Schweizer Wirtschaft 1992: Stagnation
Die Schweizer Wirtschaft befindet sich 1991 erstmals seit acht Jahren wieder in einer milden Rezession. Einige Indikatoren deuten jedoch darauf hin, dass die Talsohle erreicht oder bereits durchschritten ist. Positive Impulse sind vor allem seitens der Auslandnachfrage zu erwarten. Das Bruttoinlandprodukt wird 1992 jedoch nur um knapp 1 % steigen. Die Teuerungsrate von gegenwärtig über 5 % wird sich vor allem in der zweiten Jahreshälfte 1992 zurückbilden und im Jahresdurchschnitt rund 4 % betragen.
Leichte Erholung der Weltwirtschaft in Sicht
Seit rund einem Jahr befindet sich die Weltwirtschaft in einer Schwächephase. Im Durchschnitt der OECD-Länder dürfte sich das Realwachstum gegenüber 1990 (+2,3 %) im laufenden Jahr auf knapp 1 % abgeflacht haben. Im Gegensatz zu früheren Rezessionsphasen, in denen alle wichtigen Industrieländer gleichzeitig markante Wachstumseinbrüche verzeichneten, ist heute die Weltwirtschaft durch einen asynchronen Konjunkturverlauf in den wichtigsten Industrieländern gekennzeichnet. Während sich die Volkswirtschaften der USA und Grossbritanniens bereits, wenn auch nur zaghaft von der Rezession erholen, weisen Japan und die kontinentaleuropäischen Länder, insbesondere Westdeutschland, immer noch ein relativ kräftiges Wachstum auf. Deren weltwirtschaftliche Impulse dürften voraussichtlich solange anhalten, bis sich die Konjunktur in den angelsächsischen Ländern gefestigt hat.
Für 1992 zeichnet sich daher bei einem erwarteten Anstieg des realen Bruttoinlandprodukts im Durchschnitt der OECD-Länder von etwa 2 % eine leichte Konjunkturerholung bei wesentlich geringerem Wachstumsgefälle ab. Wichtige Impulse kommen von der je nach Konjunkturlage bereits erfolgten oder noch zu erwartenden Lockerung der Geldpolitik. Die amerikanische Wirtschaft dürfte allerdings wegen der strukturellen Probleme nur sehr verhalten wachsen. In Japan wird das Realwachstum aufgrund der nachlassenden Investitionstätigkeit deutlich weniger stark als 1991, aber im internationalen Vergleich immer noch überdurchschnittlich ausfallen. In Westdeutschland gehen von der Mitte 1991 erfolgten Steuererhöhungen dämpfende Effekte auf die Konjunktur aus, während in den meisten anderen westeuropäischen Staaten mit einer moderaten Aufwärtstendenz zu rechnen ist. Neben der geldpolitischen Lockerung werden vor allem in Europa die weiterhin wirkenden Nachfrageimpulse aus der deutschen Vereinigung und der noch keineswegs ausgelaufenen EG-Binnenmarkteffekt zur Wachstumsbelebung beitragen.
Wieder stärkeres Exportwachstum
Von der leichten weltwirtschaftlichen Konjunkturbelebung sollte auch die Schweizer Exportindustrie profitieren können. Zudem hat sich wegen des schwachen Schweizerfrankens -- der reale handelsgewichtete Frankenkurs lag im November 1991 um rund 4 % unter dem Vorjahresstand -- die preisliche Wettbewerbsfähigkeit auf den Auslandmärkten verbessert. Weil die Schweizer Industrie jedoch vor allem Investitionsgüter exportiert, deren Nachfrage dem allgemeinen Konjunkturverlauf nachhinkt, wird sich die Exporterholung nur zögernd einstellen.
Konsum als Konjunkturstütze
Als Folge der markant verschlechterten Beschäftigungslage hat sich das Wachstum der privaten Konsumausgaben im zweiten Halbjahr 1991 deutlich abgeschwächt. Die Konsumentenstimmung dürfte sich erst im Zuge der wirtschaftlichen Erholung und der im Jahresverlauf 1992 sinkenden Teuerung wieder leicht verbessern. Dennoch wird der private Konsum real nur wenig zulegen, weil die Lohnsteigerungen geringer ausfallen als 1991. Laut einer von uns durchgeführten Umfrage bei Arbeitgeberverbänden und Unternehmen ist per Anfang 1992 mit einer durchschnittlichen Lohnerhöhung pro Beschäftigten von rund 5 % zu rechnen.
Zinsbedingter Rückgang der Bautätigkeit ...
Bei den Bauinvestitionen hinterlassen die hohen Zinsen seit längerem deutliche Bremsspuren. Nachdem die Wohnbautätigkeit, vor allem im Bereich der Einfamilienhäuser, 1991 einen markanten Einbruch erlitt, ist für 1992 mit einer weiteren, vom erreichten tiefen Niveau aus allerdings etwas geringeren Abnahme zu rechnen. Eine Stütze für den Wohnungsbau stellen die im Rahmen des revidierten Wohnbau- und Eigentumsförderungsgesetzes (WEG) geplante Bereitstellung von preisgünstigen Mietwohnungen dar. Auch im Industrie- und Dienstleistungsbau wird sich die rückläufige Tendenz vor dem Hintergrund der vorhandenen Überkapazitäten nahezu unvermindert fortsetzen. Einzig im Tiefbau garantieren die geplanten öffentlichen Projekte zum Ausbau der Infrastruktur ein Realwachstum. Im Gegensatz zur Rezessionsperiode 1982/83 ist im laufenden Konjunkturzyklus keine rasche Erholung der Bautätigkeit zu erwarten, weil sich die Zinsen, wenn überhaupt, nur langsam zurückbilden werden.
... und der Ausrüstungsinvestitionen
Im Bereich der Ausrüstungen wird die Investitionstätigkeit trotz einer Erholung vom diesjährigen Rückschlag deutlich unter der langfristigen durchschnittlichen Wachstumsrate liegen. Dämpfend wirken vor allem die gedrückten Absatz- und Ertragsaussichten der Unternehmen. Wegen der stark gesunkenen Kapazitätsauslastung werden überwiegend nur noch Rationalisierungs- und Ersatzinvestitionen, aber kaum mehr Erweiterungsinvestitionen vorgenommen. Trotzdem dürften angesichts des verschärften Konkurrenzdrucks und des im Hinblick auf die europäische Integration wachsenden Anpassungsbedarfs an die neuen Marktstrukturen in Europa die Ausrüstungsinvestitionen 1992 leicht zunehmen.
Das gesamte Bruttoinlandprodukt wird 1992 um knapp 1 % steigen, nachdem es 1991 um rund 0,5 % zurückgegangen war. Im Einklang mit der nur schwachen Zunahme der Inlandnachfrage wird das Wachstum der Importe kleiner ausfallen als jenes der Exporte. Das Handelsbilanzdefizit dürfte sich deshalb 1992 erneut verringern.
Anstieg der Arbeitslosenquote
Als Folge der rezessiven Tendenzen ist die Zahl der Arbeitslosen im Jahresverlauf 1991 stark angestiegen. Ende Oktober 1991 waren über 45'000 Personen arbeitslos. Weil die Beschäftigung immer dem Konjunkturverlauf nachhinkt und die ergriffenen Rationalisierungsmassnahmen vermehrt auch Arbeitsplätze betreffen, ist trotz der erwarteten leichten wirtschaftlichen Erholung zumindest bis Jahresmitte 1992 mit einer weiteren Zunahme der Arbeitslosenzahl zu rechnen. Im Jahresdurchschnitt 1992 dürfte die Arbeitslosenquote auf 1,5 % (1991: 1,3 %) steigen.
Sinkender Inflationstrend
Die seit drei Jahren restriktive Geldpolitik und die 1991 leicht rückläufige gesamtwirtschaftliche Nachfrage tragen zu einem in der Grundtendenz sinkenden Inflationstrend bei. Aufgrund der sich bis jetzt abzeichnenden relativ massvollen Lohnrunde für 1992 und der rezessiven Tendenzen dürfte die Lohn-Preis-Spirale zudem etwas weniger ausgeprägt ausfallen als 1991. Bis April 1992 sollten sich die Teuerungsraten im Bereich von 4,5 % bis 5 % bewegen. Erst ab Mai 1992 (Basiseffekt der Mietpreise) wird sich die Inflationsrate deutlich zurückbilden und bis zum Jahresende auf 3 % bis 3,5 % sinken.Im Jahresdurchschnitt ergibt dies eine Teuerungsrate von rund 4 %. In dieser Prognose ist eine allfällige Erhöhung der Treibstoffzölle und damit der Benzinpreise allerdings nicht berücksichtigt. Sollte dieser Fall eintreten, wäre z.B. bei einer Erhöhung um 20 Rappen pro Liter ein zusätzlicher Inflationsimpuls von 0,5 % zu erwarten.
Bescheidenes Zinssenkungspotential
Wegen der nach wie vor hohen Inlandteuerung wird die Schweizerische
Nationalbank ihren geldpolitischen Restriktionsgrad in den nächsten Monaten
kaum lockern. Die kurzfristigen Zinssätze werden deshalb vorerst hoch bleiben.
Aus wechselkurspolitischen Gründen ist zudem der geldpolitische Spielraum
limitiert. Nur unter der Voraussetzung eines stärkeren Schweizerfrankens oder
sinkender deutscher Zinssätze wäre die Schweizerische Nationalbank vermutlich
bereit, die Liquiditätsversorgung auszuweiten und die kurzfristigen Zinssätze
zurückzunehmen. Auch die Kapitalmarktsätze dürften wegen des internationalen
Zinszusammenhangs trotz tieferer Inflationserwartungen nur wenig sinken.
Beat
Arnet
Die Schweiz vor den Toren Europas
Im Oktober ist nach langwierigen Verhandlungen zwischen der EG und den EFTA-Staaten der Vertrag über die Errichtung des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) unterzeichnet worden. Im Meinungsbildungsprozess über die Beteiligung der Schweiz an der europäischen Integration stehen sich politische und wirtschaftliche Argumente gegenüber. Aus ökonomischer Sicht überwiegen im Fall einer Mitgliedschaft im EWR oder später sogar in der EG die Vorteile klar.
Magnet EG
Die durch das 1985 lancierte "Weissbuch zur Vollendung des Binnenmarktes" ausgelöste neue Integrationsdynamik in der EG hat viele Skeptiker überrascht. Der Wegfall zwischenstaatlicher Handelsbarrieren und die Aussicht auf ein Näherrücken der zwölf Volkswirtschaften in der EG haben bereits vor dem Inkrafttreten des EG-Binnenmarktes beträchtliche Strukturanpassungsprozesse ausgelöst. Im Zeitraum 1985-1990 lag das Investitionswachstum in der EG mit 5,2 % deutlich über dem Wachstum des realen Bruttoinlandprodukts (3,0 %). Die Anzahl Fusionen und Beteiligungen nimmt laufend zu. Die zunehmende Dynamik der wirtschaftlichen Integration in der EG hat das Interesse ihrer Handelspartner geweckt. Im Vordergrund stehen dabei die EFTA-Länder, deren Aussenhandel bereits zu 68 % mit der EG abgewickelt wird. Die Aussicht auf den weltweit grössten Binnenmarkt hat eine Welle von Beitrittsanträgen (Österreich, Schweden, Türkei, Malta, Zypren) und Assoziationsgesuchen (osteuropäische Länder wie Ungarn, Tschecoslowakei, Polen) ausgelöst. EG-Beitrittsgesuche stehen möglicherweise bald auch in Norwegen und Finnland vor.
Die Ausdehnung der "Vier Binnenmarktfreiheiten" (freier Verkehr von Gütern, Dienstleistungen, Personen und Kapital) auf die EFTA-Länder -- die Ratifizierung des EWR-Vertrags vorausgesetzt -- wird die Impulse auf die achtzehn bzw. neunzehn (inklusive Liechtenstein) Volkswirtschaften des EWR noch verstärken.
Die Aussicht auf das Inkrafttreten des EWR-Vertrags zusammen mit der Vollendung des EG-Binnenmarktes 1993 dürfte in den EFTA-Ländern einen zusätzlichen Investitionsschub auslösen. Das jährliche Investitionswachstum in den EFTA-Ländern lag zwischen 1985 und 1990 mit 3,9 % unter der entsprechenden Rate in der EG (5,2 %). Dies deutet auf einen Nachholbedarf der im Hinblick auf einen gemeinsamen Binnenmarkt getroffenen Vorkehrungen der Unternehmen in der EFTA hin.
Noch ist die Entstehung des EWR aufgrund des bislang ausstehenden Ratifizierungsprozesses in den einzelnen EFTA-Ländern sowie im EG-Parlament ungewiss; in der Schweiz wird das Volk am 6. Dezember 1992 über die Teilnahme am EWR befinden.
Bedeutende Integrationsgewinne
Die Schweiz ist heute bereits wirtschaftlich stärker in die EG integriert als viele EG-Länder unter sich. 1990 stammten 72 % unserer Einfuhren aus der EG, und 56 % der Schweizer Exporte waren für diese Region bestimmt. Aber nicht nur im Güterbereich, sondern auch im Dienstleistungssektor, im Kapitalverkehr und am Arbeitsmarkt sind wir ein wichtiger Teil dieses Wirtschaftsraumes.
Grundsätzlich lässt sich die Integrationsdiskussion in der Schweiz auf zwei Fragen reduzieren: Bringt eine Beteiligung der Schweiz am EG-Integrationsprozess Vorteile? Ist ein Abseitsstehen mit Verlusten verbunden? Die Beantwortung dieser Fragen hängt davon ab, wie die Vereinbarungen zwischen der Schweiz und der EG konkret aussehen werden. Darüber wissen wir zwar seit dem 21. Oktober mehr, aber immer noch nicht sehr viel. Aufgrund des Ergebnisses bei den EWR-Verhandlungen ist ein EWR-Vertrag aber realistischer geworden. Auch ein EG-Beitritt ist längerfristig nicht auszuschliessen. Eine positive Volksabstimmung über einen EG-Beitritt dürfte allerdings erst möglich sein, wenn die zukünftige Entwicklung innerhalb der EG klarere Konturen aufweist. Aufgrund der heute erkennbaren Entwicklungstendenzen ist ab 1993 mit einem EG-Binnenmarkt und gegen Ende dieses Jahrzehnts überdies mit einer Währungsunion -- wenn auch anfangs nur mit einem Teil der EG-Länder -- zu rechnen.
Die gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen des EWR dürften im Falle der Schweiz in ähnlicher Grössenordnung ausfallen wie in der EG. Als kleine offene Volkswirtschaft könnte die Schweiz im Vergleich zum EG-Durchschnitt sogar stärker profitieren, da die Integrationseffekte in Ländern, die bereits über grössere Heimmärkte verfügen -- wie z.B. Deutschland oder Frankreich -- vergleichsweise geringer zu veranschlagen sind. Positive Integrationseffekte wären allerdings auch ohne EWR und ohne EG-Beitritt denkbar, nämlich bei einer fortwährenden Anpassung der Schweiz an die Liberalisierungs- und Deregulierungsmassnahmen der EG. Unter dieser Voraussetzung würde ein Abseitsstehen aufgrund der bereits bestehenden wirtschaftlichen Verflechtung weder eine Stagnation noch eine Isolation der Schweiz bedeuten.
Hoher Anteil geschützter Sektoren in der Schweiz
Die im Zuge einer verstärkten Integration ausgelöste Öffnung bisher inlandorientierter Märkte würde auch zu Änderungen der Branchenstruktur führen, da kostengünstiger anbietende ausländische Produzenten die inländische Produktion teilweise ersetzen. Kurzfristig dürfte dieser Prozess mit Anpassungskosten verbunden sein. Ganz generell ist es jedoch schwierig, von Branchenverlierern und -gewinnern zu sprechen. Wenn sich die Schweiz stärker in die EG eingliedert -- sei es durch einen EG-Beitritt, einen EWR-Vertrag oder durch eigens vorgenommene Liberalisierungs- und Deregulierungsmassnahmen -- werden Schweizer Unternehmen sich veränderten Rahmenbedingungen auf ihren Absatzmärkten gegenübersehen. Einerseits müssen sich bisher geschützte Inlandsmärkte vermehrt der ausländischen Konkurrenz stellen. In diesen Branchen -- dazu gehören z.B. die Druck- und Grafikindustrie sowie die Nahrungs- und Genussmittelindustrie -- wird heute ein grosser Teil der Nachfrage durch inländische Produktion gedeckt. Sie weisen daher geringe Importquoten auf. Unternehmen solcher Branchen hätten daher in einem Integrationsszenario stärker als andere auf die ausländische Konkurrenz zu reagieren. Der Anteil der Beschäftigten dieser als "importsensibel" zu bezeichnenden Branchen an der industriellen Beschäftigung ist in der Schweiz mit rund 60 % im Vergleich zu anderen Ländern relativ hoch (Deutschland 55 %, Frankreich 50 %).
Anderseits sind aber auch exportorientierte Unternehmen und Sektoren von der europäischen Integration betroffen. Neben möglichen spezifischen Diskriminierungswirkungen (z.B. bei der Textilveredelung, Ursprungsregelung bei mikroelektronischen Produkten usw.) müssen sich diese Unternehmen auf den Weltmärkten der Konkurrenz zunehmend kostengünstigerer und wettbewerbsfähigerer EG-Unternehmen stellen. Zu diesen Export- bzw. internationalisierten Branchen zählen die Maschinen-, Uhren-, Elektronik-, Chemie-, Kunststoff- und Textilindustrie. Der Anteil der Beschäftigten in diesen Branchen an der gesamtindustriellen Beschäftigung der Schweiz beträgt 40 %. Bereinigt um Doppelzählungen -- d.h. Branchen, die sowohl eine hohe Import- wie auch Exportsensibilität aufweisen -- zeigt sich, dass die Schweizer Industrie zu rund 70 % auf die im Zuge des Binnenmarktprogramms zu erwartenden Liberalisierungen flexibel reagieren muss.
Notwendiger Strukturwandel
Dieser Anpassungsdruck wird aber nicht allein durch das EG-Binnenmarktprogramm erzeugt. Die europäische Integration gibt vielfach lediglich den Anstoss für eine Beschleunigung des notwendigen oder bereits in Gang gesetzten Strukturwandels. Ein gutes Beispiel ist hiefür die Landwirtschaft; branchenmässige Simulationsrechnungen für unterschiedliche Integrationsszenarien belegen diese Feststellung auch für die meisten anderen Sektoren. Generell dürften insbesondere Unternehmen in stark inlandorientierten Branchen unter stärkeren Anpassungsdruck geraten, z.B. Unternehmen in den Sektoren Steine und Erde oder in der Nahrungsmittelindustrie. Exportorientierte und internationalisierte Branchen wie z.B. Maschinen, Elektrotechnik oder Chemie können hingegen von einem EG-Beitritt eher profitieren. Die meisten Dienstleistungssektoren dürften gemäss dem generellen Trend der Stärkung dieses Sektors Wertschöpfungsanteile gewinnen. Von einem Alleingang würden von allen untersuchten Branchen nur die Bauindustrie und der Handel besser abschneiden als im Falle eines EWR-Beitritts.
Strukturwandel bedeutet indessen nicht, dass gleich ganze Industriezweige verschwinden oder dass ganze Produktionssparten durch ausländische Hersteller verdrängt werden. Unabhängig von der Art unserer institutionellen Bindung zur EG ist eine Vielzahl von weiteren Faktoren für die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen entscheidend. Der Wettbewerb wird sich in Zukunft vermehrt auf Unternehmensebene als auf Branchen- und Länderebene abspielen. Es gilt daher, unsere wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen laufend zu verbessern und den neuen Gegebenheiten anzupassen. Die europäische Integration bietet dafür eine gute Gelegenheit.
Dämpfung der Preise
Aus erhöhtem Wettbewerb und Aufbrechen von Kartellen resultieren preisdämpfende Effekte. Diese dürften in der Schweiz eher grösser als im EG-Durchschnitt ausfallen, weil das helvetische Preisniveau jenes der EG im allgemeinen deutlich übertrifft. Das gilt insbesondere für Nahrungsmittel, die rund 50 % teurer sind als im EG-Raum.
Preissenkungstendenzen sind vor allem dort zu erwarten, wo die Marktregulierungen heute einen grossen Einfluss ausüben. Der Gewichtungsanteil solcher Preise am Konsumentenindex beträgt in der Schweiz knapp 40 %. Entlastende Effekte sind aber auch bei "administrierten" Preisen (Tarife von PTT, SBB, usw.; 7 % Gewichtungsanteil am Preisindex) zu erwarten. In diesem Bereich dürften sich insbesondere die Auswirkungen einer durch die Liberalisierung des öffentlichen Beschaffungswesens bedingten Kostenreduktion bemerkbar machen. Ein gegenläufiger einmaliger Preisschub ergäbe sich lediglich -- und nur im Falle eines EG-Beitritts -- durch die erforderliche Anpassung des Steuersystems, indem die gegenwärtige Umstellung der Warenumsatzsteuer von 6 % durch die EG-Mehrwertsteuer (Normalsatz: 15 %; reduzierter Satz: 5 %) ersetzt würde. Insgesamt dürften aber auch bei einem EG-Beitritt die Preissenkungstendenzen überwiegen. Der globale Preiseffekt bei einem EG-Beitrittsszenario dürfte sich innert 6-7 Jahre auf etwa -8 % belaufen und im EWR-Szenario infolge Ausklammerung der Landwirtschaft auf ca. -6 % belaufen.
Keine Überflutung des Arbeitsmarktes
Die Schweiz ist seit Jahrzehnten bekannt für eine niedrige Arbeitslosigkeit. Die Arbeitslosenrate betrug 1990 0,6 %, während sie im Durchschnitt der EG mit 8,4 % deutlich höher lag. Die Knappheit an Arbeitskräften ist mit ein Grund für unser hohes Lohnniveau. Gemäss einer kürzlich durchgeführten SBG-Studie ist das Lohnniveau weltweit in Zürich und in den skandinavischen Grossstädten am höchsten.
Bei Annahme des EWR-Vertrags müssen bis 1998 die Grenzen für Arbeitnehmer aus den EG- und EFTA-Ländern entscheidend geöffnet werden. Die vom Bundesrat vorgelegten Änderungen in der Ausländerregelung gehen bereits deutlich in diese Richtung. Dies wird per Saldo zu einer Einwanderung in die Schweiz, aber nicht zu einer massiven Überflutung des Arbeitsmarktes führen. Mehrere Gründe sprechen gegen einen sprunghaften Anstieg des Arbeitsangebotes. Zum einen finden Arbeitnehmer aus den traditionellen Einwanderungsländern (südeuropäische EG-Länder) längerfristig verbesserte Bedingungen auf ihren eigenen Arbeitsmärkten vor. Verschiedene Studien weisen darauf hin, dass die Arbeitsmarktsituation im Heimatland und nicht Lohndifferenzen die Hauptursache von Wanderungsbewegungen sind. Zum anderen sind die Löhne in der Schweiz -- nach Berücksichtigung von Sozialleistungen, Anzahl Ferientagen, Wochenarbeitszeit -- durchaus mit jenen in gewissen Gebieten Deutschlands vergleichbar. Jedenfalls zeigen die bisherigen Erfahrungen in der EG, dass nach Einführung der Freizügigkeit keine stärkeren Wanderungsbewegungen eingesetzt haben. Bei gleichzeitiger Reduktion der Kontingente gegenüber Nicht-EG-Ländern ist in der Schweiz mit einer Zuwanderung von rund 50'000 Arbeitskräften pro Jahr zu rechnen. Dies liegt sogar unter den effektiven Zahlen von 1990. Zudem werden auch Inländer vermehrt im europäischen Ausland Arbeit finden können. Dies dürfte sich auf die Qualifikation von Arbeitskräften (bessere Kenntnis ausländischer Märkte und nationaler Gewohnheiten/Präferenzen, Sprachen) insbesondere für die Exportindustrie positiv auswirken. In gewissen Mangelberufen wie z.B. EDV werden Ausländer vermehrt mit Schweizern konkurrieren und hier einen gewissen Lohndruck ausüben. Bei niedriger qualifizierten Berufen dürfte dagegen eine Abwanderung in andere Arbeitsbereiche eine Produktivitätssteigerung erzwingen.
Zinssätze und Wechselkurse
Bis vor wenigen Jahren hat das strukturelle tiefe Zinsniveau der Schweiz über die Wettbewerbsnachteile in Form hoher Boden- und Arbeitskosten hinweggeholfen. Dies war umso wichtiger, als sich die Kapitalintensität der Produktion laufend erhöht hat. Das als "Zinsinsel Schweiz" bekannte Phänomen beruhte unter anderem auf liberalen Kapitalverkehrsbestimmungen und einer konsequent auf Preisstabilität ausgerichteten Geldpolitik in einer Umwelt relativer Instabilität, wobei der Vertrauensbonus via festen Frankenkurs die Teuerung zusätzlich dämpfte. Der integrationspolitische Aufbruch Europas hat diese Vorzüge wenn nicht beseitigt, so doch stark relativiert. So sind die meisten Schranken im Kapitalverkehr gefallen, und im Banne des Europäischen Währungssystems (EWS) haben alle beteiligten EG-Länder unter Führung der deutschen Bundesbank zu einer stabilitätsbewussteren Haltung gefunden. Die mit der aktuellen Inflationsphase in der Schweiz verbundene Hochzinspolitik hat die traditionelle Zinsinsel zumindest vorläufig praktisch zum Verschwinden gebracht.
Dieser Sachverhalt ist unabhängig von der Art unserer Teilnahme am europäischen Integrationsprozess, und angesichts der ohnehin engen globalen Vernetzung des schweizerischen Finanzmarktes wird daran auch der allfällige Beitritt zum EWR direkt nur wenig ändern. An Kapitalverkehrsrestriktionen sind durch den EWR schweizerischerseits vorab die Lex Friedrich (Grundstückerwerb durch Ausländer) zu lockern sowie die Syndizierungsvorschriften für Franken-Auslandanleihen aufzugeben. Gemildert würde zwangsläufig auch die de facto noch bestehende Abschottung gewisser Teilmärkte, etwa im Spar- und Hypothekarsektor. Die strukturelle Anpassung des schweizerischen an das internationale Zinsniveau wird sich tendenziell fortsetzen. Zu dämpfen oder gar umzukehren ist dieser Prozess nur dann, wenn die Schweiz wieder dauerhaft günstigere Stabilitätswerte vorweisen kann. Der Anschluss an Europa ist hierfür eine echte Chance, indem die verstärkte Einbindung verschiedener Branchen in den internationalen Wettbewerb der Inflationsmentalität die Spitze brechen sollte. Auch die Teilnahme am EWS, ob de facto als Aussenstehende bzw. als EWR-Partizipant oder de jure als EG-Mitglied, würde keine Abstriche am Stabilitätsziel der Geldpolitik erfordern und zugleich die Gefahr importierter Inflation begrenzen.
Politische Konsequenzen
Die wirtschaftlichen Vorteile einer Teilnahme am europäischen Integrationsprozess überwiegen per saldo deutlich. Der Volksentscheid darüber hängt indessen eher von politischen Erwägungen ab. Sicher ist, dass wir bei einem EWR-Beitritt relativ wenig mitzusprechen haben. Die künftige Gestaltung der EG wird weitgehend ohne uns ablaufen, auch wenn gewisse Konsultativgremien ins Leben gerufen werden. Etwas besser stehen wir da bei einem Vollbeitritt, aber ohne Abstriche an unserer politischen Autonomie wird es nicht gehen.
Bei einer Unterzeichnung der EG-Verträge würde sich ein ähnlicher Vorgang abzeichnen wie 1848 beim Zusammenschluss der Kantone zum Bundesstaat. Aber ein Vergleich zeigt doch erhebliche Unterschiede: Erstens gehen die Kompetenzen der EG weniger weit als die eines Bundesstaates. Zweitens handelt es sich bei den unter EG-Recht fallenden Befugnisse vorwiegend um wirtschaftliche Rahmenbedinungen. Und drittens weist die EG eine weitaus schwächere Behördenstruktur aus.
Ein Beitritt der Schweiz zur EG würde sich insbesondere auf Bundesebene auswirken, da ein Grossteil des EG-Rechts Kompetenzbereiche des Bundes betrifft. Vollumfänglich wären davon die Bereiche Zölle, Aussenhandel und Landwirtschaft betroffen. Nur teilweise Zuständigkeiten besitzt die EG in den Bereichen Wettbewerbsrecht, Steuern, Niederlassungsrecht, Umwelt, Verkehr, Forschung und Entwicklung. Betrachtet man die insgesamt 303 im Zeitraum 1980-89 in der Schweiz dem obligatorischen oder fakultativen Referendum unterstellten Vorlagen, so hätten 28 (9 %) davon nicht dem Referendum unterstellt sein dürfen, da eine Volksinitiative gegen EG-Recht unzulässig ist; 57 Vorlagen (knapp 20 %) wären dem Referendum zwar unterstellt, aber der Ermessensspielraum bei der Festlegung der Inhalte beschränkt gewesen. In allen übrigen Fällen wären die Volksrechte nicht tangiert worden. Auf kantonaler und Gemeindeebene sind die Auswirkungen geringer als auf Bundesebene. Betroffene Kompetenzbereiche der Kantone umfassen die Regelungen über Niederlassung und Aufenthalt von Ausländern, Fähigkeitsausweise, Zeugnisse, öffentliche Aufträge und Steuern. Trotz Einschränkungen blieben wesentliche Kompetenzen der Kantone unangetastet, wie z.B. öffentliche Ordnung und Sicherheit, Erziehung und Bildungswesen, Umweltschutz, Bau- und Planung usw.
Dies zeigt, dass die direkte Demokratie und der Föderalismus im Falle eines
EG-Beitritts spürbar tangiert, aber nicht weitgehend beseitigt werden.
Anderseits böte ein EG-Beitritt die Möglichkeit der Mitsprache auf europäischer
Ebene. Diese beiden Seiten der Medaille gilt es, sorgfältig gegeneinander
abzuwägen.
Irene Meier
Preisunterschiede zwischen der Schweiz und der EG
Verbrauchergruppe Abweichung vom Mittelwert
_________________ ______________
Personenwagen, Fahrräder usw. -12,0 %
Dauerhafte Konsumgüter, mit Freizeit- aktivitäten verbunden +15,6 %
Andere dauerhafte Konsumgüter +16,7 %
Getränke und Tabak +52,9 %
Früchte und Gemüse +39,4 %
Getreideerzeugnisse +47,8 %
Fleisch, Eier, Fisch +82,0 %
Milch, Butter, Fette, Öl +88,5 %
Andere Lebensmittel +32,6 %
Insgesamt +44,3 %
Negatives Vorzeichen: In der Schweiz billiger; positives Vorzeichen: In der Schweiz teurer. Die Preisdifferenzen beruhen auf Indizes der Kaufkraftparitäten. Quelle: Universität Genf
Wirtschaftsverflechtung Schweiz-EG 1990
Umfang Anteil am Gesamten
_______ _________
Exporte in die EG (Mrd Fr.) 51,1 56 %
Importe aus der EG (Mrd Fr.) 69,1 72 %
Direktinvestitionen in die EG Kapitalbestand (Mrd Fr.) 40,2 48 % Personalbestand (1'000) 438 46 %
Arbeitsmarkt Erwerbstätige aus der EG (1'000) ca. 700 20 %
Von Wall Street angesteckt
Nach den Erfahrungen der letzten Jahre wurde mancherorts im Oktober ein erneuter Börsenrückschlag erwartet. Dieser trat jedoch erst ein Monat später ein, kam in Raten und fiel ausserdem bescheidener aus. Der überraschende Rückgang des Dow Jones-Index um 3,9 % am 15. November übertrug sich in abgemilderter Form auf sämtliche bedeutenden Börsenplätze. Es gab jedoch keine Panik, und an den fundamentalen Rahmenbedingungen hat sich nichts geändert, ausser dass die Kurs-Gewinn-Verhältnisse günstiger geworden sind.
In den
USA
erlaubte der nachlassende Inflationsdruck, Anfang November eine
Diskontsatzsenkung vorzunehmen. Dennoch gelang es nicht, dadurch die Konjunktur
bereits in den Aufschwung zu führen. Erst im Lauf des nächsten Jahres ist eine
allmähliche Belebung zu erwarten, die von der jüngst vorgeschlagenen
Steuersenkung beschleunigt würde. Nachdem der Dow-Jones-Index am 1. November
einen neuen historischen Höchststand von 3'091,9 Punkten markiert hatte,
verloren die Anleger Mitte Monat die Geduld und stiessen ihre Positionen ab.
Der Rückgang setzte sich seither fort, und am 25. November erreichte der Index
2'902,7 Punkte. Im Hinblick auf den zu erwartenden, wenn auch nur mässigen
Konjunkturaufschwung hat der Aktienmarkt zweifellos an Attraktivität gewonnen.
Auch die
britische
Wirtschaft wartet auf eine Erholung. Zwar liegt die
Inflation auf dem tiefsten Stand seit dreieinhalb Jahren, und auch die jüngsten
Unternehmensberichte fielen teilweise positiv aus. Die Börse, die am 3.
September ein neues historisches Hoch erklommen hatte (2'683,7 Punkte für den
FT-SE 100), liess sich dadurch aber nicht beeindrucken und geriet nicht nur in
den Sog von New York, sondern wurde auch durch das schwache Pfund gedrückt.
Erst die Bestätigung, dass die Konjunktur tatsächlich anzieht, würde dem
Aktienmarkt neuen Schwung verleihen. Das könnte bereits zu Beginn des nächsten
Jahres der Fall sein. Ausgehend vom aktuellen Niveau von 2'456,2 Punkten des
FT-SE 100 am 25.11. ist kurz- wie mittelfristig eine interessante
Aufwärtsbewegung zu erwarten.
Japan
hat unter den wichtigen Industrieländern noch das stärkste Wachstum,
wenn auch mit rückläufiger Tendenz. Die schlechten Halbjahres-Gewinnausweise
der Unternehmen veranlassten die Bank of Japan, den Diskontsatz zu senken. Der
Kabutocho legte seit Ende August ein eindrückliches Rally an den Tag. Der
Nikkei-Index erreichte kurzfristig über 25'000 Punkte, bevor er Anfang November
wieder auf Talfahrt bis 22'868,7 Punkte am 25.11. ging. Mit den in den letzten
Jahren vorgenommenen umfangreichen Investitionen wird Japan seine hohe
Wirtschaftskraft behaupten können. Langfristig lohnen deswegen Engagements v.a.
in Infrastruktur-, Nahrungsmittel- und Konsumwerte.
In
Deutschland
wurde eine neue Zinsabschlagsteuer vorgestellt, um die vom
Bundesfinanzhof verlangte umfassende Besteuerung von Zinseinkommen
sicherzustellen. Die Börse reagierte auf die getroffene massvolle Regelung
Anfang November positiv, nachdem sie im September abwärts tendiert und sich im
Oktober lustlos gezeigt hatte. Wall Street kehrte den Aufwärtstrend jedoch ab
Mitte November um. Die deutsche Wirtschaft ist wie die japanische trotz
rückläufiger Wachstumsraten in einer robusten Verfassung. Der aktuelle Stand
des DAX-Index von 1'589,2 Punkten am 25.11. stellt ein attraktives
Einstiegsniveau mit beträchtlichem Aufwärtspotential dar.
Die
schweizerische
Volkswirtschaft steckt mitten in einer Stagflation, d.h.
sie ist gekennzeichnet durch eine verhältnismässig hohe Inflation bei
gleichzeitiger wirtschaftlicher Stagnation. Die Arbeitslosigkeit steigt, und
die hohen Zinsen lähmen die Investitionsbereitschaft. Im Oktober ging die
Teuerung etwas zurück, wovon nach einer seit August lustlosen Seitwärtsbewegung
der Börse vor allem die Finanztitel profitierten. Die kurze Hausse Anfang
November weckte Hoffnungen auf eine grundlegende Besserung, doch wurden diese
durch den Rückschlag in New York jäh zerschlagen. Auch der schwache
Schweizerfranken und die über Erwarten erneut gestiegene November-Teuerung
dürften das nächste Börsenrally noch etwas verzögern.
S. Mehlisch
Bewegte Wochen am Schweizer Kapitalmarkt
Im Zinsgefüge der internationalen Geld- und Kapitalmärkte herrschte im 4. Quartal 1991 weiterhin überdurchschnittlich viel Bewegung, wobei der Trend nach unten mehrheitlich erhalten blieb. Der zinsdämpfende Effekt der schwachen Weltkonjunktur und des Inflationsabbaus überspielte damit klar den wachsenden Kapitalbedarf zur Finanzierung der Staatshaushalte und der Umstrukturierung der osteuropäischen Länder. Als Mittel zur Konjunkturstimulierung waren denn auch die Diskontsatzermässigungen in den USA und Japan vorgenommen worden, obwohl sie den vorherigen Rückgang der Marktsätze lediglich nachvollzogen. Trotz weitgehend unveränderten Rahmenbedingungen stellte sich der schweizerische Kapitalmarkt dem internationalen Trend völlig entgegen und hatte im Oktober einen eigentlichen Renditesprung um 1/2 %-Punkt auf einen neuen Jahreshöchststand von 6,8 % (Bundesobligationen) zu verkraften, bevor sich eine zögernde Erholung durchsetzte.
US-Diskontwaffe gegen Konjunkturschwäche
Die zur Jahresmitte aufkeimenden Anzeichen einer konjunkturellen Erholung in den USA haben sich bereits wieder weitgehend verflüchtigt. Selbst wenn kein neuerliches Abgleiten in eine Rezession droht, stimmen die höchst uneinheitlich tendierenden Wirtschaftsindikatoren für die nähere Zukunft wenig optimistisch. Da die Teuerung weiter im Rückzug ist und sich im Oktober nur mehr auf 2,9 % belief, konnte das Federal Reserve seine Geldpolitik ohne grössere Stabilitätsabstriche kontinuierlich lockern. Die Zinssätze für Federal Funds wurden in kleinen Schritten um rund 3/4 %-Punkte zurückgenommen, wobei auch die freien Geldmarktsätze dieser Entwicklung bis auf ein Niveau von gut 4 1/2 % auffallend parallel folgten; seit 1977 hatte das kurzfristige Zinsniveau nie mehr einen derart tiefen Stand erreicht. Die Herabsetzung des Diskontsatzes von 5,0 auf 4,5 % am 6. November kam somit nur noch einer Bestätigung der gelockerten Politik gleich und wurde von den Geschäftsbanken mit einer entsprechenden Anpassung der Prime rate honoriert. Der Anleihensmarkt hatte diese Entwicklung bereits weitgehend eskomptiert; Treasury Bonds auf 10 Jahre rentierten seit Anfang Oktober knapp unter 7,5 %.
Japans Geldpolitik auf Lockerungspfad
In Japan weisen die meisten Indikatoren darauf hin, dass der Konjunkturabschwung deutlicher ausfallen wird als zuvor angenommen wurde. Da die Inflationsgefahr weitgehend gebannt ist und der Yen in einem Umfeld rückläufiger Zinssätze fester tendiert, wurde eine Lockerung der Geldpolitik allgemein erwartet. Diese fand in einer weiteren Diskontsatzsenkung am 14. November den sichtbarsten Ausdruck, nachdem schon vorgängig der Tagesgeldsatz schrittweise reduziert worden war. Unter dem Regime des neuen Ministerpräsidenten Miyazawa, der aus früheren Ämtern für eine expansive Wirtschaftspolitik bekannt ist, dürfte der Druck auf die Bank of Japan nach einer zusätzlichen monetären Stimmulierung eher noch zunehmen.
Zinsstütze für den Franc
Während in Europa die Geldmarktsätze auf hohem Niveau verharrten und seitens der deutschen Bundesbank eher eine weitere Straffung der Geldpolitik erwartet wurde, trat an den Kapitalmärkten dank des internationalen Zinszusammenhangs eine leichte Entspannung ein. Entlastend wirkten sich im Falle Deutschlands namentlich die bekanntgewordenen Pläne der Bundesregierung für eine nur moderate Zins-Quellensteuer aus. Frankreich konnte dagegen seine bisherige, auf Konjunkturstimulierung abstellende Eigenständigkeit in der Zinsgestaltung nicht länger durchhalten: Nachdem die Banque de France die letzten deutschen Leitzinserhöhungen nicht nachvollzogen, sondern vielmehr leichte Ermässigungen vorgenommen hatte, machte der zunehmende Druck auf den Aussenwert des Franc am 18. November eine Anhebung des Geldmarkt- Interventionsatzes um 1/2 %-Punkt erforderlich.
Turbulenzen am Schweizer Kapitalmarkt
Der schweizerische Finanzmarkt durchlief zwischen Mitte Oktober und Mitte November eine Phase aussergewöhnlicher Hektik. Für einmal waren es weniger die Geldmarktnotierungen -- die Eurofrankensätze zogen zwar vorübergehend leicht an, bildeten sich aber per saldo um rund 1/4 %-Punkt zurück -, sondern die Kapriolen der Anleihensrenditen, welche Aufsehen erregten. Die vielbeachtete, als Marktindikator jedoch nur beschränkt repräsentative Durchschnittsrendite der Bundesobligationen war bereis Ende September nach oben in Bewegung gekommen, festigte sich in der Folge kontinuierlich weiter, legte am 24. und 25. Oktober um insgesamt 27 Basispunkte zu und erreichte am 6. November mit 6,83 % einen neuen Jahreshöchststand, der mehr als 1 %-Punkt über dem Anfang Juni verzeichneten Jahrestiefst lag. Diese Entwicklung war umso bemerkenswerter, als sie bei gleichzeitig rückläufigen Kapitalmarktsätzen im Ausland und ersten Erfolgsmeldungen von der Teuerungsfront stattfand. Obwohl ab der zweiten Novemberwoche eine leichte Entspannung eintrat, blieben die zuvor teilweise angepassten Kassenobligationensätze der Banken auf erhöhtem Niveau bestehen.
An Erklärungsansätzen für die Kapitalverbesserung fehlt es zwar nicht, doch entbehren sie durchwegs des für das Ausmass der Hektik erforderlichen Neuigkeitsgehalts. Dass sich die Nationalbank nicht so leicht von ihrem restriktiven Kurs abbringen lässt, ist schon seit längerem bekannt. An Enttäuschungen über den nur schleppenden und obendrein nur importpreisbedingten Teuerungsabbau waren sich die Marktteilnehmer ebenfalls schon gewöhnt. Und dass die Schweiz angesichts des entstehenden gemeinsamen EG-Finanzmarktes ihr Zinsinsel-Dasein zumindest relativieren muss, war auch nicht erst durch die Unterzeichnung des EWR-Vertrags am 21. Oktober durchgesickert. Möglicherweise hat aber die gleichzeitig abgegebene Erklärung des Bundesrates zugunsten eines längerfristig anzustrebenden EG-Beitritts zusätzliche Arbitragegeschäfte ausgelöst. Im relativ dünnen Markt für Bundesobligationen hatte dies übersteigerte Renditeanpassungen zur Folge, nachdem beispielsweise die Swapsätze kontinuierlicher nach oben tendiert hatten. Für die weitere Entwicklung wird aber auch nach der inzwischen wieder erfolgten Korrektur zu beachten sein, dass angesichts der global besser integrierten Finanzmärkte eine deutliche Zinsentlastung auf Frankenanleihen nur bei substantiellen Erfolgen der Stabilitätspolitik zu erwarten ist. In Kürze kann damit nicht gerechnet werden.
Anziehendes Emissionsvolumen
An der Emissionsaktivität sind die Zinsturbulenzen zumindest im Inlandsektor des schwiezerischen Kapitalmarktes ohne grössere Spuren vorbeigegangen -- natürlich abgesehen von den angepassten Konditionen. Im November kamen 11 öffentlich begebene Inlandanleihen im Gesamtbetrag von 1,2 Mrd Fr. zum Abschluss, und mit Liberierungsdatum im Dezember waren bis Ende November bereits 13 Emissionen über 1,6 Mrd Fr. in der Pipeline. In der Schuldnerstruktur zeigt sich tendenziell eine geringere Marktbeanspruchung durch die Banken und eine verstärkte Mittelaufnahme der öffentlichen Hand. Auch die Eidgenossenschaft war End November mit einer 6 3/4 %-Jumbo-Emission von 500 Mio Fr. am Markt, die mit der ausstehenden 6 3/4 %-Bundesanleihe 1991/01 fungibel ist. Der so auf 800 Mio Fr. aufgestockte Betrag dürfte die Liquidität im Handel mit diesen Titeln verbessern.
Relativ bescheiden blieb dagagen mit einem Volumen von 2,1 Mrd Fr. im
November die Emissionaktivität bei Frankenanleihen und -Notes ausländischer
Schuldner. Im Zeitraum Januar-November 1991 lag die kumulierte
Marktbeanspruchung in diesem Marktsektor mit 29 Mrd Fr. um 6 % unter dem
Wert der entsprechenden Vorjahresperiode.
Chr. Frey
EWS: ... und es bewegt sich doch
Im Herbst wurden die internationalen Devisenmärkte von den globalen politischen Ereignissen nur noch am Rande berührt. Verstärkte Aufmerksamkeit wurde dafür dem Zustand und den Entwicklungstendenzen der nationalen Volkswirtschaften und dem geldpolitischen Kurs der Notenbanken geschenkt. War der Markt angesichts der statistischen Wechselbäder über den Konjunkturverlauf in den USA bis kurz vor Ende Oktober noch relativ träge und lustlos, so stand die Währungsszenerie im November angesichts schwindender Hoffnungen auf einen raschen und kräftigen Aufschwung in den USA unter dem Einfluss deutlich veränderter Rahmenbedingungen. Der eingespielte Kursrahmen auf den Dollar-Achsen von Fr. 1.45-1.50, DM 1.66-1.72 und Yen 129-133 wurde gesprengt, und die amerikanische Währung pendelte sich nach dem Kurssturz an der Wall Street in Bandbreiten von Fr. 1.40-1.43, DM 1.57-1.60 bzw. Yen 127-130 ein.
Innerhalb des EWS sind wegen der starken Verfassung der D-Mark (anhaltend hohe Geldmarktsätze und Spekulationen auf eine Leitzinserhöhung) erstmals seit langem wieder ernsthafte Spannungen aufgetreten. Ein Schlaglicht auf das EWS warf die Erhöhung des Geldmarktsatzes um einen halben Prozentpunkt auf 9,25 % durch die Banque de France. Der Schritt erfolgte, nachdem der Franc nahe an seinen unteren Interventionspunkt von FF 343.05/DM 100 abgeglitten war. Damit machte Paris nicht nur die Zinssenkung vom 18. Oktober um 0,25 %-Punkte rückgängig, sondern nahm per saldo eine Nettostraffung vor. Noch wesentlich stärker unter Druck kam in der zweiten Novemberhälfte das Pfund Sterling. Belastet durch die nur zögerlichen Anzeichen einer Konjunkturerholung, einen arg geschrumpften Zinsvorteil und die Ungewissheit über den Ausgang der Parlamentswahlen im kommenden Jahr, verbilligte es sich sehr rasch von DM 2.88 auf DM 2.84. Damit fiel es auf das tiefste Kursniveau seit dem Vollbeitritt ins EWS im Oktober 1990.
Herausragende übrige Ereignisse waren die geldpolitischen Lockerungen in den USA und in Japan, die Bekräftigung der G7, auf den Devisenmärkten weiterhin eng zu kooperieren, die Beschlüsse der Bonner Koalitionsregierung zur Besteuerung von Zinserträgen und die Abwertung der Finnischen Markka um 12,3 % gegenüber dem ECU, an den die finnische Währung seit dem 7. Juni einseitig gebunden ist.
Schatten über dem Dollar
Kursverlauf $/Fr.: 1.4525 (1. Oktober), 1.5050 (29.), 1.4040 (25. November), 1.4155 (26.). Die freundliche Tendenz des Dollars im Oktober war weitgehend Ausdruck der langfristigen Erwartung, dass 1992 das Wachstum in Europa und Japan rückläufig sein werde, während sich in den USA ein kraftvoller Aufschwung entfalte. Gerade als die US-Valuta aufgrund von Indizien, welche diese These in Frage stellten, nach unten abzudrehen drohte, griff ihm die Bush-Administration mit Andeutungen über einen fiskalischen Stimulus unter die Arme. Angesichts sehr hoher Budgetdefizite muten Steuersenkungen zwar seltsam an, kurzfristig jedoch dämpften sie die Zinssenkungserwartungen. Das schwindende Konsumentenvertrauen und die Verschlechterung am Arbeitsmarkt brachten in der Folge den Konjunkturoptimismus ins Wanken. Unter dem wachsenden Druck des Weissen Hauses senkte das Fed nicht nur den Diskontsatz von 5 auf 4,5 %, sondern auch den Zinssatz für Federal Funds in zwei Schritten von 5,25 % auf 4,75 %. Die veränderte Einschätzung der Wirtschaftslage und der wachsende Zinsnachteil verstärkten die Zurückhaltung der Anleger gegenüber dem Dollar. Nach der durch den Einbruch der US-Aktienbörse am 15. November ausgelösten Tieferbewertung um mehr als 3 Rappen bewegte sich der Dollar weitgehend im Tandem mit Wall-Street.
Starke D-Mark
Kursverlauf $/DM: 1.6660 (1. Oktober), 1.7170 (29.), 1.5785 (25. November), 1.5920 (26.). DM/Fr.: 87.18 (1. Oktober), 89.10 (22. November), 88.71 (26.). Das seit Mitte Jahr beschleunigte deutsche Geldmengenwachstum signalisierte -- zusammen mit der expansiven Fiskalpolitik und dem Lohndruck -- die Notwendigkeit für anhaltend hohe, wenn nicht gar noch höhere Zinsen. Die D-Mark profitierte von diesem Szenario und legte generell und teils kräftig zu. Gegenüber dem Franken erreichte sie den höchsten Stand seit März 1990, zumal der Eindruck entstand, die Schweizerische Nationalbank würde auf eine allmähliche Frankenabschwächung nicht mit höheren Zinsen reagieren. Spekulationen über ein mögliches EWS-Realignment verliehen der D-Mark ebenfalls Auftrieb.
Janusköpfiger Yen
Kursverlauf $/Yen: 133.10 (1. Oktober), 127.65 (25. November), 128.35 (26.).
Der Yen stiess anfangs Oktober erstmals seit Februar unter die Marke von Yen
130/$ vor. Die treibende Kraft waren Erwartungen, dass Japan angesichts der
massiven Ausweitung der Exportüberschüsse für eine Erstarkung des Yen besorgt
sein müsse, um handelspolitische Friktionen abzubauen. Die Kursverluste des Yen
gegenüber Nichtdollar-Währungen, die Mitte Oktober einsetzten und sich im
November akzentuierten, reflektierten die generelle DM-Stärke sowie die tiefen
-- nur noch von den USA unterbotenen -- Geldmarktzinsen.
H. Theiler
Edelmetallmärkte: Ungewisses sowjetisches Angebot
Offizielle Verlautbarungen über die sowjetischen Goldreserven und das Zustandekommen eines Abkommens über die Hilfeleistungen der führenden westlichen Industrieländer (G-7) an die Sowjetunion setzten im Oktober und November die Akzente der Entwicklung an den Edelmetallmärkten. Noch in den letzten Septembertagen hatte der Wirtschaftsberater der sowjetischen Regierung Gregori Jawlinski angekündigt, dass die Goldbestände der Sowjetunion auf 240 t gesunken seien, was etwa einer Jahresproduktion entsprechen soll. Der Markt wurde durch diese Nachricht völlig überrascht, da westliche Experten bisher von rund 2000 t ausgegangen waren. Der Goldpreis übersprang spontan die 350 $ Unze-Grenze, die er in der zuvor herrschenden lethargischen Marktstimmung unterschritten hatte. Auch die Notierungen von Silber und Platin wurden etwas mitgerissen. Die folgende Diskussion über die Richtigkeit von Jawlinskis Aussagen verhinderte jedoch einen nachhaltigen Aufschwung an den Edelmetallmärkten. In Zweifel gezogen wurden diese nicht nur von Sachverständigen im Westen, die sie in den Zusammenhang mit den sowjetischen Hilfsbegehren brachten; auch von sowjetischer Seite wurden höhere Bestände genannt. Immerhin verflüchtigten sich am Markt die Befürchtungen, dass sich der Druck auf den Goldpreis durch das sowjetische Angebot weiter verstärken werde. Die Notierungen konnten sich deshalb weitgehend auf dem erhöhten Niveau von knapp 360 $/Unze halten. Meldungen, wonach auch die sowjetische Goldproduktion erheblich unter den bisherigen westlichen Schätzungen läge und nicht wie bisher angenommen rund 300 t, sondern lediglich 150 t pro Jahr betrage, liessen sie in der zweiten Oktoberhälfte sogar gegen 365 $/Unze steigen.
Aus ähnlichen Gründen und wegen Arbeitsniederlegungen in südafrikanischen Minen erhielt auch der Platinpreis vorübergehend kräftig Aufwind. Die von den Spekulationen über das sowjetische Angebot ausgehenden Impulse liessen jedoch in der Folge wieder etwas nach. Erst nachdem sich die G-7-Länder mit acht sowjetischen Republiken über die Bedingungen von Hilfeleistungen hatten einigen können und die Gefahr von Notverkäufen der Sowjetunion zur Devisenbeschaffung gebannt schien, kam gegen Ende November nochmals Bewegung in den Markt, wobei sich der Goldpreis auf über 365 $/Unze schwang.
Am ..... notierte Gold bei xxx.x $/Unze, Silber bei x.xx $/Unze und Platin bei
xxx.x $/Unze.
W. Beckmann