausbildenden Informationsgesellschaft jedoch muß jedes Informationsdefizit, zumal in gesellschaftlich sensiblen Bereichen, zwangsläufig als Bedrohung reflektiert werden. Sie schlägt sich ihrerseits in überkritischen Reaktionen und Ängsten nieder. Es entstehen nebulöse Technikphobien und Zukunftsängste. Solche aus Unkenntnis oder unzureichendem, einseitigem oder falschem Wissen über wissenschaftliche und technische Zusammenhänge geborenen Ängste aber sind ein schlechter Ratgeber für die Gestaltung von Zukunft.

Das markiert den zweiten Grund: Die Grundvoraussetzung eines aktiven, sich nicht versagenden und zuversichtlichen Gestaltungswillens von Zukunft ist heute mehr denn je die wissenschaftlich und technisch aufgeklärte Gesellschaft. Sicher eine Vision, meiner Überzeugung nach aber keine utopische, sondern eine gestaltbare Vision - eine zeitgemäße Aufgabe.

Bei ihrer Lösung wächst gerade auch dem Ingenieur eine besondere Verantwortung zu. An der Nahtstelle zwischen Wissenschaft und industrieller Praxis stehend, ist er in besonderer Weise prädestiniert, als "Mittler" zu dienen: als "Mittler" zwischen komplexer moderner Technik und landläufiger Alltagserfahrung. Die rund 500000 Ingenieure des vereinten Deutschland sind aufgerufen, orientierend und motivierend Einfluß auf Inhalt und Form des unverzichtbaren "Aufklärungsprozesses" zu nehmen.

Mehr Diskussionen mit der Öffentlichkeit

Der Diskurs muß in den Fachzirkeln, zwischen den Disziplinen, in und mit der Politik, aber auch in der Öffentlichkeit stattfinden. Dabei genügt es nicht, nach mehr Ethik und Selbstbegrenzung zu rufen; sicher ist auch der Gesetzgeber gehalten, strengere Schutz- und Kontrollmechanismen einzuführen. Darüber hinaus müssen aber auch Schule und Hochschule der ethischen Dimension und dem Prinzip Verantwortung stärker als bisher in Bildung, Ausbildung und Forschung zur Geltung verhelfen.

Ethik darf freilich nicht als "Krücke" zur Lösung von Akzeptanzproblemen moderner Technik mißbraucht werden. Überhaupt geht es nicht um die "Anpassung" des Menschen an die moderne Technik; gebraucht werden akzeptable Techniken, nicht Akzeptanzkampagnen.

Wissen, Kompetenz und Interessen aller gesellschaftlichen Kräfte sind in den Dialog einzubeziehen; dann bestünde die Chance, die Entwicklung und Nutzung von Technik in einer Weise zu "organisieren" , wie sie nicht nur Voraussetzung einer sozialen und ökologisch verantworteten Marktwirtschaft ist, sondern sich auch stärker an humanen Grundwerten orientiert.

Indizien dafür, daß das Problem erkannt wurde und daß man sich mit auf den Weg seiner Bewältigung gemacht hat, sind u.a. die vom Deutschen Bundestag eingesetzten Enquete-Kommissionen etwa zur Kernenergie, zur Gentechnik oder zur drohenden Klimakatastrophe sowie die Bemühungen um die Institutionalisierung der Technikfolgenabschätzung. Wissenschaftler, Ingenieure, Kulturschaffende, Politiker und andere "Betroffene" unternehmen in mitunter spannungsvollem Dialog den Versuch, sich über die notwendige Fundierung künftiger Ziele, Kriterien, Strategien und Instrumentarien einer konstruktiven Technologiepolitik zu verständigen. Natürlich ist das kein Ersatz für notwendige Entscheidungen in akuten Fragen der Technologiepolitik. Dies liefert aber doch wichtige Beiträge im Vorfeld solcher Entscheidungen.

Es gehört zum Beruf des Ingenieurs, daß er technische Probleme löst; seine Perspektive ist daher zwangsläufig auch die des Machbaren. Es gehört zum Ethos des Ingenieurs, daß er entscheiden kann ob das technische Modell im sozialen und im gesellschaftlichen Bereich funktioniert. Und es gehört zur Verantwortung des Ingenieurs, daß er mithilft, eine Gesellschaft mit menschlichem Antlitz zu gestalten.

Akzeptanzkampagnen reichen nicht aus Perspektiven der Unternehmenskultur von morgen Neue Unternehmensphilosophie muß auf allen Betriebsebenen übernommen werden - Von Walther Ch. Zimmerli VDI-N, Erlangen, 10. 5. 91 -

Angesichts der Forderung nach mehr Technikverantwortung stellt sich die Frage, wer denn wem gegenüber und wofür verantwortlich gemacht werden soll. Diese Frage wird bezüglich der Situation der Ingenieure in den Unternehmen diskutiert. Es wird über Modelle für eine Umsetzung überindividueller Verantwortung in Unternehmenskultur nachgedacht.

Prof. Dr. Walther Zimmerli, VDI, ist Inhaber des Lehrstuhls für Philosophie II an der Universität Bamberg und Mitglied des Direktoriums des Instituts für Gesellschaft und Wissenschaft der Universität Erlangen-Nürnberg. Bis 1990 war er Mitglied des berufspolitischen Beirats des VDI.

Fast schien es schon seine aktuelle Brisanz verloren zu haben und in den Rang eines Festredenthemas abgeglitten - oder aufgestiegen - zu sein: das Problem der Verantwortung für Technik, genauer für beabsichtigte und nichtbeabsichtigte Folgen von Technik. Der Bundestag hatte endlich sein Büro für Technikfolgenabschätzung erhalten, der VDI hatte seine Richtlinien "Technikbewertung" verabschiedet, und die deutsche Einigung hatte inzwischen (fast) allen vor Augen geführt, wie katastrophal es ist, wenn Technik ohne Verantwortung angewendet wird.

Aber die Aktualität von Bitterfeld wurde durch diejenige des Golfkrieges und den Anteil, den die von ehrenwertester Seite in die Golfregion exportierte Kriegstechnologie daran hatte, plötzlich in den Schatten gestellt. Alle, die sich - professionell oder privat - Gedanken über Technikverantwortung gemacht hatten, wurden mit einem Schlag wieder daran erinnert, daß es nicht nur die hochkomplexen Probleme im Zusammenhang von nicht vorhergesehenen (oder gar: nicht vorhersehbaren) Folgen der Anwendung von Technik gibt, sondern daneben weiterhin das ganz einfache Problem der vorhersehbaren und beabsichtigten grauenvollen Folgen der Anwendung von Technik, für die die Frage der Verantwortung sozusagen ganz simpel und primitiv zu stellen ist: Wer ist dafür verantwortlich und wer ist dafür zur Rechenschaft zu ziehen, wenn tausendfacher Tod mit Hilfe wissenschaftlich entworfener, technologisch entwickelter, industriell produzierter, kommerziell vermarkteter und politisch geduldeter Exportartikel über Menschen gebracht wird? Und wem gegenüber ist er/sie verantwortlich? Wer kann die Täter zur Rechenschaft ziehen?

Die Antwort auf die letzte Frage scheint leicht zu sein: Der Staat, genauer das Gesetz scheint die Instanz zu sein, der diese Aufgbe zukommt. Indessen zeigt sich bei genauerer Betrachtung, daß dies nicht die ganze Antwort ist: Der Staat bzw. das Gesetz sind nur für das zuständig, was man die "rechtliche Haftungsverantwortung" nennen könnte. Diese zeichnet sich aber dadurch aus, daß man von ihr zwar im vorhinein weiß und dieses Wissen auch in die Entscheidung einfließen läßt, ob eine Handlung ausgeführt werden soll oder nicht. Aber zum einen entspräche, sich wegen des Geltens gewisser Gesetze an diese zu halten, zwar der Legalität, aber noch keineswegs der Moralität, wie uns Kant gelehrt hat, und zum anderen geht es in allen Fällen folgenreichen Handelns, also in besonderem Maße in Zusammehängen technologischen Handelns, nur sekundär um die Verantwortung im nachhinein, primär aber um die Verantwortung ex ante, und schließlich sind die uns interessierenden Fälle nahezu ausschließlich solche, in denen keine gesetzlichen Vorschriften verletzt, sondern Gesetzeslücken ausgenützt werden.

So betrachtet, heißt "Technikverantwortung wahrnehmen" also, sich vor der Ausführung von Handlungen der theoretischen Modellierung, der technologischen Entwicklung, der industriellen Produktion, der kommerziellen Vermarktung oder der politischen Duldung Gedanken darüber zu machen, ob man bereit wäre, für die Folgen dieser Handlungen nach deren Eintreten geradezustehen, und zwar - je nach Bezugssystem - mit seinem guten Ruf, seinem privaten Besitz, seiner Freiheit oder sogar seinem Leben.

Nun leuchtet auch sofort ein, daß es unterschiedlich gelagerte Schwierigkeiten in diesem Kontext gibt. Neben den eindeutig strafbaren Fällen gibt es solche, die zwar nicht strafbar, aber in ihren Folgen vorhersehbar unverantwortlich sind. Daneben wächst der Bereich jener technologischen Handlungen, deren Folgen zum einen aufgrund der hochkomplexen Akteursaggregation (Teams, Gruppen, Betriebe, Konzerne) sowie zum anderen wegen der immament technologischen Handlungsinkontinenz (Verwendung hochgradig vernetzten datenverarbeitender Geräte) de facto oder prinzipiell unvorhersehbar sind. Allerdings erlischt in diesen letzten Fällen die Verantwortungspflicht nicht, wie wohl vielfach fälschlicherweise unterstellt wird. Vielmehr rückt sie nun nur eine Stufe höher und wird zur moralischen Pflicht, mit dem Nichtwissen hinsichtlich der Handlungsfolgen umzugehen.

Dabei erweist sich schon bald, daß die spontane Annahme, der Bereich des Nichtwissens sei in sich sozusagen stetig, irreführend ist: Es gibt ganz verschiedene Sorten des Nichtwissens, auf die man sich einrichten und mit denen man umgehen muß, will man verantwortlich handeln. Technikverantwortung wird so zum Nichtwissen-Management, wo die Grenzen der "klassischen" Handlungsverantwortung überschritten werden, die durch Billigung gewußter Folgen definiert sind.

So resultieren als Verantwortungspflichten zweiter Stufe z. B. die Pflicht zur Technikfolgenforschung und, wo diese endet, zur Technikfolgenabschätzung, beides verbunden mit Technikbewertung. Was die Akteure angeht, resultiert die Pflicht, dort, wo die kognitiven Folgenerfassungsmöglichkeiten enden, subsidiäre Mechanismen einzusetzen, um mit Handlungsfolgen unter Bedingungen des Nichtwissens verantwortlich umgehen zu können. Dies ist auch der Ort, an den die vielberufene Frage "individuelle versus institutionelle Verantwortung" eigentlich hingehört, deren Scheincharakter unter den hier genannten Bedingungen leicht durchschaut werden kann.

Verantwortlich im strengen Sinne können immer nur Individuen sein. Es muß allerdings immer genau untersucht werden, ob es sich in dem je anstehenden Falle darum handelt, daß ein Individuum als Person oder in seiner Funktion als Repräsentant einer Institution handelt. Dadurch wird, wie zugegeben werden muß, zwar die Frage, wer dem gegenüber wofür verantwortlich ist, komplizierter, aber doch immerhin prinzipiell beantwortbar. Anders: die Menge der Antworten ist zwar groß, aber endlich. Individuen als Personen, als Wissenschaftler, als Ingenieure, als Kaufleute, als Politiker, als Verbraucher und als Bürger erhalten so ihre im Einzelfall nach Verantwortungsbereich und Verantwortungsinstanz relativ präzise umschreibbare Verantwortungspflicht, die sie zu erfüllen haben.

Unternehmensverantwortung mit der Verantwortung des einzelnen verknüpfen

Von all diesen Verantwortungspflichten ist nun diejenige Teilmenge von besonderem Interesse, die die industriell produzierenden Unternehmen selbst betrifft. Zum einen nämlich sind sie der Ort, an dem sich heute nahezu alle genannten Akteursrollen - wenn auch in unterschiedlicher Intensität - finden: Forschung, Entwicklung, Produktion, Verkauf und Management (zuweilen auch Politik!). Zum anderen aber sind sie im Regelfalle die eigentlichen Akteure. Die Aggregation der Handlungen von Individuen in ihren je unternehmensinternen Funktionen kommt auf der Ebene des Unternehmens erst zur Realisierung, die dann verantwortungsrelevante Folgen zeitigen kann. Zwar kann man, wie gesagt, nur in einem übertragenen Sinne von der "Verantwortung des Unternehmens" sprechen. Aber es macht durchaus Sinn zu sagen, die Individuen in der Unternehmensführung hätten die Verantwortungspflicht zweiter Stufe, und somit die Möglichkeiten dafür zu schaffen, daß die Haftungsverantwortung des Unternehmens (als juristischer Person) durch die in ihm arbeitenden Individuen (als natürlichen Personen) verinnerlicht und mit deren moralischer Verantwortung verknüpft wird.

Unternehmensphilosophie der Zukunft bezieht verstärkt Technikverantwortung mit ein

Die in einigen Unternehmen bereits zu einer expliziten "Unternehmensphilosophie" ausformulierte Unternehmenskultur ist hierfür der Weg zur Wahl. Diese setzt sich zusammen aus ideellen Elementen, die vom Unternehmensleitbild über die Faktoren des Wir-Gefühls im Unternehmen bis zu Verhaltenskodizes reichen, aus institutionellen Elementen wie Corporate, Management, Strukturen des innerbetrieblichen Bildungswesens, Qualitätszirkel, Ethikkommissionen und aus äußerlichen Signalen z.B. Firmenfarben, Logo, T-Shirts. Bislang ist auf die äußerlichen Signale zu viel Wert gelegt worden, während die ideellen und institutionellen Elemente zu kurz gekommen sind.

Bei einer Unternehmensphilosophie der Zukunft wird es also darauf ankommen, die Aspekte der Technikverantwortung ideell und institutionell zu stärken. Ein entscheidender Faktor bei der oft zu beobachtenden mangelhaften Motivation von Mitarbeitern ist der innere Zwiespalt, den diese zwischen den Prinzipien ihrer eigenen personalen Moralität und den Zielen verspüren, die sie beruflich zu verfolgen haben. Daß dies wiederum besonders in der Rüstungsindustrie und in fast unüberschaubar großen Konzernen zu beobachten ist, sei nur am Rande erwähnt. Daher muß bei der in jedem mittleren und größeren Unternehmen heute unabdingbar notwendigen Erstellung und Konsolidierung einer Unternehmensphilosophie schon von allem Anfang an partizipativ verfahren werden.

Außerdem ist nichts für eine solche neue oder geänderte Unternehmenskultur fataler, als wenn es sich dabei nur um eine PR-Maßnahme zur Akzeptanz- bzw. Gewinnsteigerung handelt. Gewiß, Gewinnsteigerung ist und bleibt ein Unternehmensziel im marktwirtschaftlichen System, aber es ist den höheren Zielen von Umwelt-, Zukunft-, Verfassungs- und Sozialverträglichkeit einzuordnen.

Bisher dominieren vordringlich, was das Institutionelle betrifft, additive Lösungen: Zu der bestehenden Firmenstruktur werden neue Elemente wie Kuratorien, Ethikkommissionen oder Qualitätszirkel hinzugenommen. Anzustreben wäre die integrative Lösung, bei der die Leitbildfolgen auf jeder Betriebsebene übernommen werden.

Die Natur muß wirkungsvoll gegen Raubbau geschützt werdenÌ Neue Instrumente in der Umweltpolitik Definition von Schadstoffgrenzwerten allein reicht nicht aus - Von Ernst Ulrich von Weizsäcker VDI-N, Bonn, 10. 5. 91 -

Die Natur muß gegen Raubbau geschützt werden. Mit Emissionskontrollen ist dieser Schutz nicht gewährleistet. Neue Mechanismen sind erforderlich.

Die Technik stand jahrhundertelang im Dienste der Ausnutzung und Ausbeutung der Natur. "Ausbeutung" hatte zunächst auch einen wertneutralen, ja positiven Klang. Mit Bergbau, Landbau, Tierhaltung, Energie "erzeugung" hat sich der Mensch auf der Erde häuslich und immer bequemer eingerichtet. Chemie, Medizin und hunderterlei Techniken haben die Ernährung und einen gewissen Lebensstandard für fünf Milliarden Menschen möglich gemacht. Dabei wurde die Natur immer stärker zurückgedrängt und den Notwendigkeiten oder Bequemlichkeiten der Zivilisation unterworfen.

So ist es nicht verwunderlich, daß die frühe Umweltbewegung die Technik zunächst als Gegner, womöglich sogar als den Gegner schlechthin ansah.

Prof. Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker ist Direktor des Instituts für Europäische Umweltpolitik e.V. in Bonn

20 Jahre Umweltpolitik und praktischer Umweltschutz haben indessen eindrucksvoll bewiesen, daß die Technik auch für die Umwelt eingesetzt werden kann. Die Umwelttechnik ist zu einer breitgefächerten Ingenieurdisziplin geworden.

An der TU Berlin gibt es einen ganzen Fachbereich "Technischer Umweltschutz" mit einem eigenen Studiengang. Umweltschutzstudien haben heute einen wesentlich stärkeren Zulauf als viele klassische Natur- und Ingenieurwissenschaften.

Diese erfreuliche Entwicklung führt uns in Versuchung zu verdrängen, daß die Naturausbeutung unterdessen weltweit mit unverminderter Geschwindigkeit ja sogar beschleunigt vor sich geht. Weltweit verlieren wir derzeit pro Sekunde rund 3000 m2 Wald und rund 1000 Tonnen Mutterboden. Dafür produzieren wir rund 1000 Tonnen Schutt und Müll und knapp 1000 Tonnen Treibhausgase, ebenfalls pro Sekunde. Dieser verheerende Raubbau geschieht größtenteil mit technischen Mitteln.

Die Technik folgt weitestgehend dem Markt. Wenn mineralische Rohstoffe verkäuflich sind, zu Preisen, die die Kosten für den Erzabbau, die Aufschließung und den Transport decken, dann werden sie abgebaut. Wenn dieser Rohstoffabbau billiger ist als die Rückgewinnung des Rohstoffs aus Altmaterialien, dann findet nicht die Rückgewinnung, sondern der Raubbau statt. Und es ist die Technik, die den Abbau, die Aufschließung und den Transport immer billiger gemacht hat.

Raubbau darf auf Dauer nicht sein. Wir tun so, als sei die Aufzehrung des Kapitalstocks wirtschaftlicher Gewinn, - eine kaufmännisch verheerende Einstellung. Wir müssen die Natur gegen den Raubbau schützen. Mit Schadstoffgrenzwerten, aus welchen bislang unsere Umweltpolitik hauptsächlich besteht, ist dieser Schutz nicht gewährleistet. Neue Mechanismen sind erforderlich.

Das wichtigste Ziel ist eine Verteuerung der Rohstoffe und des Abfalls. Und das unbürokratischste, wirtschaftsverträglichste und effektivste Instrument auf dem Wege zu diesem Ziel ist eine ökologische Steuerreform, die die wünschenswerten Faktoren wie die menschliche Arbeit oder die Schaffung von Mehrwert künstlich verbilligt und dafür die nicht so wünschenswerten Faktoren wie Energieverbrauch, Wasser- und Mineralienverbrauch künstlich verteuert. Mit solch einer Reform, die langsam und graduell vor sich gehen sollte, kann eine ganz neue Generation von Ingenieurwissen und -können ausgelöst werden.

Eine ökologische Steuerreform kann sozialverträglich, wirtschaftsverträglich und europaverträglich gemacht werden. Sie hätten eine stärkere Innovationswirkung als das klassische Genehmigungsrecht, welches insbesondere in administrativ weniger entwickelten Ländern an großen Durchsetzungsschwierigkeiten leidet.

Anzahl der aufarbeitungsfreundlichen Industrieprodukte ist noch geringÌ Recycling fängt am Reißbrett an Produktaufbau und Werkstoffauswahl sind entscheidend für die Wiederverwendbarkeit - Von Wolfgang Beitz VDI-N, Berlin, 10. 5. 91 -

Recycling hilft wertvolle Ressourcen zu sparen. Die Wieder- und Weiterverwertung von technischen Produkten muß vom Konstrukteur aber bereits bei der Produktgestaltung berücksichtigt werden.

Jährlich werden in den alten Bundesländern etwa 2,1 Mio. Pkw und Kombi aus dem Verkehr gezogen. Im Jahr 2000 wird diese Zahl noch um 20% höher liegen. Bei Haushaltsgeräten, Elektrowerkzeugen, Büromaschinen sowie Funk- und Fernsehgeräten fallen ebenfalls entsprechende Stückzahlen an Altgeräten mit wertvollen Materialressourcen an.

Angesichts derartiger Mengen gibt es zu einem möglichst vollständigen Recycling aus ökonomischer und ökologischer Sicht keine Alternative. Recycling hilft nicht nur wertvolle Ressourcen sparen sondern löst auch weitgehend die Entsorgungsproblematik.

Der Konstrukteur hat bekanntermaßen eine hohe Verantwortung für die Produktqualität. Zu den traditionellen Anforderungen kommen jetzt die Zielsetzungen "entsorgungsfreundlich" und "recyclingfreundlich" hinzu. Diese Forderungen kommen einerseits vom Gesetzgeber, andererseits durch das veränderte Markt- und Verbraucherverhalten.

Prof. Dr.-Ing. Wolfgang Beitz, VDI, ist Direktor des Instituts für Maschinenkonstruktion der TU Berlin. In der VDI-Gesellschaft Entwicklung, Konstruktion, Vertrieb betreut er die Ausschüsse Recyclingfreundliches und Methodisches Konstruieren.

Recycling kann durch Wiederverwendung mit gleichem Verwendungszweck wie z. B. Austauscherzeugnisse der Kraftfahrzeugindustrie erfolgen oder durch Weiterverwendung mit einem anderen Verwendungszweck - Eisenbahnschwelle wird zum Zaunpfahl. Man spricht in beiden Fällen vom Produktrecycling.

Recycling kann aber auch als Rückführung in einem erneuten gleichartigen Produktionsprozeß wie beim Einschmelzen von Stahlschrott erfolgen oder durch Weiterverwertung in anderen Produktionsprozessen, wie die Verarbeitung von Mischschrott zu Sekundärwerkstoffen. Man nennt dies Materialrecycling oder Altstoffrecycling.

Recycling kann auch als Rückführung von Produktionsabfällen sowie Hilfs- und Betriebsstoffen durch Wiederverwertung in einem erneuten gleichartigen Produktionsprozeß wie beim Einschmelzen von Drehspänen erfolgen oder in einem anderen Produktionsprozeß, so z. B. bei der Verarbeitung von Stanzabfälle zu Kleinteilen.

Für ein umweltfreundliches und wirtschaftliches Recycling reicht es nicht aus, nur die Leistungsfähigkeit der Aufarbeitungs- und Aufbereitungs- bzw. Verwertungstechnologien zu verbessern. Vielmehr müssen die wesentlichen Voraussetzungen für ein Recycling bereits bei der Produktentwicklung geschaffen werden.

Es sollte also "recyclinggerecht" konstruiert werden. Voraussetzungen hierfür sind, daß bereits bei der Produktdefinition bzw. bei der Anforderungsliste für eine Produktentwicklung die vorgesehene Recyclingstrategie festgelegt wird.

Gleichermaßen wichtig für ein Produkt und Materialrecycling ist ein demontagefreundlicher Produktaufbau. Dieser wird einerseits erreicht durch eine Produktgliederung (Baustruktur) mit gut zugänglichen Fügestellen, andererseits durch leicht lösbare Verbindungselemente an diesen Fügestellen, die auch noch nach langer Nutzungszeit lösbar oder leicht zerstörbar sind.

Für das Altstoff- bzw. Materialrecycling hat die Verwertungsvertäglichkeit von Werkstoffen und Werkstoffkombinationen bei untrennbaren Einheiten größte Bedeutung. Der Konstrukteur darf also nur Werkstoffe untrennbar kombinieren, die bei einer gemeinsamen Verwertung miteinander verträglich sind.

Für Aluminiumlegierungen und bedingt auch für Eisenwerkstoffe ist die Verträglichkeitsproblematik schon weitgehend gelöst. Verträglichkeitstabellen stehen dem Konstrukteur als Arbeitsmittel zur Verfügung. Bei der Kunststoffverwertung hingegen sind vielfältige Forschungsarbeiten erforderlich. Aber auch für Kunststoffe kann die Beachtung genereller Regeln bereits zu recyclingsfreundlicheren Konstruktionen führen. So lassen sich Thermoplaste durch Aufschmelzen wiederverwerten, Duromere nicht. Sie lassen sich nur als Füllstoffe oder durch chemische Aufspaltung weiterverwerten. Kombinationen zwischen Thermoplasten und Durometern sind deshalb nicht verwertungsverträglich.

Ein so konstruiertes recyclinggerechtes Produkt bringt für die Recyclingtechnologie aber nur die geplanten Vorteile, wenn die auf das Produkt bezogene geeignete bzw. vorgesehene Recyclingstrategie bekannt ist. Hierzu kann ein klassifizierendes Nummernsystem zur Kennzeichnung der Recyclingeigenschaften des Produkt sowie der demotierbaren Baugruppen und Bauteile dienlich sein, das auf den Komponenten als maschinenlesbarer Code aufgebracht ist.

Das Produkt- und Materialrecycling wird heute im wesentlichen mit Produkten praktiziert, die nicht speziell nach Recyclinggesichtspunkten konstruiert wurden. Die Anzahl überzeugender Beispiele für verwertungs- und aufarbeitungsfreundliche Industrieprodukte ist noch begrenzt. Bei den Großserienprodukten "Automobil" und "Haushaltsgerät" werden aber derzeitig große Anstrengungen unternommen. Hierzu dienen zunächst Entwicklungen für leistungsfähige Aufbereitungs- und Aufarbeitungsverfahren, insbesondere von Demontage-, Sammel- und Sortierverfahren, ohne wesentliche Änderungen der Produktkonstruktion.

Es setzt sich aber zunehmend die Erkenntnis durch, daß der Konstrukteur solche Verfahren durch zweckmäßige Gestaltung und Werkstoffwahl vielfältig unterstützen kann, ohne die Herstellerkosten wesentlich zu erhöhen. Zahlreiche Großfirmen der Automobil- und Hausgeräteindustrie haben ressortübergreifende Projektleiter, vornehmlich aus dem Werkstoffbereich, oder Arbeitskreise mit Mitarbeitern aus Konstruktion, Fertigung und Werkstofftechnik berufen, um die Entsorgungs- und Recyclingsverantwortung für ihre Produkte zur Chefsache zu erheben und einzuleitende Maßnahmen zu koordinieren.